Predigt zum 1. Herrentag nach Pfingsten / Gedächtnis aller Heiligen (Hebr. 11:33 – 12:2; Mt. 10:32-33,37-38; 19:27-30) (27.06.2021)

Liebe Brüder und Schwestern, das ganze Jahr hindurch feiern wir tagtäglich das Gedächtnis eines oder mehrerer Heiliger. Heute, genau eine Woche nach Pfingsten, begehen wir kollektiv das Fest aller Heiligen. Das liefert uns heute den Anlass, grundsätzlich über unser Verhältnis zu den Heiligen nachzudenken. Manche Menschen meinen, Heiligenverehrung sei falsch, überflüssig oder „antibiblisch“; manche gehen sogar so weit, sie mit Götzenverehrung gleichzusetzen (!). Natürlich muss dabei gleich eingangs festgehalten werden, dass wir die Heiligen nicht anbeten, denn die Anbetung gebührt Gott allein. Doch wie die Sonne, der Mond und die Sterne unterschiedlich in ihrer Strahlkraft sind (s. 1 Kor. 15:41), so begegnen wir der Mutter Gottes, dem Vorläufer des Herrn und allen übrigen Heiligen mit Liebe, Hochachtung und Dankbarkeit. Sollen wir sie etwa ignorieren und auf ihre Fürbitten verzichten (s. Offb. 5:8; 8:3-4)?!.. In jedem Kulturkreis gibt es Personen, die verehrt werden. Königen huldigte man pflichtgemäß zu Lebzeiten, klar. Doch darüber hinaus kennen alle Völker besonders herausragende Persönlichkeiten ihrer Geschichte, denen man auch lange nach deren Tod besondere Verehrung zukommen lässt (auch die Heiligenverehrung negierenden protestantischen Denominationen ehren im übrigen das Gedächtnis ihrer Reformatoren und Sektengründer). Insofern ist es aus kirchlicher Sicht vollkommen nachvollziehbar, dass wir die Heiligen durch besondere Gebete und Gedenktage ehren, und nicht bloß durch säkulare Feierstunden. Dies wird besonders deutlich am heutigen Tag, eine Woche nach dem Gründungsfest der Kirche. Die Kirche auf Erden besteht ja nach dem Plan Gottes aus Menschen aus Fleisch und Blut, die zusammen mit ihrem Haupt, dem Herrn Jesus Christus, den Engeln und allen bereits im Glauben Entschlafenen den Leib Christi bilden. In der Zurüstung zur Göttlichen Liturgie (Proskomidie) wird diese Vereinigung symbolisch auf der Diskos dargestellt: der Herr Jesus Christus, die Mutter des Herrn, die neun (symbolischen) Heiligenränge, die lebenden und die verstorbenen Väter, Mütter, Brüder und Schwestern. Da ist es doch vollkommen folgerichtig, dass wir mit Ihnen allen mystisch im Gebet vereint sein wollen – vornehmlich durch die Feier der Heiligen Eucharistie, die uns alle miteinander im Leib Christi vereint. Ganz besonders feierlich ist diese Vereinigung in Christus am Namenstag eines jeden von uns, wenn wir auf Erden das Gedächtnis jenes (jener) Heiligen feiern, dessen (deren) Namen wir tragen, – aber auch heute, am Gedenktag aller Heiligen. Ein verzerrtes Bild der Verehrung von Heiligen entsteht aber, wenn wir diese Gott gefälligen Menschen ausschließlich als Nothelfer ansehen. Unser Bestreben soll sich ja zuvörderst auf die geistliche Vervollkommnung beziehen. Ist diese spirituelle Grundlage vorhanden, können wir die Heiligen auch um Hilfe in irdischen, Gott gefälligen Angelegenheiten bitten (Familie, Schule, Studium, Beruf etc. aber auch bei Krankheit, Gefahr und Not). Insofern finde ich „Heiligen-Kataloge“, also Auflistungen von Heiligen, zu denen man in dieser oder jener Notsituation bzw. bei dieser oder jener Krankheit beten soll, kontraproduktiv. Sie alle haben vor uns den Weg des Heils bestritten, den auch wir gehen wollen. Sie „kennen“ den Weg, sind also ausgewiesene Führer, die uns dabei helfen können, die auf uns lauernden Gefahren zu umgehen oder zu bewältigen. Darauf sollte der Fokus ausgerichtet sein! Es geht also um eine geistliche Verbindung mit den Seelen all jener, welche uns in dieser Hinsicht als Vorbilder dienen. Ähnlich ist es auch mit Gebeten für unsere lieben Entschlafenen, die ja genauso lebendig sind wie zu der Zeit, als sie mit uns auf Erden lebten, und die sich freuen, wenn wir ihrer in unseren Gebeten gedenken. Möglich, dass auch sie dann Fürsprache für uns halten werden. Und warum sollten sie das nicht tun können? Wenn sie das schon im zeitlichen Leben getan haben (vgl. Jak. 5:16), dann doch umso mehr dann, wenn sie vor dem himmlischen Thron unseres Herrn stehen! „Wir können doch direkt zu Gott beten. Wir brauchen keine Mittler?!“ - werden einige entgegnen. - Natürlich können und sollen wir zu Gott beten. Gott allein ist heilig (s. Offb. 15:4), Er ist unser Vater (s. Mt. 23:9). Aber auch ein Vater „delegiert“ aus pädagogischen Gründen manchmal seine Verfügungsgewalt, auch wenn er sehr wohl imstande wäre, alles selbst zu tun. Er will aber, dass seine Kinder eines Tages so verantwortungsvoll handeln können, wie er selbst. Wer unser liturgisches Leben nicht nur von seiner romantischen Seite betrachtet und wer mit unseren häuslichen Gebetsregeln etwas näher vertraut ist, der weiß, dass wir >90% der Gebete dem Herrn direkt entbieten. Aber wäre es nicht geradezu grotesk, wenn wir die von Gott verherrlichten Heiligen (s. Ps. 67:36) links liegen ließen?! Gott hat sie verherrlicht, und wir wollen sie nicht ehren?!.. Gewiss ist Gott allmächtig und jede himmlische und irdische Macht schöpft ihre Kraft aus Ihm, als nie versiegender Quelle. Aber Gott hat es so eingerichtet, dass wir uns alle gegenseitig helfen können. Wenn mein Haus brennt, wähle ich die 112 und bete nicht (zuerst) das Vaterunser; wenn ich krank bin, kann ich gewiss zu Gott beten, gehe aber trotzdem zum Arzt. So kann jeder auf seine Weise zu einem nützlichen Werkzeug in Gottes Händen werden und Gott in Seiner Güte auf menschenmögliche Weise nachahmen. Dann kann unser irdisches Leben zu einem Abbild der Lebensordnung im Himmelreich werden, damit auch wir unser Heil bestreiten können, selbst wenn wir in dieser konfusen Welt leben. Wie tröstlich es dann ist, dass wir im digitalen Zeitalter eine riesige Hagiothek mit unzähligen Anschauungsbeispielen (s. www.orthodoxinfo,de) haben. Amen.
Jahr:
2021
Orignalsprache:
Deutsch