Predigt zum 19. Herrentag nach Pfingsten (2 Kor. 11:31-12:9; Lk. 16:19-31) (03.11.2024)
Liebe Brüder und Schwestern,
heute wollen wir gemeinsam einen exegetischen Streifzug durch das Gleichnis vom reichen Mann und vom armen Lazarus unternehmen.
„Es war einmal ein reicher Mann, der sich in Purpur und feines Leinen kleidete und Tag für Tag herrlich und in Freuden lebte“ (Lk. 16:19).
Kennzeichnend für diesen Mann ist, dass er den Reichtums als oberstes Ziel ansah. Diese Bezogenheit auf das Irdische ist verderblich für die, welche ihren Besitzstand wahren bzw. weiter vermehren wollen, und vielleicht sogar noch mehr für die, welche materiellen Überfluss um jeden Preis erst zu erlangen trachten. Sie laufen Gefahr, nicht nur das 10. Gebot (s. Ex. 20:17; Dtn. 5:21) zu missachten, sondern auch aus Geldgier zu Kriminellen zu werden.
„Vor der Tür des Reichen aber lag ein armer Mann namens Lazarus, dessen Leib voller Geschwüre war“ (16:20).
Im Unterschied zu dem Reichen wird der Arme hier beim Namen genannt, was die Exegeten als Indiz dafür werten, dass der Name des Lazarus in das „Buch des Lebens“ eingetragen war (s. Phil. 4:3; vgl. Jes. 4:3; Lk. 10:20; Offb. 3:5; 13:8; 17:8), der des Reichen aber nicht. Einige Kommentatoren gehen sogar davon aus, dass es sich bei dem namentlich Genannten um eine real existierende Person handeln musste, so dass wir hier von einer wahren Begebenheit reden.
„Er hätte gern seinen Hunger mit dem gestillt, was vom Tisch des Reichen herunterfiel. Statt dessen kamen die Hunde und leckten an seinen Geschwüren“ (16:21).
Der Reiche hätte den Armen von den Resten oder Abfällen seines Tisches sättigen können. Ein Wort hätte schon genügt. So erweist sich aber, dass die Hunde mehr Mitleid empfanden als dieser hartherzige Mensch, der mutmaßlich nur spendabel und gutmütig gegenüber denen war, die es ihm auf die gleiche Weise vergelten konnten. Doch damit beraubte er sich selbst der Möglichkeit, „bei der Auferstehung der Gerechten“ entlohnt zu werden (s. Lk. 14:12-14).
„Als nun der Arme starb, wurde er von den Engeln in Abrahams Schoß getragen. Auch der Reiche starb und wurde begraben“ (16:22).
Es bedarf keiner allzu großen Phantasie, um sich die beiden Begräbnisse vorzustellen: Lazarus hatte keinen, der ihn bestatten wollte, wurde wahrscheinlich auf die schäbigste Art „entsorgt“. Doch Gott nahm Sich seiner Seele an und entsandte Engel, die ihn in „Abrahams Schoß“ trugen. Der Reiche wurde wohl in einem prachtvoll geschmücktem Grab beigesetzt, was für ihn aber schon die letzte Wohltat war, welche er von dieser Welt bekam.
„In der Unterwelt, wo er qualvolle Schmerzen litt, blickte er auf und sah von weitem Abraham, und Lazarus in seinem Schoß“ (16:23).
Die Rede ist hier, wohlgemerkt, von der Zeit vor der Auferstehung Christi und der dadurch bewirkten Befreiung aller Gerechten aus der Finsternis des Hades. Also ist auch Abraham, der Stammvater der Juden, dort. Aber aus den Worten unseres Herrn ergibt sich, dass es gewissermaßen einen „oberen“ und einen „niederen“ Hades gab. Von ganz unten blickte der Sünder nach ganz oben und erblickte Lazarus in weiter Entfernung, auf dem Schoß Abrahams sitzend. Obwohl sich die Gerechten im Scheol befanden, hatten sie die Hoffnung auf die Auferstehung dank ihres Glaubens an den kommenden Messias. Dies wird durch die prophetischen Worte des Psalms bestätigt: „Denn sollte ich auch wandeln mitten im Schatten des Todes, ich fürchte nichts Böses, denn Du bist bei mir: Dein Stab und Dein Stock, die trösten mich“ (Ps. 22:4). Die Hoffnung lebte, mehr noch, die freudige Erwartung auf das ewige Heil in Christus. Nicht so aber für die Sünder, die im Vergleich dazu schreckliche Pein der Hoffnungslosigkeit erduldeten. „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, sagt ein bekanntes Sprichwort. Und wenn die gestorben ist, was dann?!.. Denken wir alle daran!
„Da rief er: ´Vater Abraham, hab Erbarmen mit mir, und schick Lazarus zu mir; er soll wenigstens die Spitze seines Fingers ins Wasser tauchen und mir die Zunge kühlen, denn ich leide große Qual in diesem Feuer`“ (Lk. 16:24).
Aha! Jetzt plötzlich nennst du den armen Schlucker, der dich zu gemeinsamen Lebzeiten einen Dreck interessierte, beim Namen. Also kanntest du ihn. Jetzt, unter völlig verkehrten Vorzeichen, willst du, der du ihm zuvor nicht einen Krümel von deinem täglich üppig zelebrierten Festmahl abgeben wolltest, dass er dir wenigstens diesen mickrigen Dienst erweist, um deine Leiden zu lindern. Daran hättest du vorher denken müssen, um jetzt, in der Ewigkeit, von der unverrückbaren Gesetzmäßigkeit von Gottes Liebe profitieren zu können (s. 2 Kor. 9:6-8).
„Abraham erwiderte: ´Mein Kind, denk daran, dass du schon zu Lebzeiten deinen Anteil am Guten erhalten hast, Lazarus aber nur Schlechtes. Jetzt wird er dafür getröstet, du aber musst leiden`“ (Lk. 16:25).
Er ist auch ein Sohn Abrahams, also ein Jude. Aber das allein reicht nicht (s. Mt. 3:9; Lk. 3:8; vgl. Joh. 8:30-47). Er hat ja seinen „Anteil am Guten“ erhalten, Gott war also barmherzig zu ihm, denn er erhielt das, was er anstrebte. Doch wie hat er es dem Herrn gedankt?! Lazarus hingegen, der „nur Schlechtes“ im zeitlichen Leben erhalten hat, wurde vertröstet auf das ewige. Seine Geduld und Ausdauer erwiesen sich für ihn als Rettung für die Seele (s. Lk: 8:15; 21:19). Der Reiche hätte aber beides haben können – zeitliches und ewiges Glück. Jetzt aber hat er keines davon, und leidet.
„Außerdem ist zwischen uns und euch ein unüberwindlicher Abgrund, so dass niemand von hier zu euch oder von dort zu uns kommen kann, selbst wenn er es wollte“ (Lk. 16:26).
Natürlich ist hier nicht von zwei verschiedenen Orten die Rede, sondern, figurativ, von zwei Zuständen der Seele. Gott liebt alle Menschen, auch die Sünder. Er schenkt uns das irdische Leben zur Erlangung der göttlichen Gnade (s. 2 Kor. 6:2; vgl. Jes. 49:8-10). Wer stattdessen ein Lotterleben verbracht und wer Böses getan hat, dem wird diese Gnade im irdischen Leben nicht zuteil werden. Dann steht es schlecht um sie in Hinblick auf die Begegnung mit Gott, die unausweichlich kommen wird. Dann werden die einen, deren geistliches Auge rein gewesen ist, vom göttlichen Licht (s. 1 Joh. 1:5) auch im Hades erleuchtet (s. Ps. 138:8); für die anderen hingegen wird selbst dieses Licht zur Finsternis (s. Mt. 6.22-23; Lk. 11:34-36).
„Da sagte der Reiche: ´Dann bitte ich dich, Vater, schick ihn in das Haus meines Vaters! Denn ich habe noch fünf Brüder. Er soll sie warnen, damit nicht auch sie an diesen Ort der Qual kommen`“ (Lk. 16:27-28).
Der Mann war imstande zu lieben, immerhin. Nur war das eine Liebe, zu der eben auch Sünder fähig sind (s. Mt. 5:46-47; Lk. 6:32-33). Damit erfüllte er nicht die Norm des Gesetzes, selbst wenn man es so auslegte, dass es nur auf die Angehörigen des eigenen Volkes Anwendung findet. Lazarus war nämlich ebenso ein „Kind seines Volkes“ (s. Lev. 19:18). Und, ganz wichtig für uns alle: Wenn schon dieser verurteilte Sünder sich die Kühnheit herausnimmt, aus dem Jenseits für die noch im Diesseits Befindlichen zu bitten, um wie viel mehr müssen dann die Gerechten (Heiligen) Freimut besitzen, zu Gott für uns auf Erden Lebende zu flehen?!..
„Abraham aber sagte: ´Sie haben Mose und die Propheten, auf die sollen sie hören`“ (Lk. 16:29).
Für die, für welche die Offenbarung Gottes zugänglich ist, gibt es nur diesen Weg. Gott „im Herzen“ zu haben war in früheren Zeiten für Analphabeten vielleicht eine entschuldbare Alternative, auch für des Lesens Kundige, die in jüngerer Vergangenheit aus objektiven Gründen keinen Zugang zu dieser Quelle des Heils hatten (z.B. im Kommunismus). Heute haben wir Religionsfreiheit und Internet. Da gibt es keine Ausreden mehr.
„Er erwiderte: ´Nein, Vater Abraham, nur wenn einer von den Toten zu ihnen kommt. Werden sie umkehren`“ (16:30).
Ein bekennender Atheist sprach eins zu Geronta Paisios dem Agioriten: „Wenn du jetzt vor meinen Augen ein Wunder vollbringst, werde ich an Gott glauben“. Dieser erwiderte ihm: „Gut, ich nehme jetzt ein Messer, schneide dir den Kopf ab und mache ihn danach wieder dran, und du wirst leben. Einverstanden?“ … Nach einem langen Zwiegespräch kam der Mann zum Glauben und wurde Mönch auf dem Athos. Wunder aus Effekthascherei hat auch der Herr niemals vollbracht (s. Mt. 4:5-7; Lk. 4:9-12). Das Wunder, das Gott vollbringt, ist die Bekehrung der Ungläubigen. Doch dazu bedarf es der „Mitarbeit“ der Ersteren.
„Darauf sagte Abraham: ´Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht`“ (16:31).
Dem ist nichts hinzuzufügen. Wer nicht glauben will, der wird es nie tun. Amen.