Predigt zum 21. Herrentag nach Pfingsten (Gal. 2:16-20; Lk. 8:5-15) (29.10.2023)
Liebe Brüder und Schwestern,
wir alle kennen das Gleichnis vom Sämann, das fast wortgleich von allen drei Synoptikern aus dem Munde unseres Herrn überliefert worden ist. Da der Herr dieses Gleichnis gleich danach im Kreise Seiner Jünger deutet, brauchen wir uns nicht mit der Auslegung desselben zu befassen. Was aber überraschen mag ist die Tatsache, dass der Herr nur dem engsten Kreis Seiner Getreuen „die Geheimnisse des Reiches Gottes zu erkennen“ gibt, „zu den anderen Menschen wird aber nur in Gleichnissen geredet, denn sie sollen sehen und doch nicht erkennen, hören und doch nicht verstehen“ (Lk. 5:10; vgl. Joh.12:40; Jes. 6:9). Insbesondere im Kontext des Brotes vom Himmel, das der Herr Jesus Christus Selbst ist, spricht Er zu der Menge: „... Ich habe euch gesagt: Ihr habt (Mich) gesehen, und doch glaubt ihr nicht“ (Joh. 6:36; vgl. 6:26-27). Wie ist das zu erklären? - Gott misst jedem seine besondere Verantwortung zu. Je größer diese Verantwortung, umso mehr wird auch zurückverlangt. Wenn Gott sieht, dass die Menschen sich schon von vornherein dieser Verantwortung nicht stellen wollen bzw. sich ihrer auch gar nicht bewusst sind, sieht Er davon ab, ihnen eine Last aufzubürden, die sie eh nicht tragen werden. Auch aus der heutigen Erzählung wissen wir, dass sich die Menschen in Massen um den Messias scharten (s. Lk. 5:4), aber: Wie viele von ihnen kamen ausschließlich darum, das Wort Gottes zu hören? Waren nicht vorwiegend andere Faktoren für diesen und andere Menschenaufläufe ursächlich? Auch damals fühlte sich die überwiegende Mehrheit aus durchweg pragmatischen Überlegungen dem Herrn zugezogen.
Neulich wurde mir im Rahmen einer Kindstaufe auf ein junges Mädchen hingewiesen: „Das ist Y., sie haben sie vor siebzehn Jahren getauft“. Schön. Vielleicht hat dieses nette junge Mädchen auch am Sonntag nach der Taufe die Heiligen Gaben empfangen, damit die Eltern sich die Taufbescheinigung abholen konnten, aber ihrem fremdelnden Verhalten (und dem der übrigen Anwesenden) gegenüber dem Gotteshaus und den dort vollzogenen Handlungen nach zu urteilen genießt der orthodoxe Glaube im Herzen und im Verstand der beinahe erwachsenen jungen Dame, vornehm ausgedrückt, nicht die oberste Priorität (vgl. Dtn. 6:5; Mt. 22:37; 16:24; Mk. 12:29-30; 8:34; Lk. 10:27; 14:26). Eben davon handelt das heutige Gleichnis. Wenn die Liebe Christi in den Herzen so vieler getaufter Menschen keinen Widerhall findet, dann sind zunächst die Eltern und Taufpaten, letztlich aber auch die herangewachsenen Kinder und Jugendlichen ihrer Verantwortung vor Gott nicht gerecht geworden. Nicht bloß zu 50%, auch nicht zu 5%, nicht einmal zu 1%, nein – zu 0,0% haben sie ihre Aufgabe erfüllt. Und es ist nicht mehr die Sowjetzeit, als die Einfuhr einer Bibel aus dem Ausland als Straftat galt. Heute trägt jeder die gesamte Heilige Schrift, ja praktisch die gesammelten Werke der Heiligen Väter und den kompletten Katechismus in seiner Hosentasche! Und an uns allen bewahrheiten sich die Worte des Herrn aus dem Gleichnis vom Sämann. Der Satan hat ja nichts dagegen, dass bei uns zu Hause ganze Bücherregale mit geistlicher Literatur stehen, dass wir inzwischen auch orthodoxe Videokanäle bequem abonnieren können; er sorgt schon dafür, dass die Bücher von einer dicken Staubschicht bedeckt bleiben und die positiven Erkenntnisse aus den Internetblogs so schnell wie möglich verdrängt, vergessen oder aus Langeweile sehenden Auges und offenen Ohres gar nicht erst zur Kenntnis genommen werden. Natürlich langweilt man sich bei Dingen, die das Herz nicht ansprechen bzw. für die kein Platz im Herzen vorhanden ist. Logisch!
Die Leute rufen beim Priester an und fragen was eine Taufe kostet und für welchen Tag man einen Termin vereinbaren kann. Wenn man ihnen zu erklären versucht, dass die Kirche kein Servicebüro für rituelle Dienstleistungen sei, reagieren sie oftmals indigniert und legen den Hörer auf. Keine Rede davon, dass Eltern und Paten eine riesengroße Verantwortung auf sich nehmen, wenn sie Gott ein Kind im Tempel weihen (vgl. Lk. 2:22). Die Frage nach dem „Preis“ impliziert aber was anderes: „Was sollen wir dafür bezahlen, damit wir unsere Schuldigkeit getan haben?“ - Madame, ihre Schuldigkeit endet nicht mit der Taufe und der Übergabe eines Kuverts an den Priester (auch wenn ich ihnen eine Quittung für den von ihnen entrichteten freiwilligen Spendenbeitrag ausgestellt habe), – sie beginnt erst richtig in dem Moment, da sie sich alle zum Gruppenphoto mit Kind und Paten vor der Kirchentür aufgestellt haben.
Das Schlachtfeld zwischen Gott und dem Satan ist das Herz des Menschen (F.M. Dostojewskij, „Die Brüder Karamasow“). Wer sich diesem Kampf auf Seiten der Armee des Herrn bewusst oder unbewusst verweigert, gleicht einem Deserteur. Er kann nicht, nachdem der Sieg errungen ist, auf eine Belohnung oder Auszeichnung durch seinen König hoffen. Er sollte sich lieber darüber sachkundig machen, was das Standrecht für Saboteure, Dienstverweigerer und Vaterlandsverräter vorsieht. Dann kann es sein, dass er sich wenigstens zur elften Stunde auf seine Pflichten besinnt (s. Mt. 20:6-9). Das wünsche ich jedenfalls allen, die nicht regelmäßig am Leben unserer wunderbaren Gemeinde(n) teilnehmen, vielleicht sogar, dass sie schon vorher – zur dritten, sechsten oder neunten Stunde an der gewiss anstrengenden aber so viel Freude bereitenden Arbeit im Weinberg des Herrn aktiv beteiligt sein mögen (vgl. 1 Petr. 5:20). Und das wünsche ich den spät berufenen Brüder und Schwestern, denn „so sollen wir alle zur Einheit im Glauben und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen, damit wir zum vollkommenen Menschen werden und Christus in Seiner vollkommenen Gestalt darstellen“ (Eph. 4:13). Denn „so wächst der Leib und wird in Liebe aufgebaut“ (4:16c; vgl. Kol. 3:14). Amen.