Predigt zum Hochfest des Einzugs des Herrn in Jerusalem (Palmsonntag) (Phil. 4:4-9; Joh. 12:1-18) (28.04.2024)
Liebe Brüder und Schwestern,
nachdem der Herr in Bethanien Lazarus aus dem Grab gerufen hat, zieht Er triumphal in Jerusalem ein. Es mag dabei aber erstaunen, dass der Herr, anders als zuvor, nun die Ehrenbekundungen der Menschen annimmt. Hatte Er nicht den vielen von Ihm Geheilten streng verboten, den anderen Menschen von Seinen Taten zu erzählen? Und selbst den Aposteln, die nach dem Bekenntnis des Petrus (s. Mt. 16:16) ja wussten, dass Er der Christus, der von den Propheten angekündigte und vom Volk sehnlichst erwartete Messias ist, verbot Er es, davon den Leuten zu künden. Wieso nimmt Er jetzt die Huldigungen des Volkes an? Seine Zurückhaltung war ja verständlich. Schließlich sind es gerade die falschen Propheten, welche gleich zu Anfang ihres Auftretens lauthals von Ihrer angeblichen Gesandtschaft von Gott künden. Christus hat das aber nicht nötig. Er lässt Taten für Sich sprechen. Und die sind viel überzeugender als tausend Worte. Doch nach der Erweckung des Lazarus lässt Er das geschehen, was Er dreieinhalb Jahre zuvor, seit Beginn Seines öffentlichen Wirkens, nicht zugelassen hätte. Warum? Die Antwort ist eindeutig. Schon ganz zu Beginn Seiner Mission zog Sich der Herr den Hass und die Abneigung der Hohepriester und Schriftgelehrten zu. Ihretwegen trat Christus in der Öffentlichkeit als einfacher Rabbi auf, denn sonst hätten sie ihr Mordkomplott gegen Ihn schon sehr viel früher geschmiedet und ohne jeden Zweifel in die Tat umgesetzt. So aber konnte Er in dieser Zeit das Königtum Gottes verkünden und die Menschen schrittweise auf den wahren Sinn Seiner Mission vorbereiten. Doch mit dem Einzug in Jerusalem ist allen klar, dass Er der Messias ist, wovon die euphorische Reaktion der Menschenmassen kündet: „Hosianna in der Höhe, gesegnet, Der da kommt im Namen des Herrn, der König Israels!“ (Joh. 12:13; vgl. Mt. 21:9; Mk. 11:9). Deshalb lässt auch die Reaktion der Schriftgelehrten und Hohepriester nicht lange auf sich warten, die Christus auffordern, das Volk zum Schweigen zu bringen. Die in den Schriften Kundigen wussten um die Bedeutung des Geschehens (vgl. Ps. 117:26).
Ja, es ist ein Triumphzug, wie ihn Jerusalem wahrscheinlich noch nie erlebt hatte. Und doch ist es ein Triumphzug der anderen Art. Ja, erstmals kommt Christus nicht zu Fuß, aber statt auf einem edlen Ross sitzt Er auf dem Rücken eines Füllens, das statt pompöser Schmuckgewänder mit den Obergewändern der Jünger bedeckt ist. Er trägt keinen Lorbeerkranz (der kommt erst später – s. Mt. 27:29; Mk. 15:17; Lk. 19:38; Joh. 19:2), vor Ihm schreiten keine schwerbewaffneten Krieger mit Standarten, sondern galiläische Fischer, Ihm folgen auch keine in Ketten gelegten Gefangenen, die vor ihrer Hinrichtung noch dem Volk vorgeführt werden sollen. Nein, Christus ist kein irdischer Herrscher, denn Sein Königtum ist nicht von dieser Welt (s. Joh. 18:36).
Folglich ist auch die Herrlichkeit dieses Königtums nicht von dieser Welt. Seine Herrlichkeit ergibt sich nicht aus militärischen Siegen und glorreichen Heldentaten auf dem Schlachtfeld, sondern aus Demut, Sanftmut und Liebe (vgl. Mt. 11:29). Aber das sind keine leeren Worte, wie bei so manch einem weltlichen Machthaber. Diese göttliche Herrlichkeit wird Sich der Menschensohn durch Sein Leiden, bedingt durch Seine unendliche Entäußerung, erwerben (s. Joh. 17:5; vgl. Phil. 2:5-9), damit wir an dieser Herrlichkeit teilhaben können. Dies ist die ewige, himmlische, göttliche Herrlichkeit, nicht der endliche, eitle und schnell verwelkende Ruhm dieser Welt. Und gerade deshalb sitzt Christus nicht hocherhobenen Hauptes auf dem Reittier, sondern zieht voller Demut in die heilige Stadt ein, wie von Ihm geschrieben steht (s. Sach. 9:9). Es wäre ein Leichtes für Ihn gewesen, aus dieser Begeisterung politisch Kapital zu schlagen und die Hoheit über die Massen zu erlangen. Er ist ja, so scheint es nach menschlichen Gesichtspunkten, auf dem Gipfel Seines Ruhms. Doch stattdessen vergießt der Herr bittere Tränen über Jerusalem und über Sein ganzes Volk. Dabei spricht Er: „Wenn doch auch du an diesem Tag erkannt hättest, was dir Frieden bringt. Jetzt aber bleibt es deinen Augen verborgen. Es wird eine Zeit für dich kommen, in der deine Feinde rings um dich einen Wall aufwerfen, dich einschließen und von allen Seiten bedrängen. Sie werden dich und deine Kinder zerschmettern und keinen Stein auf dem anderen lassen, denn du hast die Zeit der Gnade nicht erkannt“ (Lk. 19:42-43). All das, was der Herr hier angekündigt hatte, ereignete sich vierzig Jahre später, wie es der jüdische Historiker Josephus Flavius als Zeitzeuge für die Nachwelt festgehalten hat. Wie unvorstellbar schrecklich es ist, wenn Menschen die Herrlichkeit Gottes für den Ruhm dieser Welt eintauschen wollen! Und welch große Verantwortung tragen die geistlichen Anführer des Volkes für ihren frevelhaften Verrat! Sie hassten Christus von Anfang an, beschuldigten Ihn der Missachtung der Gesetzesvorschriften, und erkannten nicht, dass Christus nicht gekommen war, das Gesetz aufzulösen, sondern es zu erfüllen (s. Mt. 5:17). Und ungewollt bestätigen Seine Feinde die Richtigkeit Seiner Worte (s. Jes. 6:9-10).
Gott will nicht, das die Menschen in dieser Welt leiden. Im Gegenteil, Er tut alles, damit sie noch beizeiten erkennen, was ihnen Frieden bringt. Aber die Menschen denken nur an Irdisches. Oft schreitet Gott ein, ruft die Menschen durch mancherlei ihnen herabgesandte Unbill zur Umkehr. Er ist es doch, Der helfen kann und will. Nur müssen wir stets in Seinem Namen bitten, vor allem um die Stärkung durch den Heiligen Geist (s. Lk. 11:13), „damit der Vater im Sohn verherrlicht werde“ (Joh. 14:13). Wenn wir dazu nicht willens und nicht fähig sind, können wir heute die gesegneten Palmenzweige mitnehmen und erst zur Segnung der Ostereier wiederkommen. Amen.