Predigt zum dritten Herrentag der Großen Fastenzeit / Kreuzverehrung (Hebr. 4:14-5:6; Mk. 8:34-9:1) (31.03.2019)
Liebe Brüder und Schwestern,
es nähert sich der Mittelpunkt der Fastenzeit. Wie es nun mal so ist, ist die Mitte des Weges (psychologisch) der schwierigste Teil. Am Anfang ist man noch frohen Mutes, der Akku ist geladen, man geht erwartungsfroh und voller Tatendrang die ersten Etappen an; und am Ende der Wegstrecke, wenn das Ziel schon in Sichtweite ist, mobilisiert doch jeder noch die letzten Kraftreserven für den Endspurt. Aber auf halber Strecke ist die Gefahr am größten, entmutigt aufzugeben. Deshalb gewährt uns die Kirche in der mittleren Woche der Fastenzeit einen besonderen Motivationsschub in Form der Verehrung des kostbaren und lebensspendenden Kreuzes des Herrn – des Zeichens des Sieg bringenden Todes und zugleich der Auferstehung des Herrn. Aber inwieweit eignet sich die für den heutigen feierlichen Anlass vorgeschriebene Lesung aus dem Evangelium zur Stärkung der Kampfmoral von uns Kriegern Christi?..
Wie jedes Jahr hören wir den Aufruf des Herrn an uns alle: „Wer Mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge Mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren, wer aber sein Leben um Meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten. Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt?“ (Mk. 8:34-37). Offen gesagt, als Jugendlicher verstand ich diese Worte ausschließlich als Vertröstung auf die kommende Welt: „Wenn ich jetzt (in diesem Leben) leide, verzichte, zurückstecke usw., erlange ich die Glückseligkeit im kommenden Leben“. In diesem Grundsatz sah ich den Sinn des Fastens, den Daseinszweck des Mönchtums und die Motivation der Märtyrer und Leidensdulder. Demnach sind wir in dieser Welt gewissermaßen arme Schlucker, denen ihr Glaube allein die Entschädigung im künftigen Leben in Aussicht stellt. Fraglos ist dieser Aspekt ein ganz grundlegender für den Glauben (s. Hebr. 11:39-40), aber gewiss nicht im ausschließlichen Sinn. Zumindest scheint sich diese etwas eingeengte und vereinfachte Sichtweise durch die Etappen-Heiligen der Fastenzeit zu relativieren, durch deren Anschauungsbeispiele wir unseren Horizont beträchtlich erweitern können. Der heilige Großmärtyrer Theodoros ging voller Freude in die Flammenglut hinein, der heilige Gregorios Palamas verbrachte seine langen Jahre auf dem Athos in der Wonne der geistlichen und sogar sinnlichen Wahrnehmung der ungeschaffenen göttlichen Energien, der heilige Johannes Klimakos fand in der vierzigjährigen Abgeschiedenheit der Wüste Sinai den Aufgang zum Himmel und die heilige Maria von Ägypten lebte fast ein halbes Jahrhundert in der Wüste am Jordan von der unsagbaren Süße der Gemeinschaft mit Christus. Sie alle brauchten keinen irdischen Trost und keinen Komfort, denn sie hatten schon alles – Christus! Aber dazu mussten sie ihr Kreuz auf sich nehmen, sich selbst verleugnen und das irdische Leben um Christi und Seines Evangeliums willen „verlieren“. Verlust bedeutete für sie jedoch Gewinn (s. Phil. 1:21; 3:8; vgl. Mt. 19:2; Mk. 10:30; Lk. 18:30), und zwar schon im Hier und Jetzt (s. Ps. 118:1-176). Freilich ist diese Belohnung für die Nachfolge Christi im Diesseits nur eine sehr vage Andeutung dessen, was uns im kommenden Leben erwartet (s. 1 Kor. 13:12 und 2 Kor. 2:11). Aber zur Festigung unseres Glaubens reicht die gelebte und wahrgenommene Freude der Gemeinschaft Christi allemal.
Dieser Grundsatz findet daher auch in unserem geistlichen Leben, vornehmlich im Fasten, ausgiebig Anwendung. Wir leben nicht mehr bzw. noch nicht im Paradies. Diese Welt, dieses irdische Leben mit all seinen Begleitumständen sollen wir aber möglichst (wieder) in ein Paradies verwandeln (s. Gen. 2:4-8). Den Grundstein dafür müssen wir im Herzen legen. Wenn wir die täglichen Ärgernisse, Versuchungen und Missgeschicke freudig und dankbar als von Gott zu unserem Heil gegebene Prüfungen ansehen, werden auch wir im geistlichen Leben wachsen und auf dem Weg des Heils voranschreiten. Dazu müssen wir nicht einmal ins Feuer gehen oder als Eremiten die Flucht in die Wüste antreten. Die Herausforderungen unseres Alltags werden dann schon dafür sorgen, dass wir einsehen, dass Glück und Freude ohne Gott in dieser Welt auf Dauer nicht möglich sind (s. Koh. 3:12-14) – von der kommenden Welt ganz zu schweigen. Genügsamkeit und Dankbarkeit sollten zu unserer Grundhaltung werden (s. 1 Tim. 6-10). Keiner ist vor Schicksalsschlägen gefeit, aber ein ergebener Diener seines Herr wird aus allen Prüfungen gestärkt hervorgehen. Die ungezählten Glaubenszeugen auch aus der jüngeren Kirchengeschichte sind beredtes Zeugnis hierfür. Ähnlich wie der heilige Theodoros Tyron, dem Christus im Kerker erschien und ihm Seinen Beistand gewährte, empfanden die neuen christlichen Märtyrer und Bekenner unvorstellbare Freude in Kälte, Hunger, Erniedrigung und Misshandlung. Archimandrit Ioann (Krestiankin, +2006) saß unschuldig fünf Jahre in einem stalinistischen Straflager – nach eigenem Bekunden die glücklichste Zeit seines Lebens. Wer mit Christus ist, der findet auch in der Todeszelle, im Folterkeller, selbst in der Hölle auf Erden das Paradies. So einer vermag alles durch Christus, Der ihm Kraft gibt (s. Phil. 4:13). Selbst im Leid kennt seine Freude keine Grenzen. Wie Christus für die gebetet hat, die Ihn ans Kreuz schlugen, so empfanden die christlichen Bekenner nur Liebe und Mitgefühl für ihre Peiniger. Kein Zweifel: „Wer in der Hilfe des Höchsten wohnt, im Schutze des Gottes des Himmels lagert er sich“ (Ps. 90:1).
Und da das so ist, brauchen wir uns vor den verbleibenden, viel zu kurzen vier Wochen bis zur lichten Auferstehung des Herrn nicht zu fürchten. Stattdessen wollen wir freudevoll der uns gewährten Zeit der gewinnreichen Entbehrungen und der sich daran anschließenden Passion unseres Herrn entgegensehen. Amen.