Predigt zum Hochfest der Hypapante des Herrn (Hebr. 6:7-17; Lk. 2:22-40) (15.02.2023)
Liebe Brüder und Schwestern,
das Fest der Darstellung unseres Herrn und Gottes und Heilands Jesus Christus im Tempel ist ein weiterer großer Mosaikstein im Gesamtbild des Kirchenjahres. Es wird genau 40 Tage nach der Geburt Christi gefeiert, entsprechend dem Zeitpunkt, als jede Erstgeburt männlichen Geschlechts dem Gesetze nach dem Herrn dargestellt werden musste (s. Ex. 13:2,12). Unser Herr unterwirft Sich dem Gesetz, das Er Selbst erlassen hat, um so zum Erlöser für alle Menschen zu werden. Diese Gesetzestreue ist aber nur ein ganz schwacher Abglanz des Gehorsams, den der Herr gegenüber dem Himmlischen Vater leistete. So konnte Er als Menschensohn die Herrlichkeit, die Er als Gottessohn vor Anbeginn der Welt beim Vater besaß (s. Joh. 17:5), für uns und mit uns erlangen (s. Phil. 2:6-11). Der Gottessohn ist eines Wesens mit dem Vater und Ihm ebenbürtig (s. Joh. 10:30; 14:1-14), hat Sich aber als Menschensohn aus Gehorsam gegenüber dem Vater und aus Liebe zu uns Menschen erniedrigt und ist, so betrachtet, geringer als der Vater (s. Joh. 14:28). Gott und Mensch sind somit in einer Hypostase vereint. Der heilige Simeon erkennt dies, erleuchtet vom Heiligen Geist, bevor er zum Herrn heimgehen darf; die Prophetin Hanna verkündet den Menschen die nun erschienene Errettung in Jerusalem. Nach Gottes Plan ist alles vollkommen eingerichtet, so dass von da an in 30 Jahren die Menschen in Jerusalem den Messias mit offenen Armen empfangen können. Aber der Herr weiß, was Ihn in dieser Welt erwartet. Schon bei Seiner Geburt findet Er keinen Platz in den Häusern und Herzen der Menschen, muss kurze Zeit später nach Ägypten fliehen. Normalerweise sorgt der Anblick eines Neugeborenen für Rührung und Entzückung, doch die Mutter Gottes hat Ihren kontemplativen Blick schon auf das kommende Leiden Ihres Sohnes gerichtet; die Windeln in der Geburtskrippe weisen auf die Grablinnen des gekreuzigten Messias hin, und die Geburtshöhle deutet auf die Grabhöhle am Tag des großen Sabbats hin (s. Weihnachtsikone). Auch die nun hinter uns liegende Taufe Christi – ein herrliches Fest zu Beginn des Jahres – wirft ihren prophetischen Schatten voraus. Wir beziehen unser Heil aus der Taufe Christi durch das dreimalige Untertauchen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, was uns zu Teilhabern des Todes und des dreitägigen Begrabenseins Christi macht („Taufe“ ist sinnverwandt mit dem reinigenden Tod Christi – s. Mk. 10:35-45). Ohne die gäbe und gibt es keine Auferstehung. Ohne das Leiden und den Tod Christi könnten wir niemals mit Ihm in die Herrlichkeit des Vaters eingehen. All das wird in den übrigen Festen, so auch in der Verklärung Christi 40 Tage vor dem Kreuztod Christi, angedeutet. Aber nirgendwo sonst wird dies so klar und deutlich ausgesprochen wie durch den greisen Simeon im Tempel, der zu Maria, der Mutter des vierzigtägigen Gotteskindes spricht: „Dieser ist dazu bestimmt, dass in Israel viele durch Ihn zum Fall kommen und viele aufgerichtet werden, und Er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird. Dadurch sollen die Gedanken vieler Menschen offenbar werden. Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen“ (Lk. 2:34-35). Wir empfinden Freude und Frohlocken ob des Heils, das uns widerfuhr, müssen aber immer daran denken, dass wir um einen hohen Preis erkauft worden sind und demnach Gott in unserem Leib verherrlichen müssen (s. 1 Kor. 6:20). Die Mutter Gottes tat dies durch Ihr unvorstellbares Leiden, als Sie am Kreuz Ihres Sohnes und Herrn stand. Mit Ihr wollen auch wir durch das Tragen unseres Kreuzes in die Herrlichkeit Gottes eingehen (s. Mt. 16:24-28; Mk. 8:34-9:1; Lk. 9:23-27). Das Kreuz – genauer gesagt, die Entscheidung über Annahme oder Ablehnung desselben – wird die Erfüllung dessen sein, was der heilige Simeon im Voraus verkündigt hat. Durch das Kreuz Christi werden viele zum Fall kommen und viele aufgerichtet werden, wofür die beiden Räuber zur Rechten und zur Linken des Herrn sinnbildlich sein werden (s. Lk. 23:39-42; vgl. 1 Kor. 1:18-31).
Das Fest der Hypapante des Herrn ist gewissermaßen der krönende Abschluss der festlichen Zeit zum Jahreswechsel und zugleich der allmähliche gedankliche Übergang zur Betrübnis der Großen Fastenzeit, die nicht mehr weit entfernt ist. In der frommen volkstümlichen Wahrnehmung meiner Vorfahren wurde die Begegnung des Herrn auch als „Begegnung zwischen Winter und Frühling“ wahrgenommen. Nicht ohne Grund! Denn es ja ist in der Tat das Fest der symbolischen Begegnung zwischen dem Alten (hll. Simeon, Hanna) und dem Neuen Testament (Christus und die Gottesmutter) sowie die Begegnung zwischen dem Tod und dem Leben. Und der Apostel Paulus verheißt uns, dass wenn Christus, unser Leben, offenbar wird, auch wir mit Ihm offenbar werden in Herrlichkeit (s. Kol. 3:4). Doch von nun an müssen wir unsere Blicke auf die bevorstehende Zeit der Vorbereitung auf die Woche des Leidens und des Todes des Herrn ausrichten, damit wir dadurch an der Freude der Auferstehung teilhaben können. Wer das jedes Jahr ernsthaft und geflissentlich tut, der weiß um die Bedeutung der besagten Worte, denn für ihn wird Christus in der Auferstehung zu seinem, – zu unser aller, – Leben. Kein Leben ohne Christus!
Was der heilige Simeon wohl empfunden hat, als er den „Messias des Herrn“ (Lk. 2:26) auf seinen zittrigen Armen halten durfte?!.. Er wartete so lange auf diese Begegnung, nun hat sich seine sehnliche Erwartung erfüllt. Er zeigt uns dadurch, wie wir uns auf unseren eigenen Heimgang vorbereiten sollen. Da auch ich langsam aber sicher älter werde, erkenne ich in diesem von Gott besonders gesegneten Mann eine wunderbare Verheißung für uns alle: dass nämlich der letzte Tag unseres Lebens zu unserer Hypapante (Begegnung) mit dem Erlöser der Welt werden wird. Das irdische Leben dient als Vorbereitung dazu! Amen.