Predigt zum Lazarus-Samstag (Hebr. 12:28-13:8; Joh. 11:1-45) (08.04.2023)

Liebe Brüder und Schwestern, 

 

die Auferweckung des Lazarus in Bethanien bildet den Übergang von der Großen Fastenzeit zur Woche der Passion Christi. Hinter uns liegen vierzig Tage der Vorbereitung auf diese Woche; das Fest des Lazarus-Samstags und das Hochfest des Einzugs des Herrn in Jerusalem sind hierbei nicht mit eingerechnet (sonst wären es 42 Tage, und nicht 40).

Der Herr kommt nach Bethanien, um deutlich zu machen, dass Er „die Auferstehung und das Leben“ (Joh. 11:25; vgl. 14:6) ist. Das ist unser Glauben! Auch Martha und Maria hatten diesen Glauben (s. Joh. 11:24; vgl. 11:27), doch aus ihrem Mund ist nach dem Tode ihres geliebten Bruders auch ein Stück weit Vorwurfsvolles herauszuhören: „Herr, wärst Du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben“ (Joh. 11:21,32). Viele Bewohner Bethaniens oder die im Gefolge Jesu von anderswo Gekommenen dachten und fühlten so ähnlich (s. 11:37). Das ist menschlich. Auch wir sind oftmals geneigt – nachdem wir scheinbar vergeblich flehend gebetet haben – zu fragen: „Gott, wo bist Du?!“ (bzw. „Wo warst Du?!“). Aber bestärkt uns der Herr etwa nicht darin, dass Er uns keineswegs verlässt oder vergisst, auch wenn es für einige Zeit den Anschein haben mag, dass Er uns in der Not alleingelassen hat oder einfach nur schläft (s. Mt. 14:22-33; vgl. Mk. 6:45-52; Joh. 6:12-21 oder Mt. 8:23-27; vgl. Mk. 4:35-41; Lk. 8:22-25)? Vielmehr lehrt Er uns anhand solcher Geschehnisse, dass wir nie verzweifeln sollen. Die heiligen Väter lehren uns, Bosheit, Leid und Ungerechtigkeit zwar mit Schmerz und Bedauern zu ertragen, sich aber niemals zu empören oder gar die Contenance zu verlieren. Christus Selbst konnte oft genug zornig sein – doch ohne Schaum vor dem Mund; Er konnte Sich freuen – ohne jedoch dabei auszuflippen; Er konnte, wie wir es hier gerade sehen, auch weinen (s. Joh. 11:35), was ja alles der menschlichen Natur entspricht, aber Christus rastete nie aus! Wenn uns Leid widerfährt, empfinden wir Schmerz, dann dürfen wir auf die Hilfe Gottes hoffen, aber immer mit dem Bewusstsein, dass nicht Gott unser Schuldner ist, sondern wir in Seiner Schuld stehen (s. Mt. 18:23-35). Gott ist gerecht in Seinen Urteilen, wenn uns Derartiges widerfährt (s. Dan. 3:7-33). In „Vater Arsenij“ kommt es im Speziallager zum erbitterten Streit zwischen verurteilten Angehörigen der Wlassow-Armee und ebenfalls einsitzenden Bolschewiken. Die Wlassow-Leute beschimpfen die Kommunisten, schuld an den Kirchenverfolgungen unter Lenin und Stalin zu sein. Dann wenden sich beide Gruppen an den „Popen“, um von ihm zu hören, was er von der ganzen Sachen hält. Vater Arsenij erwidert, dass es auf den ersten Blick so ausgesehen haben mag, dass die Kommunisten tatsächlich (allein) an allem Schuld seien, doch bei genauerer Betrachtung seien es wir – die Gläubigen (und vor allem der Klerus), die durch ihr frevelhaftes Verhalten den gerechten Zorn Gottes nach sich gezogen hätten. Und das wiederum eröffnet eine ganz neue Sichtweise auf das, was heute in der Kirche passiert. Gott „schaut nicht weg“, sondern Er ist immer mit denen, die Unrecht erdulden und leiden. Hatte Er das Seinen Nachfolgern nicht alles vorhergesagt, und hinzugefügt: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet euch vor Dem, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen kann“ (Mt. 10:28)?! Er ist es, vor Dem sich alle fürchten sollen! Wehe denen, die dies nicht tun! Das sind die wirklich Bedauernswerten! Denn Christus ist der Herr über Leben und Tod! Als Schöpfer des Universums sprach Er jeweils nur einige Worte, und der Kosmos nahm Gestalt an, entstand die Erde und alles Leben auf ihr (s. Gen. 1:3,6,9,11,14,20,22,24,26,28,29). Und nun spricht der Gebieter über Leben und Tod: „Lazarus, komm heraus!“ (Joh. 11:43). Es ist die (vorweggenommene) Bewahrheitung Seiner zuvor geäußerten Worte: „Amen, amen, ich sage euch: Die Stunde kommt, und sie ist schon da, in der die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden; und alle, die sie hören, werden leben“ (Joh. 5:25). Und das bedeutet, dass auch wir, und zwar jeder Einzelne von uns, zu gegebener Zeit mit seinem Namen aus unseren Grabstätten herausgerufen werden – mit dem Namen, den nur der Herr und der Betreffende selbst kennen (s. Jes. 62:2; Offb. 2:17). Das ist die Botschaft des heutigen Tages! Deshalb halten unerschütterlich an unserer Hoffnung fest, so wie es die orthodoxen Menschen gegenwärtig in und um das Kiewer Höhlenkloster bzw. an anderen Orten der Ukraine vor dem Angesicht der entfesselten dämonischen Mächte dieser Welt tun. Wie grotesk aber wirkt es vor diesem Hintergrund, wenn sich in gut einer Woche allerorts wieder die graue Masse durch bunte Ostereier mit der Orthodoxie identifizieren wird!..

Wer schon einmal in Bethanien gewesen und in die finstere Grabhöhle des Lazarus hinabgestiegen ist, der hat zumindest eine vage Vorstellung davon, was es für unseren Herrn bedeutete, um unseres Heiles willen in den Hades hinabzusteigen. Der Herr ließ es zu, dass Sein geliebter Freund vier Tage lang im Totenreich verbringen musste, um uns allen die untrügliche Hoffnung zu verleihen, dass auch wir, sofern wir unerschütterlich am Glauben an unseren Herrn festhalten, dereinst als Teilhaber Seines freiwilligen Todes zu Teilhabern Seiner herrlichen Auferstehung werden. Dieser Glaube äußert sich zuvörderst darin, dass wir am Wort unseres Herrn festhalten, denn dann werden wir auf ewig den Tod nicht schauen (s. Joh. 8:51). Gradmesser für diese Ernsthaftigkeit des Glaubens wird der Große und Hohe Donnerstag sein, an dem der Herr das Neue Testament in Seinem Blut (s. Lk. 21:20) gründet, wie Er es zuvor angedeutet hatte: „Wer Mein Fleisch isst und Mein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und Ich werde ihn auferwecken am Letzten Tag“ (Joh. 6:54). Amen.

Jahr:
2023
Orignalsprache:
Deutsch