Homilie zum Fest der Verkündigung Mariens und zum Lichten Montag der Auferstehung Christi Diese Predigt stammt von 1706, einem Jahr, in dem die beiden Feste zusammenfielen
“Christus ist von den Toten erstanden”
“Das Wort ist Fleisch geworden und hat bei uns gewohnt” (Jh 1,14)
Liebe Zuhörer! Heute feiern wir zwei lichtvolle Feste gleichzeitig an einem Tag: die Auferstehung Christi und die Verkündigung der Allerheiligsten Gottesmutter - zwei lichte Feste, übereinstimmend und verschiedenartig zugleich: verschieden sind sie ihrem Namen nach und übereinstimmend durch ihre Kraft, verschieden in ihrer Wirkung und übereinstimmend durch ihr Mysterium, verschieden dem Zeitpunkt nach und übereinstimmend in ihrer Heilsvermittlung. Sie unterscheiden sich durch den Kirchengesang, aber gleich sind sie durch die Freude, die sie uns schenken, denn an beiden Feiertagen ruft die heilige Kirche ihre Kinder zum Frohlocken auf. Bei der Verkündigung singt sie: “Verkünde, o Erde, große Freude, preiset ihr Himmel Gottes Ehre”; bei der Auferstehung jubelt sie: “Dies ist der Tag, den der Herr schuf, freuen und ergötzen wir uns an ihm”.
Wißt ihr, meine Geliebten, wie man das heutige doppelte Fest mit einem Wort bezeichnen könnte? Jeder kann es nennen, wie er mag, ich aber möchte es als “Gürtel” bezeichnen, mit dem sich jetzt die Braut Christi, die heilige Kirche, umgürtet. Wie ein Gürtel zwei weit auseinander liegende Enden hat, die jedoch, wenn er anlegt wird, an einem Ort zusammenkommen und eine Einheit bilden, so gibt es auch in dem Mysterium unserer Erlösung sozusagen zwei “Enden”, d.h. zwei Feste: die Verkündigung und die Auferstehung. Bei der Verkündigung wird der Grundstein zu unserer Rettung gelegt, wie es in dem Tropar heißt: “Heute ist der Anfang unserer Erlösung und die Offenbarung des Geheimnisses von Ewigkeit her”, bei der Auferstehung wird unsere Erlösung vollendet, wie Christus am Kreuz ausrief: “Es ist vollbracht” (Jh 19, 30). Lang ist dieser Gürtel (ich meine das Mysterium unserer Erlösung), denn von seinem einen Ende bis zu seinem anderen vergingen 34 Jahre. Als die Braut Christi, die heilige Kirche, die durch Sein Blut losgekauft wurde, sich mit diesem “Gürtel des Heils” umgürtete, trafen beide Feste, die Verkündigung und die Auferstehung, der Anfang unserer Erlösung und ihre Vollendung, an einem Ort, in einer Gemeinschaft zusammen; denn nachdem Er gelitten hatte, erstand von den Toten Jener, Welcher Sich zuvor im Schoß der Allreinen Jungfrau verkörpert hatte, Er nahm menschliche Gestalt an, um von den Toten aufzuerstehen. Und wir, die wir diese beiden Ereignisse in einem feiern, jubeln: “Christus erstand von den Toten” und “Das Wort wurde Fleisch”.
Die Verschiedenheit der kirchlichen Gesänge der beiden Feste wird durch die Kapitel bei Markus, die im Typikon vorgeschrieben sind, in Harmonie gebracht. Ich möchte jedoch nun, meine Lieben, versuchen, die Wirkung dieser zwei Feste in Übereinstimmung zu bringen und zu erklären, wie die Verkündigung der Allreinen Gottesgebärerin und die Auferstehung Christi weitgehend in ihrer Wirkung übereinstimmen.
Nicht nur in diesem Jahr 1706 fällt das Fest der Auferstehung Christi am Lichten Montag mit der Verkündigung der Allreinen Gottesgebärerin zusammen: man kann sagen, daß in keinem Jahr die Auferstehung Christi ohne die Verkündigung gefeiert wird, denn jedes Jahr, wenn wir Ostern feiern, wird am ersten Tag, dem Ostersonntag im Evangelium durch folgende Stelle auch auf die Verkündigung hingewiesen: “Und das Wort ward Fleisch”. Was sagen euch diese Worte? Deuten sie nicht auf die Verkündigung hin, in der laut dem Zeugnis des Erzengels das Wort Gottes durch die Überschattung des Heiligen Geistes im Schoß der Allerreinsten Jungfrau Maria Wohnung nahm und somit “das Wort Fleisch ward”? Begreift ihr nun, daß es niemals Auferstehung ohne die Fleischwerdung geben kann? Wollen wir nun die Harmonie in der Wirkung der beiden Feste betrachten und dabei mit der Verkündigung beginnen, weil sie den Anfang unseres Heils darstellt, und wenden wir uns dann der Auferstehung zu, die der vollkommene Abschluß unserer Erlösung ist.
Bei der Verkündigung der Allerreinsten Gottesgebärerin verkörperte Sich das Wort Gottes durch das Wohlwollen Gott Vaters, durch die Überschattung und und Wirkung des Heiligen Geistes und durch das Einverständnis des Wortes Selbst. Ebenso geschah die Auferstehung Christi von den Toten durch das Wohlwollen und Wirken Gott Vaters zusammen mit dem Heiligen Geist und mit der Zustimmung Christi Selbst. Als der Hl. Petrus den Gelähmten am Tempeltor heilte, sprach er zu dem Hohenpriester und den jüdischen Vorstehern: “....so sei euch allen und dem ganzen Volk Israel kund: im Namen Jesu Christi von Nazareth, den ihr gekreuzigt, Den Gott aber vom Tode auferweckt hat, durch Ihn steht dieser gesund vor euch” (Apg 4, 10). Durch die Worte “Den Gott vom Tode auferweckt hat” zeigt der Apostel deutlich, daß Christus durch das Wohlwollen Gott Vaters unter Mitwirkung des Heiligen Geistes gemäß den Worten bei Ezekiel “und der Geist kam in mich und stellte mich auf die Füße” (Ez 3, 24) auferstand, und zwar mit Seiner eigenen Zustimmung, als eines dazu Bemächtigten, denn Er Selbst spricht: “Ich habe Macht, Mein Leben hinzugeben und habe Macht, es wieder zu nehmen” (Jh 10, 18). So wie Er am Kreuze sterbend Seinen Geist Seinem Vater anbefahl und sprach: “Vater, in Deine Hände lege Ich Meinen Geist”, so empfing Er auch, als er aus dem Grab und von den Toten auferstand, Seinen Geist aus den Händen des Vaters.
Bei der Verkündigung war der Erzengel Gabriel der Ausführende des Wunders: “Der Erzengel wurde vom Himmel gesandt, um zur Jungfrau zu sprechen: Sei gegrüßt”; und ebenso dienten auch bei der Auferstehung Christi die Engel: “Ein Engel des Herrn kam herab vom Himmel und wälzte den Stein weg”; und danach erschienen noch zwei Engel im Grab. Dem Engel, der zur Gottesgebärerin kam und ihr die Auferstehung Christi verkündete, lobsingt die Kirche: “Der Engel rief der Gesegneten zu: Du reine Jungfrau, frohlocke, Dein Sohn erstand nach drei Tagen von den Toten”.
Bei der Verkündigung beteuerte die Jungfrau dem Engel ihre keusche Unschuld, das Unbeteiligtsein des Mannes und das Fehlen einer physischen Ehe mit den Worten: “Wie soll das zugehen, da ich von keinem Manne weiß?” (Lk 1, 34). Ähnlich bezeugt auch bei den der Auferstehung vorangehenden Leiden des Herrn Pilatus die Unschuld Jesu: “Ich finde keine Schuld an diesem Menschen, er ist des Todes unschuldig” (Jh 19, 6).
Bei der Verkündigung sehen wir die Einwilligung der Allreinen Jungfrau in den Willen des Herrn, als sie dem Engel antwortete: “Siehe ich bin des Herrn Magd, mir geschehe nach deinem Worte! “(Lk 1, 38). Ebenso erfolgte auch bei der Annahme des Kelches der Leiden, die zur Auferstehung führen sollten, die Einwilligung Christi, denn Er sprach zum Vater: “Wenn es Dein Wille ist, so trinke Ich” (Mt 26, 42).
Bei der Verkündigung umkleidete Sich das Wort Gottes, Das Eingeborene Wort des Vaters mit menschlichem Fleisch, wie das Evangelium bekundet: “Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns” (Jh 1, 14); bei der Auferstehung umkleidete Sich das Wort mit der Göttlichkeit, “Es regiert der Herr, mit Herrlichkeit hat Er sich umhüllt”, mit der göttlichen “Herrlichkeit”, denn Christus litt wie ein Mensch, aber Er stand auf mit Glorie wie Gott, wovon Sein geliebter Jünger, der Evangelist Johannes zeugt: “Wir schauten Seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit, wie sie der Einzige Sohn von Seinem Vater hat, voll Gnade und Wahrheit” (Jh 1, 14).
In der Verkündigung war Christus zu anfangs allein Seiner Mutter bekannt, in deren Schoß Er sich verkörpert hatte, Er war ihr bekannt, noch ehe Ihn die Prophetin Elisabeth, die Johannes in ihrem Schoß trug, der zweifelnde Joseph und andere erkannten. Ähnlich auch bei der Auferstehung, wo Christus, Der vom Grab erstanden war, vor allen anderen von der Allreinen Jungfrau erschaut wurde, denn nach Seiner Auferstehung erschien Er zu allererst Seiner hochgesegneten Mutter - gemäß dem Zeugnis des Hl. Ambrosius, was die Kirche auch in alten Triodien im Apodypnon-Kanon des Karsamstages, bestätigt.
Nach der Verkündigung wurde der Allheiligen Gottesgebärerin Schmach und Schande zuteil, denn Joseph, in dem ein Sturm unwahrer Gedanken und Verdächtigungen tobte, schmähte sie und sprach: “Maria, was ist dies, was ich da in dir sehe? Statt Ehre bringst du mir Schande, statt Freude Gram, statt Ruhm hast mir Vorwürfe eingebracht”. Auch der Auferstehung Christi ging Schmach und Schande voran, als der Herr “den Verbrechern zugerechnet” und “zwischen zwei Räubern gekreuzigt” am Kreuze hing.
Beide Feste sind vom Martyrium gekennzeichnet. Wie Christus am Kreuze der Märtyrer hing, so war es auch für die Allreine und keusche Jungfrau Maria in Wahrheit ein Martyrium, unschuldig die Schmähung von Joseph und von anderen den Verdacht auf Gesetzesbruch, als ob sie mit einem Manne zusammengekommen wäre, zu ertragen. Aber bei beiden verwandelte sich die Schmach in Glorie, denn so wie Christus nach den Leiden zu Seiner Herrlichkeit aufstieg, wird auch die Allreine Gottesmutter, die anfänglich Schmach erlitten hatte, später als “herrlicher als die Cherubim und ruhmreicher als die Seraphim” gepriesen.
Bei der Verkündigung ging Christus eine Gemeinschaft mit der menschlichen Natur ein, bei der Auferstehung verherrlichte Er sie, indem Er das Verwesliche in Unverweslichkeit, das Sterbliche in Unsterblichkeit kleidete.
Bei der Verkündigung zertrat die Allreine Jungfrau der Schlange den Kopf und überwand das Gift der Ursünde, bei der Auferstehung vernichtete ihr Sohn, unser Herr, die Hölle, indem Er den Teufel besiegte und sein Königtum zerstörte.
Bei der Verkündigung wurde der sündige Tod gebändigt, bei der Auferstehung wurde auch der körperliche Tod niedergetreten: “Unser Herr hat durch den Tod den Tod überwunden, und denen im Grabe das Leben geschenkt”.
Bei der Verkündigung wurde die Höhle vorausbestimmt, in der Christus geboren werden sollte, und Denselben Christus, Der von den Toten auferstehen sollte, empfing wiederum die Grabeshöhle: wie es bei der Geburt eine Höhle gab, so auch bei der Auferstehung.
Bei der Verkündigung wurde die Jungfräulichkeit der allreinen Gottesmutter unversehrt erhalten, unversehrt blieben auch die Grabessiegel bei der Auferstehung. Der Herr ging aus dem versiegelten Grab ebenso hervor, wie Er von der “in Reinheit geprägten und in Jungfräulichkeit wandelnden” Theotokos geboren wurde.
Bei der Menschwerdung war Christus wie ein makelloses Lamm, das im Schoß Mariens weidete, bei der Auferstehung wuchs dieses Lamm zu einem mächtigen Löwen heran: “Siehe, überwunden hat der Löwe aus dem Stamm Juda” (Apk 5,5); und triumphierend spricht Er zu den Seinigen: “Seid getrost, Ich habe die Welt überwunden” (Jh 16, 33).
Nach der Verkündigung “zog Maria in das Bergland”, nach der Auferstehung begab Sich Christus nach Galilea auf einen Berg, wohin Er auch Seinen Jüngern zu kommen befahl: “Aber gehet hin, saget Seinen Jüngern und dem Petrus: Er geht euch voran nach Galilea” (Mk 16, 7).
Bei der Verkündigung jubelte die Allerreinste Jungfrau, erfüllt von großer Freude: “Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist frohlockt über Gott, meinen Heiland” (Lk 1, 46-47) - Ihren Jubel bei der Auferstehung Ihres Sohnes und Gottes aber - wer könnte diesen wiedergeben? Von welcher Freude muß Sie erfüllt gewesen sein, als Sie Denjenigen lebend sah, über Dessen Tod Sie so untröstlich geweint hatte. Die mit ihr jubelnde Heilige Kirche singt in der Erinnerung an ihre Freude: “Frohlocke, du Reine Gottesgebärerin über die Auferstehung des von Dir Geborenen”.
Begreift ihr nun, meine lieben Zuhörer, daß die Verkündigung der Allerreinsten Jungfrau und Gottesgebärerin und die Auferstehung Christi sehr viel Übereinstimmendes haben, und daher ist es ganz in Ordnung, wenn das Fest der Verkündigung diesmal mit dem Fest der Auferstehung Christi zusammenfällt.
So wollen wir feiern, erfüllt von einer zweifachen geistigen Freude: es möge unsere Seele den Herrn preisen, und unser Geist sich über Gott, unseren Heiland, Der am dritten Tag von den Toten erstand, freuen. Jauchzen möge unsere Seele auch unserer Herrin, der allreinen Jungfrau Maria, durch die uns das Heil geschenkt wurde, denn “durch die Gottesgebärerin errettete Christus, unser Gott die Welt”.
Christus, unserem Erlöser und Herrn, der in den Allreinen jungfräulichen Schoß eingegangen ist und unversehrt aus ihm geboren wurde, Der um unseres Heils willen gelitten hat und vom Grab auferstanden ist, gebührt, zusammen mit Seiner Allbesungenen Gottesmutter, von uns Seinen Knechten, Ehre, Ruhm, Dank und Anbetung jetzt und immerdar, und in alle Ewigkeit!
Das ist aber noch nicht das Ende meiner Predigt, ich möchte noch etwas zum Wohl der einfachen Leute sagen. Meine bisherigen Ausführungen waren eher für die des Lesens Kundigen gemeint, aber auch die dessen Unkundigen will ich nicht leer ausgehen lassen.
Wißt ihr, meine Lieben, was uns diese beiden Feste lehren - die gestern gefeierte Auferstehung Christi und das heutige Fest der Verkündigung der Allerreinsten Gottesgebärerin? Sie lehren uns, daß wir vom toten Leben zu einem tugendsamen Leben auferstehen sollen, daß wir uns mit Gott in so fester und unzertrennbarer Gemeinschaft verbinden sollen, wie Sich Gott, das Wort, mit dem Fleisch menschlicher Existenz im Schoß der Allreinen Jungfrau verband.
Die Auferstehung Christi lehrt uns, vom seelischen Tod zum tugendreichen Leben aufzuerstehen, gemäß dem Wort des Apostels: “denn wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt worden ist, so wandeln auch wir in einem neuen Leben” (Röm 6, 4).
Wißt ihr, was seelischer Tod bedeutet? Der Tod der Seele - das ist eine schwere, eine tödliche Sünde, für welche der Mensch ewig in der Hölle gequält wird. Warum wird nun eine schwere Sünde zum Tod für die Seele? Weil sie die Seele Gottes verlustig gehen läßt, durch Den sie alleine leben kann, denn so wie das Leben des Körpers die Seele ist, so ist das Leben der Seele Gott, und wie der Körper ohne die Seele tot ist, so ist auch die Seele ohne Gott tot. Und wenn der sündige Mensch sich auch bewegt, da er dem Körper nach lebendig ist, so ist doch seine Seele, die Gottes, ihres Lebens, entbehrt, tot. Daher sagt der Hl. Kallistos, Patriarch von Konstantinopel: “Viele haben bei lebendigem Körper eine tote Seele, die sozusagen im Sarg liegt, wobei der Sarg hier der Körper ist, und der Tote - die Seele. Dieser Sarg bewegt sich, aber die Seele in ihm ist ohne Atem, d.h. ohne Gott, weil sie Gott nicht in sich beherbergt. Auf diese Weise trägt ein lebendiger Körper eine tote Seele in sich”.
Wenn jemand meinen Worten keinen Glauben schenken will, so möge er die Worte des Herrn Selber hören. Er erschien einmal seinem geliebten Jünger Johannes und sprach zu ihm: “Und dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: Ich weiß deine Werke, daß du den Namen hast, du lebest, und doch tot bist” (Apk 3,1). Hören wir auf die Worte des Herrn: einen würdigen, heiligmäßigen Menschen mit dem Rang eines Engels, “den Engel der Gemeinde in Sardes”, erachtet er bei lebendigem Leibe für tot: “einen Namen hast du, wie ein Lebendiger, und doch bist du tot”. Dem Namen nach lebendig, aber den Werken nach tot; dem Namen nach heilig, aber den Werken nach tot; dem Namen nach ein Engel, aber den Werken nach nicht einem Engel, sondern dem Widersacher ebenbürtig. Er ist nur körperlich lebendig, seelisch jedoch tot. Warum? Den Grund dafür gibt der Herr Selber an: “denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen vor deinem Gott erfunden” (Apk 3, 2). O, welche Furcht und welcher Schrecken liegen doch hier beschlossen! Jener irdische Engel hatte einige gute Werke verrichtet, führte anscheinend auch ein heiliges Leben, galt vor sich selber und vor den Leuten als Engel, und sogar der Herr Selber verweigert ihm diesen Titel nicht und nennt ihn Engel, aber insofern er nicht vollkommen tugendsam, nicht vollkommen heilig, kein vollkommener Engel im Fleisch war, sondern nur dem Namen und der Volksmeinung zufolge ein Engel, heilig und tugendsam war, den Werken nach jedoch etwas ganz anderes, erachtet ihn Gott für einen Toten. Was sollen dann wir Sünder von uns halten, die wir keine einzige gute Tat zu unseren Gunsten haben, die wir uns in ständigen Sünden wälzen, wie die Schweine im Sumpf? Als was werden wir vor Gott erscheinen, wenn nicht als Tote? Spricht nicht auch zu uns der Herr diese Worte: “Einen Namen hast du, wie ein Lebendiger, und doch bist du tot”. O reueloser Sünder! Nur körperlich lebst du, deine Seele jedoch ist tot. Warum? Weil deine Seele Gottes verlustig gegangen ist als Folge deiner garstigen und sündigen Werke. Was für eine Art von schwerer, tödlicher und ungeheurer Sünde Gott aus der Seele vertreibt, wird klar aus dem Beispiel vom Verlorenen Sohn, das im Evangelium erzählt wird. Als dieser zum Vater zurückkehrte, sprach der Vater zu ihm: “Denn dieser mein Sohn war tot, und ist wieder lebendig geworden” (Lk 15, 24).
“Ein Mann hatte zwei Söhne”, heißt es im Evangelium (Lk 15, 11). Ähnlich hat auch Gott, Der ob Seiner Menschenliebe Mensch wurde, zwei vernunftbegabte Geschöpfe, nämlich den Engel und den Menschen, gleich zwei Söhnen. Der Engel ist Sein älterer Sohn, der vor dem Menschen erschaffen wurde und dem Ort und der Gnade nach über dem Menschen steht, während der Mensch der später erschaffene, jüngere Sohn ist. Ist er auch geringer als der Engel, so doch nur um weniges: “Du machtest ihn wenig geringer als Engel” (Psalm 8, 6).
Als der jüngere Sohn anfangs beim Vater lebte, war er noch nicht der verlorene Sohn, sondern als der Sohn seines Vaters war er ein würdiger Erbe. Als er jedoch “hinwegzog in ein fernes Land und dort sein Vermögen vergeudete, und ein zügelloses Leben führte” (Lk 15, 13), wurde er der “verlorene Sohn” genannt, was gleichbedeutend mit “tot” ist. Solange er sich Gott, seinen Schöpfer und Lebensspender, durch Den er lebt und sich bewegt, erhält, ist der Mensch vor Gott keine tote Seele, und Gott lebt in seiner Seele, die von der göttlichen Gnade belebt wird. Aber sobald der Mensch sich von Gott und dem einem wahren Christen gebührenden tugendsamen Leben lossagt, sobald er sich der wüsten Gesetzwidrigkeit zuwendet, entfernt Sich sofort Gott von seiner Seele und verläßt ihn mit Seiner lebensspendenden Gnade; wie eine vom Rauch vertriebene Biene, verjagt durch den Gestank der Sünde - was zum Tod der Seele führt. Von solch einem Menschen heißt es, er sei tot: “Nur einen Namen trägt er, wie ein Lebendiger, doch tot ist er”.
“Wie der Rebzweig nicht von sich aus Frucht tragen kann, wenn er nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt” (Jh 15, 4).
“... den Grund zu legen mit der Buße von toten Werken” (Hebr 6, 1): auch Judas tat Wunder, solange er nicht in die Sünde der Geldgier verfiel. Jakob, der Einsiedler, war ein Wundertäter, bis er ein Opfer der fleischlichen Sünde mit einem Mädchen, das er von Besessenheit befreit hatte, wurde. Der Priester Sarpik war ein Märtyrer, aber sobald er vom Bösen verhärtet wurde und seinem Bruder nicht vergab, wurde er von Christus verworfen.
Ebenso ist auch die Seele lebendig und aktiv, solange sie sich ihrer Sünden wegen nicht von Gott loslöst; wenn sie sich jedoch durch eine Versündigung von Gott losreißt, wird sie sofort leblos und inaktiv. Bedarf solch eine Tote, nämlich die durch Sünden abgestorbene Seele, nicht der Auferstehung? Allerdings - und zwar nicht nur einmal, sondern immer wieder. Die Auferstehung der Toten, die wir gemäß dem Glaubensbekenntnis “Ich erwarte die Auferstehung der Toten und das Leben der ewigen Zeiten” am letzten Tag erhoffen, erfolgt nur einmal; die Seele jedoch aufersteht mehrmals. Was ist nun die Auferstehung der Seele? Die heilige Reue: denn wie die Sünde der Tod der Seele ist, so ist die Reue die Auferstehung für die Seele. So heißt es vom Verlorenen Sohn, als er sich reuevoll an seinen Vater wandte: “Dieser war tot und nun lebt er”. Solange er ferne vom Vater war, in einem Land der Verderbnis weilte, war er tot; als er jedoch zurückkehrte und bereute, erstand sogleich seine Seele neu: “Tot war er, und lebt nun wieder”. Wir sagten, daß diese Auferstehung sich oft an der Seele wiederholt, denn wenn der Mensch sündigt, dann stirbt er seelisch, und wenn er bereut, aufersteht er, gemäß der Redensart: “Wie oft du auch fällst, stehe immer wieder auf und du wirst gerettet”.
So lehrt uns das heutige Fest der Auferstehung Christi, daß wir von dem seelischen Tod auferstehen sollen, d.h. unsere Sünden bereuen sollen. Und zwar sollen wir nicht einfach aufstehen, sondern nach dem Vorbild Christi auferstehen, wie der Apostel lehrt: “... daß Christus nicht mehr stirbt, nachdem Er einmal von den Toten auferweckt ist; der Tod hat keine Macht mehr über ihn” (Röm 6, 9). Ähnlich mögen auch wir in “einem neuen Leben wandeln”. Wie Christus nach Seiner Auferstehung nicht mehr stirbt, so werden auch wir nach der Reue nicht mehr zu unseren bisherigen Todsünden zurückkehren, denn was für einen Zweck hätte es, daß man, nachdem man sich vom Schmutz gereinigt hat, wieder in ihn hinabsteigt? Was nützt es, wenn man wieder in die Grube fällt, aus der man herausgeklettert ist? Was nützt es, daß man sich, nachdem die Wunden geheilt sind, erneut noch schrecklichere zuzieht? Was nützt es, wenn man, nachdem man durch die Reue von dem seelischen Tod erstanden ist, erneut seine Seele durch Sünden abtötet? Die wahre Auferstehung der Seele bedeutet, daß man, einmal mit Christus auferstanden, nie mehr in den Tod zurückkehrt und niemals mehr stirbt.
Das zweite heute begangene Fest - die Verkündigung - bei der Gott, das Wort, Sich fest und unzertrennlich mit dem Fleisch verband, lehrt uns, uns mit Gott zu vereinigen, denn es genügt noch nicht, allein vom seelischen Tod aufzustehen, man muß sich auch ganz fest mit Gott verbinden. Wenn wir uns nicht mit Ihm vereinigen, dann fallen wir erneut in den Tod und sterben durch unsere Sünden; aber derjenige, der sich fest mit Gott verbunden hat, wird unsterblich, er stolpert nicht mehr und kehrt nicht mehr zu seinen früheren üblen Taten zurück.
Auf welche Weise soll man sich nun mit Gott verbinden? So wie Gott Sich bei Seiner Menschwerdung mit dem menschlichen Fleisch umgab. Gott verband sich so eng mit ihm, daß Er es niemals mehr abstreifen wird, sondern mit ihm verbleiben wird und für ewige Zeiten mit ihm im Himmel regieren wird. Ebenso muß auch der Mensch, der von seinen Sünden erstanden ist, sich mit Gott, seinem Schöpfer und Erlöser vereinigen, um sich niemals mehr, weder im Tun noch im Denken, von Ihm zu entfernen, um Ihn niemals mehr zu verlassen, wie es im Psalm heißt: “Denn siehe, die dir fernbleiben, kommen um” (Ps 72, 27).
Nun will ich aber am heutigen Freuden- und Feiertag eure Geduld nicht weiter beanspruchen, denn ich weiß, daß nun die Gedanken eines jeden nach Hause zum Essen oder zum Festmahl bei Freunden eilen. So beglückwünsche ich euch zu diesem doppelten Feiertag, der Auferstehung und der Verkündigung, und zu beiden Festen wünsche ich euch Heil für die Seele und Gesundheit für den Körper, und spreche nun: Amen.