Das Ideal der Weiblichkeit

1. Das altrussische christliche Ideal der Weiblichkeit: heiligen Fürstinnen, gerechte Frauen anderer Schichten der russ. Gesellschaft, heilige Witwen, heilige Jungfrauen und Nonnen

Hinter diesem Begriff - "rechtgläubige Fürstin" (bzw. Fürstentochter) - steht immer nicht nur eine historische Gestalt mit einer bestimmten Biographie, sondern auch eine sehr markante Vertreterin jenes Typs heiliger Frauen, wie er in der Alten Rus hoch verehrt wurde.

In der Zeit vom 10. bis zum 17. Jahrhundert wurden in den Namenverzeichnissen unserer Heiligen etwa dreißig solcher "rechtgläubigen Fürstinnen" erwähnt. Die einen wurden auf Konzilen heiliggesprochen: so die apostelgleiche Fürstin Olga (das Konzil von 1547 hatte die allgemeine Verehrung der heiligen Fürstin Olga in der Rus - sie war bereits in der Zeit vor dem Tatarenjoch aufgekommen - lediglich bestätigt), die rechtgläubige Fürstin Fewronia von Murom und die rechtgläubige Fürstin Anna von Kaschin; andere wurden in unsere Kalender aufgrund einer Verfügung von Diözesenbischöfen und mit Genehmigung eines Metropoliten, des Patriarchen oder des Synods der Russischen Kirche eingetragen; andere wieder wurden als sehr fromme Frauen in einem Gebiet, einer Stadt oder einem Kloster, wo sich ihre sterblichen Überreste befanden, verehrt. Obwohl eine jede der heiligen oder rechtschaffenen Frauen ihr eigenes historisches Schicksal hatte, zeichnen sie sich alle durch so viele gemeinsame Züge aus, sind sich ihre religiös - ethischen Verhaltensweisen und ihr geistiges Antlitz dermaßen gleich, daß wir von einem besonderen hagiologischen Typ der "rechtgläubigen Fürstin" sprechen können, wie er parallel zu dem Begriff "heiliger rechtgläubiger Fürst" bestanden hatte. Das russische Volk hat den einen wie den anderen in seinen Gebeten ein heiliges Andenken bewahrt. Die heiligen Fürstinnen (und Fürstentöchter) wurden nicht wegen ihres hohen Ranges verehrt, sondern weil es an diesen Frauen und in deren Leben für die Umwelt etwas sehr Bedeutsames gegeben hatte. Gleich von den ersten Jahrhunderten an, da sich die Rus zum Christentum bekehrte, hatte die Göttliche Vorsehung den Vertreterinnen der höchsten Kreise der altrussischen Gesellschaft eine große Verantwortung auferlegt, nämlich das Ideal einer wahrhaftigen Christin zu sein und dieses inmitten eines halb christlichen, halb heidnischen Volkes zu wahren, den russischen Schwestern als ein nachahmenswertes Beispiel zu dienen und "allen im Hause zu leuchten...".

Der religiös - ethische Typ der rechtschaffenen Frau hat über lange Zeiten hinweg seine soziale Grundlage nicht eingebüßt: erst Ende des 17. Jahrhunderts halten die russischen Frauen der höchsten Kreise jene Verhaltensnormen, die sie von der Alten Rus ererbt hatten, nicht mehr für verbindlich, können also nicht mehr als "rechtgläubige Fürstinnen" betrachtet werden. Im kaiserlichen Rußland sind weder die Zarin selbst noch die Hofdamen und die Vertreterinnen der feinen, vornehmen Gesellschaft ihren Vorgängerinnen noch ähnlich. Einzelne Ausnahmen können im Leben, in den Sitten und Geschmäcken der Gesellschaft auch nichts ändern. An die Stelle der seelischen Schönheit und christlichen Fraulichkeit waren eine weltliche Ästhetik, eine Salonkultur, Moden und Eleganz getreten.

Das Wort "rechtgläubig" blieb lediglich ein Attribut, das in kirchlichen Bekanntmachungen auf die Mitglieder der Zarenfamilie angewendet wurde. Die "Rechtgläubigkeit", unter der ein überaus frommer christlicher Lebenswandel zu verstehen war, verbreitete sich über die Russischen Lande und erfaßte alle Stände, so vornehme Bojarinnen und einfache Popenfrauen, reiche Kaufmannsfrauen, und arme Bäuerinnen, und ließ vielfältige Formen weiblichen Heroentums aufkommen. Sie dienten Gott auf verschiedene Weise - als Nonnen, kirchliche Aufklärerinnen und Wohltäterinnen... Sie trugen zu einer Stärkung des orthodoxen Glaubens bei und bewahrten das kirchliche Heiligtum im russischen Volke bis hin zur Revolution - das waren unzählig viele Nonnen und Laiinnen aller Ränge und Stände. Ihre Namen sind kaum oder überhaupt nicht bekannt. Keine einzige von ihnen wurde verherrlicht, aber das Volk verehrte sie als ihre lieben, rechtschaffenen Frauen und gedachte ihrer Sterbetage. Und so wird es bis auf den heutigen Tag gehalten.

Welche religiös - ethischen Züge waren nun den altrussischen "rechtgläubigen Fürstinnen" eigen? Das Ideal der seelischen Schönheit, verbunden mit großer Frömmigkeit, Gottesfurcht, einem lauteren Lebenswandel und Mildtätigkeit, hatte in der Rus in den Frauenseelen zusammen mit dem orthodoxen Glauben und der christlichen Glaubenslehre Eingang gefunden. Die Einstellung zu Gutem und Bösem, zur Schönheit und Häßlichkeit bildete sich in den Frauenseelen mit Hilfe des Herrn - durch den Glauben, die Heilige Taufe und das Heilige Abendmahl, durch kirchliche Aufklärung - heraus und wurde schon mit der Muttermilch eingesogen. Für die Frau in der Alten Rus stand es fest, was ihre Seele in ethischer Hinsicht zu bejahen oder abzulehnen hatte. Die Frau wußte, wie weit sie mit ihren Wünschen zu gehen hatte. Diese deutlich ausgeprägten christlichen religiös - ethischen Verhaltensnormen haben in der Alten Rus und in unserer Kulturgeschichte den Begriff "rechtgläubige Fürstin" geprägt.

Der Grundzug der Rechtschaffenheit der altrussischen Frau waren die Keuschheit der christlichen Ehe als eines hochbedeutsamen Sakraments, ein unbedingtes Sich - Fügen in den Willen Gottes, eine widerspruchslose Gehorsam gegenüber dem Gatten (die allerhöchste Tugend der Ehefrau). Das war nur denkbar, weil sich die Frauenseele in die Göttliche Vorsehung geschickt hatte und ihr Los, ganz gleich, ob glücklich oder unglücklich, als ein Geschenk des Himmels auffaßte. Nicht die jungfräuliche Keuschheit wurde von unseren Vorfahren in der Alten Rus besungen und gepriesen, sondern die keusche Gattin - die Ehe ist rein und das Lager - unbefleckt". Die alleinige Gattin eines alleinigen Gatten - das war das Lebensideal der rechtgläubigen Rus. Ober dem russischen Schloß lagerte sich nicht der zauberhafte Nebel feiner Liebeskünste, wie er die Ritterburgen im Westen einhüllte.

Die "rechtgläubige Fürstin" ist eine treue Gattin, und die Gattenliebe ist schlicht und psychologisch ungeteilt... sie läßt ihre Reize nicht spielen, sondern sie ist still, sanft, mildtätig, oftmals überaus geduldig und gewöhnlich immer verzeihend. Eine solche Liebe wird in Lebensbeschreibungen einigen Bylinen und Legenden, auch in "Klageliedern" dargestellt.

Das altrussische christliche Ideal der Weiblichkeit ist in der Zeit der Entstehung unserer geistigen Kultur zusammen mit dem orthodoxen Glauben zu uns gekommen und hat sich in der russischen Seele und Phantasie zutiefst verwurzelt. Bis zum 20. Jahrhundert sind in unserer ganzen russischen Kultur immer neu aufkeimende Triebe zu verfolgen. Und in der russischen schöngeistigen Literatur offenbaren die Frauengestalten, sind sie ihrer geschichtlichen Hüllen entkleidet, das gleiche Ideal keuscher Weiblichkeit, dem in der Alten Rus unsere "rechtgläubigen Fürstinnen" in ihren Martyrien treu geblieben sind. Diese Gestalten sind der russischen Seele nur deshalb nahe und vertraut, weil wir des Nachlasses der Ahnen noch nicht gänzlich verlustig gegangen sind.

Ein anderes Wesensmerkmal der rechtschaffenen Frau in der Alten Rus ist es, daß das Witwentum als eine sehr fromme Tat angesehen wurde. Und dieses Schicksal mußte man würdevoll ertragen. Das Witwentum darf nicht ungestaltet oder formlos sein, das ist kein zufälliges Mißgeschick, das mehr oder weniger zu ertragen ist. Die "rechtgläubigen Fürstinnen" haben sich gewöhnlich ein zweites Mal nicht verehelicht (obzwar die Kirche eine Zweitehe nicht verbot). Die Nonnenweihe - die Verlobung mit dem Himmlishen Bräutigam - war der Weg, der dem Ideal der christlichen Vollkommenheit mehr entsprach. Viele Witwen nahmen gleich nach der Beisetzung des Gatten den Schleier. Damals war es in fürstlichen und Bojarenkreisen so Brauch, daß verwitwete Frauen ins Kloster gingen. Eine Witwe, die den Nonnenschleier genommen hatte, bezeugte dem russischen Volk, wie man dem alleinigen Gatten auch über dessen Tod hinaus treu bleiben konnte. So viele altrussische Fürstinnen haben ihrem Witwenstand durch den Eintritt in ein Kloster ein Ende gesetzt, daß sie sich gar nicht alle aufzählen lassen. Nur einige von ihnen seien erwähnt, so die Witwe von Jaroslaw dem Weisen - die Nonne Anna. Die Witwe von Fürst David von Smolensk, die gleich nach dem Tode ihres Gemahls die Nonnenweihe empfing (1197). Die Witwe von Konstantin Wsewolodowitsch, dem Fürsten von Wladimir und Susdal, ließ sich bereits am Sarge ihres Gemahls während des Totenamtes zur Nonne weihen (1218).

Die Witwe des Fürsten Wassili Konstantinowitsch von Rostow, der zu Lebzeiten von Batu 1237 ums Leben kam. Die Witwe von Dowmont (Timofei), dem Fürsten von Pskow, die Schimanonne Marfa, Enkelin des hl. Alexander Newski die Witwe von Feodor Tschorny, dem Fürsten von Jaroslawl (1299), Fürstin Anna, als Nonne - Anastassia. Die Witwe des Fürsten Feodor von Rostow, Fürstin Maria, nahm am Sterbetag ihres Gemahls den Schleier (1355). Die Witwe von Jaroslaw Jaroslawitsch, dem Fürsten von Twer, Fürstin Xenia, als Nonne - Maria.

Die Witwe des Großfürsten Michail von Twer, Anna von Kaschin (Schimanonne Anna). Die Witwe des Fürsten Dmitri von Twer, Fürstin Maria, ging nach dem Tode ihres Gemahls in der Goldenen Horde noch im gleichen Jahr ins Kloster (1325). Die Witwe des Großfürsten Simeon des Stolzen, Fürstin Alexandra, als Nonne - Maria, die Mutter des hl. Michail Klopski. Die Witwe des Großfürsten Dimitri Donskoi, Fürstin Jewdokija, als Nonne - Jewfrossinija, und viele andere...

Genauso wohlanständig war auch die Stellung einer geschiedenen Frau - einer ungeliebten oder gleichgültig gewordenen Gattin. Das war im Grunde genommen eine Art Witwenstand: eine Frau, die den noch lebenden Gatten verloren hatte, war sozusagen verwitwet. Nach Schriftdenkmälern zu urteilen, waren die Grundfesten des Familienlebens bisweilen labil. Die Kirche mußte für die kirchliche Ehe und für eine einzige, legitime Gattin eintreten, sie wandte sich entschieden gegen ungesetzliche Ehen und eigenmächtige Scheidungen. In den "Geboten" des Metropoliten Georgi (11. Jh.) findet sich die Weisung, niemanden zu trau en, der nach eigenmächtiger Scheidung "eine dritte Frau haben will". In der "Regel" des Metropoliten Ioann (Ende des 11. Jh.) wird die Geistlichkeit angewiesen, denjenigen, "die ohne Scham zwei Frauen besitzen", nicht mehr das Abendmahl zu verabreichen. Die Zivilgesetzgebung und die Kirche nahmen die gesetzmäßige Gattin und die Erbrechte ihrer Kinder in Schutz. In einer Chronik (1173) werden Unstimmigkeiten in der Familie des Halitscher Fürsten Jaroslaw Osmomyssel erwähnt. Zwistigkeiten gab es auch in der Familie des Pskower Fürsten Jaroslaw Wladimirowitsch und seiner Gemahlin Jewfrossinija (Tochter des Polozker Fürsten Rogwold Borisowitsch). Der Fürst hatte seine Gemahlin verlassen und in Livland eine Deutsche geheiratet. Durch die neue Ehe ging die Stadt Odenpe in seinen Besitz über. Die verlassene Fürstin Jewfrossinija nahm den Schleier, bekam den Namen Jewpraksija und gründete in Pskow das Nonnenkloster zum hl. Johannes dem Vorläufer, dem sie bis zu ihrem Tode als Äbtissin vorstand. Im Jahre 1243 wurde sie, als sie sich einmal nach Odenpe begab, von ihrem Stiefsohn umgebracht In der örtlichen Gegend wurde sie als Märtyrerin ziemlich früh verehrt, denn am zehnten Tag nach ihrem Hinscheiden war von dem Heiligenbild bei ihrem Sarg ein Zeichen ausgegangen. Recht betrüblich hatte sich auch das Familienleben der Fürstin Feodossija, der Mutter des heiligen rechtgläubigen Fürsten Alexander Newski, gestaltet. Nachdem ihr Vater, Mstislaw Udaloi, von der ehelichen Untreue seines Schwiegersohnes (Jaroslaw Wsewolodowitsch, Fürst von Wladimir und Susdal) Kunde erhalten hatte, holte er 1216 seine Tochter von ihm weg und schlug alle Bitten, sie wieder zurückzubringen, mit den entschiedenen Worten ab: "Sie hat schon genug Leid von ihm erfahren... soll er lieber allein leben, als in ihrer Gegenwart mit seinen Liebsten...". Späterhin wurde Feodossija aber trotzdem zu ihrem Gatten zurückgebracht. 1244, zwei Jahre vor dem Tode ihres Gemahls, hauchte sie in Nowgorod als Nonne Jewfrossinija ihre Seele aus. In dieser Stadt gedachte man ihrer voller Verehrung.

In der Alten Rus wurde eine Frau, die der Gatte freigelassen hatte und die Nonne geworden war, "Pustscheniza" genannt. Zu diesen Freigelassenen sind nicht nur die verlassenen Gattinnen, die den Nonnenschleier nahmen, sondern auch diejenigen hinzuzurechnen, die das vor ihrem Tode mit dem Einverständnis des Gatten taten. Die Chronik weiß zu berichten, in welch rührender Weise die schwerkranke Großfürstin Maria vor ihrer Abreise ins Kloster von ihrem Gemahl, den Kindern, den vertrauten Menschen und der Dienerschaft Abschied nahm. Sie war die Gattin des Großfürsten Wsewolod. Wie die Chronik besagt, hat Fürstin Maria, eine kinderreiche Mutter und sehr tugendsame Frau, mit der Einwilligung ihres Gemahls und dem bischöflichen Segen in Wladimir das Jungfrauenkloster zu Mariä Entschlafen, das sogenannte "Fürstin-Kloster", gegründet. Als sie nach siebenjähriger Krankheit ihr nahes Ende fühlte, da bat sie den Gatten, das Fürstenhaus verlassen und in das neue Kloster übersiedeln zu dürfen. Im Kloster empfing sie die Nonnenweihe und wurde Marfa genannt. Danach lebte sie noch achtzehn Tage. In ihre Zelle ließ sie niemanden von den Weltlichen ein, nur ihre Tochter Wseslawa. Sie verschied am 19. März 1205.

Den Nonnenschleier haben vor dem Tode noch zu Lebzeiten des Gemahls auch die Großfürstin Feodossija - die Mutter des heiligen rechtgläubigen Fürsten Alexander Newski -, die Großfürstin Jelena - die Gemahlin von Iwan Kalita, 1331 als Schimanonne gestorben, sowie die Gattin von Simeon dem Stolzen Anastassija - genommen. So haben Sich im alten Rußland überhaupt viele Männer und Frauen auf ihren Heimgang vorbereitet.

Alle diese Nonnenweihen von Fürstinnen waren möglich, weil sie sich von dem lebendigen Glauben leiten ließen und sich in den Willen Gottes geschickt hatten. Möglich wurden sie auch deshalb, weil die Menschen in der Alten Rus sehr gläubig waren, weil in den Familien täglich gebetet wurde, weil man sich streng an die Fasten hielt, großes Mitgefühl mit Armen und Schwachen besaß, überaus gastfreundlich war, eifrig die Kirche besuchte, die Heilige Schrift, die Psalter und Heiligenviten las. Das alles brachte das weltliche und das geistliche Leben einander näher. Zwischen ihnen bestand nicht die Kluft, wie es später der Fall war... Bei einer altrussischen Fürstin gingen das irdische und das weltentrückte Dasein leicht und ungehindert einander über.

In der Seele einer jeden Vertreterin der höchsten Kreise der Alten Rus lebte im Grunde genommen eine Nonne. Eine Fürstin oder Bojarin wußte ganz genau, daß sie früher oder später einmal den Schleier nehmen werde, und darauf bereitete sie sich seelisch und geistig vor. Das Klosterleben existierte ganz in der Nähe, neben dem Schloß, es war vorausbestimmt durch schwere Erschütterungen im Leben und auch das beste Mittel, um es würdig zu beschließen: entweder vor dem Tode oder bereits in jungen Jahren wurden unverheiratete Fürsten- und Bojarentöchter dem Himmlischen Bräutigam anverlobt.

In Rußland wurden das Leben und das persönliche Schicksal der Gemahlinnen von Fürsten und Bojaren durch die festen religiös - ethischen Grundpfeiler bestimmt, aber nur wenigen war es beschieden, in die Schar der "heiligen rechtgläubigen Fürstinnen" aufgenommen zu werden. In ihrer Tugendhaftigkeit und in ihrem treuen Glauben zur Orthodoxen Kirche gleichen die heiligen Fürstinnen einander, dennoch gibt es einige Unterschiede. Die heiligen Fürstinnen (und Fürstentöchter) der Kiewer Rus ähneln mehr byzantinischen Kaiserinnen und Kaisertöchtern als den "rechtgläubigen Fürstinnen" der Tatarenepoche. Das ist darauf zurückzuführen, daß die alte Rus mit Byzanz in Politik und Handel regen Umgang pflegte und mit diesem durch verwandtschaftliche und kulturelle Beziehungen verbunden war. Ferner übte auch die kirchliche Aufklärung einen starken Einfluß aus.

Nach der Taufe der Rus finden byzantinische Schriften in slawischen Übersetzungen bei uns sehr rasch Verbreitung; sie lieferten nicht nur Beispiele für ein Einsiedlerleben, sondern auch für irdische Heiligkeit Mehrere Vertreterinnen des Kaiserhauses und der byzantinischen Aristokratie wurden für ihre Verdienste um die Kirche und für große Frömmigkeit heiliggesprochen. An ihnen frappieren ihr großartiger Lebenswandel und ihre herausragenden Taten, denen die byzantinische Kultur ihr Gepräge gegeben hat Sie bekämpften ebenfalls jegliche Ketzerei, bekannten sich getreulich zum orthodoxen Glauben, hatten tiefe Kenntnis von der Heiligen Schrift, der Theologie und der Philosophie, übten auf die Kaiser und Herrscher einen wohltuenden Einfluß aus, regierten bisweilen auch mit, befaßten sich weitreichend mit kirchlicher Aufklärung und verrichteten Wohltaten, oder aber sie kehrten sich von der Welt ab und entflohen in Höhlen und in Wüsten... und schließlich führten sie offen oder insgeheim einen bisweilen sehr strengen, asketischen Lebenswandel: sie fasteten, schlugen ihr Ruhelager auf Steinen auf, trugen ein härenes Gewand und lebten jahrelang in völliger Abgeschiedenheit. Rufen wir uns einige heilige Namen ins Gedächtnis zurück.

2. Die heilige Frauen des 3. bis 6. Jahrhunderts: hl. Helene, hl. Olympiada, hl. Pulcheria, sel. Theodora, sel. Theofania, ehrw. Sinklitikia (350), hl. Jungfrau Alexandra (376), hl. Platonida, ehrw. Fewronia (310), ehrw. Ewpraxia, ehrw. Efrosinia (445), ehrw. Matrona, (492), ehrw. Afanasia von Ägina, ehrw. Maria von Ägypten(881), ehrw. Anfusa die Ältere (759), ehrw. Theoktysta (840), und noch viele andere...

Die heilige apostelgleiche Helene, die Mutter des apostelgleichen Kaisers Konstantin. Auf Bitte ihres Sohnes brach sie als schon 85jäbrige Greisin zum Heiligen Land auf, um das Kreuz des Herrn und die Orte der in den Evangelien geschilderten wichtigsten Ereignisse ausfindig zu machen. Kaiser Konstantin hatte sich einer solch erhabenen Mission nicht für würdig befunden, denn er hatte auf den Schlachtfeldern viel Blut vergossen... Die Nachforschungen und Ausgrabungen waren von Erfolg gekrönt, denn man entdeckte die Grotte von Betlehem, das Grab des Herrn, d. h. die Auferstehungsgrotte, und unweit von ihr wurde auch das lebenspendende Kreuz aufgefunden. Die Aufstellung des Kreuzes des Herrn - ein Ereignis von weltweiter Bedeutung - erfolgte in den Ostertagen des Jahres 326. Ein Jahr später - am 28. August 327 - segnete die heilige Helene in Konstantinopel das Zeitliche.

Die heilige Diakonissin Olympiada (368). Eine reiche Waise von vornehmer Herkunft, war sie von Kindheit an von der Schwester des Bischofs Amphilochios - der tugendhaften und wohltätigen Feodossia, einer sehr vernunftbegabten und hochgebildeten Frau, erzogen worden. Mit sechzehn Jahren wurde Olympiada mit Nebridios, dem Präfekten von Konstantinopel, vermählt. Nach zwanzig Monaten wurde sie Witwe und widmete ihr Leben daraufhin ganz der Kirche. Ihre Wohltätigkeit kannte keine Grenzen: die Kirchen, Klöster, Bischofsdiösen, Fremdenherbergen, Spitäler - alle erhielten von ihr reichliche Gaben. Obwohl sie erst dreißig war und nicht sechzig, wie es die Satzung vorschrieb, wurde sie von dem Patriarchen aufgrund ihres eifrigen. Dienens für die Kirche zur Diakonissin geweiht. Sie besuchte Gefangene, unterstützte Verbannte, bereitete Menschen auf die Taufe vor, half bei Gottesdiensten... Nachdem Johannes Chrysostomos Patriarch von Konstantinopel geworden war, da wurde sie seine geistliche Tochter und ging ihm in Kirchendingen eifrig an die Hand. Als dann Verfolgungen gegen ihn einsetzten, wurde auch Olympiada nicht verschont. Von aufrechter Natur, scheute hl. Johannes nicht vor Entlarvungen zurück, was ihm von Seiten der Kaiserin Eudokia und einigen Kirchenvertretern große Anfeindungen einbrachte. Die Sache endete damit, daß man ihn zunächst nach Withien und dann in das ferne Armenien verbannte, wo er 407 das Zeitliche segnete. Auch Olympiada wurde nicht in Ruhe gelassen: sie wurde verleumdet, vor ein Gericht gestellt und durch eine hohe Geldstrafe völlig ruiniert. Dann verbannte man sie nach Nikomedien, wo sie auch starb. Über die gegenseitigen Beziehungen zwischen dem hl. Johannes und Olympiada geben siebzehn erhalten gebliebene Briefe Aufschluß, die Olympiada aus der Verbannung geschrieben hatte.

Die heilige Kaiserstochter Pulcheria, in Geschichte, Philosophie und Theologie überaus bewandert, war zunächst die Mitregentin ihres jüngeren Bruders - des Kaisers Feodosios II.- und hat späterhin selbständig geherrscht. In ihren jungen Jahren hatte sie sich Keuschheit gelobt. Sie verbrachte ihre Zeit mit Beten und Fasten und verrichtete viele gute Werke. Sie gründete zahlreiche Wohltätigkeitseinrichtungen - Herbergen und Spitäler. Unter ihrer Regierung herrschten im Reich Ordnung und äußerer Frieden. Alle ihre Entscheidungen traf sie erst dann, nachdem sie gebetet und sich den Rat weiser Staatsmänner angehört hatte. Pulcheria war eine herausragende Kirchenpolitikerin. Ihr Name ist mit dem Ökumenischen Konzil in Ephesos (431) gegen die Ketzerei von Nestorios und mit dem Konzil von Chalkidon (451) gegen Eutichios verknüpft. Die Väter des Konzils würdigten ihre Rolle als Verteidigerin des orthodoxen Glaubens. 453 ging sie in die Ewigkeit ein.

Die Kaiserin Theodora, Gemahlin des Kaisers Theophil. Sie betete heimlich zu Heiligenbildern und hielt ihren Gatten vor der Verfolgung von Ikonenverehrern zurück. 842 verwitwet, wurde sie die Regentin ihres minderjährigen Sohnes. In ihrem ersten Regierungserlaß verfügte sie die Einstellung der Verfolgungen wegen Bilderanbetung. Während ihrer Regentschaft wurde der Feiertag des "Triumphes des orthodoxen Glaubens" eingeführt. Ihr Leben beschloß sie 867 in einem Kloster, acht Jahre zuvor hatte sie die Nonnenweihe empfangen.

Die selige Kaiserin Theofania, Gemahlin des Kaisers Leo. Die ersten Jahre verbringt sie mit ihrem Gatten in einer Festung, wohin er, von einem Höfling verleumdet, von seinem Vater verbannt wurde. Das weitere Leben der seligen Theofania spielt sich in einem Palast ab. Rein äußerlich versinkt sie in Luxus und Pracht, befolgt jedoch insgeheim die Vorschriften einer strengen Askese: unter ihrem kaiserlichen Gewand trägt sie ein härenes Hemd, schläft auf dem nackten Fußboden und fastet. Ihr christlicher Sinn offenbart sich in der unermüdlichen Hilfe für die Armen und in ihrem sanftmütigen Verhalten zu den Untergebenen. Sie hauchte 892 ihr Leben aus.

Im ebendemselben Byzanz haben zahlreiche fromme Einsiedlerinnen gelebt, die uns durch ihre strenge Askese in Erstaunen versetzen. Und überall - in den Wüsten von Syrien, Palästina, Mesopotamien und Ägypten sowie auf hellenischen Inseln - haben sie leuchtende Spuren ihrer Großtaten hinterlassen, so die ehrwürdige Sinklitikia, die wie Antonius der Große das Einsiedlerleben in Ägypten begründet hatte (350). Die heilige Jungfrau Alexandra hatte zwölf Jahre lang als Einsiedlerin in einer Grabhöhle unweit von Alexandria zugebracht, nur einmal am Tag nahm sie etwas Brot zu sich (376). Die heilige Diakonissin Platonida, Begründerin einer Jungfrauen - gemeinschaft in den Bergen von Mesopotamien. Aus diesem Kloster waren einige bemerkenswerte Glaubensstreiterinnen hervorgegangen, so die ehrwürdige Fewronia, die während der grimmigen Verfolgungen unter Diokletian zu Tode gefoltert wurde (310). Die ehrwürdige Ewpraxia, Tochter eines reichen Senators (zu Lebzeiten des Kaisers Theodosius). Nachdem sie ihre Eltern verloren hatte, teilte sie ihre ganze Habe unter den Armen auf, ließ die Sklaven frei, verzieh den Schuldem und begab sich nach Ägypten, um in einem Kloster mit strengster Ordnung zu dienen: in der Nahrung durfte es nichts Wohlschmeckendes gegen (kein Wein, kein Olivenöl und keine Früchte). Die Nonnen aßen jeden zweiten, manchmal auch jeden dritten und vierten Tag, sie trugen ein härenes Gewand, verrichteten schwere Arbeiten und gehorchten der Vorsteherin aufs Wort; Kranke wurden nicht geheilt, denn der Herr bringt selbst die Genesung, und mit der Außenwelt gab es keinerlei Umgang (die Pförtnerin ausgenommen). Die ehrwürdige Ewpraxia entschlief 410 im Alter von dreißig Jahren.

Die ehrwürdige Efrosinia, die achtzehn Jahre lang in einem Mönchskloster bei Alexandria als sogenannter Novize ein abgeschiedenes Leben geführt hatte (445). Die ehrwürdige Matrona, die zusammen mit dem ganzen Kloster mutig gegen die Ketzerei der Monophysiten ankämpfte (492). Die ehrwürdige Afanasia von Ägina, geistesverwandt mit der ehrwürdigen Maria von Ägypten (881). Die ehrwürdige Anfusa die Ältere (759). Die ehrwürdige Theoktysta (840) und noch viele andere...

3. Die heilige Frauen der mittelalterlichen Rußland (10. - 14. Jahrhunderts) bis zur Zeit der Tatarenjochs.

Das Beispiel der östlichen Einsiedlerinnen machte bei ihren russischen Schwestern keine Schule - es lockte sie nicht in die Wüste - (bei uns verlief das Nonnenleben in milderen Formen), dafür haben unsere "rechtgläubigen Fürstinnen" in der Kiewer Periode ihre ersten Schritte als Glaubensverfechterinnen getan.

Die apostelgleiche Fürstin Olga (969) war die erste getaufte russische Fürstin, eine weise Herrscherin und umsichtige Diplomatin. Die heilige Anna (ihr weltlicher Name war Ingigerda - Irina, Tochter des Schwedenkönigs Olaf) - Gemahlin von Jaroslaw dem Weisen, in der Rus die erste Fürstin, die den Nonnenschleier nahm, förderte zusammen mit ihrem Sohn, dem Nowgoroder Fürsten Wladimir Jaroslawitsch, die Errichtung der berühmten Sophienkathedrale in dieser Stadt (1050).

Die heilige Anna (Janka), die Schwester von Wladimir Monomach, war in der Rus die erste Fürstentochter, die Nonne wurde und dann dem Kiewer Nonnenkloster zum hl. Andreas vorstand (1112). Sie führte in ihrem Kloster eine Ordnung ein, die sie aus Konstantinopel mitgebracht hatte. Sie hatte dort Anverwandte ihrer Mutter, einer gebürtigen byzantinischen Prinzessin, besucht. In "Jankas" Kloster, wie es genannt wurde, bat auch Mariza - die Tochter von Wladimir Monomach - die Nonnenweihe empfangen.

Ende des 12. Jahrhunderts taucht in unserer Hagiographie die heilige Jefrosinija von Polozk (ihr weltlicher Name war Predslawa) auf. Sie war die Tochter des Polozker Fürsten Georgi. Sie war eine hochgebildete Glaubensstreiterin, hat eifrig heilige Bücher abgeschrieben und viele Reisen unternommen. In ihren jungen Jahren hatte sie den Schleier genommen und Zunächst als Einsiedlerin bei der Sophienkathedrale in Polozk gelebt. Das Entgelt, das sie für das Abschreiben heiliger Bücher bekam, teilte sie an die Armen aus. Späterhin gründete sie mit dem Segen des Bischofs Ilia bei Polozk bei der Erlöserkirche am Selzo ein Nonnenkloster, wohin auch bald vier ihrer weiblichen Verwandten kamen. In der Folgezeit hat sie in Polozk auch ein Mönchskloster gegründet. Eine große Verehrerin von Griechenland und dem Orient, hat die heilige Jefrosinija bereits in vorgerücktem Alter (nachdem sie 40 Jahre lang Äbtissin war) den Wunschtraum ihres ganzen Lebens wahr gemacht - sie unternahm eine Pilgerreise in das Heilige Land. Unterwegs traf sie mit Kaiser Manuel zusammen, der ihr zuvor ein kostbares Geschenk - eine Kopie des Hodigitria - Muttergottesbildes - nach Polozk übersandt hatte.

Nun geleitete er sie "in großen Ehren" bis nach Konstantinopel. Hier besuchte die Heilige den Patriarchen Lukas und reiste dann weiter. In Jerusalem verneigte sie sich vor dem Grabe des Herrn und badete im Jordan. Bald darauf wurde sie krank und ging nach 24 Tagen in die Ewigkeit ein (1173). Vor ihrem Tode hatte ihr ein Engel verkündet, daß ihr die Pforte zum Paradies offenstehe... Beigesetzt wurde sie in der Vorhalle der Kirche im Kloster des ehrwürdigen Theodosius. Späterhin, wahrscheinlich 1187, als Saladin seinen Angriff auf Jerusalem unternahm, wurden ihre sterblichen Überreste nach Akra und von dort aus in die Kiewer Höhlen überführt.

In den "rechtgläubigen Fürstinnen" der Kiewer Periode ist das Streben zu spüren, der Kirche und der Gesellschaft dienlich zu sein und geistige Aufklärung zu erlangen. Infolge des Tatareneinfalls wurden die Frühjahrsblumen jedoch niedergetreten, und die russischen Fürstinnen mußten ihr öffentliches Dienen für die Kirche aufgeben. Sie wurden in ihre Schlösser und Klosterzellen verbannt, wo sie zu beten und stillschweigend zu leiden hatten. Sie teilten das bittere Los ihrer Gatten und Familien, beweinten das russische Volk, das unter dem Tatarenjoch schmachten mußte... Manche von ihnen haben der Kirche zwar auch weiterhin gedient, haben mit der Einwilligung des Gatten und mit bischöflichem Segen Klöster gegründet oder Kirchen erbauen lassen, obgleich Fürstinnen, die ihren Gemahl verloren hatten und deren Söhne noch minderjährig waren, das Recht hatten, auf ihrem "Witwenthron" zu sitzen, die Domänen des Gatten zu erben und an den Bojaren - Versammlungen teilzunehmen, aber das waren in der Tataren zeit Ausnahmen, sie konnten auf das Leben keinen Einfluß nehmen. Wie sehen doch unsere Fürstinnen angesichts des byzantinischen religiösen Glanzes rührend bescheiden und unscheinbar aus! Wohl niemandem, außer uns Russen, ist es verstattet, die zarte Schönheit des vor der ganzen Welt verborgenen sanftmütigen Leidens, das Zittern des wehrlosen Opfers und die unendliche Geduldsamkeit unserer rechtschaffenen Frauen nachzuempfinden... Um sich vorstellen zu können, welchen Leidensweg sie gegangen sind, muß man sich wenigstens in allgemeinen Zügen die furchtbare Wirklichkeit, "Tatarenjoch" genannt, ins Gedächtnis zurückrufen.

Die Rjasaner Lande waren als erste dem Ansturm der Tataren ausgesetzt. An ihren Grenzen fanden zusammen mit dem Heer auch sechs tapfere Rjasaner Fürsten den Tod. Tragisch war auch das Ende der Rjasaner Fürstinnen. Die Fürstin Jewpraksia sprang vom Glockenturm der Nikolauskirche (nach einer anderen Quelle -"von einem hohen Schloßturm") in die Tiefe, ihre Schwiegermutter, die Fürstin Agrafena, wurde mit noch anderen Schwiegertöchtern und Fürstinnen von den Ungläubigen in einer Stadtkirche niedergemetzelt; der Bischof kam in der brennenden Kirche um, alle Menschen wurden in Stücke gehauen oder im Fluß ertränkt - "überall lagen Tote herum... und es war nicht einmal jemand da, der sie hätte beweinen können..." Bei der Einnahme von Moskau bot sich das gleiche wüßte und grausame Bild: "den Fürsten nahm man mit bloßen Händen gefangen", die Einwohner aber wurden allesamt erschlagen, die Stadt, die Dörfer, die Kirchen und Klöster - eingeäschert... "Seit der Taufe hatte es solche ungeheuerlichen Missetaten nicht gegeben..." (Lawrenti - Chronik, 1237). Bald darauf fiel auch Susdal. Die Kirchen wurden ausgeplündert und der Fürstenhof niedergebrannt. Unbarmherzig gingen die Tataren auch mit der Bevölkerung um: "Mönche und Nonnen, Greise und Popen Blinde und Lahme, Krüppel und Kranke - alle wurden sie umgebracht, die jungen Leute nahmen sie gefangen und führten sie mit sich fort in ihr Lager, selbst aber wandten sie sich nach Wladimir...". Juri Wsewolodowitsch, der Großfürst von Wladimir und Susdal, wollte die Stadt nicht verteidigen. Er hatte in aller Eile eine Kriegerschar zusammengeholt, um den Feind an den Flußufern des Sit zum Stehen zu bringen. Wladimir wurde in seiner Abwesenheit eingenommen. Dabei kam die gesamte großfürstliche Familie ums Leben. Die beiden Söhne wurden auf den Stadtmauern gefangengenommen. Die Fürstin Agafja, ihre Töchter Feodora und Feodossia, die Schwiegertöchter Maria und Christina, die Enkelkinder und viele Bojaren und Bojarinnen kamen in der Marienkirche, die die Tataren in Brand gesteckt hatten, zusammen mit dem Wladyka Mitrofan und noch vielen anderen Menschen im Rauch und Feuer um. Am Sit war ein verzweifelter Kampf entbrannt, doch vergeblich - das russische Heer wurde zerschlagen, der Großfürst Juri wurde gefangengenommen und enthauptet. In der Schlacht fiel auch sein Neffe, der unerschrockene und unendlich tapfere Fürst Wassili von Rostow. In der Chronik findet man über ihn begeisterte Worte: "Schön von Angesicht, mit hellen und furchtgebietenden Augen, war er mutig und tapfer, hatte ein gutes Herz und ging mit den Bojaren sanft um. Wer ihm einmal gedient, mit ihm zusammen das Brot verzehrt und Wasser aus seinem Becher getrunken hatte, der konnte ihn schon nicht mehr vergessen, konnte keinem anderen Fürsten dienstbar sein...". Die Tataren boten ihm bei seiner Gefangennahme an, auf ihre Seite überzutreten. Aber Wassili wies dieses Angebot zornig zurück - und wurde getötet.

Die russische Kirche hat ihn als einen Märtyrer heiliggesprochen (Gedenktag - 4. März). Er war in gerader Linie der Urgroßvater der rechtgläubigen Fürstin Anna von Kaschin. Seine Märtyrergestalt wurde den Nachkommen stets als Vorbild hingestellt, damit sie nie verzagen, sondern Willensstärke bekunden.

Der ganze weitere Weg von Batu waren Blut, Rauch und Feuer... wo er auch immer hinkam, seien es Twer... Torshok... und dann schon in den Nowgoroder Landen. Unweit von Staraja Russa (etwa 100 Werst von Nowgorod) konnten die Tataren infolge der verschlammten Wege nicht mehr weiter, sie machten kehrt und wandten sich nach Süden, wobei sie unterwegs den erbitterten Widerstand von Koselsk überwanden. Sie hatten die ganze nordöstliche Rus in ihre Gewalt gebracht. Aber die russischen Menschen ließen auch jetzt nicht den Mut sinken: es gab noch eine letzte Hoffnung, denn vorläufig gab es noch Kiew und die südwestlichen russischen Lande. Aber es dauerte nicht lange, und auch sie waren bezwungen. 1239 nahm Batu Perejaslawl und Tscbernigow ein. 1240 ergab sich nach einem verzweifelten Kampf auf den Stadtmauern auch Kiew, danach eroberten die Tataren Wolyn und Halitsch. Die Einnahme von Kiew hatte das russische Volk mächtig erschüttert. Das war das Ende... Nun stand die uneingeschränkte Herrschaft der Tataren bevor, die überall Schrecken verbreiteten... verwüstete Städte, eingeäscherte Kirchen, Klöster und Dörfer, unzählige Gefangene, die in unbekannter Richtung fortgetrieben und auf irgendwelchen asiatischen Sklavenmärkten verkauft wurden, zahlreiche ermordete wackere Fürsten, Einwohner, die sich in Wäldern, Sümpfen und Schluchten verbargen... alles war aus den Fugen geraten, niemand wußte genau, wohin er blicken und seine Schritte lenken sollte...

Und trotzdem vermochten die Tataren die Lebenskraft des russischen Volkes nicht zu brechen. Das Volk söhnte sich mit der nationalen Katastrophe nicht aus - es trauerte, klagte, murrte, weinte und betete, hatte seine lebendige Stimme nicht eingebüßt. Wer den Mut sinken lassen wollte, den stärkten der Glaube an Christus, die Liebe zu den Russischen Landen und die Erinnerung an die ruhmreiche Vergangenheit. Das bezeugen hervorragende Literaturdenkmäler aus jener Epoche, wie "Der Untergang der Russischen Lande" und das "Jammergeschrei der Lande wegen des Tatareneinfalls". In Gestalt einer kinderlosen, einsamen Witwe beklagt die Russische Erde ihr unglückliches Volk: "...Und da hub die Erde selbst wie eine kinderliebende Mutter zu weinen an... O Söhne, meine russischen Söhne!... Weshalb tretet ihr in eurer Herzenslust vor Gott bin, der euch doch erschaffen hat? O meine Kinder, die ihr Euren Herrn und meinen Schöpfer und Gott erzürnet habt...". Die Verkörperung der Russischen Lande in Gestalt einer wehklagenden, sich härmenden Frau war damals in der ganzen Rus gang und gäbe. In diesem "Klagelied" verschmolzen Dichtung und Wahrheit miteinander inniglich. Von dem furchtbaren Mißgeschick, das über das ganze Volk hereingebrochen war, sprach auch laut und vernehmlich die russische Kirche in ihren Belehrungen und Predigten im 13. Jahrhundert. Da die Tataren in Glaubensdingen tolerant waren, billigten sie der Kirchenhierarchie verschiedene Rechte und Vergünstigungen zu und mischten sich, so unglaublich das angesichts des Joches auch scheinen mag, nicht in die Kirchenleitung ein – vom Altar aus wurde also die Wahrheit gesprochen. Diese Wahrheit erforderte es in der ersten Zeitperiode des Tatarenjochs, daß das Volk der Sünden und der Gesetzlosigkeiten überführt wurde. Die ganzen Schrecken und Greuel dieser Invasion waren ein Ausdruck von Gottes Zorn - eine nie dagewesene furchtbare "Strafe".

So klingen die von Herzenswärme erfüllten Belehrungen des Bischofs von Wladimir, Serapion: "...Und da ließ der Herr ein unbarmherziges, ein grimmiges Volk über uns kommen, das weder jugendliche Schönheit noch altersschwache Greise noch kleine Kinder verschonte, denn wir haben unseren Gott erzürnt... Unsere Fürsten und Heerführer sind nicht mehr stark; unsere Tapferen sind voller Angst geflohen, haben das Weite gesucht; und noch mehr von unseren Brüdern und Kindern wurden in die Gefangenschaft getrieben; unsere Felder sind von Gras überwuchert und unsere einstige Größe und unsere Schönheit sind dahin und entschwunden, unsere Reichtümer und der Lohn unserer Arbeit sind Fremdstämmigen zugefallen, wir werden von unseren Nachbarn geschmäht, von unseren Feinden verspottet...".

Die Kirche erläuterte, welche geistigen Ursachen das Geschehene hatte, sie munterte die eingeschüchterten Menschen auf, spendete ihnen Trost und wies sie auf den Weg der Buße hin. In den Seelen herrschte äußerste Verwirrung. Die politische Abhängigkeit von den Tataren machte sich sofort bemerkbar. Überall setzten sie ihre Statthalter ein, die von bewaffneten Trupps umgeben waren. Das Volk wurde gezählt und tributpflichtig gemacht. Russische Fürsten begaben sich in die Goldene Horde, um diese milder zu stimmen... Die höchste Schicht des russischen Volkes wurde sich der ganzen Schwere der moralischen Unterdrückung bewußt, und die russischen Fürsten und ihre Bojaren waren in diesen Zeiten verschiedenerlei Versuchungen ausgesetzt. Schwache und Kleinmütige paßten sich nicht nur den Umständen an, sondern kehrten aus der Horde auch zufrieden und geschmeichelt zurück, wenn sie die Tataren empfangen und "in Ehren" wieder entlassen hatten. Aber es gab auch solche, die keinerlei " Ehrenbezeigung" trösten konnte. Auch Fürst Daniil Romanowitsch von Halitsch hatte man "in Ehren" ziehen lassen, aber er war sich voller Bitternis dieser Erniedrigung bewußt. Man hatte ihn zwar nicht gezwungen, einen Strauch oder das Feuer anzubeten, aber Stutenmilch hatte er kosten müssen, und diese Kränkung konnte er nicht verwinden. Daheim wurde er von seinem Bruder und seinen Söhnen in Empfang genommen, "und alle waren wegen dieser Kränkung recht bekümmert...".

"O die Tatarenehre ist das Schlimmste, was es geben kann!" - rief ein Halitscher Chronist aus. Andere Fürsten hielten getreulich an ihrem Glauben fest und erlitten dafür den Märtyrertod. So wurden der hl. Michail von Tschernigow und sein Bojar Feodor, der hl. Roman Olgowitsch von Brjansk grausam zu Tode gefoltert. Die düsterste Zeit des Tatarenjochs war die Epoche, angefangen von Batu bis hin zu den 30er Jahren des 14. Jahrhunderts. Die Teil - Fürstentümer waren ununterbrochenen Erschütterungen ausgesetzt und konnten die Rus politisch schon nicht mehr unterstützen. Nur die russische Sprache, der feste Glaube an Christus und an die Kirche konnten das Volk noch zusammenhalten. Und natürlich auch - das gemeinsame Schicksal...

Was haben in diesen schlimmen Zeiten der Unterjochung und Gewaltherrschaft, der ungewissen Existenz nun die russischen Fürstinnen getan? Wie sich das Leben der russischen Fürstinnen und Bojarinnen auch immer gestaltete und sich ihre Geschicke voneinander unterschieden, vereinte sie doch alle das gleiche Los - sie mußten sich alle Mißgeschicke und Kümmernisse auf ihre schwachen Schultern laden und bisweilen auch für die Folgen der Vergehen und Verirrungen ihrer Väter, Gatten und Söhne mutig einstehen. Sie hatten widerspruchslos ihr Kreuz zu tragen, das war nun einmal ihr Los als Frau. Ein wehrloses, unschuldiges Opfer - das war in der Rus der Inbegriff christlicher Heiligkeit. Ständiges Zittern um das Leben, unaufhörliche Unruhe, ein Gefühl der Hilflosigkeit und Ungewißheit, was der andere Tag bringen würde - so sah es in der Zeit des Tatarenjochs mit der seelischen Verfassung der "rechtgläubigen Fürstinnen" aus. Während der ständigen Fehden zwischen den Fürsten und der verheerenden Feldzüge der Tataren mußten sie sich mit ihren Familien vor den feindlichen Kriegerscharen und den Kriegsschrecken mit ihrem schonungslosen Gemetzel, den Plünderungen und Feuersbrünsten immerfort verbergen... Bisweilen mußten sie zusammen mit ihren Gatten und Söhnen fliehen, ein anderes Mal - ihnen folgen. So floh die Gemahlin des Großfürsten Andrej Jaroslawitsch, der 1252 eine Erhebung anzettelte, die jedoch mißlang, aus den Susdaler Landen nach Pskow zu ihrem Gatten und von dort aus mit ihm gemeinsam nach Schweden. Als Tochtamysch mit seinen Heeren unverhofft bei Moskau auftauchte, da entfloh auch die Großfürstin Jewdokia zusammen mit ihrem Gemahl Dimitri Donskoi nach Kostroma. Während des Einfalls von Jedigei suchte auch Großfürst Wassili Dimitrijewitsch mit seiner Familie in Kostroma Rettung. Sie flüchteten, um sich das Leben zu erhalten, um nicht in Gefangenschaft zu geraten und nicht als Geiseln genommen zu werden.

Außer den katastrophalen Mißgeschicken hatten die "rechtgläubigen Fürstinnen" auch noch ihr eigenes bitteres Los als Frau zu ertragen. Wie oft waren sie über lange Zeit hinweg von ihren Gatten und Söhnen getrennt... Beim Abschiednehmen wußten sie niemals, ob diese wieder zurückkehrten (insbesondere, wenn sie sich in die Goldene Horde begaben). Sie verabschiedeten sich so von ihnen, als würden sie sich niemals mehr wiedersehen. Ein Leidensweg war den Fürstinnen auch bestimmt, wenn ihre Ehen vertraglich oder aus diplomatischen Erwägungen geschlossen worden waren. Ein Heiratskontrakt bedeutete manchmal Frieden zwischen kriegführenden Seiten oder aber ein Bündnis mit einem starken, gefährlichen Nachbarn.

Eine zutiefst gläubige Seele wird durch ein demütiges und geduldiges Ertragen von Leiden nicht hart, sie wirkt eher schlicht - erhaben, weil sie dem Willen des Herrn gehorcht und sich in ihr Schicksal gefügt hat. Gerade eine solche schlichte Größe ist für die "rechtgläubigen Fürstinnen" im 13. -16. Jahrhundert bezeichnend. Die meisten von ihnen wurden nur in ihrer engeren Heimat kirchlich verehrt. Ihre Sterbetage bzw. die Daten der Überführung ihrer Reliquien, ihre letzten Ruhestätten in irgendeiner Kirche oder in einem Kloster, eine flüchtige Erwähnung in Chroniken, eine kurze Schilderung ihres tugendhaften, strengen Lebenswandels... - das ist alles, was von ihnen übriggeblieben ist, was jedoch ausreichte, damit die Kirche und das russische Volk sie in ihren Gebeten jahrhundertelang nicht vergaßen.

4. Die heiligen Fewronija von Murom, Julianija, Fürstin von Wjasma, rechtgläubige Fürstin Jewdokia, rechtgläubige Jefrosinija von Susdal, rechtgläubige Fürstin Wasilissa, rechtgläubige Juliana, Fürstin von Wjasma, rechtgläubige Fürstin Jewdokia

Eine schlichte Anmut strahlt das geistige Antlitz der hl. Fewronia, der Gemahlin des hl. Fürsten Pjotr von Murom, aus. Die Legende, in der von ihrer inniglichen Liebe und ihrer Ehe berichtet wird, hatte dem russischen Leser dermaßen gefallen, daß sie sich bis auf den heutigen Tag in 150 Abschriften und vier verschiedenen Fassungen erhalten hat. Es ist eine unumstößliche Tatsache, daß das Volk die Grabstätte dieses fürstlichen Paares 300 Jahre lang verehrt hat, obwohl keine glaubwürdigen geschichtlichen Belege vorhanden waren. Diese hohe Verehrung veranlaßte denn auch die Russische Kirche, den Fürsten Pjotr und dessen Gemahlin Fewronia im Jahre 1549 heiligzusprechen und ihren Gedenktag auf den 25. Juni festzusetzen. Dem religiösen Bewußtsein des Volkes, das der Russischen Kirche die Heiligkeit des fürstlichen Paares bescheinigte, konnte ebenso geglaubt werden, wie historisch belegten Tatsachen. Was das Volk an dieser beliebten Legende so stark berührt haben mag, das wird die treue Gattenliebe gewesen sein, die bis über den Tod hinausgedauert hat

Die heilige rechtgläubige Fürstin Fewronia von Murom war ein einfaches Bauernmädchen gewesen. Ihr Vater hatte sich mit Försterei und Bienenzucht befaßt. Sie hatte den Fürsten Pjotr von einer schweren Krankheit geheilt, worauf dieser sie zur Gemahlin nahm. Aber die stolzen Bojaren von Murom waren der aus einfachen Verhältnissen stammenden Fürstin übelgesinnt. Sie boten ihr an, wenn sie in eine Trennung von ihrem Gemahl einwillige und Murom verlasse, so könne sie einen beliebigen Schatz mit sich nehmen. Fewronia fügte sich scheinbar, doch von allen Schätzen nahm sie nur einen - ihren liebsten Gemahl, Fürst Pjotr, mit. Nach der Abreise des Fürstenpaares kam es zwischen den Bojaren zu großen Zwistigkeiten: alle wollten sie den Thron von Murom besteigen. Damit diese Fehden endlich aufhörten, baten sie Fürst Pjotr und Fewronia, sie mögen doch wieder zurückkommen. Nach langjähriger Regierung, die Murom viel Gutes brachte, beschlossen die Gatten mit beiderseitiger Einwilligung, ins Kloster zu gehen: Pjotr wurde der Mönch David und Fewronia – die Nonne Jewfrossinija. Zuvor hatten sie sich in der Kirche zu Mariä Geburt eine gemeinsame Grabstätte bereiten lassen, und sie wünschten sich sehnlichst, an einem und demselben Tag aus der Welt zu scheiden. Als Fürst Pjotr fühlte, sein Ende sei nun gekommen, da ließ er der seligen Fewronia ausrichten: "Schwester Jewfrossinija, ich bin schon nahe daran, meinen Geist aufzugeben, aber ich harre deiner. Als sie diese Kunde vernahm, da sagte sie: ,,O mein Herr, warte noch etwas, bis ich eine Decke für die heilige Kirche zu Ende gestickt habe.." Und wiederum sandte der selige Pjotr nach ihr und ließ ihr sagen: "Nur noch ein bißchen warte ich auf dich...". Und schließlich ein drittes Mal: "Ich möchte schon hinscheiden - ich warte auf dich..." Da hörte sie mit dem Sticken auf, steckte die Nadel in die Decke, umwickelte sie mit dem Faden und ließ dem seligen Pjotr ausrichten, sie werde gemeinsam mit ihm sterben... Und sie haben auch wirklich zu gleicher Zeit ihren Geist aufgegeben. Zwei Mal wurden sie an verschiedenen Stellen beigesetzt: Der Mönch David - in der Stadtkirche und die Nonne Jewfrossinija - in der Kreuzerhöhungs - Kirche (denn ein Mönch und eine Nonne durften nicht gemeinsam bestattet werden). Aber beide Male wurden ihre sterblichen Hüllen anderntags in der gemeinsamen Gruft in der Kathedrale aufgefunden. Und dort beließ man sie denn auch, da man nicht wider den Willen Gottes handeln wollte.

Ein ebensolches Beispiel christlicher Tugend hat auch die heilige rechtgläubige Jefrosinija von Susdal (ihr weltlicher Name war Feodulia) geliefert. Sie war die Tochter des leidgeprüften rechtgläubigen Fürsten Michail von Tschernigow, der 1246 in der Goldenen Horde den Tod gefunden hatte. Ihr Name ist mit dem Susdaler Kloster zu Mariä Gewandlegung verknüpft, wo sie die Nonnenweihe empfangen hatte. Die Überlieferung weiß von ihrer Kindheit und ihrer Jugendzeit zu berichten. Ihre Eltern, denen der Kindersegen lange Zeit versagt blieb, hatten sie im Kiewer Höhlenkloster erfleht. Erzogen wurde sie von ihrem Vater, und der weise Bojare Feodor brachte ihr von klein auf das Lesen der Göttlichen Schriften bei. Mit fünfzehn Jahren entsagte Feodulia bereits der irdischen Ehe, zuvor war ihr zwei Mal die Gottesmutter erschienen.

In der einen Vision hatte sie das Jüngste Gericht erblickt und erkannt, was paradiesische Freuden und was ewige Qualen bedeuten. In der zweiten Vision war ihr eine hellgekleidete männliche Gestalt erschienen und hatte ihr befohlen, sie solle ihm folgen...

Das tat sie denn auch, und so gelangte sie in das Höhlenkloster. Bald darauf beschlossen ihre Eltern, sie an den Susdaler Fürsten Mina zu verheiraten, und brachen mit ihr nach Susdal zur Trauung auf. Feodulia hatte sich zwar in ihr Schicksal dreingeschickt, "doch da sie Gott lieber hatte als die Welt", flehte sie unterwegs die Gottesmutter fortwährend um deren Beistand an. Und diese versprach ihr Schirm und Schutz... In Susdal erwartete sie dann die Kunde, daß der Bräutigam unverhofft gestorben sei. Feodulia kehrte nicht wieder nach Hause zurück. Sie ging in das Susdaler Kloster und wurde die Nonne Jewfrossinija. Gott hatte es so gewollt: nicht als Gemahlin des Fürsten sollte sie in der Stadt bleiben und ihm Kinder gebären, sondern sie sollte allen Susdalern eine Mutter sein und sie durch ihre Gebete vor Feinden und Unbilden behüten. Sie war eine musterhafte Nonne und gehorchte der Altnonne, die sie aufgenommen hatte, vollends.

Mit ihrer Erlaubnis begann sie sich um Menschen zu kümmern, die ins Kloster kamen, um Belehrungen zu erhalten, und für einen jeden Besucher fand sie ein erbauen des Wort. Sie besaß auch die Gabe der Weissagung und der Teufelsaustreibung. Bald war die rechtschaffene und weise Nonne im Umkreis weit bekannt. Jewfrossinija hat auch den Tatareneinfall vorausgesagt, denn in einem Traum hatte sie eine Stimme vernommen, und diese hatte ihr gesagt: "Es wird eine furchtbare Heimsuchung geben...". Während Batus Invasion betete Jewfrossinija mit den anderen Schwestern Tag und Nacht - in der Stadt wurden schreckliche Verwüstungen angerichtet, aber das Kloster zu Mariä Gewandlegung blieb heil und unversehrt. Gemäß einer Überlieferung konnten sich die Tataren dem Kloster nicht nähern. Und da wollte Batu von einer Anhöhe aus Ausschau halten, wo sich dieses Kloster eigentlich befände. Aber Batu konnte nichts erblicken, denn zu dieser Zeit war das Kloster gleichsam in Dunkel gehüllt, und er mußte unverrichteter Dinge abziehen. Als Jewfrossinija erfuhr, daß sich ihr Vater zum Chan begeben wollte, da ließ sie ihm ausrichten, "er solle sich dessen Willen nicht beugen...".

Nach der Ermordung ihres Vaters hatte sie eine Vision: der Vater und der Bojare Feodor waren in hellen Gewändern vor sie hingetreten, hatten sie von ihrem Tod benachrichtigt, sie gesegnet und ihr für die. Stärkung im letzten Augenblick ihres Lebens gedankt. Bis zuletzt hat Jewfrossinija ein strenges Nonnenleben geführt. Sie liebte die Armut, ging in einem groben Gewand und wollte von neuer Kleidung nichts wissen. In ihrer Demut und Bescheidenheit trachtete sie nie danach, Äbtissin zu werden, sondern blieb bis an ihr Lebensende eine einfache Nonne. Kurz vor ihrem Tode erschienen ihr der Vater und der Bojare Feodor und verkündeten ihr das nahe Ende. Am 25. September 1250 segnete sie das Zeitliche. Zu ihrer Beisetzung hatten sich der Bischof, zahlreiche Geistliche und die ganze Stadt eingefunden. Während der Regierungszeit von Ivan III. wurde sie heiliggesprochen. Der Susdaler Bischof Warlaam erwarb in einem Kloster seiner Diözese die Lebensbeschreibung der ehrwürdigen Jewfrossinija. Es stellte sich heraus, daß die von dem Grabe der Ehrwürdigen ausgehenden Wunder im Kloster zu Mariä Gewandlegung schon seit geraumer Zeit aufgezeichnet wurden. Nachdem Bischof Warlaam und die Geistlichkeit für die heiligen Reliquien gezeugt hatten und man von den Wundern Kenntnis erhalten hatte, wurde verfügt, der heiligen Jewfrossinija stets an deren Sterbetag zu gedenken.

Die heilige rechtgläubige Fürstin Wasilissa (Wassa), als Nonne - Feodora, Gemahlin des Nishegoroder Fürsten Andrej Konstantinowitsch. Sie war 1331 in Twer als Tochter eines Bojaren geboren - das war während der Regierung von Ivan Kalita und zu Lebzeiten des Chans Usbek. Mit zwölf Jahren wurde sie von ihren Eltern verheiratet. Während ihrer Ehe führte sie einen frommen und tugendhaften Lebenswandel, sie betete und fastete und teilte Almosen aus. Nach dreizehn - jähriger Ehe verwitwet, ließ sie "alle ihre Leute frei, teilte ihre Reichtümer an die Kirchen, Klöster und Armen aus und empfing in "dem von ihr selbst gegründeten Kloster" zu Mariä Empfängnis die Nonnenweihe.

Große Charakterstärke beweist die keusche Märtyrerin - die heilige Juliana, Fürstin von Wjasma und Wundertäterin von Nowotorshok, die 1406 wegen ihrer Unbeugsamkeit von dem als Statthalter nach Torshok entsandten Smolensker Fürsten Juri ermordet wurde. Diesen "hatte der Böse dazu verleitet, der Fürstin Juliana, Gemahlin des Fürsten Simeon Mstislawitsch von Wjasma, der ihm dienstbar war, in jeder Weise nachzustellen". Juliana, ihrem Gatten treu ergeben versetzte dem Gewalttäter in ihrer Gegenwehr einen Messerstoß. Daraufhin tötete Juri ihren Gemahl "und ihr selbst ließ er Hände und Füße abhauen und sie in einen Fluß werfen... Und da seine Schmach und Schande überaus groß waren, floh er zur Goldenen Horde...". Irgendein Geistesgestörter erblickte die auf dem Fluß dahinschwimmende entsetzlich verstümmelte Leiche, und ihn packte ein solches Grauen, daß er auf der Stelle von seiner Krankheit genas. Zugleich hörte er eine Stimme, die ihm gebot, er solle nach Torshok gehen und dem Geistlichen in der Kirche sagen, "man möge meinen sündigen Leib nehmen und ihn bei sich an der südlichen Kirchenpforte begraben...". Und so geschah es auch. Die Geistlichkeit und das Volk gingen zum Fluß, legten den Leichnam in einen steinernen Sarg und schafften ihn in die Kirche. Bald darauf wurden Kranke wieder gesund. Ob er Julianas Mörder ist bekannt, daß er nicht in der Horde blieb und auch nicht in seine Lande zurückkehrte. Er beschloß sein Leben in völliger Abgeschiedenheit in einem Kloster. Hier hat er offenbar Buße getan, denn als er nach kurzer Krankheit verschied, wurde er im Kloster "in Ehren zu Grabe getragen".

Fromm und tugendsam war auch die heilige rechtgläubige Fürstin Jewdokia, die Gemahlin des heiligen rechtgläubigen Fürsten Dimitri Donskoi, als Nonne - Jewfrossinija, gewesen. Eine mustergültige Gattin und Mutter, die in der Familie stets den Lebendigen Glauben an Christus aufrechterhalten hatte, wurde sie nach 23 Ehejahren Witwe und begann eifrig zu fasten und inbrünstig "für die Russischen Lande" zu beten. Diesen inbrünstigen Gebeten der Fürstin Jewdokia wird die Rettung Moskaus vor Tamerlan zugeschrieben. Der Feind blieb am Ufer des Jelez stehen, machte plötzlich kehrt und zog in Richtung Krim fort. Das geschah gerade zu jener Zeit, da aus Wladimir die wundertätige Ikone der Gottesmutter von Wladimir eintraf - das Heiligenbild hatte die Fürstin Jewdokia kommen lassen, weil es ihr Metropolit Kiprian so geraten hatte. Die ehrwürdige Jewfrossinija hat zwei Kirchen erbauen lassen - eine Mariä – Geburts - Kirche am Fürstenhof und in Perejaslawl - Salesski eine Kirche zum hl. Johannes dem Vorläufer. Sie hat auch das Moskauer Nonnenkloster zur Himmelfahrt Christi gegründet. Besonders streicht die Überlieferung heraus, daß die Fürstin auch dem toten Gatten die Treue gehalten hat. Böse Zungen versuchten, ihren guten Ruf in Zweifel zuziehen.

Jewdokia nahm stillschweigend die grundlosen Verdächtigungen hin. Doch als sie sah, daß diese Verleumdungen ihren Sohn Juri schockierten, offenbarte sie den Söhnen die Wahrheit: Sie öffnete über der Brust ihr Gewand, und die Söhne sahen, daß die Mutter unter ihrem prunkvollen Staat einen völlig abgezehrten Körper verbarg (gemäß einer anderen Überlieferung soll Jewdokia Bußketten getragen haben). In einer Legende wird berichtet, wie sich die rechtgläubige. Fürstin auf ihren Tod vorbereitete, den ihr in einer Vision ein Engel angekündigt hatte. Gleich nach diesem Gesicht hatte die Fürstin die Sprache verloren.

Da ließ sie einen Ikonenmaler kommen und tat ihm durch Gesten ihren Wunsch kund - er sollte ihr auf einer Tafel einen Engel malen. Nachdem man ihr den Wunsch erfüllt hatte, verneigte sich Jewdokia andächtig vor dem Bild, den Engel erkannte sie jedoch nicht an: Das war nicht der Engel aus ihrer Vision... Es wurde eine neue Ikone gemalt, aber auch dieser Engel war ihr nicht recht. Erst als man ihr eine Ikone brachte, auf welcher der heilige Erzengel Michail abgebildet war, erkannte sie in ihm den wunderbaren Boten und gewann die Sprache zurück. In Erwartung ihres baldigen Endes traf Jewdokia Anstalten, um die Nonnenweihe zu empfangen. An jenem Tage, da sie sich in das Christi – Himmelfahrts - Kloster zur Nonnenweihe begab und sie das Volk umringte, wurden dreißig Menschen auf wundersame Weise von ihrem Siechtum geheilt. In der Legende wird insbesondere die Genesung eines Blinden geschildert: Jewdokia ließ ihm einen Ärmel ihres Gewandes auf die Hände gleiten, er legte ihn an seine Augen - und wurde sehend... Nachdem Jewdokia ihr frommes und gottgefälliges Leben vollendet hatte, ging sie am 7. Juni 1400 in die Ewigkeit ein. Nach ihrem Tode entzündete sich an ihrem Sarg auf wunderbare Weise eine Kerze, und dank den Gebeten der Fürstin ist in dem von ihr gegründeten Kloster alles wohlbestellt" - endet die Legende.

5. Die rechtgläubige Fürstin Anna von Kaschin

In der undurchdringlichen Finsternis des ersten Jahrhunderts des Tatarenjochs leuchtet die Gestalt der rechtgläubigen Fürstin Anna von Kaschin. Kanonisiert zur Regierungszeit von Alexej Michailowitsch Unter dem Patriarchen Iosif (1652) und 27 Jahre später während der Zarenherrschaft von Feodor Alexejewitsch unter dem Patriarchen Ioakim (1690) aus den Reihen der russischen Heiligen wieder entfernt, wurde die rechtgläubige Fürstin Anna nach 230 Jahren 1909 während der Regierung von Nikolaus II. erneut als eine Heilige anerkannt. Sie ist für die Nachkommen ein erstrebenswertes Vorbild. Anna hatte in ihrem Leben sehr vieles erdulden müssen und hat dann endlich, wie es in der Alten Rus gewöhnlich der Fall war, hinter den Klostermauern ihre Ruhe in Gott gefunden. Anna hatte die Nonnenweihe wahrscheinlich zwischen 1330 und 1336 empfangen. Das waren verhältnismäßig friedliche Jahre, für Anna hingegen, die einen Sohn verloren hatte, eine Zeit der schlimmsten Leiden.

Ihre anderen Söhne - Konstantin und Wassili - hatten bereits eigene Familien und bedurften schon nicht mehr ihrer Vormundschaft. Ihr ganzes vorheriges Leben hatte Anna auf ihr Nonnendasein vorbereitet. Das heimatliche Rostow hatte sie in Glauben und Frömmigkeit erzogen, sie gelehrt, sich dem Willen Gottes zu fügen, d. h. ihr irdisches Dasein als ein Geschenk des Himmels aufzufassen. Und diesen Gottesgehorsam hat sie sich bis an ihr Lebensende bewahrt. Ohne diesen festen Glauben und die unendliche weibliche Geduld hätte sie wohl kaum ihr hoffnungsloses und kummervolles Leben ertragen können. Schon in ihrer Witwenzeit hatte sich Anna als rechtgläubige Fürstin offenbart. Sie hielt sich streng an die kirchlichen Vorschriften, fastete und betete, war wohltätig gegenüber Armen, Waisen und Witwen, überdies sehr gastfreundlich und stand allen Hilflosen bei. Aber es ist ein Unterschied, ob man in der Welt als verwitwete Großfürstin lebt, oder aber "seine Gebete stumm zu Gott emporsendet", beides läßt sich kaum verbinden. Man kann nicht mit dem einen Auge zum Himmel hinauf- und mit dem anderen zur Erde hinunterblicken. "Die Versuchungen der Zeit verdüstern das innere Auge und blenden kluge Gedanken...". Aufgrund dieser Überlegungen kommt Anna zu dem Entschluß, die Familie und den Fürstenhof zu verlassen, den sie umgehend ausführt. Ihr Leben im Sophienkloster zu Twer zeichnet sich durch besondere Demut, Sanftmütigkeit und gehorsames Dienen aus. So bleibt es auch im Kloster zu Kaschin, wohin sie auf das inständige Drängen ihres Sohnes Wasili übersiedelte, weil sie darin den Willen Gottes ersah. "Das Fleisch hat sich dem Geist unterworfen, und Christus hat an ihrer reinen Schönheit Gefallen gefunden und ihren Körper unverwest erhalten, wovon wir uns heute mit eigenen Augen überzeugen können", stellt der Verfasser einer Vite fest. Nach den einen Quellen soll die leidgeprüfte rechtgläubige Fürstin Anna im Jahre 1338 das Zeitliche gesegnet haben, anderen Quellen zufolge soll das 1368 geschehen sein, nachdem sie als Schimanonne wieder ihren Namen "Anna" angenommen hatte.

Außergewöhnlich ist das irdische Los der Anna nicht gewesen, denn viele andere "rechtgläubige Fürstinnen" hatten Ähnliches erdulden müssen: auch ihnen waren der Gatte, die Söhne weggestorben... Ungewöhnlich war aber wohl, wie Anna all ihren Kummer ertragen hat. Dieses Geheimnis ihrer Seele, verflochten mit einem unnachahmlichen Menschenschicksal, hat denn wohl auch der Gestalt der ehrwürdigen Anna, einer besonderen historischen Gestalt, das Gepräge gegeben. Nichts hatte bei ihrem Tode darauf hingedeutet, daß Anna dereinst aus der Reihe der "rechtgläubigen Fürstinnen" der Mongolenepoche hervortreten und in der Russischen Kirche erstrahlen werde. Hätte man sie in Kaschin von einem Jahrhundert zum anderen weiter verehrt, wie es mit ihrem Gemahl, Fürst Michail, in Twer geschah, so hätte ihre Glorifizierung nach 230 Jahren lediglich ihre bereits lokale Verehrung noch mehr verfestigt. Aber es kam anders. Das Andenken an Anna erlosch zusammen mit dem Geschlecht der Kaschiner Fürsten, deren Namen sich nur noch in den Chroniken erhalten haben. Die Tatsache, daß die rechtgläubige Fürstin Anna in Vergessenheit geriet und man sich zu ihren Reliquien achtlos verhielt, bewirkte jedoch das Wunder ihrer kirchlichen Auferstehung...

Die Hagiographie mag sich auch noch so bemühen, das Leben von Heiligen haargenau zu beschreiben, dennoch wird immer "etwas" bleiben, was sich nicht erforschen läßt, das ist das Phänomen an sich, weshalb in der Kirche ein Heiliger erscheint. Und nur durch die Göttliche Vorsehung ist es wohl zu erklären, daß Anna 280 Jahre nach ihrem Tode verherrlicht wurde.

Geschichtlich betrachtet, hatte es dafür, daß man sich auf die Fürstin Anna von neuem besann, einen wunderbaren Anlaß gegeben. In der Zeit der Wirren, da die Polen und die Litauer russische Städte plünderten und niederbrannten, waren die Feinde dreimal auch bis nach Kaschin vorgedrungen, zogen aber jedes Mal wieder ab, ohne der Stadt etwas zuleide getan zu haben. In der gleichen Zeit brach in Kaschin eines Tages ein Großfeuer aus, das aber bald wieder erlosch und in der Stadt keinen Schaden anrichtete. Da begannen sich die Einwohner unwillkürlich zu überlegen, ob sie nicht irgendeine wunderbare Kraft beschirme? Und da trug sich etwas sehr Rätselhaftes zu...

Dem schwerkranken Kirchendiener der Mariä - Entschlafens - Kirche, Gerassim, erschien im Jahre 1611 im Traum eine Frau im Gewand einer Schimanonne, die sich Anna nannte und ihm Genesung versprach, doch dabei sagte sie: "...meine Grabstätte wird vom Volke überhaupt nicht geehrt, ihr haltet sie für eine ganz gewöhnliche, und mich verachtet ihr... Wisset ihr denn nicht, daß ich den Allgnädigen Gott und die Gottesmutter anflehe, daß eure Stadt nicht den Feinden in die Hände falle, und ich euch vor vielen Übeln und Mißgeschicken behüte?"

Dieser geheimnisvolle Traum und die wunderbare Genesung des Kirchendieners Gerassim ließen das Grab der Anna zu einem Heiligtum von Kaschin werden. Und in den ersten Regierungsjahren von Alexej Michailowitsch wurde die rechtgläubige Fürstin Anna von der ganzen Russischen Kirche verherrlicht. Am 12. Juni 1650 wurden die Reliquien der rechtgläubigen Anna von Kaschin umgebettet. In der ganzen Geschichte der Russischen Kirche ist keiner Heiligen ein solch glänzendes Zeremoniell zuteil geworden. Seine Schilderung hat sich in Schloßarchiven jener Epoche erhalten. Und auf einmal wurden die kanonischen Grundlagen für die Verehrung der rechtgläubigen Fürstin Anna, die 30 Jahre lang keine Einwände erregt hatten, angezweifelt...

Die in der zweiten Hälfte des 17. Jh. unter Patriarch Nikon begonnene Kirchenspaltung artete in eine grimmige Feindschaft aus, und auch die Zeit vermag die Erinnerung daran nicht immer auszulöschen. Im Kampf gegen die Spaltung tritt die Gestalt des Patriarchen Ioakim - eines Verfechters schonungsloser Maßnahmen - in den Vordergrund. Gerade während seiner Amtszeit (1674-1690) wurde die rechtgläubige Fürstin Anna als Heilige ausgestrichen. Es kamen Gerüchte in Umlauf, daß die rechtgläubige Fürstin Anna von Kaschin, eine verherrlichte Wundertäterin, deren sterblichen Überreste einst Zar Alexej Michailowitsch selbst auf seinen Schultern getragen hatte, für welche die Zarin und eine Zarentochter, ohne ihre Augen zu schonen, kostbare Sargdecken bestickt hatten, für die man von den Geldern der Zarenkasse eine Kirche erbaut hatte, für die Andachten abgehalten und Ikonen gemalt werden, daß diese Heilige in ihrem Sarg mit derart gefalteten Händen daliege, daß man annehmen könne, sie schreibe den russischen Menschen vor, wie sie sich zu bekreuzigen haben. Von dem Patriarchen Ioakim und den Vätern der Konzile 1677-1678 wurde die Heiligkeit der Anna offenkundig nicht angezweifelt, da sie aber keine Verwirrung im Volke wünschten, ordneten sie an, die Gottesdienste und Andachten für die Heilige hätten solange zu unterbleiben, "bis der Herr seine Zustimmung dafür kundtue". Somit wurde der rechtgläubigen Fürstin Anna ihr Nimbus genommen, und das war gleichfalls eine Episode des Auftretens gegen die Spaltung.

Die gläubigen russischen Menschen bewahrten der rechtgläubigen Fürstin jedoch ein treues Angedenken und verehrten ihre liebe Heilige von Kaschin weiterhin, und auch am Schrein der "Rechtgläubigen Anna" vollzogen sich immer wieder von neuem Wunder. So nannte sich nämlich die heilige Nonne, wenn sie kranken und leiden den Menschen gewöhnlich im Traum erschien. Im Laufe des ganzen 19. Jh. hatten sich die Einwohner von Kaschin dafür eingesetzt, daß die rechtgläubige Fürstin von der ganzen Kirche wiederum verehrt würde. Und am 12. Juni1909 war es dann endlich soweit - der Heiligen wurde ihr kirchlicher Ruhm zurückerstattet. In die bunte Girlande der Kirchenfeiern der Jahre 1907-1916 sind drei Blumen des kirchlichen Ruhmes dreier russischer Frauen mit eingeflochten, das sind die rechtgläubige Fürstin Jewdokia (als Nonne - Jefrosinija), Gemahlin des hl. Dmitri Donskoi, die rechtgläubige Fürstentochter Jefrossinija von Polozk und die rechtgläubige Fürstin Anna von Kaschin.

Die Kirchenfeier von Kaschin ist auch für die heutige Zeit lehrreich. Da haben wir die traurige Epoche des Tatarenjochs vor uns. In ihrem Mittelpunkt befindet sich die Familie der heiligen rechtgläubigen Fürstin Anna, die infolge des grimmigen Despotismus der Tataren in verschiedene Richtungen verstreut wurde, Mord in der Goldenen Horde, Fehden in den eigenen Landen - wo ist ein Lichtblick in diesem undurchdringlichen Dunkel, wo der Lebensnerv, der die zerschlagenen Teile Rußlands zu einem Ganzen zusammenfügt, der den Sinn des Lebens offenbart, wo nach rein menschlichem Ermessen doch schon alles verloren ist? Nur allein das Christuskreuz leuchtet der Seele des Volkes und jedes einzelnen Menschen, zeigt auf, was die Leiden für einen Sinn hatten, flößt Hoffnung in die Zukunft ein und verleiht die Kraft, um den bitteren Kelch des Lebens bis zur Neige zu leeren. Das Kreuz und die Kirche - das ist das wegweisende Feuer, das unsere "Heilige Rus" auch bei den heutigen Mißgeschicken wärmt und tröstet...

In den unruhevollen Jahren des Krieges und in der ersten Zeit nach der Revolution blieb die Grabstätte der Anna weiterhin ein unantastbares Heiligtum. Die Gestalt der rechtgläubigen Fürstin wurde den russischen Menschen sogar noch vertrauter - man erinnerte sich daran, auch sie hatte ja ihren Gatten und die Söhne ins Ungewisse begleitet, sie beerdigt und beweint, hatte ebenfalls fliehen und sich verbergen müssen, als man ihre Heimstatt in Twer in Schutt und Asche legte. Danach hatte sie ein Leben in Armut gefristet und dem verschreckten Volk Trost gespendet... Auch als die Anfeindungen gegen die Kirche einsetzten, wurde sie in verschiedenen Gegenden Rußlands weiterhin verehrt - die Heilige konnte doch "ihre Menschen" nicht im Stich lassen, nur weil man ihre Reliquien fortgetragen und die Kirche geschlossen hatte.. Der rechtgläubige Fürst Michail von Twer und die rechtgläubige Fürstin Anna sind zwei helle Leuchten der Lande von Twer. Die religiöse Mission eines jeden von ihnen ist mit dem russischen Leben auf verschiedene Weise verknüpft, und sie werden auch einzeln und gesondert verehrt: die Reliquien Michails sind für immer ein Heiligtum von Twer und die der rechtgläubigen Anna - ein Heiligtum von Kaschin geblieben. Fürst Michail von Twer hat den Russischen Landen ein Beispiel der "christlichen" Macht geliefert, die in religiös - moralischer Hinsicht für das Volk und gegenüber dem Volk verantwortlich ist.

Die rechtgläubige Anna hat die Gestalt der heiligen Frau geprägt: eine widerspruchslose Befolgung des Willen Gottes und eine demutsvolle, opferbereite Liebe - das sind die typischen Charakterzüge der russischen rechtschaffenen Frau. Ob von der russischen Kirche anerkannt oder nicht, niemals hat sie "ihr Volk" im Stich gelassen- Die rechtgläubige Anna ist von dem religiösen "Frühling" unter Alexej Michailowitsch, von der Kirchenspaltung, von der Geschichte des frommen Kaschin nicht zu trennen; sie ist auch mit der Regierung von Nikolaus II., dem letzten Russischen Kaiser, der ihr den kirchlichen Ruhm zurückerstattete, und auch mit der Revolution verbunden, deren Auswirkungen auch sie nicht entgangen ist...

6. Nachwort

Die Heiligen leuchten nicht nur, sie leben auch geistig im Volke fort, sie begleiten es auf allen seinen Wegen, sind ihm behilflich, das Kreuz der Geschichte zu tragen, d. h. ungeachtet der ihm entgegenwirkenden Kräfte seine Mission zu erfüllen. Wenn der reinen Dichtkunst eine gewisse übersinnliche Wahrnehmungskraft gegeben ist, wenn sie instinktiv mit den Lebensgeheimnissen in Berührung kommt, so spürt sie untrüglich, daß die Heiligen vom Volk nicht zu trennen sind und die Legende von den russischen Heiligen, die ihren nicht mehr vergoldeten Grabstätten, den bestickten Sargdecken und den kostbaren Gewändern entstiegen und ins Volk gegangen sind, die Vorsehung in sich birgt, daß es von neuem eine russische Heiligkeit geben wird... 

Jahr:
1990
Herausgegeben:
Orthodoxes Leseheft 1990 8