Predigt zum Ökumenischen Seelengedenken am Samstag vor Pfingsten (Apg. 28:1-31; 1 Kor. 15:47-57; Joh. 21:15-25; Joh. 635-39) (22.06.2024)
Liebe Brüder und Schwestern,
der Samstag vor Pfingsten ist zusammen mit dem Samstag vor dem Gedenken des Weltgerichts (vor dem Herrentag des Fleischverzichts) der bedeutendste Gedenktag für die Entschlafenen im Jahr. Aus diesem Anlass wollen wir uns heute etwas ausführlicher mit der Lehre der Kirche über die Verstorbenen auseinandersetzen, genauer gesagt, mit den ersten vierzig Tagen nach der Trennung der Seele vom Leib. Dazu erst einmal eine Vorbemerkung: das Leben der kommenden Welt, das wir in unserem Credo bekennen, ist vollkommen anders als diese Welt. Hier existieren wir unter den Bedingungen von Zeit, Raum und Materie. Das bedeutet, dass unser hiesiges Dasein bedingt oder relativ ist. Spirituell lebende Menschen können von Gott manchmal gnadenvoller Erscheinungen aus der künftigen Welt gewürdigt werden, doch diese werden dem Menschen in für ihn verständlichen irdischen Kategorien vermittelt. Ist es daher völlig unmöglich, einem Blindgeborenen die sichtbaren Dinge zu erklären? Nicht ganz. Er verfügt über ein Gehör, über Geschmack-, Tast- und Geruchssinn, die bei ihm sogar stärker ausgeprägt sind als bei sehenden Menschen. Wenn man ihm also die Dinge „auf seine Weise“, d.h. basierend auf seinem Erfahrungsschatz, näherbringt, könnte bei ihm schon eine teilweise Vorstellung der beschriebenen Gegenstände entstehen. So auch hier.
Es gibt die Tradition, derzufolge die Seele nach ihrem Hinscheiden die ersten drei Tage, an denen sie den Körper noch nicht endgültig verlassen hat (s. Mt. 9:24; Mk. 5:39; Lk. 8:52; vgl. Apg. 20:10), sich an den Orten auf der Erde aufhält, die sie besonders geliebt hat - eine Erfahrung, die nicht nur Priester in Gesprächen mit Angehörigen jüngst Verstorbener öfters machen. Man kann sich ja vorstellen, wohin sich die Seele eines frommen Menschen begeben wird, und welche Orte die Seele eines nicht so frommen Menschen aufsuchen wird. Nach dem dritten Tag verweilt die Seele an den „Orten“ der Gerechten und bleibt dort bis zum neunten Tag. Am dritten Tag erstand der Herr von den Toten, die Zahl Neun steht symbolisch für die Engelsränge. Das ist notwendig, damit sich die Seele vorab mit dem Dasein der Engel vertraut macht (s. Mt. 22:30; Mk. 12:25; Lk. 20:36). Und schließlich kommt die Seele danach an die „Orte“ der Sünder, um sich mit deren Zustand bekannt zu machen. Nach dem vierzigsten Tag geht die Seele dorthin, wohin es ihr bis zum letzten Gericht zu sein beschieden ist, denn am vierzigsten Tag fuhr der Gottesmensch in den Himmel.
Das alles sind keine „Gesetze“ und es hat mit irdischer Wesenslogik nichts zu tun. Diese Tage dienen einfach dem Gedenken der Verstorbenen, damit wir für unsere entschlafenen Angehörigen und Freunde beten. In der weiteren Perspektive beten wir für sie an ihrem Sterbetag und an ihrem Namenstag, was ebenso, dann aber längerfristig, der frommen Erinnerungskultur im Gebet dient.
Bleibt die Frage: Wozu das Ganze? Braucht Gott so lange, um ein (vorläufiges) Urteil über die Seele eines Individuums zu fällen? Natürlich nicht. Dieser Weg der Seele nach dem Tod dient aber als eine Art Prüfung. Es wird kein willkürliches Urteil gefällt, sondern die Seele bestimmt selbst, wohin sie nach Ablauf dieser „Probezeit“ geraten wird. In allen drei „Phasen“ wird nämlich das zutage treten, was sich die Seele in ihrem irdischen Leben „erarbeitet“ hat (s. Mt. 6:19-21; Lk. 12:21). So trifft die Seele die Entscheidung selbst, ob sie in den ersten drei Tagen in der Kirche sein will oder in der Kneipe. Wenn sie dann bis zum neunten Tag in den Gezelten der Gerechten verweilt, wo „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung“ (Gal. 5:22) dominieren, kann es durchaus passieren, dass eine nicht vom Geist bestimmte Seele von sich aus davon Abstand nimmt und so „das Königtum Gottes nicht erben“ wird (Gal. 5:21). Und umgekehrt kann es sehr leicht sein, dass sie sich am „Orte“ der Sünder in einer für sich „besseren“ Umgebung wiederfindet und sich dort subjektiv besser aufgehoben sieht (vgl. Gal. 5:19-21). Die Seele entscheidet letztlich selbst über ihr ewiges Schicksal.*) Ein Berufungsverfahren erübrigt sich so, da man gewissermaßen Richter seiner selbst ist (vgl. 7:2; Mk. 4:24; Lk. 6:38). Christus respektiert diese Entscheidung in letzter Instanz (vgl. Joh. 3:19; 5:30). Und wer heilig gelebt hat, „kommt nicht ins Gericht, sondern ist aus dem Tod ins Leben hinübergegangen“ (Joh. 5:25).
Fazit: Für gläubige aber sündige Christen (und das sind wir) ist es eine unvorstellbare Hilfe, wenn für uns dereinst die Kirche in der ganzen Welt ihr Flehen zu Gott erhebt, damit wir als unwürdige Diener Christi durch Sein Blut die Erlösung und die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum Seiner Gnade (s. Eph. 1:7; vgl. Kol. 1:14) empfangen können. Amen
____________________________________________________________________________________________________________________________________________________*) Ein Politiker stirbt. Er trifft seinen Schutzengel, der ihn darauf vorbereitet, dass er jetzt ein Verfahren durchlaufen muss, nach welchem er selbst entscheidet, ob er ins Paradies oder in die Hölle kommen wird. Der Politiker sagt: „Ich will in den Himmel. Wir können uns das Feststellungsverfahren sparen“. Der Engel erwidert: „So sind aber die Regeln. Du musst erst beide Optionen kennen, bevor du deine Wahl triffst“. So kommt er also zuerst in den Himmel, wo ihn lauter Harfe spielende Engel umgeben und mit ihm fromme Lieder singen. Danach wird er in die Unterwelt geführt, wo ihn Champagner, Kaviar vom Feinsten, fetzige Musik, bildschöne Frauen und jeder nur erdenkliche Luxus empfangen. Dann kommt er zurück zu seinem Engel und verkündet ihm: „Sei mir bitte nicht böse. Es war, na ja, ganz nett bei euch da oben, aber im Unterhaus hat es mit doch besser gefallen“. Die Entscheidung ist somit getroffen. Er fährt mit dem Fahrstuhl etliche Etagen runter und findet dort eine öde Landschaft mit verbrannter Erde und unerträglicher Hitze vor. Alles ist vermüllt, der Gestank ist impertinent, die Zustände dort sind nicht in Worte zu fassen. Als er ein Mitglied des ihm bestens bekannten Empfangskomitees trifft, fragt er ihn indigniert: „Was soll das?! Als ich hier das erste Mal war, sah das alle hier ganz anders aus“. - „Ja“, entgegnet ihm der maliziös grinsende Empfangschef, „das war aber vor der Wahl“.