Predigt zum 21. Herrentag nach Pfingsten (Gal. 2:16-20; Lk. 8:41-56) (17.11.2024)
Liebe Brüder und Schwestern,
wir behandeln heute die nachfolgenden Zeilen aus dem Galaterbrief, die bei entsprechender Betrachtung wegweisend und grundlegend für das gesamte geistliche Leben sind. Der Apostel schreibt: „Weil wir aber erkannt haben, dass der Mensch nicht durch Werke des Gesetzes gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir dazu gekommen, an Christus Jesus zu glauben, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus, und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird niemand gerecht“ (Gal. 2:16). Als Dr. Martin Luther vor 500 Jahren dem einfachen Volk das Neue Testament in einer für sie verständlichen Sprache sozusagen in die Hand drückte, entfesselte er einen Erdrutsch in der Römisch-Katholischen Kirche. Nun konnte sich jeder selbst von der ihm jahrhundertelang vorenthaltenen Wahrheit überzeugen, wonach der Mensch sein Heil durch den Glauben statt durch Werke erlangen kann. In der Tat, wer sich allein auf Werke des Gesetzes, zu vorreformatorischen Zeiten vergleichbar mit obligatorischen kirchlichen Vorschriften und für das Seelenheil als relevant ausgegebenen Regeln der Frömmigkeit, beschränkt, ähnelt dem Pharisäer aus dem uns allen bekannten Gleichnis des Herrn (s. Lk. 18:10-14). Dessen verhängnisvoller Fehler bestand ja gerade darin, dass er in den äußeren Werken der Frömmigkeit an sich die Rechtfertigung vor Gott vermutete, also die Schale ohne den Fruchtkern bzw. die Hülle ohne den Inhalt als wesentlich ansah. Aber wäre der „Glaube allein“ genügend, müsste doch der ohne jeden Zweifel gläubige Pharisäer von unserem Herrn trotzdem gerechtfertigt worden sein, was aber keinesfalls der Fall gewesen ist (s. Lk. 18:14). Viele unserer heterodoxen Mitbrüder berufen sich einseitig auf die einschlägigen Zitate der Heiligen Schrift (z.B. Mk. 16:16; Joh. 20:31; Apg. 13:39; 1 Petr. 1:9; Röm. 1:17; 3:21-28,30; 4:5; 1 Kor. 6:11; Gal. 3:11,14,22-24; 5:5; Phil. 3:9), die, aus dem Zusammenhang gerissen, tatsächlich die Deutung zulassen könnten, dass der Glaube allein ausreichend ist (das Wort allein werden Sie in diesem Kontext aber nirgendwo finden, außer im negativen Sinne in Jak. 2:24). Passagen, welche das exakte Gegenteil belegen, werden ohnehin geflissentlich übersehen (z.B. Jak. 2:11-21). Auch könnte man das exakte Gegenteil beweisen, wenn man wiederum aus dem Zusammenhang zitieren würde (s. Eph. 2:10, vgl. 2:8,9). Glaube und Werke gehören jedoch zusammen, sind voneinander untrennbar, so dass „erst durch die Werke der Glaube vollendet“ wird (Jak. 2:22). Die Menschen des Alten und des Neuen Bundes verstanden „Glaube“ nicht bloß als Überzeugung von der Existenz Gottes, sondern als Treue gegenüber Gott, und nur in diesem Sinne können die angeführten Bibelstellen über den Glauben verstanden werden (s.u.). Sonst würde der Apostel Paulus wohl kaum die Warnung an die ohne Zweifel gläubigen Galater ausgesprochen haben: „Wenn ihr also durch das Gesetz gerecht werden wollt, dann habt ihr mit Christus nichts mehr zu tun; ihr seid aus der Gnade herausgefallen“ (Gal. 5:4). Es ist hier und aus dem ganzen Kontext vollkommen ersichtlich, dass der Apostel davon spricht, sich nicht auf das Gesetz des Alten Bundes zu besinnen, sondern auf die rettende Gnade Gottes. Mit anderen Worten: wer am Alten Bund des Buchstabens festhält und nicht den Neuen Bund der Gnade annimmt, der lehnt den Begründer des Neuen Testamentes ab (s. Mt. 26:28; Mk. 14:24; Lk. 22:20; vgl. Hebr. 13:20-21). Er kann einen Glauben haben, der Berge versetzt, und wird trotzdem nicht in das Königtum Gottes eingehen, wenn er keine Liebe hat (s. 1 Kor. 13:2; vgl. Gal. 5:6).
„Wenn nun auch wir, die wir in Christus gerecht zu werden suchen, als Sünder gelten, ist dann Christus etwa ein Diener der Sünde? Das ist unmöglich!“ (Gal. 2:17). Verstanden? Nein? - Wir berufen uns auf Christus, um gerecht zu werden, und bleiben trotzdem Sünder. Ist das dann die Schuld Christi? Keineswegs! Vom Wesen und von meiner (gefallenen) Natur her bin ich auch im Moment der Taufe und Myronsalbung, eine Sekunde nach der Beichte und selbst beim Empfang des Leibes und des Blutes Christi ein Sünder; aufgrund der Gnade Christi, werde ich aber „heilig“. Mein einziges Verdienst bei dieser Synergie ist mein Glaube an die Wirksamkeit dieser Gnade. Ich Sünder werde völlig unverdient geheiligt durch die Gnade Christi (s. Eph. 2:8-9; vgl. 1 Tim. 1:15)!
„Wenn ich allerdings das, was ich niedergerissen habe, wieder aufbaue, dann stelle ich mich selbst als Übertreter hin“ (2:18). Viele unter den Judenchristen übten infolge ihres Eifers ohne die rechte Erkenntnis (s. Röm. 10:2) Druck auf die Heidenchristen aus, sich vor der Taufe beschneiden zu lassen. Aber das hätte bedeutet, dass sie den Neuen Bund, welcher den Alten ablöste (s. 2 Kor. 3:7-10; Gal. 3:23-24; Hebr. 7:18-19; 8:13; 9:15-17; 10:1-17), desavouierten.
„Ich bin aber durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich für Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt worden“ (2:19). Worauf es nun ankommt, ist der vollkommene Einklang unseres Lebens mit Christus. Dazu müssen wir für das alte Gesetz „sterben“, und für das neue Gesetz der Gnade Christi leben, „denn das Gesetz des Geistes und des Lebens in Christus Jesus hat uns frei gemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes“ (Röm. 8:2).
Und zu guter Letzt heißt es: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Soweit ich aber jetzt noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, Der mich geliebt und Sich für mich hingegeben hat“ (2:20). Nur durch das verinnerlichte Bewusstsein der aufopferungsvollen Liebe des Herr zu mir Sünder wird auch in mir der Glaube leben, welcher (nach menschlichem Ermessen) der Liebe Christi zu mir entspricht (s. 1 Kor. 13:13). Amen.