Predigt zum Großen und Hohen Samstag (Röm. 6:3-11; Mt. 28:1-20) (01.05.2021)
Liebe Brüder und Schwestern,
in der Großen Woche erfahren wir Tag für Tag eine Steigerung angesichts der unfassbaren Bedeutung der Ereignisse, an denen wir teilhaben. Am Mittwoch nimmt der Herr in Betanien die Salbung der Frau zur Vorbereitung auf Sein Begräbnis entgegen (s. Mt. 26:12; Mk. 14:8; Joh. 12:7) und wird direkt im Anschluss danach für 30 Silbermünzen verraten; am Donnerstag wäscht Er die Füße Seiner Jünger, hält mit ihnen das Mahl, in dem Er Seinen Neuen Bund gründet, und wird dann im Garten Gethsemane gefangengenommen; am Freitag wird Er verhört, verspottet, bespuckt und geschlagen, vor Gericht gestellt, gegeißelt, von den Hohepriestern verleumdet, vom undankbaren Volk verleugnet, vom kleinmütigen Statthalter zum Tode verurteilt, ans Kreuz geschlagen, von Seinen Feinden verhöhnt, bis Er am Ende Seinen Geist aufgibt. Wahrlich, es ist unvorstellbar, dass Gottes Sohn dies alles um unseres Heiles willen freiwillig auf Sich genommen hat. Im Grunde ist eine weitere Steigerung nach dem Karfreitag nicht mehr denkbar. Und doch liegt zwischen Kreuz und Auferstehung der Samstag, der siebte Tag, den Gott anfangs geheiligt hat, nachdem „Er das ganze Werk Seiner Schöpfung vollendet hatte“ (s. Gen. 2:3). Wenn sich bis einschließlich zum Großen Freitag alles zu unserer Errettung Geschehene im Bereich des empirisch Wahrnehmbaren ereignet hat (wenn es auch von seiner spirituellen Bedeutung vollends unbegreiflich selbst für die Engel blieb), spielte sich das Geschehen am Großen Samstag in der unseren leiblichen und geistigen Augen verschlossenen Sphäre ab. Was Christus nämlich hier für uns erduldet hat, wird noch am Hohen Freitag am Kreuze angedeutet: „Um die neunte Stunde rief Jesus laut: ´Eli, Eli, lema sabachtani?`, das heißt: ´Mein Gott, Mein Gott, warum hast Du Mich verlassen?`“ (Mt. 26:46; s.a. Mk. 15:34; vgl. Ps. 21:2). Es ist der Moment des Todes! Der Mensch – also auch der Menschensohn – kostet in der Stunde seines Todes das Schlimmste, mit keinem physischem Schmerz Vergleichbare: die Gottverlassenheit! Der einzig Sündlose, der Mensch gewordene Gottessohn erduldet das als Folge der Untreue der Menschen gegenüber Gott (s. Gen. 2:17). Es ist unvorstellbar!
Gedanklich weiß jeder Mensch, dass er nicht ewig auf Erden ist. Und doch leben die allermeisten Menschen so, als gäbe es den Tod nicht. Unterwiesen von der arglistigen Schlange, die ihm unterbewusst einimpft: „Nein, ihr werdet nicht sterben“ (Gen. 3:4), negiert der Mensch durch seine Lebensführung den Tod. Die heiligen Väter lehren uns, stets das Gedächtnis des Todes zu bewahren, wie auch geschrieben steht: „Bei allem, was du tust, denk an das Ende, so wirst du niemals sündigen“ (Sir. 7:36). Aber die Herzen haften am irdischen Leben, der Tod wird verdrängt. Und wenn das Unvermeidliche eintritt – oft früher als erwartet – ist die Bestürzung groß. Und oft erfährt man, dass den Betroffenen eine lange Zeit zur Vorbereitung auf den Tod gewährt worden war, deren Gedanken jedoch nur beim Zeitlichen waren. Einen Priester zu rufen noch bevor die Augen für immer geschlossen werden, daran denken die „Gott im Herzen“ Habenden nicht. Das zeugt auch nicht von Liebe, höchstens von rein auf das Irdische fixierter Affinität. Aber die höchste Form der Liebe bezieht sich auf die unsterbliche Seele. Wer jedoch diese Sorge über alles stellt, wird angefeindet und als Fanatiker diffamiert. Auch eine Folge von „Gott im Herzen“.
Der wahre Christ braucht sich vor dem Tod nicht zu fürchten. Klar, begegnet er dem letzten Geheimnis im Leben mit Ehrfurcht, und angesichts seiner Unwürdigkeit mit banger Zerknirschung, doch überwiegt in ihm die Hoffnung auf Gottes Barmherzigkeit. Er bereitet sich auf diesen Moment vor, indem er das allabendliche Zubettgehen als gedankliches Vorbildnis des Todes deutet. So gehört der Tod zum Leben dazu. In Beinhäusern auf dem Athos liest man über den aufgereihten Totenköpfen: „Wir waren wie ihr; ihr werdet sein wir wir“.
Entscheidend für uns ist am Großen Samstag die Tatsache, dass wir durch den Tod Christi nicht mehr allein im Tod sind. Christus ist nämlich „von den Toten auferweckt worden als der Erste der Entschlafenen“ (1 Kor. 15:20). Die Konsequenzen für uns werden in der Auferstehung der Toten sichtbar: „Was gesät wird, ist verweslich, was auferweckt wird, ist unverweslich. Was gesät wird, ist armselig, was auferweckt wird, herrlich. Was gesät wird ist schwach, was auferweckt wird, ist stark. Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt ein überirdischer Leib. Wenn es einen irdischen Leib gibt, gibt es auch einen überirdischen. So steht es auch in der Schrift: ´Adam, der Erste Mensch, wurde ein irdisches Lebewesen. Der Letzte Adam wurde lebendig machender Geist. Aber zuerst kommt nicht das Überirdische; zuerst kommt das Irdische, dann das Überirdische. Der Mensch stammt von der Erde und ist Erde; der Zweite Mensch stammt vom Himmel. Wie der von der Erde irdisch war, so sind es auch seine Nachfahren. Und wie der vom Himmel himmlisch ist, so sind es auch Seine Nachfahren. Wie wir nach dem Bild des Irdischen gestaltet wurden, so werden wir auch nach dem Bild des Himmlischen gestaltet werden“ (1 Kor. 15:42-49).
Heute erfüllt sich die erste messianische Verheißung an uns: der „Nachwuchs der Schlange“ vermochte den „Nachwuchs der Frau“ zwar empfindlich an der Verse zu treffen, Dieser jedoch traf die Schlange tödlich am Kopf (s. Gen. 3:15). Dies geschah zu dem Zeitpunkt, als der Erlöser in die Hölle fuhr, um Adam und Eva von der Gewalt des Todes zu befreien. Und so ertönt bald der Gesang des Lebens: „Heute ist mit Licht erfüllt alles: Himmel, Erde und der Hades. Es feiere also die ganze Schöpfung die Auferstehung Christi, in Dem sie gegründet ist“ (Troparion der 3. Ode des Osterkanons). Und dieses Leben hat der, welcher sich zur rechten Zeit auf den Tod mit Christus vorbereitet. Amen.
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2021
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