Russische Kirchen in Deutschland: Berlin:

Seit 29. März (10. April) 1890 besteht bei der Gesandtschaftskirche des Hl. Fürsten Vladimir die gleichnamige "Bruderschaft", die unter der Schirmherrschaft  seiner Kaiserlichen Hoheit des Großfürsten Vladimir Alexandroviç steht.
Gemäß den höchstherrschaftlich bestätigten allgemeinen Regeln über Bruderschaften in Rußland und den Bruderschafts-Statuten, die von der königlich-preußischer Regierung am 8. April (27. März) desselben Jahres 1890 angenommen und vom kaiserlich-russichen Gesandten (welcher nach der Satzung der Bruderschaft Ehrenvorsitzender der allgemeinen Versammlungen der Bruderschaft ist) Graf P. A. Ûuvalov an das preußische Innenministerium weitergeleitet wurden, hat die Bruderschaft zum Ziel: 1. Hilfeleistung, besonders hinsichtlich Arbeit für notleidende russische Bürger aller christlichen Bekenntnisse und für Orthodoxe aller Nationalitäten.  Zwei der Bruderschaft gehörende Grundstücke von etwa 3 Tagewerken Größe mit Gartenanlagen, wo sich auch das Haus zum Gedächtnis des Kaisers Alexander III.  (Alexanderheim) befindet, liegen in der nördlichen Umgebung Berlins, in Richtung Tegel (einem Berliner Vorort, dem Wohnort der Brüder Humboldt). 2. Ziel der Arbeiten in den Baumschulen, Orangerien und Werkstätten der Bruderschaft ist es, den Notleidenden die Möglichkeit zu geben sich die Mittel zur Rückkehr in die Heimat zu verdienen. Als Lohn für einen Arbeitstag ist bei Überlassung von Wohnraum, Heizung und Beleuchtung die Summe von 2 Mark festgesetzt (für außerhalb Wohnende, auf dem Dorf oder in der Stadt, bei Überbelegung der Quartiere - 2,50 Mark) bei zusätzlicher Entlohnung für Überstunden von 20 Pf. pro Stunde. 3. Der Arbeitstag in der Gärtnerei der Bruderschaft erstreckt sich von 6.00 Uhr morgens (im Winter 6.30 Uhr) bis 7.00 abends mit Pausen für das Frühstück, Mittagessen und abendlichen Tee. Die Dauer der Tätigkeit schwankt in Abhängigkeit vom Grad der Bedürftigkeit, Verhalten und Eifer des Arbeitenden zwischen 2-3 und 5-6 Wochen. Gärtnerlehrlinge werden zum Zweck der Ausbildung für ein halbes oder ein Jahr angenommen. Heizer, Kutscher und Bedienstete an der Friedhofskirche der Bruderschaft werden auch auf längere Zeit angenommen. 5. ´Medizinische Versorgung für diejenigen, die bei der Arbeit erkranken, erfolgt unentgeltlich auf Kosten der Bruderschaft. 6. Personen, die eine bestimmte Zeit gearbeitet haben und zur Rückehr in die Heimat entlassen worden, werden nur in äußersten und besonderen Fällen zum zweiten Mal angenommen. 7. Trunkenheit, Kartenspiel um Geld, Schlägereien und Diebstal und ähnliche Fälle führen zur sofortigen Entlassung mit der Eintragung der betreffenden Person in ein besonderes Buch derer, die das Zutrauen der Bruderschaft nicht verdienten.
 II. Das zweite Ziel der Bruderschaft besteht in der Auffindung von Mitteln:
1. Für die Erbaung der Kirche in Berlin selbst, wo es bisher im Hof des Hauses Unter den Linden 7, eine kleine Hauskirche gibt ohne Kreuz und Glocken, die oft als Kapelle bezeichnet wird und
2. Für den Unterhalt der bereits mit Teilnahme und Unterstützung der Bruderschaft erbauten Kirchen: a) in Tegel selbst, der Friedhofskirche zu Ehren der Hll. Apostelgleichen Konstantin und Helena; b) in Kissingen (Bayern) zu Ehren des Hl. Sergij v. Radonez; c) in Herbersdorf (in Schlesien) zu Ehren des Hl. Erzengels Michael; d) in Hamburg zu Ehren des Hl. Nikolaus und e) der noch einzurichtenden Kirche in Nauheim zu Ehren des Hl. Innokentij von Irkutsk.
3. Als drittes Ziel der Bruderschaft sehen wir den Dienst an der religiös-moralischen Aufklärung an, wozu die Einrichtung und Unterstützung der entsprechenden Schulen und Klassen zählt (wie z. B. in Potsdam für die Kinder der orthodoxen Kolonisten und griechischen und rumänichen Staatsangehörigen, die in verschiedenen deutschen Schulen erzogen werden, in denen es keinen Religionsunterricht gibt; die Erweiterung und Unterstützung der Bibliothek und des Leseraumes der Bruderschaft, des historische Museums für russische Geschichte im Ausland und die Erweiterung des Horizons deer verlegerischen Tätigkeit der Bruderschaft (des literarisch-verlegerischen Gogol'-Fonds).
Über die Bedeutung und den Nutzen der Einrichtungen der russichen Bruderschaften im Ausland sagte der Höchstgeweihte Nikolai, der Bischof der Aleuten, in seiner am 21. Mai 1895 in der Bruderschaftskirche gehaltenen Rede unter anderem folgendes: "Als Bischof einer Diözese, die sich außerhalb der Grenzen unseres Vaterlandes befindet verstehe ich mehr als andere den Sinn dieser heiligen Sache und die Verdienste derer, die sie ins Leben gerufen haben und sie unterstützen. Durch dieses gute Unternehmen werden die Seelen vieler russischer Menschen vor Verzweiflung und Heimweh, von seelischem Hunger erlöst... Hier werden orthodoxe Menschen miteinander nicht nur im Geiste des Gebets, sondern genauso im Geist russischen Volkstums und im Geist des Slaventums vereint sein.
Erzpriester A. P. Mal'cev  wurde am 14. März 1854 als Sohn eines Erzpriesters der Jaroslaver Diözese geboren. 1878 schloß er die St.Petersburg Geistliche Akademie ab und wurde im gleichen Jahr als Lehrer am St. Petersburg Geistlichen Seminar bestellt. 1879 erhielt er den akademischen Grad eines Magisters. 1882 wurde er zum Priester geweiht und 1886 an die Gesandtschaftskirche in Berlin bestellt, wobei er in den Stand eines Erzpriesters erhoben wurde. Er ist ein Mitglied aller vier geistlicher Akademien und Mitglied auf Lebenszeit der Wohltätigkeits Verein an den Akademien, Ehrenmitglied der Christlich-archeologischen Gesellschaft in Athen, der serbischen Gesellschaft des Hl. Sabbas und der Bruderschaft des Hl. Vladimir in Berlin, der Gesellschaft der vereinigten Bruderschaften des New-Yorker Kreises in Amerika, wirkliches Mitglied der Kaiserlichen Palästina-Gesell-schaft und der Gesellschaft der Förderer der russischen historischen Bildung zum Gedenken des Kaiser Alexander des III. Durch Beschluß des regierenden Senates vom 13. Mai 1898 wurde ihm mit seinen Kindern der erbliche Adelstitel zuerkannt.

Außer seiner Magisterarbeit über die "moralische Philosophie des Utilitarismus" , S-Pb. 1879, veröffentlichte er:  "Grundlagen der Pädagogik" (dritte Ausgabe, Warschau1901), übersetzte aus dem Englischen die "Mental and moral science" von Bayne, aus dem Französischen 5 Bände Predigten von Bersier. In das Deutsche übersetzte er 1) die Göttlichen Liturgien unserer Hll. Väter Johannes Chrysostomos, Basilios d. Großen und Gregor  Dialogos (parallel russisch-deutsch, Berlin 1890); 2) die Nachtwache - Abend- und Morgengottesdienst, Berlin 1892; 3) Andachtsbuch, Berlin 1895; 4) die Hl. Krönung (Trauung), Berlin, 1896; 5) Bitt-, Dank- und Weihegottesdiernste, Berlin 1897; 6) die Sakramente, Berlin, 1898; 7) Begräbnisritus und einige spezielle altertümliche Gottesdienst, Berlin, 1898; 8) Fasten- und Blumentriodion, 1896; 9) Menologion, erster und zweiter Teil 1900 u. 1901 u. a.
Unter seinen apologetischen Arbeiten sind zu nennen "Dogmatische Erörterungen zur Einführung in das Verständnis der Orthodox-Katholischen Auffassung in ihrem Verhältnis zur römischen und protestantischen, von einem Geistlichen der Orthodox-Katholischen orientalischen Kirche, Berlin 1893. "Die Russische Kirche" 1893. "Altkatholizismus und Orthodoxie", 1898 ff.  u. a. m.

Auf Veranlassung des Oberprokurors des Synods wurde 1895 in Berlin das Neue Testament in der Übersetzung V. A. Œukovskijs herausgegeben.

Neben dem hervorragenden Erzpriester  Alexej Mal'cev war in Berlin auch ein deutscher Priester tätig, nämlich Vater Vasilij Göcken. Er war preußischer Staatsbürger,  Offizier im Ruhestand, Sohn eines Militärartztes, am 12./24. April 1845 in Berlin geboren. Ein ehemaliger Katholik, wurde er am 30. März 1890 von dem Vorsteher der Gesandtschaftskirche, Erzpriester A. Mal'cev in die Orthodoxe Kirche aufgenommen. Auf seinen Wunsch hin, der Orthodoxen Kirche aktiv zu dienen, ernannte ihn der Metropolit Isidor am 23. August 1890 zum Lektor an der Alexander-Nevskij Kirche in Potsdam. Dabei erhielt er das Recht, beim Gottesdienst ein Stichar' zu tragen und die Verpflichtung, in deutscher Sprache zu predigen und als Religionslehrer an der Gemeindeschule der Bruderschaft in Potsdam zu wirken. Mit Resolution des Metropoliten Palladij vom 10. Januar 1894 wurde er zum Priester der Alexander Nevskij Kirche in der russischen Kolonie "Alexandrovka" bei Potsdam bestimmt und zum Klerus der Gesandtschaftskirche in Berlin zugezählt. Er wurde vom Erzbischof Flavian von Holm und Warschau (den späteren Metropoliten von Kiew) am 22. Januar 1894 in Warschau zum Diakon und am 23. Januar zum Priester geweiht. Außer der Potsdamer Kirche zelebriert er in der Friedhofskirche der Bruderschaft in Tegel. Seine Frau Emma (in der Orthodoxie Emmada), geborene Kohlwey, Tochter des Skulpters aus Hannover, singt in russischer und liest in deutscher Sprache bei den Gottesdiensten in der Friedhofskirche. Sie war ursprünglich evangelisch und wurde von Erzpriester Mal'cev in die Orthodoxie aufgenommen.