Predigt zum Herrentag des Fleischverzichts, vom Weltgericht (1 Kor. 8:8-9:2; Mt. 25:31-46) (19.02.2023)

Liebe Brüder und Schwestern,

 

die Parabel vom Weltgericht hat uns allein der Evangelist Matthäus überliefert. Der Herr Jesus Christus deutet hierdurch, wohlgemerkt, auf Seine beiden Erscheinungen in dieser Welt. Ganz offensichtlich ist vordergründig von der zweiten Ankunft des Herrn vor dem Ende aller Zeit die Rede, aber, eher verborgen, spielt auch Seine erste Ankunft eine ganz bedeutende Rolle. 

Bei der ersten Ankunft, die den Beginn unserer modernen Zeitrechnung markiert, erschien der Sohn Gottes noch in Demut in der Welt. Er lebte bis zum allseits anerkannten Erwachsenenalter völlig unscheinbar in Nazareth (obwohl nirgendwo im Gesetz explizit die Rede von 30 Jahren ist, galt das Erreichen dieses Alters als Bedingung für das Lehren bzw. das Predigen in den Synagogen – vgl. Lk. 3:23). Er, der Menschensohn, „Der reich war, wurde unseretwegen arm, um uns durch Seine Armut reich zu machen“ (2 Kor. 8:9). Sein Leben auf Erden war das des Mannes voller Schmerzen, Der „unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf Sich geladen“ hat. „Zu unserem Heil lag die Strafe auf Ihm, durch Seine Wunden sind wir geheilt“ (Jes. 53:3,4,5; vgl. Phil. 2:6-8).

Die zweite Ankunft des Menschensohns in dieser Welt wird eine ganz andere sein. Der Herr wird machtvoll in Herrlichkeit und für alle unverkennbar erscheinen, alles Verborgene wird aufgedeckt werden, das Leben aller Menschen wird endgültig dem Gericht Christi unterliegen. Es wird das abschließende und alles entscheidende Kapitel der Menschheitsgeschichte sein (s. Mt. 16:27; 24:27; 25:31; Mk. 8:38; Lk. 12:40; 1 Joh. 2:28; 1 Kor. 4:5; 1 Thess. 5:2-6).

Die Parabel vom Weltgericht in Mt. 25:31-46 handelt natürlich von der zweiten Ankunft des Herrn. Und doch ist die erste Ankunft Christi in diese Erzählung „integriert“. Die entsprechenden Module erkennen wir in den Stellen, an denen der Herr in der ersten Person von Sich spricht: „Denn Ich war hungrig… Ich war durstig… Ich war fremd und obdachlos… Ich war nackt… Ich war krank… Ich war im Gefängnis…“. Wenn der Herr von Sich jedoch als vom Menschensohn spricht, Der als Richter und Weltenherrscher kommen wird, macht Er stets von der Rede in der dritten Person Gebrauch. Dies geschieht zur Verdeutlichung dessen, dass unser ewiges Schicksal in Abhängigkeit davon steht, wie wir dem in Armut gekommenen Menschensohn in Person Seiner „geringsten Brüder“ begegnet sind. Das wird das entscheidende Kriterium darüber sein, wie es uns beim Erscheinen des Menschensohns in Herrlichkeit ergehen wird. 

Es ist sicherlich kein Zufall, dass die Parabel vom Weltgericht bei Matthäus gleich nach den Gleichnissen von den zehn Jungfrauen und vom anvertrauten Geld (den Talenten) kommt. Sie dienen quasi als Hinführung zum Tag des Gerichts. Was bei allen drei bildhaften Erzählungen auffällt, ist die allen drei gemeinsame Tatsache, dass hier niemand für offensichtliche oder schwere Vergehen bestraft wird, sondern allesamt für das, was sie nicht getan haben. Die fünf törichten Jungfrauen, der faule Knecht und die Böcke zur Linken des Weltenrichters kriegen allesamt die Quittung für ihre Unterlassungssünden präsentiert. Daran sollten vor allem wir Sünder denken. Man kann sich zu Hause verbarrikadieren, alle Kommunikationskanäle kappen, jegliche Verbindung zur Außenwelt abbrechen – und glauben, dadurch der Sünde zu entfliehen. Das ist aber ein Trugschluss. Selbst wenn man mich fesseln und knebeln oder mich ins künstliche Koma versetzen würde, wäre die Sünde (bzw. die Sündhaftigkeit) aus mir ja nicht verschwunden. Auch eine Bestie kann hinter Gittern nichts anrichten, solange bis einer vergisst die Käfigtür abzuschließen!.. 

In der Beichte „erzählen“ wir oft von nichtigen Verfehlungen und menschlich nachsehbaren Schwächen, und das meistens, weil wir nicht wissen, was wir sonst sagen sollen. Wenn wir aber ganz ehrlich und ernsthaft darüber nachdenken würden, was wir Gutes hätten tun können und nicht getan haben, müsste uns die nackte Verzweiflung packen. Schon denken wir an den faulen Knecht, der in die äußerste Finsternis geworfen wurde, wo Heulen und Zähneknirschen herrscht, an die fünf törichten Jungfrauen, die nicht in den Hochzeitssaal hineingelassen worden sind. Und wenn wir der Verdammnis der zur Linken des Herrn aufgestellten Böcke entkommen wollen, sollten auch wir gründlich unser Gewissen befragen, was wir in unserem Leben schuldhaft schleifen lassen haben und wie oft wir nicht das getan haben, was zum Heil, zum Wohl oder zum Nutzen unserer bedürftigen Mitmenschen notwendig und machbar gewesen wäre. Wir sündigen fortwährend durch UNTERLASSUNG.

Wir sehen immer wieder, dass wir in der Kirche unsere treusorgende Mutter haben, die uns mahnt, erzieht und auf den richtigen Weg bringen will. Gescheite Kinder danken es der Mutter, denn sie wissen, wozu die Mutter all die Mühen, Sorgen und Schmerzen auf sich nimmt. Sie nehmen die Unterweisungen der liebenden Mutter an wie ein Gesetz. Die undankbaren und eigensinnigen Kinder – dank der heutigen schulischen bzw. vorschulischen „Erziehung“ ist das heute die überwiegende Mehrheit – gehen ihren eigenen Weg. Unser fürsorglicher Herr wird nicht aufhören, die Menschen jedes Mal vor neue Weggabelungen zu stellen, an denen sie über Gut und Böse bzw. sich für Gott oder für die Teufelin entscheiden müssen. Und wenn sie wenigstens einmal, beim allerletzten Abzweig ihres Lebens, rechts statt links abbiegen, wird ihnen die Gnade Gottes trotz aller Unterlassungen gewiss sein. Das Beste, was wir demnach für die verirrten Schafe und zugleich für uns selbst tun können, ist von ganzem Herzen für alle diese Menschen „ohne UNTERLASS“ (s. 1 Thess. 5:17) zu beten. Amen.

Jahr:
2023
Orignalsprache:
Deutsch