Verborgenes Leben in Christus Leben und Lehre des Hl. Gregor des Sinaiten

Bote 1990-5
Verborgenes Leben in Christus
Leben und Lehre des Hl. Gregor des Sinaiten

Die christliche Menschheit ist äußerst verarmt im Glauben an den Herrn Jesus Christus und an die aktive Kraft seines Göttlichen Namens nach dem Worte des Heilands: "Denn wenn des Menschen Sohn kommen wird, meinst du, daß er auch werde Glauben finden auf Erden?" (Lk 18,8). Viele folgten vielleicht unermüdlich Christus in den Tagen seines irdischen Daseins (und berührten Ihn sogar), und doch zogen sie keinen Nutzen daraus. Aber bei der blutflüssigen Frau, die nicht einmal Ihn selbst, sondern nur den Saum seines Kleides berührte, hörte der langjährige Blutfluß auf. Der Name Jesu Christi ist schrecklich für die Dämonen, für die seelischen Leidenschaften und Nöte... Möge Er unser Schmuck, unsere Zierde sein... (Homilie 8 über den Römerbrief).
Bischof Ignatij schließt so: "Denn jede Kraft und Wirkung des Gebetes fließt aus dem angebeteten und allmächtigen Namen Jesu, aus dem einen Namen unter dem Himmel, durch den wir uns retten sollen" (Bd. 2, S. 371).
Die Erfahrung lehrt uns das reine Gebet, damit wir jedes Werk mit Gebet beginnen, mit Gebet begleiten und mit einem Dankesgebet beenden. Und das häufige mündliche Gebet führt zum andächtigen Gebet, und das andächtige Gebet führt zum geistigen, ununterbrochenen Gebet. Daher ist die Häufigkeit des Gebetes der wahre und der kürzeste Weg zum Genuß der Gabe des kontemplativen Gebetes und zum Erwerb des unablässigen, des Herzensgebetes. Die Qualität des Gebetes aber ist das ehrfürchtige, andächtige Stehen der Seele vor Gott, wobei sie sich nicht von fremden Gedanken ablenken läßt. Denn ehrfürchtiges Gebet besteht aus Qualität und aus Quantität, und Qualität gibt es nicht ohne Quantität. Die Qualität des Gebetes liegt in der Aufmerksamkeit, der Ehrfurcht, der Gottesfurcht, der Herzenswärme und dem demütigen, zerknirschten Gemüt - all diese Faktoren obliegen jedoch Gott. Daher ist unserer Natur auch das Gebot über die Menge gegeben. "Betet ohne Unterlaß" (1 Thess. 5,17). Die Häufigkeit des Gebetes obliegt der menschlichen Anstrengung, dem guten Willen des Menschen. Gott fordert vom Menschen nur die Quantität. Diese führt ihrerseits zur Qualität, zu den guten Früchten des Gebets. Daher brauchen wir uns nicht zu betrüben, wenn unser häufiges Gebet am Anfang zerstreut und unaufmerksam, trocken und kalt ist. Andacht, Wärme und demütige Zerknirschung, das sind Gaben Gottes, die einer Seele geschenkt werden, die sich im Gebetskampf abmüht. Unsere Sorge soll es sein, uns wieder und wieder zu bemühen, unseren Verstand in den Worten des Gebetes zu bewahren und uns nicht vom Wirbel schädlicher Gedanken wegtragen zu lassen. (Simeon der Neue Theologe. Bd. 2).
Die Sorge über die häufige mündliche Anrufung des Göttlichen Namens soll vorangehen, weiterhin soll der Mensch danach streben, vom äußeren zum inneren, d.h. zum andächtigen Gebet zu gelangen, welches seinerseits zum geistigen Gebet führt, zum "spirituellen Leben in der heiligen Gottesgemeinschaft".
Man muß diesen "mentalen", unkörperlichen Wanderer, d.h. unseren Geist zum Erlernen des Gebetes nötigen. Denn dem Wesen nach ist er eben jener verlorene Sohn, welcher die ihm eigene, selige Gottesgemeinschaft aufgab, sich in ein weit entferntes, fremdes Land begab und dort sein spirituelles Vermögen verschwendete - die hellen und göttlichen Gedanken und Empfindungen nämlich - und indem er mit den liederlichen Dämonen lebte und herumwanderte, begann er aus seelischem Hunger von den bitteren Schoten aus dem Trog der öligen Schweinedämonen zu essen, sich also von ihren Gedanken, Begierden und Empfindungen zu ernähren, die seiner Natur und Würde überhaupt nicht angemessen waren. Diesen sündigen Wanderer muß man an das aufmerksame Gebet gewöhnen. Man muß ihn beim Beten in den Worten des Gebetes einschließen und darf ihn nicht herumwandern lassen. Man muß ihn nötigen, aufmerksam die Worte des Gebetes zu hören, damit er seine Sünde vor Gott einsehe und mit Gefühl ausrufe: "Ich habe gesündigt, Vater, vor dem Himmel und vor Dir...".
Ohne Aufmerksamkeit kann es keine wehmütige Zerknirschung, kein Gebet, keine Reue geben. Daher legen die heiligen Väter als Grundlage für die geistige Aktivität die Wachsamkeit, d.h. die Aufmerksamkeit sich selbst gegenüber fest. Das wahrhaft spirituelle innere Leben beginnt mit der Wachsamkeit. "Der äußere Mensch kann leicht das Beten erlernen, aber es ist keine geringe Mühe, es dem inneren beizubringen", sagt der hl. Hesychios. Man muß also etliche Mühe aufwenden, um diesen unseren inneren Wanderer zur Wachsamkeit zu erziehen. In Gottesfurcht soll man den Verstand in die Worte des Gebetes einschließen und dabei bedenken, vor Wem man steht und mit Wem man Gebetszwiesprache hält. Daher sagt der hl. Prophet auch: "Dienet dem Herrn mit Furcht" (Ps. 2,11).
Das mündliche und häufige mit Wachsamkeit und in Gottesfurcht ausgeführte Gebet wird allmählich geistig und geht in das Herzensgebet über - so lehren es die heiligen Väter. Und Gebet mit Wachsamkeit bedeutet: klare Gebetsworte, sich dieser Worte innewerden und ihnen mit konzentrierter Aufmerksamkeit lauschen. Jeder sollte den Rat des hl. Johannes Klimakos berücksichtigen: "Versuche immer wieder, die abschweifenden Gedanken zu dir zurückzuholen, oder besser gesagt, schließe den Geist in die Worte des Gebetes ein...". Wenn niemand da ist, braucht man dieses Gebet nur leise, für sich selber hörbar, zu sagen. Und wenn Leute anwesend sind, dann soll man mental beten und die Worte mit der Zunge wahrnehmen. Die Grundlage der Aufmerksamkeit ist die Gottesfurcht und die Gelassenheit im Gebet. Daher muß man das Gebet ehrfürchtig, ohne Hast und Eile lesen und dabei nach jedem Gebet eine Pause einlegen und nicht sofort das nächste sprechen, um sich in die Worte des Gebetes einzufühlen. Die mit Hilfe der göttlichen Gnade allmählich erwachende und nach Reue dürstende Seele erwirbt das beseligende innere Gebet, das auch hilft, die Gedanken zu hüten und schließlich zum ständigen Wirken des Gebets im Herzen führt. Und Gebetswirkung heißt - "den Erlöser Christus in sich zu haben, Ihn im Geist, im Herzen, in sich zu tragen, ständig im Gedenken und in Erinnerung an Ihn zu leben, wie die Seraphim aus Liebe zu Ihm zu brennen, wie die Cherubim Ihn immerdar zu schauen und Ihm im Herzen einen Ruheort zu gewähren" (hl. Simeon von Saloniki). Und wodurch wir uns von Gott losrissen, dadurch müssen wir auch zu Ihm zurückkehren. Wir verloren die Aufmerksamkeit für die in unserem Gemüt aufkommenden Gedanken und Gefühle und unser Herz gaben wir den eigenen geistlichen Sklavenhaltern in Gefangenschaft, nämlich den schlechten Gedanken und Gefühlen - jetzt müssen wir uns auf den Weg der geistigen Übung begeben und unsere Gedanken und Gefühle überwachen. Diese innere Tätigkeit soll man anstreben, d.h. wenn man äußerlich ein Gebet spricht, dann soll man andächtig beten. Man darf die Worte des Gebetes nicht hastig aussprechen, sondern soll ihnen geistig lauschen, sich in sie hineinhören und dem Verstand nicht erlauben, währenddessen über etwas anderes nachzudenken, und wäre es auch etwas Gutes, denn solche Überlegungen beschmutzen das Gebet.


 sie nur an die Türe deines Geistes klopfen, laß sie nur laut schreien, du aber antworte ihnen nicht, sei taub und stumm für sie. Jede Abschweifung von dem gebetsvollen Stehen vor Gott beschmutzt die  göttliche Erhabenheit. Aber am Anfang unseres Gebetsweges werden wir aus mangelnder Gewohnheit an das konzentrierte Gebet unwillkürlich abschweifen - und das ist unvermeidlich. Wenn wir  jedoch unsere Zerstreutheit merken, kommen wir unverzüglich in unserer Hilflosigkeit zur göttlichen Gnade zurück, wir bitten demütig um Verzeihung und werden wiederum aufmerksam gegenüber Gott, dem Herrn. Ohne Konzentration gibt es kein Gebet, kein göttliches Leben.  Wachsam sein im Gebet und sein Leben nach dem Gewissen ausrichten - das ist die innere Tätigkeit gemäß der Kraft in Gott, welche mit Hilfe der göttlichen Gnade zum andächtigen Gebet führt, und das andächtige Gebet wiederum führt zum geistigen und zum Gebet des Herzens. Das geistige Gebet ist nach dem ausdrücklichen Wort der heiligen Väter ein Pfand der göttlichen Liebe (siehe Kallistos). Und dieses Pfand gab der Herr auch Seinen Jüngern, jedoch nicht allen, sondern nur denjenigen, "denen es gegeben ist, die Geheimnisse des Königreichs Gottes zu erfahren".
Diejenigen welche das äußere und das innere fleischliche Hab und Gut hinter sich ließen, welche mit Ihm in Betrübnis und in Ungemach ausharrten und mit welchen Er das Abendmahl teilte und das geheime Gespräch führte - "nur diejenigen, die zu lieben begonnen haben, erwerben dieses göttliche Pfand, das geistige Gebet". Nur dasjenige Herz nimmt dieses Pfand der göttlichen Liebe wahr, das sich von der materiellen, irdischen, fleischlichen Liebe, sowie von den physischen und psychischen Lüsten losgesagt hat und das nach der geistigen, himmlischen, göttlichen Liebe strebt. Denn das geistige Gebet ist den Liebhabern des Fleisches nicht verständlich, es schlägt keine Wurzel bei ihnen und es ist für sie unerreichbar. Das geistige Gebet ist nur das Erbe derjenigen, die nach dem Gewinn der geistigen Liebe, d.h. der Liebe zu Gott aus ganzem Verstande, aus ganzem Gemüte und aus ganzem Herzen streben. Denn im Gebet wendet sich die Liebe an den Geliebten, an Denjenigen, der uns geliebt hat. Das ist die Lehre der heiligen Väter (hl. Johannes, Isaak, Rede 39). Und dieses Pfand der Liebe kann durch keinerlei künstliche Handgriffe angezogen werden, noch können Bücherwissen oder irgendeine Einweihung in das göttliche Geheimnis diese Gnade herabziehen. Nur das losgelöste und das vor Gott zerknirschte Herz zieht sie an. So gingen alle weisen Seelen über die Erde und mit diesem kostbaren Schatz wandelten sie auf dem Pfad des Glaubens. Der Pfad des geistigen Gebetes ist auch der der Pfad des seligen Glaubens, der Pfad des geistigen Kampfes der Seele. Durch den Glauben erwirbt die Seele dieses Pfand. Durch den Glauben gelangt sie, nachdem sie das Land der ägyptischen Fleischesliebe verlassen hat, in den Besitz dieser seltenen Verheißung,.
"Diejenigen, welche mit großem Ernst beten, setzen sich stets grimmigen Anfechtungen aus, weil für die Dämonen nichts quälender ist als das von Herzen kommende Gebet". Die törichten Jungfrauen nahmen zwar ihre Leuchter mit, aber sie hatten kein Öl bei sich und wurden so vom Königreich ausgeschlossen, obwohl sie ein keusches Leben führten, Leuchter bei sich hatten und in der Erwartung des Bräutigams lebten.
Jede Tugend, auch das spirituelle Leben, hat unter den irdischen Bedingungen eine äußere und aus eine inner Seite: so auch das Fasten, das Wachen, der Kirchgang, die dem geistigen Stand angemessene Kleidung, der Dienst am heiligen Altar, das Gebet und alles übrige. All dies weist sowohl einen äußeren Aspekt des geistigen Lebens auf als auch einen inneren - das eigentliche Leben. "Wenn das innere Tun in Gott dem Menschen nicht hilft, dann müht er sich vergeblich im Äußeren ab" (hl. Kallistos). Auch im spirituellen Leben ist es so: jene, die nur im Äußeren leben, ruhen im Grabe, während jene, die im Inneren leben, erlöst werden. In der Endzeit verarmt die Christenheit innerlich so sehr, daß der Herr sagte: "Wenn der Menschensohn kommt, wird er Glauben finden auf Erden?" (Lk. 18,8).
"Dem einen rauben sie den spirituellen Sinn des Fastens, der in geistiger Enthaltsamkeit liegt, und lassen ihm nur Pilze, Kohl, Erbsen und Zwieback mit Wasser zurück, woran sich die arme Seele leidenschaftlich klammert und nicht merkt, daß ihr das Wesentlichste vom Fasten geraubt wurde". Es gibt  keine geistige Enthaltsamkeit in Gedanken und Worten, keine Abstinenz in den Begierden, und daher ist das eigentliche Wesen des Fastens, nämlich das innere, nicht vorhanden. "Dem anderen rauben sie den tiefen geistigen Sinn des schwarzen Mönchsrockes, der ein Symbol ist für die Trauer über sich selbst wie über einen Toten, sowie für die abgestorbene Beziehung zu allem Irdischen, Fleischlichen, Materiellen, und lassen ihm dafür ein seidenes, modisch genähtes Gewand von bester Qualität, mit dem sie das wollüstige, gierige Leben des Fleisches bedecken. Und die Seele trägt dieses haltbare Gewand mit Stolz, wobei sie gar nicht ihr Ausgeraubtsein und ihre Nacktheit vor Gott bemerkt".  "Einem anderen rauben sie die erhabene Liebe zur Kirche, die erlösende Liebe zum kirchlichen Gebet und lassen der Seele nur das äußerliche Stehen". Denn während die Seele mit dem Körper in der Kirche steht, wandert sie mit ihrem Geist durch die Straßen und über den Markt, sie beschäftigt sich gedanklich mit Ankäufen und Verkäufen und führt vielerlei Gespräche. Mit wem wohl? Gewiß mit den mentalen Verführern und Dieben, mit den Dämonen, welche die Seele mißleiten, sie einschläfern und dann aus der Kirche herausführen, um sie wie Taschenspieler und Gauner mit allerlei Unterhaltungen und Verlockungen zu ergötzen.
Das von der Welt losgelöste Mönchstum bewahrte das geistige Unterpfand Gottes, die Seele die Monastizismus in sich. Der enthaltsamen und weltabgeschiedenen, innig liebenden Seele gab der Herr das Pfand Seiner Liebe - das geistige Gebet. Gewiß ist jede Seele auf Erden, die ins Dasein getreten ist und der christlichen Religion folgt, durch das Erbarmen Gottes zur Erlangung des Pfandes der Göttlichen Liebe - des geistigen Gebetes berufen, aber nicht jede Seele erwählt es. Deshalb sagte der Herr auch: "Viele sind berufen, aber nur wenige auserwählt". In der letzten Zeit fingen diese körperlosen Diebe, diese Seelenfänger auch das Mönchstum in ihren Netzen, sie verstanden es, ihm das geistige Gebet wegzunehmen, und die rastlosen Arbeiter selber vernichteten sie. Wenn sich auch Reste vom Mönchstum noch hielten, so gab es doch das geistige Gebet schon lange nicht mehr unter den Mönchen. Denn Beten ohne Andacht ist gleich einem Leuchter ohne Öl. Darin liegt auch die Dummheit der Seele, die sich nur an das Äußere ohne das Innere hält. Wir, die so schwachen, armen und sündigen Nachkommen unserer betrogenen Vorfahren und Ureltern, sind dem Verstand nach erst gestern geborene Dummköpfe und Kleinkinder. Aber unsere alten Feinde nahmen zu und mit ihrem tückischen und gerissenen Verstand sind sie schon alt geworden in ihrer viele tausend Jahre alten Bosheit wider uns.
Die heiligen Tränen der Reue sind jenes Mittel, welches das himmlische Pfand und die Seele selber beschützen. Das geistige Gebet führt zum geistigen Weinen der Seele. "Wer wahrhaftig um seine Errettung kämpft, der betrachtet jeden Tag, an dem er seine Sünden nicht beweinte, als verloren, selbst wenn er an jenem Tag irgendwelche guten Taten vollbracht hat" (Rede 5,33). "Durch Weinen werden alle Leidenschaften aus der Seele vertrieben". Durch das Weinen gelangt der Mensch zur seelischen Reinheit. Wer den Sünden entgehen will, der kann ihnen durch Weinen entrinnen, und wer sich vor ihnen hüten will, der kann sich durch Weinen vor ihnen schützen. (Ignatij Brjançaninow, Band 5, S. 372). In der Babylonischen Gefangenschaft gibt es für die Seele keinen anderen Trost als das Weinen. Die Tränen sind ihrer Natur nach materiell, aber sie beinhalten ein nichtmaterielles, ein geistiges, ein für die Seele erlösendes Geheimnis. Und durch dieses Geheimnis findet (gewinnt) die Seele die geistige Existenz, findet sie sich selbst, findet sie Gott. Gott gab der Seele die Tränen, damit sie sich durch diese Tränen auf die Ewigkeit vorbereite, damit sie durch diese materiellen Tränen in die unmaterielle Welt eingehe. Die unkörperliche Seele vergießt körperliche Tränen. "Selig sind die Weinenden, denn sie sollen getröstet werden"... Die weinende Seele erquickt der Herr selber durch  unbeschreibliche, wunderbare, göttliche Tröstungen. Das reuevolle Weinen stellt für die Seele eine große spirituelle, mental-körperliche Waffe dar, die ihr von dem barmherzigen Gott gegen die mental-körperlosen Räuber und Zerstörer gegeben wurde. Wenn der Teufel jemand reumütig und weinend leben sieht, dann kann er nicht bei ihm bleiben und wendet sich wegen der aus dem Weinen geborenen Demut wieder ab.  "Erlange das Weinen, und es wird dich  auf all deinen Wegen beschützen und dir die himmlische Tröstung herabziehen, dir das Herzensgebet geben, das dich weiter führt als das Paradies, nämlich zum Herrn des Paradieses selbst, zum Gerechten Richter, der auch die wehklagende Seele der Witwe vor ihrem Widersacher schützt".   

Bote 1990-5
Verborgenes Leben in Christus
Leben und Lehre des Hl. Gregor des Sinaiten

Die heiligen Väter sagen, daß wenn du im Gebet vor dem großen Himmlischen König stehst, so werde dir bewußt, vor Wem du stehst, sei dir bewußt, mit Wem du Gebetszwiesprache hältst, erlaube deinem Geist nicht abzuschweifen und dich währenddessen mit den zu dir kommenden bösen Gedanken zu unterhalten. Laß sie nur an die Türe deines Geistes klopfen, laß sie nur laut schreien, du aber antworte ihnen nicht, sei taub und stumm für sie. Jede Abschweifung von dem gebetsvollen Stehen vor Gott beschmutzt die  göttliche Erhabenheit. Aber am Anfang unseres Gebetsweges werden wir aus mangelnder Gewohnheit an das konzentrierte Gebet unwillkürlich abschweifen - und das ist unvermeidlich. Wenn wir  jedoch unsere Zerstreutheit merken, kommen wir unverzüglich in unserer Hilflosigkeit zur göttlichen Gnade zurück, wir bitten demütig um Verzeihung und werden wiederum aufmerksam gegenüber Gott, dem Herrn. Ohne Konzentration gibt es kein Gebet, kein göttliches Leben.  Wachsam sein im Gebet und sein Leben nach dem Gewissen ausrichten - das ist die innere Tätigkeit gemäß der Kraft in Gott, welche mit Hilfe der göttlichen Gnade zum andächtigen Gebet führt, und das andächtige Gebet wiederum führt zum geistigen und zum Gebet des Herzens. Das geistige Gebet ist nach dem ausdrücklichen Wort der heiligen Väter ein Pfand der göttlichen Liebe (siehe Kallistos). Und dieses Pfand gab der Herr auch Seinen Jüngern, jedoch nicht allen, sondern nur denjenigen, "denen es gegeben ist, die Geheimnisse des Königreichs Gottes zu erfahren".
Diejenigen welche das äußere und das innere fleischliche Hab und Gut hinter sich ließen, welche mit Ihm in Betrübnis und in Ungemach ausharrten und mit welchen Er das Abendmahl teilte und das geheime Gespräch führte - "nur diejenigen, die zu lieben begonnen haben, erwerben dieses göttliche Pfand, das geistige Gebet". Nur dasjenige Herz nimmt dieses Pfand der göttlichen Liebe wahr, das sich von der materiellen, irdischen, fleischlichen Liebe, sowie von den physischen und psychischen Lüsten losgesagt hat und das nach der geistigen, himmlischen, göttlichen Liebe strebt. Denn das geistige Gebet ist den Liebhabern des Fleisches nicht verständlich, es schlägt keine Wurzel bei ihnen und es ist für sie unerreichbar. Das geistige Gebet ist nur das Erbe derjenigen, die nach dem Gewinn der geistigen Liebe, d.h. der Liebe zu Gott aus ganzem Verstande, aus ganzem Gemüte und aus ganzem Herzen streben. Denn im Gebet wendet sich die Liebe an den Geliebten, an Denjenigen, der uns geliebt hat. Das ist die Lehre der heiligen Väter (hl. Johannes, Isaak, Rede 39). Und dieses Pfand der Liebe kann durch keinerlei künstliche Handgriffe angezogen werden, noch können Bücherwissen oder irgendeine Einweihung in das göttliche Geheimnis diese Gnade herabziehen. Nur das losgelöste und das vor Gott zerknirschte Herz zieht sie an. So gingen alle weisen Seelen über die Erde und mit diesem kostbaren Schatz wandelten sie auf dem Pfad des Glaubens. Der Pfad des geistigen Gebetes ist auch der Pfad des seligen Glaubens, der Pfad des geistigen Kampfes der Seele. Durch den Glauben erwirbt die Seele dieses Pfand. Durch den Glauben gelangt sie, nachdem sie das Land der ägyptischen Fleischesliebe verlassen hat, in den Besitz dieser seltenen Verheißung,.
"Diejenigen, welche mit großem Ernst beten, setzen sich stets grimmigen Anfechtungen aus, weil für die Dämonen nichts quälender ist als das von Herzen kommende Gebet". Die törichten Jungfrauen nahmen zwar ihre Leuchter mit, aber sie hatten kein Öl bei sich und wurden so vom Königreich ausgeschlossen, obwohl sie ein keusches Leben führten, Leuchter bei sich hatten und in der Erwartung des Bräutigams lebten.
Jede Tugend, auch das spirituelle Leben, hat unter den irdischen Bedingungen eine äußere und auch eine inner Seite: so auch das Fasten, das Wachen, der Kirchgang, die dem geistigen Stand angemessene Kleidung, der Dienst am heiligen Altar, das Gebet und alles übrige. All dies weist sowohl einen äußeren Aspekt des geistigen Lebens auf als auch einen inneren - das eigentliche Leben. "Wenn das innere Tun in Gott dem Menschen nicht hilft, dann müht er sich vergeblich im Äußeren ab" (hl. Kallistos). Auch im spirituellen Leben ist es so: jene, die nur im Äußeren leben, ruhen im Grabe, während jene, die im Inneren leben, erlöst werden. In der Endzeit verarmt die Christenheit innerlich so sehr, daß der Herr sagte: "Wenn der Menschensohn kommt, wird er Glauben finden auf Erden?" (Lk. 18,8).
"Dem einen rauben sie den spirituellen Sinn des Fastens, der in geistiger Enthaltsamkeit liegt, und lassen ihm nur Pilze, Kohl, Erbsen und Zwieback mit Wasser zurück, woran sich die arme Seele leidenschaftlich klammert und nicht merkt, daß ihr das Wesentlichste vom Fasten geraubt wurde". Es gibt  keine geistige Enthaltsamkeit in Gedanken und Worten, keine Abstinenz in den Begierden, und daher ist das eigentliche Wesen des Fastens, nämlich das innere, nicht vorhanden. "Dem anderen rauben sie den tiefen geistigen Sinn des schwarzen Mönchsrockes, der ein Symbol ist für die Trauer über sich selbst wie über einen Toten, sowie für die abgestorbene Beziehung zu allem Irdischen, Fleischlichen, Materiellen, und lassen ihm dafür ein seidenes, modisch genähtes Gewand von bester Qualität, mit dem sie das wollüstige, gierige Leben des Fleisches bedecken. Und die Seele trägt dieses haltbare Gewand mit Stolz, wobei sie gar nicht ihr Ausgeraubtsein und ihre Nacktheit vor Gott bemerkt".  "Einem anderen rauben sie die erhabene Liebe zur Kirche, die erlösende Liebe zum kirchlichen Gebet und lassen der Seele nur das äußerliche Stehen". Denn während die Seele mit dem Körper in der Kirche steht, wandert sie mit ihrem Geist durch die Straßen und über den Markt, sie beschäftigt sich gedanklich mit Ankäufen und Verkäufen und führt vielerlei Gespräche. Mit wem wohl? Gewiß mit den mentalen Verführern und Dieben, mit den Dämonen, welche die Seele mißleiten, sie einschläfern und dann aus der Kirche herausführen, um sie wie Taschenspieler und Gauner mit allerlei Unterhaltungen und Verlockungen zu ergötzen.
Das von der Welt losgelöste Mönchstum bewahrte das geistige Unterpfand Gottes, die Seele des Monastizismus in sich. Der enthaltsamen und weltabgeschiedenen, innig liebenden Seele gab der Herr das Pfand Seiner Liebe - das geistige Gebet. Gewiß ist jede Seele auf Erden, die ins Dasein getreten ist und der christlichen Religion folgt, durch das Erbarmen Gottes zur Erlangung des Pfandes der Göttlichen Liebe - des geistigen Gebetes berufen, aber nicht jede Seele erwählt es. Deshalb sagte der Herr auch: "Viele sind berufen, aber nur wenige auserwählt". In der letzten Zeit fingen diese körperlosen Diebe, diese Seelenfänger auch das Mönchstum in ihren Netzen, sie verstanden es, ihm das geistige Gebet wegzunehmen, und die rastlosen Arbeiter selber vernichteten sie. Wenn sich auch Reste vom Mönchstum noch hielten, so gab es doch das geistige Gebet schon lange nicht mehr unter den Mönchen. Denn Beten ohne Andacht ist gleich einem Leuchter ohne Öl. Darin liegt auch die Dummheit der Seele, die sich nur an das Äußere ohne das Innere hält. Wir, die so schwachen, armen und sündigen Nachkommen unserer betrogenen Vorfahren und Ureltern, sind dem Verstand nach erst gestern geborene Dummköpfe und Kleinkinder. Aber unsere alten Feinde nahmen zu und mit ihrem tückischen und gerissenen Verstand sind sie schon alt geworden in ihrer viele tausend Jahre alten Bosheit wider uns.
Die heiligen Tränen der Reue sind jenes Mittel, welches das himmlische Pfand und die Seele selber beschützen. Das geistige Gebet führt zum geistigen Weinen der Seele. "Wer wahrhaftig um seine Errettung kämpft, der betrachtet jeden Tag, an dem er seine Sünden nicht beweinte, als verloren, selbst wenn er an jenem Tag irgendwelche guten Taten vollbracht hat" (Rede 5,33). "Durch Weinen werden alle Leidenschaften aus der Seele vertrieben". Durch das Weinen gelangt der Mensch zur seelischen Reinheit. Wer den Sünden entgehen will, der kann ihnen durch Weinen entrinnen, und wer sich vor ihnen hüten will, der kann sich durch Weinen vor ihnen schützen. (Ignatij Brjançaninow, Band 5, S. 372). In der Babylonischen Gefangenschaft gibt es für die Seele keinen anderen Trost als das Weinen. Die Tränen sind ihrer Natur nach materiell, aber sie beinhalten ein nichtmaterielles, ein geistiges, ein für die Seele erlösendes Geheimnis. Und durch dieses Geheimnis findet (gewinnt) die Seele die geistige Existenz, findet sie sich selbst, findet sie Gott. Gott gab der Seele die Tränen, damit sie sich durch diese Tränen auf die Ewigkeit vorbereite, damit sie durch diese materiellen Tränen in die unmaterielle Welt eingehe. Die unkörperliche Seele vergießt körperliche Tränen. "Selig sind die Weinenden, denn sie sollen getröstet werden"... Die weinende Seele erquickt der Herr selber durch  unbeschreibliche, wunderbare, göttliche Tröstungen. Das reuevolle Weinen stellt für die Seele eine große spirituelle, mental-körperliche Waffe dar, die ihr von dem barmherzigen Gott gegen die mental-körperlosen Räuber und Zerstörer gegeben wurde. Wenn der Teufel jemand reumütig und weinend leben sieht, dann kann er nicht bei ihm bleiben und wendet sich wegen der aus dem Weinen geborenen Demut wieder ab.  "Erlange das Weinen, und es wird dich  auf all deinen Wegen beschützen und dir die himmlische Tröstung herabziehen, dir das Herzensgebet geben, das dich weiter führt als das Paradies, nämlich zum Herrn des Paradieses selbst, zum Gerechten Richter, der auch die wehklagende Seele der Witwe vor ihrem Widersacher schützt".