Predigt zum 2. Herrentag nach Ostern / Antipascha / Thomas-Sonntag (Apg. 5:12-20; Joh. 20:19-31) (23.04.2023)

Liebe Brüder und Schwestern,

 

die Lichte Woche der puren Auferstehungsfreude ist mit dem gestrigen Samstag, an dem die Altartüren wieder verschlossen wurden, zu Ende gegangen. Mit dem heutigen Tag beginnt bei bleibender Osterfreude die Ausrichtung auf das nächste große heilsgeschichtliche Ereignis – Pfingsten, die Niedersendung des Heiligen Geistes und gleichzeitige Gründung der Kirche. Im Verlauf der heutigen Homilie werden wir anhand eines Vorgriffs auf die bevorstehenden Wochen im Blumen-Triodion gemeinsam analysieren, aus welchem „Rohmaterial“ Christus Gott Seine Kirche gebildet hat. 

Die Keimzelle der Kirche waren die verbliebenen elf Apostel, die zuvor ihrem Meister vollmundig Treue bis in den Tod versprochen hatten, und Ihn dann doch im Moment der größten Gefahr im Stich gelassen hatten. Heute lesen wir, wie der Herr Ihnen schon vorab den Heiligen Geist gibt, den sie auf vollkommene Weise erst am fünfzigsten Tag nach Seiner Auferstehung empfangen sollten. Es sind einfache, furchtsame Männer, die sich aus Angst hinter verschlossenen Türen verbarrikadiert haben – „Da sind nicht viele Weise im irdischen Sinn, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme“ (1 Kor. 1:26). Christus erscheint ihnen und gibt ihnen Seinen Frieden. Einer jedoch fehlt beim ersten Mal, und kann auch dann nicht an die Auferstehung glauben, nachdem er es von den zehn übrigen Mitbrüdern gehört hat. Sehen so Helden aus?!... Und doch werden sie nach dem Empfang des Heiligen Geistes zu Pfingsten unerschrocken in die Welt hinausgehen und die Völker für Christus gewinnen! 

Das ist unser erster Meilenstein auf unserem gemeinsamen Weg dem Pfingstfest entgegen. Es folgen noch weitere.

Eine Woche darauf feiern wir das Gedächtnis der Myronträgerinnen – jener Frauen, die anstelle der in alle Winde verstreuten Apostel die Auferstehung Christi bezeugten (s. Mt. 28:1-10). Doch zwei Männer reihen sich in den Reigen der dem Herrn treu gebliebenen Frauen ein: Joseph aus Arimathäa und Nikodemus – beides vornehme Ratsherren, die zuvor noch, bis zur Verurteilung des Herrn, Seine geheimen Anhänger gewesen waren, doch nach der Kreuzigung ihres Meisters Ihm kurzentschlossen öffentlich ihre Treue bekunden und Ihm dadurch ein würdiges Begräbnis ermöglichen (s. Joh. 19:18-42). 

Die Woche darauf begegnen wir der Samariterin, die bis zu dem Tag, als sie am Jakobs-Brunnen auf den Herrn traf, noch ein ausschweifendes Leben geführt hatte (s. Joh. 4:18). Die Liebe und auch der Respekt des Herrn überzeugt sie aber, von da an ein Leben in der Verkündigung des Messias zu führen. Eine Sünderin wird zur Verkünderin, weil Gott es so gefügt hat.

Es folgt der Gelähmte Mann am Schaftor in Jerusalem, der keinen einzigen Menschen hatte, der ihm in seiner Not beiseite gestanden hätte (s. Joh. 5:7). Sein jahrzehntelanges Darniederliegen ist Sinnbild für unser vollkommenes geistliches Siechtum. Doch der Herr heilt diesen Mann durch Sein Wort von dessen Gebrechen; also vermag Er auch uns wieder neue geistliche Kräfte einzuflößen.

Zuletzt heilt der Herr den Blindgeborenen am Teich Schiloach, der unsere geistliche Blindheit symbolisiert. Er, der zuvor keine Ahnung vom Menschensohn hatte, bekennt Christus schließlich als Messias. So wird der Blinde zu Sehenden, während viele Sehende blind werden (s. Joh. 9:38-39).

Ängstliche, ungebildete galiläische Fischer; Ratsherren, die sich bei der Nachfolge Christi zunächst  noch vornehm zurückhielten; schwache Frauen, die dem Gesetze nach nicht einmal den Leichnam des Herrn begraben durften; eine sündige Samariterin, die im Grunde nichts als Verachtung hervorrufen konnte; ein von allen verlassener Krüppel sowie ein blindgeborener Bettler – das alles sind die symbolischen Module, auf denen der Herr Seine Kirche errichten wird: „Das Niedrige in der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt: das, was nichts ist, um das, was etwas ist, zu vernichten“ (1 Kor. 1:28).

Die Welt, in der wir leben, ist ja kaum besser, als die Welt zu Zeiten des Herrn. Und doch gibt es eine Kraft, die alles überwinden kann: die Gnade des Heiligen Geistes! Diese können auch wir empfangen, wenn wir dem Herrn in Seiner Liebe zu den Menschen nacheifern. Es ist schrecklich, welches Leid die Menschen erdulden, die ihre Angehörigen, ihre Häuser und ihre Heimat verloren haben. Unvorstellbar sind zudem die Leiden der in Gefangenschaft grausam misshandelten Soldaten, denen man die Gliedmaßen abgetrennt hat. Aber wenn diese Menschen die Kraft zur Vergebung aufbringen, kann Gott etwas Großartiges auf ihren Tränen und auf ihrem Blut entstehen lassen. Auch wir können lernen, andere so zu akzeptieren wie sie sind – mit ihren Schwächen und Eigenheiten. Wer der Kirche fernbleibt, weil ihm der Patriarch, der Ortsbischof, der Gemeindepriester oder die Kerzenverkäuferin in der Kirche nicht genehm sind, soll wissen, dass sie keiner zwingen will, all diese Menschen zu mögen. Sie sollen sich stattdessen selbst lieben, und zwar richtig, dass sie ihre Seele retten wollen (s. Ps. 10:5). Und das geht nur in der Kirche, die der Herr Jesus Christus in Seinem Blute gegründet und die Er durch die Niedersendung des Heiligen Geistes Gestalt werden ließ. Als „Bausteine“ verwendete Er sehr bescheidenes, brüchiges, untaugliches „Material“, das Er aber durch die Gnade Seines Heiligen Geistes im Taufbad geheiligt hat und somit uns gegenüber in Vorleistung getreten ist. Na und wenn wir, die wir böse sind (s. Mt. 7:11; Lk. 11:13), unseren Peinigern verzeihen, dann wird Gott umso mehr allen Menschen verzeihen können! Und das bedeutet, dass jedem von uns ein Teilchen der Macht gegeben ist, uns an der Rettung der Welt zu beteiligen. Amen.   

Jahr:
2023
Orignalsprache:
Deutsch