Predigt zum Festabschluss der Verkündigung der Gottesgebärerin (08.04.2020)

Liebe Brüder und Schwestern,

wegen der Großen Fastenzeit sieht die Kirchenregel lediglich ein kurzes Nachfest der Verkündigung der Gottesgebärerin vor, nämlich nur einen Tag – die Synaxis des Erzengels Gabriel. Der Erzengel Gabriel war es ja, der der werdenden Gottesgebärerin „die frohe Botschaft der Gnade“ brachte und in Ihrer Person der ganzen Menschheit verkündete, dass „Gottes Sohn als Sohn der Jungfrau geboren wird“. Diesem unkörperlichen Gesandten Gottes war es also beschieden, den „Anfang unserer Erlösung und die Offenbarung des Geheimnisses von Ewigkeit her“ zu verkünden (s. Troparion). Und wir dürfen, ebenfalls laut Troparion, in diesen Lobgesang mit einstimmen: „Freude Dich, Du Gnadenerfüllte, der Herr ist mit Dir!“  Welch eine Gnade das ist für uns!

Zu „normalen“ Zeiten klangen obige Worte für manche von uns vielleicht wie ein frommes Märchen, denn unsere Glaubensinhalte sind zwar Teil unserer christlich geprägten Kultur, haben aber angesichts unserer spirituellen Nonchalance eher einen vagen Bezug zum alltäglichen Leben. Kirche, Gottesdienste und Feste laufen auch bei uns mit fortschreitender gesellschaftlicher Säkularisierung Gefahr, nur noch als folkloristisches Kulturgut eine Daseinsberechtigung zu haben – so wie das in der abendländischen Kultur für die breiten Massen bereits mit dem Fest der Geburt Christi und der Vorbereitung auf die Fastenzeit („Karneval“ = Fleischverzicht – haha!) geschehen ist. Mit dieser Art von „Frömmigkeit“ haben auch die Mächte der Finsternis keine Probleme und lassen uns gewähren. Und wenn wir ehrlich sind, laufen auch wir Orthodoxe in der überwiegenden Mehrheit Gefahr, den Glauben in zunehmendem Maße nur äußerlich, oberflächlich zu leben. Vergleichen wir doch einmal, wie viele Menschen an Karfreitag in der Kirche sind, und wie viele zwei Tage später ihre Ostereier segnen lassen... Eine Vertiefung im Glauben findet in der Breite kaum statt. Zu sehr vertiefen wir uns stattdessen in das zeitliche, irdische Leben mit seinen ständigen Sorgen und Nöten, gelegentlichen Freuden und immer wachsenden Ängsten. Und wenn schon jemand z.B. im Internet orthodoxe Botschaften vernehmen will, trifft er oftmals aus Unkenntnis ungewollt auf solche Prediger, die nicht Trost spenden, die auch keine wirkliche Orientierung geben, sondern nur noch mehr Verwirrung stiften und gegen die kirchliche Obrigkeit wettern. „Achtet also sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht töricht, sondern klug“ (Eph. 5:15). Mich macht z.B. stutzig, dass viele jetzt von der Globalisierung als der größten Bedrohung für unser Heil sprechen (ob zutreffend oder nicht, sei mal dahingestellt). Nichtsdestotrotz kann heute jeder Dorfpriester und jeder Novize via Facebook, Twitter, YouTube etc. seine einschlägigen Unheilsbotschaften an Menschen in der ganzen Welt verschicken!.. Zu überregionalen Ansprachen ist aber nach kanonischer Ordnung auf landeskirchlicher Ebene nur der Patriarch, und auf lokaler Ebene nur der Ortsbischof berechtigt. Und wir in den Gemeinden sollen uns zu unserem Heil bitteschön nur an deren Botschaften orientieren, und nicht kopflos im weltweiten Nebel stochern.

Insofern besteht kein Zweifel, dass sich unruhige Zeiten im Weltgeschehen nur positiv auf unser Glaubensleben auswirken können, wenn wir – trotz oder gar wegen des Ausschlusses von der Liturgie – spirituell die richtigen Schlüsse ziehen. „Die Kirche besteht nicht aus Brettern, sondern aus Rippen“, - sagt ein Sprichwort. Wir sind Tempel des Heiligen Geistes (s. 1 Kor. 3:16-17; 6:19: 2 Kor. 6:16), egal, ob wir uns gerade unter der Kirchenkuppel befinden oder an einem anderen Ort. Und jetzt gibt es noch keine offene Kirchenverfolgung bei uns, denn schließlich wir haben eine funktionierende kirchliche Struktur, die uns in allen Belangen den Weg weist und uns in der Not nicht alleine lässt. Und die sagt: „Zu Hause beten!“ (s. Mt. 18:20). Erweisen wir uns also als getreue Kinder Gottes, indem wir unseren vom Heiligen Geist eingesetzten Vorstehern (s. Apg. 20:28) in allem Folge leisten. Wir mögen es doch auch nicht, wenn sich Fachfremde in unser Metier einmischen und alles besser wissen wollen. 

Gewiss, bei ruhiger See kann sich jeder „Passagier“ mit dem beschäftigen, wozu er gerade Lust hat. Doch bei einem Sturm auf hoher See müssen alle zusammenhalten und strikt den Anweisungen des Kapitäns und der Besatzungsmitglieder folgen. Es gibt im Neuen Testament übrigens ein sehr einleuchtendes metaphorisches Beispiel für diesen Zusammenhalt in einer Situation, in der es auf jeden Einzelnen ankommt: 

Nach vierzehntägiger Irrfahrt auf tosender See nähert sich das manövrierunfähige Schiff mit zahlreichen Gefangenen an Bord, darunter der Apostel Paulus und seine Begleiter, bei nächtlicher Dunkelheit der Küste Maltas. Der Evangelist Lukas notierte die Ereignisse damals wie folgt: „Aus Furcht, wir könnten auf Klippen laufen, warfen sie vom Heck aus vier Anker und wünschten den Tag herbei. Als aber die Matrosen unter dem Vorwand, sie wollten vom Bug aus Anker auswerfen, vom Schiff zu fliehen versuchten und das Beiboot ins Meer hinunterließen, sagte Paulus zum Hauptmann und den Soldaten: ´Wenn sie nicht auf dem Schiff bleiben, könnt ihr nicht gerettet werden`. Da kappten die Soldaten die Taue des Beibootes und ließen es forttreiben. Bis in die Morgendämmerung hinein ermunterte Paulus alle, etwas zu essen, und sagte: ´Heute ist schon der vierzehnte Tag, dass ihr ausharrt, ohne auch nur die geringste Nahrung zu euch zu nehmen. Deshalb rate ich euch: Esst etwas; das ist gut für eure Rettung. Denn keinem von euch wird auch nur ein Haar von seinem Kopf verlorengehen`. 

Nach diesen Worten nahm er Brot, dankte Gott vor den Augen aller, brach es und begann zu essen. Da fassten alle Mut und aßen ebenfalls. Wir waren im ganzen zweihundert sechsundsiebzig Menschen an Bord. Nachdem sie sich satt gegessen hatten, warfen sie das Getreide ins Meer, um das Schiff zu erleichtern.

Als es nun Tag wurde, entdeckten die Matrosen eine Bucht mit flachem Strand; auf ihn wollten sie, wenn möglich, das Schiff auflaufen lassen; das Land selbst war ihnen unbekannt. Sie machten die Anker los und ließen sie im Meer zurück. Zugleich lösten sie die Haltetaue der Steuerruder, hissten das Vorsegel und hielten mit dem Wind auf den Strand zu. Als sie aber auf eine Sandbank gerieten, strandeten sie mit dem Schiff; der Bug bohrte sich ein und saß unbeweglich fest; das Heck aber begann in der Brandung zu zerbrechen. Da beschlossen die Soldaten, die Gefangenen zu töten, damit keiner schwimmend entkommen könne. Der Hauptmann aber wollte Paulus retten und hinderte sie an ihrem Vorhaben. Er befahl, dass zuerst alle, die schwimmen konnten, über Bord springen und an Land gehen sollten, dann die übrigen, teils auf Planken, teils auf anderen Schiffstrümmern. So kam es, dass alle ans Land gerettet wurden“ (Apg. 27:29-44). 

Sehen Sie, wie wichtig es ist, in bedrohlichen Situationen nicht die Nerven zu verlieren! Der materielle Schaden war im geschilderten Fall wohl beträchtlich, aber dank des Gottvertrauens, der Umsicht und der Fürsorglichkeit des Apostels ist kein Mensch im unruhigen Fahrwasser zu Schaden gekommen. Und da wir schon bei der maritimen Lexik sind: Quarantäne (franz. quarantaine) bezeichnete ursprünglich eine 40-tägige Hafensperre für Schiffe mit seuchenverdächtigen Personen oder Tieren an Bord. Also kommt die Epidemie im vorliegenden Fall einer Epitemie gleich. Will heißen: Körperliche Krankheit ist immer die Folge von seelischen Gebrechen (s. Mt. 9:2; Mk. 2:5; Lk. 5:20).    

Was wir nun also am wenigsten gebrauchen können, sind Panik und Anarchie, die zu  Kurzschlussreaktionen verleiten. Gott wird den Passagieren Seines Schiffes nach entbehrungsreichen und turbulenten Tagen den notwendigen Trost und auch die erforderliche Nahrung geben, wenn auch vielleicht überflüssiger Ballast des Eigensinns über Bord geworfen werden muss. Wenn wir Gott aber durch ein starkes Bekenntnis zum Glauben die Treue erweisen, wird Er alles zu unserer Rettung einrichten. Dann können auch die glaubensfernen Vertreter der weltlichen Ordnung zu Werkzeugen in Gottes Hand werden, um uns vor Unheil jeglicher Art zu schützen. 

Seien wir treu wie die Mutter Christi, die von Anfang an die Worte des Herrn in Ihrem Herzen aufnahm (s. Lk. 2:19; 2:51), und stellen wir unsere persönlichen Attitüden nicht über die der Kirche (s. Mt. 18:17). Dann können selbst wir zu Werkzeugen der Errettung für andere werden. Jetzt ist die Zeit der Prüfung; der Herr will sehen, ob wir uns wie Martha durch Aktionismus hervortun oder ob wir wie Maria Ihm zu Füßen sitzend Seinen Worten lauschen... 

Es ist noch Zeit genug, um dem Herrn unsere flehentlichen Bitten darzubringen.  Fassen wir also Mut und bleiben Christus und der Kirche, Seinem „Hause“, treu. „Christus aber ist treu als Sohn, Der über das Haus Gottes gesetzt ist; Sein Haus aber sind wir, wenn wir an der Zuversicht und an dem stolzen Bewusstsein festhalten, das unsere Hoffnung uns verleiht“ (Hebr. 3:6). Amen.

Jahr:
2020
Orignalsprache:
Deutsch