Predigt von S. E. Erzbischof Mark am 27.1./ 9.2. 1997 zum Patronats-Fest der Kathedral-Kirche, zu Ehren und im Gedenken an die Hll. Neomärtyrer und Bekenner Russlands (Röm 8, 28-39. Lk 21, 8-19)

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes!
Liebe Brüder und Schwestern!
Die Heiligen Neomärtyrer und Bekenner von Rußland ließen sich bei ihrem großen Opfer nicht allein vom Glauben leiten, denn dies wäre nicht genügend gewesen für das, was sie vollbrachten. Vielmehr ließen sie sich von der Liebe leiten, von vollkommenster Liebe zu Gott. Wir hörten heute die Worte des Heiligen Apostels Paulus: “Wir wissen, daß Gott bei denen, die Ihn lieben, alles zum Guten wendet.” Die Heiligen Neumärtyrer und Bekenner Rußlands widersetzten sich und widerstanden dem Fürsten dieser Welt. Sie begriffen sehr wohl, daß er nach dem Wort des Heiligen Makarius von Ägypten - “ein Stab zur Belehrung und eine Geißel ist, mit denen jenen, deren Verstand kindhaft geblieben ist, schmerzhafte Hiebe zugefügt werden”. - Wie sollen wir diese Worte des asketischen Einsiedlers verstehen, eines der großen Väter unserer Kirche? Durch Leiden und Versuchungen bereitet der Fürst dieser Welt entgegen seinem Willen, doch nach dem Willen Gottes, uns allen großen Ruhm und Ehre. Der Böse vermag mit seinen bösen Absichten dem Guten beizusteuern und mitzuwirken. Für gute Seelen oder solche, die zumindest gute Absichten besitzen, wird das, was leidvoll erscheint zum Guten gewendet. In Abhängigkeit von der inneren Einstellung oder den äußeren Umständen, dienen den Menschen unterschiedliche Dinge als Hindernis oder aber als Hilfsmittel zum Seelenheil. Doch zuweilen geschieht es, daß auch gegen unseren Willen, Gott uns allen die Möglichkeit gewährt, gerettet zu werden. Für die Trägen, für die Kleingläubigen, für die in der Zuversicht gegenüber Gott nicht Gefestigten, dienen als Hindernis zum ewigen Leben: die Leiden, Schwierigkeiten, Krankheiten, Armut und Ruhmlosigkeit. Für andere wiederum, wirkt als Hindernis das Gegenteil, Reichtum, Gesundheit, Ruhm und Wohlergehen. Allein für den verständigen und gläubigen Menschen dient dies alles, das eine, wie das andere als Hilfsmittel zum Erlangen des Himmelreiches.
Woher sollen wir Kraft schöpfen hierfür? Die Kraft für eine derartige Hoffnung und Zuversicht finden wir im Aufgeben von allem Weltlichen und im Streben nach der Liebe zu Gott allein. Es heißt ja: “Bei denen, die Ihn lieben, wendet Gott alles zum Guten.” Wenn es dem, der Gott liebt, an Bescheidenheit und Vernunft mangelt, dann wird er selbst die Gnade unrichtig und in falscher Weise aufnehmen. Der Feind unseres Heils weiß durch List, die uns von Gott geschenkte Seelenruhe in ein Hindernis für unser Seelenheil zu verwandeln. Einem so beraubten Menschen scheint es, als ob in ihm die Gnade Gottes wirkt, und aus Mangel an Erfahrung oder aus Nachlässigkeit läßt er eine Schwächung seiner seelischen Anspannung zu. Er vergißt dabei, daß der Mensch allein im Zustand der Angespanntheit eine gleichmäßige, ausgewogene Einstellung zu seinem Schöpfer behalten kann. Gott wünscht, daß man Ihm nicht aus Angst dient und nicht einmal um des Himmelreiches willen, sondern allein aus Liebe. Er wünscht, daß wir erkennen, daß unser Dienst an Gott die natürliche Ordnung der Dinge darstellt. Denn Knechte sind ja verpflichtet, ihrem Schöpfer und Herrn zu dienen. Daher führt Gott die Seelen in Versuchung, sowohl durch Leiden und Entbehrungen, als auch durch Ruhe und Frieden; um zu prüfen, wer seine Liebe zu Ihm auf Eigennutz baut, auf dem Bestreben, das Himmelreich zu gewinnen, und wer wiederum Ihn allein als verehrungswürdig betrachtet.
Eine Seele, die Gott wahrhaftig, aufrichtig liebt, wird durch göttliche Gnade überschattet, von der Gabe des Heiligen Geistes, Der uns heilt von den sündhaften Leidenschaften, in denen wir uns als Folge des Sündenfalls befinden. Er befreit unsere Seele von der Todesstarre der Sünde. Wenn der Mensch durch Bescheidenheit und Sanftmut seine Seele von fremder Last befreit, dann zieht die Gnade des Heiligen Geistes in das Innere seines Verstandes ein. Der Herr Selbst verwandelt Sich gleichsam zur Seele einses solchen Menschen. Der Apostel sagt darüber: “Wer sich an den Herrn bindet, ist ein Geist mit Ihm”(1.Kor. 6,17). Eine solch große Liebe schenkt der Herr dem Menschen, der durch seine Sünden erniedrigt wurde. Der Herr Selbst betet darum: “Alle sollen eins sein, wie Du Vater in Mir bist und Ich in Dir bin, sollen auch sie in Uns eins sein.” (Jo. 17,21-22). Eine Seele, die Gott liebt, gibt sich auf und liefert sich der Kraft des guten Geistes aus, damit Er in die Seele einziehe und dort herrsche. In einem solchen Zustand können wir wahrhaftig ausrufen: “Was kann uns scheiden von der Liebe Gottes” (Röm. 8, 35), wenn die Seele tatsächlich in Einheit mit dem Heiligen Geist ist!” Eine freiwillige, aus freien Stücken angenommene Knechtschaft in bezug auf unseren himmlischen Schöpfer, führt uns in den Zustand wahrer Freiheit, in ungeahnte Weiten und macht uns zu Teilhabern am göttlichen Ruhm und an der göttlichen Herrlichkeit. Als Leitsterne dienen uns, liebe Brüder und Schwestern, hier die Heiligen Neumärtyrer. Sie sind unsere Wegweiser, sie ließen sich wahrhaftig hinschlachten wie “Schafe, die man zur Schlachtbank führt.” Weder Bedrängnis, noch Not, noch Verfolgung, noch Hunger, noch Kälte, noch Gefahr oder Schwert, vermochten sie zu scheiden von der Liebe Gottes. Unsere Liebe, liebe Brüder und Schwestern, zu den Neumärtyrern und Bekennern Rußlands führt uns zu dem Einen, unserem gemeinsamen Vater. Wenn wir mit ihnen eins sein werden, mit den Neumärtyrern und Bekennern Rußands, denen unsere Kirche geweiht ist, dann werden wir auch mit unserem himmlischen Vater eins sein. Wenn uns die Möglichkeit nicht geschenkt wird, unser Leben in körperlichem, physischem Sinne, für den Herrn hinzugeben, wie sie die Möglichkeit hatten, so ist uns doch für alle Zeiten das rettungbringende Gebot gegeben: “wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen” (Lk 21, 19). Amen.