Die Buße

Der vorliegende Artikel "zur Buße" stellt die Wiedergabe eines Vortrags von Vater Atanasije auf dem Jugendtreffen 1988 dar. Er wurde nach einer Tonbandaufzeichnung niedergeschrieben und vom Autor nicht überprüft. Wir wollten bewußt möglichst weitgehend die Lebendigkeit des gesprochenen Wortes bewahren, ebenso einige Beispiele und Vergleiche, die in einem wissenschaftlichen Aufsatz nicht am Platze wären, hier aber zum Verständnis beitragen. Wir sind davon überzeugt, daß dieser wohl umfangreiche, aber doch leicht verständliche Artikel unseren Lesern eine Einstimmung in die Fastenzeit vermittelt.
Der Autor, Protosingel Atanasije Jevti{, ist Professor für Kirchengeschichte und Patristik an der Theologischen Fakultät der Serbischen Orthodoxen Kirche in Belgrad und war bereits früher verschiedentlich Gast unserer Diözese. - Red.

Die Buße ist die Grundlage des christlichen neuen Lebens oder des christlichen neuen Daseins, des Daseins in Christus. Daher beginnt auch das Evangelium mit den Worten des Vorläufers: "Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe". Und das erste Wort Christi nach Seiner Taufe war: "Tut Buße und glaubt an das Evangelium".
Doch in unserer Zeit stellt sich die Frage: warum ist Buße notwendig? Vom sozialen Standpunkt aus gesehen ist es unangebracht, von Buße zu sprechen. In der Heiligen Schrift gibt es, zumindest im griechischen Text, zwei Bezeichnungen: metanoia und metamelia. Diese zweite Bezeichnung wird manchmal nicht als Buße übersetzt, sondern als Umdenken. So kann man z. B. sagen: ich wollte nach Frankfurt fahren, doch ich fahre nicht. Das wird in der Heiligen Schrift als metamelia bezeichnet, d.h. es ist einfach eine Veränderung der Absicht. Dies hat keinerlei geistliche Bedeutung. Auf dem Gebiet der Psychologie kann man noch von einer Veränderung des Charakters sprechen, einer Veränderung der eigenen Neurose. Doch in der Psychologie fehlt sowohl bei Adler, als auch bei Freud und sogar bei Jung der Begriff der Bus-se, denn die Buße ist etwas religiöses.
In erster Linie muß man vor jemandem Buße tun, nicht einfach seinen Lebensstil oder sein inneres Gefühl oder Erfahrung ändern, wie etwa in den östlichen Religionen und Kulturen. Man sagt, daß der Mensch seine eigenen Erfahrungen machen muß, um sich bewußt selbst zu erkennen, sich selbst zu verwirklichen, damit das Licht seines Bewußtseins aufwacht. Für eine solche Verwandlung braucht man Gott nicht.
Die christliche Buße jedoch ist Reue vor jemandem.  So z. B.  gab es einen Serben - er ist jetzt schon 60 Jahre alt-, der in der Jugend Kommunist war und wie sie alle dem Volk viel  Leid zufügte. Doch später wandte er sich dem Glauben zu, Gott, der Kirche, und als man ihm vorschlug, die Heilige Kommunion zu empfangen, sagte er: nein, ich ha-be viel Böses getan. Man sagte ihm, er solle zur Beichte gehen. Doch er sagte, nein, wenn ich zur Beichte gehe, so tue ich das vor einem Priester, ich aber habe vor dem Volk gesündigt, ich muß öffentlich vor dem Volk beichten. Das sehe ich als vollkommenes Bewußtsein dessen an, was Buße ist. Dies ist bereits ein kirchliches Gefühl, ein altchristliches und wahrhaft biblisches, daß der Mensch auf der Welt niemals allein ist. Er steht zu allererst immer vor Gott, aber auch vor den Menschen. Deshalb hat in der Bibel die Sünde des Menschen  immer eine Beziehung zum Nächsten. Sie hat also eine soziale und gesellschaftliche Dimension oder Konsequenz. Und das fühlt man auch in unserem Volk. So auch bei den großen russischen Schriftstellern. Unser Volk, sei es das serbische oder russische, unser orthodoxes Volk hat das Gefühl, daß irgendein Dieb oder ein Tyrann oder ein Verbrecher dasselbe ist wie ein Gottloser. Selbst wenn er an Gott glaubt, so nutzt dies nichts - er  verhöhnt Gott, wenn sein Leben sich von Ihm entfernt.
Es gibt ein ganzheitliches Verständnis der Bus-se als eines rechten Stehens sowohl vor Gott als auch den Menschen. Deshalb kann für uns Chris-ten die Buße nicht allein mit sozialen und psychologischen Maßstäben gemessen werden -  sie ist immer ein durch Gott offenbarter biblischer, christlicher Begriff.
Christus beginnt Sein Evangelium, Seine Frohbotschaft, Seine Unterweisung der Menschheit mit der Buße. Wie der Hl. Mark der Asket - ein Heiliger des 4. Jh., Schüler des Hl. Johannes Chrysostomos, der als Einsiedler in Kleinasien lebte - lehrt, hinterließ unser Herr Jesus Christus, die Kraft Got-tes und Weisheit Gottes, unter Seinen verschiedenen Dogmen und Geboten ein einziges Gesetz: das Gesetz der Freiheit. Und zu diesem Gesetz der Freiheit gelangt man nur über die Buße. So gebot Christus den Aposteln: "predigt allen Völkern die Buße, denn das Himmelreich ist nahe". Und damit wollte der Herr sagen, daß in der Kraft der Buße die Kraft des Himmelreiches enthalten ist, so wie im Teig das Brot enthalten ist, oder im Korn die ganze Pflanze. Das bedeutet: die Buße ist bereits der An-fang des Himmelreiches. Erinnern wir uns an den Brief des Hl. Apostel Paulus an die Hebräer: diejenigen, die Buße taten, fühlten die Kraft des Himmelreiches, die Kraft der künftigen Zeit, und nur diejenigen, die sich der Sünde zuwandten, verloren diese Kraft. Man muß die Buße wieder zum Leben erwecken.
Die Buße ist also nicht einfach eine soziale oder psychologische Fähigkeit, dank derer man mit anderen Menschen ohne Konflikte auskommen kann. Die Buße ist eine ontologische Kategorie des Christentums. Als Christus das Evangelium mit der Buße begann,  hatte Er die ontologische Gleichheit des Menschen im Sinne, und Er gab, nach den Worten des Hl. Gregor Palamas, das Ge-bot der Buße und die übrigen Gebote, die der menschlichen Natur angemessen waren, denn am Anfang schuf Er die Natur und wußte, daß Er spä-ter kommen und die Gebote geben wird. Deshalb schuf Er die Natur gemäß der künftigen Gebote. Und umgekehrt gab Er solche Gebote, die der Na-tur entsprachen, welche Er am Anfang geschaffen hatte. Auf diese Weise ist das Wort Christi von der Buße keine Verleumdung der menschlichen Na-tur, sie ist nicht der menschlichen Natur aufgezwungen, sondern etwas Normales, etwas der menschlichen Natur Entsprechendes. Die menschliche Natur ist nämlich gefallen und befindet sich deshalb in einem für sie anomalen Zustand. Die Buße ist jener Hebel, durch den der Mensch seine Natur ins rechte Lot bringt, in ihren normalen Zustand zurückversetzt. Deshalb sagte der Heiland: metanoite - wandelt eueren Geist um. Der Zustand des Menschen ist ein krankhafter, pathologischer, und dies wird mit dem Ausdruck "Leidenschaft" bezeichnet. Auf griechisch ist dies "pa-thos" (Pathologie) - Krankheit, aber noch nicht völlige Zerstörung, so wie die Krankheit nicht die völlige Zerstörung des Organismus bedeutet, sondern lediglich  eine Verderbnis. So ist der sündige Zustand der Natur des Menschen ebenfalls eine Verderbtheit seiner Natur, die jedoch wiederhergestellt, berichtigt werden kann. Und deshalb kommt die Buße wie die Gesundheit auf eine kranke Stel-le, auf die kranke Natur des Menschen. Und der Herr sagte, daß wir Buße tun müssen, selbst wenn wir in uns nicht das Verlangen nach Buße spüren. Wir müssen glauben, daß wir wirklich Buße tun müssen, wenn der Herr dies sagte. Die großen Heiligen fühlten das Bedürfnis nach Buße desto mehr, je mehr sie sich Gott näherten, denn sie fühlten die Tiefe des Falls des Menschen.
Ich möchte dazu ein Beispiel aus unserem Le-ben anführen. Der peruanische Schriftsteller Car-los Castaneda hat bereits 8 Bücher über irgendeinen indianischen Weisen und Magier, Don Juan in Mexico, geschrieben, der ihn lehrte Drogen zu nehmen, um sich in den Zustand einer anderen Realität zu versetzen, in die Tiefe der Schöpfung einzudringen und ihre geistliche Bedeutung zu erfahren, in Kontakt mit geistlichen Wesen zu treten. Er ist Anthropologe. Er rief großes Interesse bei der Jugend hervor. Leider auch bei uns. Schon 8 Bände sind übersetzt. Kürzlich wurde ich zu einer Aussprache über Castaneda eingeladen. Ein Psychiater sagte, daß die Einnahme von Drogen ein gefährlicher Weg ist, da man u. U. von den daraus folgenden Halluzinationen nicht zurückkehren kann. Ein Schriftsteller lobte ihn. Eine Dichterin war reserviert. Und ich war der strengste Kritiker. Das, was Don Juan dem Schriftsteller Castaneda sagt, wissen wir alles. Wir befinden uns in einem tragischen anomalen Zustand. Doch was schlägt er vor, um uns aus diesem Zustand zu befreien? Nun, wir fühlen vielleicht eine andere Realität, werden von unseren Begrenzungen befreit, und was bringt das? Nichts! Der Mensch bleibt ein tragisches We-sen, nicht erlöst, und nicht einmal gereinigt. Er kann sich nicht nach Baron von Münchhausen selbst an den Haaren aus dem Schmutz ziehen. Wie der Hl. Apostel Paulus sagt: weder andere Himmel, noch eine andere Schöpfung, noch das Jenseits oder der siebente Himmel können den Menschen retten, denn der Mensch ist kein unpersönliches Wesen, das lediglich des Friedens und der Ruhe bedarf. Er ist ein lebendiges Wesen, das den lebendigen Kontakt zu Gott sucht. Ein serbischer Bauer sagte: wo ist denn Gott, daß ich Ihn an der Kehle packen kann? Ein Kommunist sagte da-zu: er ist ein Atheist. Doch nein, er ist alles andere als ein Atheist. Er hat ein lebendiges Empfinden für Gott, er streitet mit Gott wie Jakob. Natürlich ist diese Aussage ungebürlich, doch dieser Serbe hat ein lebendiges Gefühl für das Leben... Wenn man dagegen meint, das Heil liege in irgendeiner gleichmäßigen Seligkeit, im Nirvana, in der inneren Welt der Konzentration und der Meditation, so führt das alles den Menschen nicht weiter. Es schließt sogar die Möglichkeiten der Rettung aus, denn der Mensch ist aus dem Nichtsein ins Sein geschaffen, aufgerufen zur Kommunikation... Das können wir im Lied der Lieder lesen, oder in den Psalmen, wo wir einen existentiellen Dialog zwischen Gott und den Menschen erkennen. Beide leiden. Gott tut der Mensch leid, und der Mensch fühlt seine Unzulänglichkeit. Wenn der Sünder sich von Gott entfernt, so verliert er etwas sehr wertvolles, sehr großes und tragisches. Es ist die Tragik des verfehlten Ziels bei der Begegnung mit Gott, ein Fehler. Das Bewußtsein des Verlustes dessen, was wir hätten erreichen können. Der Mensch empfindet seine Entfernung von Gott deshalb tragisch, weil er zur Liebe geschaffen ist. Die Buße führt uns in diesen normalen Zustand zu-rück, zumindest an den Anfang des normalen We-ges. Sie ist, wie Vater Justin Popovi{ sagte, wie ein Erdbeben, das alles erschüttert, was dort in falscher Weise gefestigt war. Das zeigt, daß alles verändert werden muß, was bisher bestanden hat, und danach beginnt die stete und feste Erschaffung des Menschen, seiner Persönlichkeit, des neuen Menschen.
Doch die Buße ist unmöglich, ohne die Begegung mit Gott. Deshalb ist Gott dem Menschen entgegengegangen. Wäre die Buße lediglich ein Überdenken, ein Bereuen, eine Umstellung der eigenen Kräfte, so wäre sie eine Perestrojka, aber überhaupt keine Veränderung im Wesen der Sa-che. Ein Kranker, sagte der Hl. Cyrill von Alexandrien, kann sich nicht selbst heilen. Er braucht Gott als seinen Heiler. Und worin besteht die Krankheit? In der Zerrüttung der Liebe. Es kann keine einseitige Liebe geben. Die Liebe muß zumindest bilateral sein. Zur Vollkommenheit der Liebe jedoch sind drei nötig: Gott, der Nächste und ich. Ich, Gott und der Nächste. Dies ist die Perichorese der Liebe. Es ist der Kreislauf der Liebe und das ewige Leben. In der Buße nämlich fühlt der Mensch, daß er krank ist und Gott braucht. Deshalb beinhaltet die Buße im-mer eine auferweckende Kraft. Es ist nicht einfach Selbstmitleid oder eine Depression oder ein Minderwertigkeitskomplex.  Es ist immer das Bewußtsein und Gefühl, daß die Kommunikation unterbrochen ist, und sofort auch die Suche und der Be-ginn der Wiederherstellung dieser Gemeinschaft. Die Buße stellt den Menschen wieder her. So ging der verlorene Sohn in sich und sagte: in welchem  Zustand befinde ich mich -  ich habe einen Vater, und ich gehe zu dem Vater. Hätte er sich einfach als verloren empfunden, so wäre dies noch keine christliche Buße gewesen. Doch er ging zum Va-ter. Und hier sagt die Hl. Schrift, daß der Vater ihm bereits entgegenging. So kann man auch annehmen, daß der Vater den ersten Schritt tat und dies in der Regung des Sohnes zurückzukehren sei-nen Niederschlag fand.  Doch muß man natürlich analysieren, was das erste war, und was das zwei-te. Es ist klar, daß im Evangelium gesagt ist, daß der Vater dem Sohn entgegenging. Es ist nicht gesagt, daß er ihn sah, sondern einfach, daß er herausging. So ist die Begegnung zweiseitig. So-wohl Gott als auch der Mensch treten in der Buße in die Aktivität der Liebe. Die Liebe sucht Gemeinschaft. Die Buße ist Trauer um die verlorene Liebe. Erst wenn die Buße beginnt, empfindet der Mensch ihre Notwendigkeit. Anfänglich muß der Mensch gleichsam fühlen, daß er der Buße bedarf, und daß sie für ihn rettende Bedeutung hat. Eben-so empfindet der Mensch das Bedürfnis nach Bus-se in dem Moment, in dem er bereits Buße fühlt. Das bedeutet, daß das Unterbewußtsein im Her-zen tiefer ist, als das Bewußtsein. Christus sagte verschiedentlich: "wer dies fassen kann, der fasse es". Der Hl. Gregor der Theologe fragt: doch wer kann es fassen? Und er antwortet: derjenige, der es will. Der Willen ist natürlich nicht einfach eine bewußte Entscheidung, sondern etwas viel tieferes. So empfand auch Dostojevskij wie auch die gesamte orthodoxe Asketik, daß der Wille viel tiefer liegt, als der Verstand des Menschen - er gründet im Kern des Menschen, der als Herz oder Geist bezeichnet wird. So heißt es im 50. Psalm: "ein reines Herz erschaffe in mir, Gott, und den rechten Geist erneuere in meinem Inneren".  In diesem Parallelismus - ein reines Herz, den rechten Geist; erschaffe, erneuere; in mir, in meinem Inneren - wird das gleiche nur mit anderen Worten ausgedrückt. Herz und Geist - das ist das Wesen des Menschen, die Tiefe der gottebenbildlichen Persönlichkeit des Menschen. Man kann sogar sagen, daß Liebe und Freiheit in diesem Kern des Menschen enthalten sind. Die Liebe Gottes, welche den Menschen aus dem Nichtsein schuf. Der Ruf Gottes nahm Gestalt an und erhielt eine Antwort, aber eine persönliche Antwort, d. h. der Mensch ist die Antwort auf den  Ruf Gottes. Der Hl. Basilius d. Große sagt - und dies fand in den Gottesdienst der Hll. Erzengel Eingang - , daß alle Engelsscharen unaufhaltsam zur Liebe zu Christus streben. Wenn sie auch En-gel sind, erhabene geistliche Wesen, beinahe Göt-ter, so ist in ihnen doch ohne Christus Leere. Dos-tojevskij sagt in einem Kapitel der "Dämonen", das nicht in die erste Auflage aufgenommen wurde, daß die Menschheit gleichsam eine soziale Wahrheit verwirklicht hat, Liebe, Solidarität, Altruismus, aber von der Erde die hohe Idee Gottes und der Unsterblichkeit vertrieben hat. Als Christus jedoch in Seiner zweiten Wiederkehr wiedererschien fühlten alle, all die Glücklichen, die das irdische Reich verwirklicht hatten, das Paradies auf Erden, daß in ihrer Seele eine große Leere gähnte, die Leere der Abwesenheit Gottes. Das heißt es gab keine Liebe. Und Dostojevskij  sagte mit Recht, daß die Liebe zum Menschen ohne die Liebe zu Gott unmöglich ist. Daher müssen wir immer von zwei Liebesgeboten ausgehen: die Liebe zu Gott, vollkommen, aus ganzem Herzen, und die Liebe zum Menschen, vollkommen, wie man sich selbst liebt. Sie können ohne einander nicht auskommen, und nur sie zusammen erstellen das christliche Kreuz: die Vertikale und die Horizontale.  Nimmt man eine davon fort, so wird das Kreuz zerstört, dann ist es kein Christentum mehr.
Die Buße regt den Menschen gleichzeitig zur Liebe zu Gott und zur Liebe zum Nächsten an. Theophan der Kläusner sagt in seinem "Weg zur Rettung" (und das ist die Erfahrung aller Väter): wenn sich im Menschen die Buße regt, so fühlt er sofort auch die Liebe zum Nächsten. Er wünscht allen Heil. Das ist bereits ein Zeichen echten christlichen Lebens.
Das bedeutet, daß die Buße uns in einem anomalen, sündigen Zustand den Umschwung zum normalen Zustand eröffnet, die Hinwendung zu Gott und die Besserung vor Gott. Sie eröffnet dem Menschen die volle Wahrheit seines Zustandes. Das ist die Offenbarung des wahren Menschen. Manchmal scheint es selbst uns orthodoxen Christen, daß die Buße einfach irgendeine Pflicht des Menschen ist, die man erfüllen muß. Das ist ein zu niedriges Verständnis der Beichte. Das rechte Verständnis der Buße können wir aus jener Erzählung einer alten Russin erschließen, die ihren Enkel we-gen einer Ungezogenheit schlug.  Dieser stellte sich in die Ecke und weinte, während sie nicht da-rauf achtete und weiter arbeitete. Dann kam der Junge und sagte: "Oma, man hat mich hier geschlagen und mir tut es weh". Die Großmutter war von dieser Wendung so gerührt, daß sie selbst an-fing zu weinen - die kindliche Mentalität besiegte die Großmutter. Das Kind eröffnete sich. Die Buße ist eine Öffnung vor Gott. So kennen wir die Worte aus dem Psalm, die auch in den Irmos eingingen: Mein Gebet schütte ich aus vor dem Herrn. Gleichsam als hätte man eine Kanne mit schmutzigem Wasser und schüttet sie vor Gott aus. "Und Ihm sa-ge ich meine Sorgen, denn meine Seele ist von Bosheit erfüllt und mein Leben ist zum Grund der Hölle herabgestiegen".  Man fühlt den Sturz in den Grund der Hölle wie Jonas im Walfisch und öffnet sich vor Gott.
Die Beichte als Fortsetzung der Buße ist die wahrhaftige Öffnung des Menschen vor Gott. Da wir sündig sind, öffnen wir unsere Wunden, Gebrechen, Sünden. Ein Einsiedler auf dem Athos in den Felsen, wo nichts wächst, stieg in das Kloster herab zur Beichte, und als ihn der Beichtvater frag-te, was er zu beichten habe, antwortete er: ich ha-be eine große Sünde auf der Seele. Ich bewahre in einem Gefäß Zwieback auf, und eine Maus kommt und frißt ihn. Ich bin sehr böse auf sie. Dann schwieg er und fügte hinzu: diese Maus fügt mir tatsächlich Schaden zu, aber ich zürne ihr mehr als sie mir schadet.
Das ist wahre Buße. Alles ist klar, offen. Er sieht sich in einer verzweifelten,  ausweglosen Lage, doch echt ist das, daß er nicht nur  sich selbst betrachtet, sondern nach den Worten des Hl. Antonius d. Großen lebt: stell deine Sünde vor dich und schaue jenseits der Sünde auf Gott. Und dann hält die Sünde die Konkurrenz der Begegnung mit Gott nicht aus. Gott besiegt alles. Was ist die Sün-de? Nichts! Ein Nichts vor Gott. Doch für mich ist sie die Hölle. Da verstehe ich die Worte des Psalmensängers: Aus der Tiefe rufe ich zu dir - aus dem Abgrund führe mein Leben empor.
Unsere Seele dürstet nach Gott wie das Reh in der Wüste nach fließendem Wasser.Wenn einem Kind etwas zustößt, läuft es und sucht seine Mut-ter, und es will niemanden und nichts außer der Mutter, es fällt in ihre Umarmung und beruhigt sich. Genauso ist das Evangelium das Buch der grundlegenden Beziehungen. Deshalb wird dort von Kindern gesprochen, vom Vater, vom Haus und der Familie.  Das Evangelium ist keine Theorie, kei-ne Philosophie, sondern der Ausdruck unserer existentiellen Beziehungen untereinander und zu Gott. So ist die Beichte die Eröffnung der Wahrheit über sich selbst. Wir brauchen uns selbst nicht zu verleugnen, nicht schlimmerer Dinge bezichtigen als wir wirklich getan haben, doch genauso dürfen wir nichts verheimlichen. Wenn wir uns verstecken, ist das ein Zeichen, daß uns die aufrichtige Liebe zu Gott fehlt. Die Bibel ist die Niederschrift der lebendigen Erfahrung, aus der Realität genommen. Es gibt in der Bibel viel Abtrünnigkeit von Gott und Hader mit Gott, doch eines wird man nicht finden, nämlich Unaufrichtigkeit. Es gibt kein Gebiet in unserem Leben, in dem Gott nicht anwesend wäre. Man muß wissen, wie Vater Justin sagt, daß es im Menschen viel Böses gibt und daß die Welt im Bö-sen untergeht, doch für diese Welt und für einen solchen Menschen gibt es eine Rettung. Das ist unsere Freude. Es gibt die Möglichkeit der Rettung und es gibt einen wirklichen Retter.
Vater Justin illustrierte dies durch ein sehr gu-tes Beispiel. Er liebte sehr den Propheten Elias und den Hl. Johannes d. Täufer. Er sagte, daß der  hl. Vorläufer der unglücklichste Mensch in der Welt war. Er wurde geboren und ging noch als Kind mit der Mutter in die Wüste. Die Mutter starb, und er blieb dort. Gott schützte ihn durch Seine Engel. Er lebte in der reinen Wüste mit reinem Himmel, rei-nen Steinen, reinem Regen... Der Vorläufer kann-te die Sünde nicht; er lebte wie ein Engel Gottes im Körper. Und als er 30 Jahre alt war, sprach Gott zu ihm: geh an den Jordan und taufe die Menschen. Und sie kommen zu ihm und beichten und gießen auf den Vorläufer ihre Sünden, die zu ei-nem Hügel, ja einem Berg werden. Und der Vorläufer kann diese Sünden nicht aushalten. Ihr wißt, welche Sünden die Menschen haben und in sich tragen! Und der Vorläufer beginnt zu verzweifeln: Herr, ist das der Mensch, den Du geschaffen hast? Ist das die Frucht Deiner Hände? Der Vorläufer be-gann zu ertrinken. Und die Massen kommen zur Beichte. Wieviel Sünden müssen sich noch anhäufen? Und als der Vorläufer es schon nicht mehr aushalten kann, sagt ihm Gott plötzlich: hier ist das Lamm Gottes, Einer unter diesen, Der  all ihre Sün-den und die der ganzen Welt auf sich nimmt. Und nun wird der unglücklichste Mensch der allerglücklichste. Gott sei dank! Also gibt es eine Rettung von diesen Sünden und von allen Sünden. Es gibt einen Retter! Damit drückt Vater Justin natürlich von sich aus, daß der Vorläufer die Buße schon selbst erlebte. Und wirklich kann ich aus meiner geringen Erfahrung in der Nähe Vater Justins sagen, daß er ein Mensch war, der so ähnlich wie der Vorläufer lebte. Er war rein, ein großer Asket und hatte großes Mitgefühl, ähnlich wie Metropolit Antonij, er fühlte dem Sünder nach, hatte Mitgefühl mit jedem Menschen, jedem Geschöpf, und Gott gab ihm für dieses Mitgefühl die große Gabe der Tränen. Und das war für uns nichts Fremdes. Menschliche Trä-nen sind jedem von uns immer nah. In der Nähe eines Menschen, der aufrichtig Buße tut, fühlen wir, daß auch wir der Buße bedürfen, daß die Trä-nen natürliches Wasser sind, wertvoll wie Blut - das ist das neue christliche Blut, die neue Taufe, wie die Väter sagten. Durch die Tränen erneuern wir das Taufwasser, das warm und mit Gnade erfüllt wird.
Natürlich gesellt sich dazu das Fasten.
Der Hl. Johannes von Kronstadt schreibt in "Mein Leben in Christus" daß, wenn ein Mensch Haß empfindet, seine Augen einen anderen sogar beim Gehen hindern. An der Sünde leidet der Mensch nicht nur selber, sondern es leidet seine gesamte Umgebung.
Wenn die gegenwärtige Menschheit mehr fastete, gäbe es nicht so viele ökologische Probleme. Die Beziehung des Menschen zur Natur ist überhaupt nicht fastengemäß, nicht asketisch. Sie ist brutal, ausnützerisch. Der Mensch ist zum Ausnützer, zum Besatzer geworden. Marx lehrte ja auch so: man muß sich nur auf die Natur stürzen und sie ausnützen, sich der Gesetze bemächtigen und reproduzieren. Das wird auch die Geschichte zeigen. Eine solche Einstellung ist alles andere als menschlich, human. Echter christlicher Humanismus setzt auch das Verhältnis des Menschen zu sich selbst voraus. Die Hll. Väter sagten, daß wir nicht das Fleisch töten, sondern die Leidenschaften. Das Fasten ist kein Kampf gegen den Leib, als Geschöpf Gottes. Christus ist Leib, und Seine Kommunion ist Leib. Der Kampf ist gegen die Zügellosigkeit und Verderbtheit in diesem Leibe gerichtet. Jeder von uns kann empfinden, daß der Mensch, der nicht über sich Herr ist, über seinen Körper, zum Sklaven von Speise oder Trank oder anderen Genüssen wird. Die Materie beginnt über den Menschen zu herrschen, nicht der Mensch über die Materie. Der Fall Adams zeigt, daß er durch den Genuß der Frucht nichts Neues erhielt. Der Sinn des Gebotes lag nicht darin, dem Menschen den Genuß der Frucht zu verbieten, als ob in ihr etwas Gefährliches war, sondern in der Disziplinierung, damit der Mensch den Weg der Askese beschreiten könnte. Dies ist die Askese der Freiheit und Askese der Liebe. Niemand kann das anstelle des Menschen tun.  Um an der Freiheit und Liebe Gottes teilzuhaben, muß er Asket sein.
Z. B. ein Sportler, ein Fußballer, muß ein Asket sein. Er kann nicht essen und tun, was er will und ein guter Sportler bleiben. Das geht nicht. Das ist klar wie der Tag. Der Christ aber muß noch mehr seinen Körper so einstellen, damit er dient (griech. liturgisiert), d.h. im Dienst, in der Liturgie ist. Und Liturgie bedeutet volle, normale allgemeine Funktion, allgemeine Tätigkeit. Wenn wir von der Hl. Liturgie sprechen, dann ist es der Dienst des Menschen vor Gott, aber im allgemeinen Sinn ist es das normale Funktionieren all dessen, was dem Menschen gegeben ist. Deswegen ist es normal, daß der Christ, der zur Buße tritt, genauso auch das Fasten nutzt. Dafür müssen wir fasten, und nicht einfach deshalb, weil wir eine Pflicht erfüllen müs-sen oder, wie manche meinen, von Gott eine Belohnung, einen Kranz verdienen. Ein Opfer, das Belohnung fordert, ist kein Opfer. Das ist einfach eine Arbeit, die ihren Lohn erwartet. So denken Tagelöhner, nicht aber Söhne. Als Christus sich für uns zum Opfer brachte, erwartete Er dafür nicht ei-ne Belohnung vom Göttlichen Vater, sondern Er tat dies aus Liebe. Wie Metropolit Philaret von Moskau sagt: aus Liebe zu Gott Vater ließ Sich der Sohn kreuzigen. Aus der Liebe des Sohnes zu uns nahm Er das Kreuz auf Sich und aus der Liebe des Hl. Geistes, besiegte Er den Tod durch Seine Kreuzigung. Das kann man nur durch Liebe verstehen.
Wenn man in der Familie oder Freundschaft, wo Liebe herrscht, um des anderen willen auf irgendeinen Genuß verzichtet, so teilt man etwas mit dem anderen. Darin liegt auch das Verständnis des Fastens. Außerdem hilft uns das Fasten, die verderbte menschliche Natur zu heilen, die nötige Ordnung herzustellen, die Gott gab. Das bedeutet, sich zuerst vom Wort Gottes zu ernähren und dann vom Brot. Brot ist zweifellos unabdingbar. Ohne Brot können wir nicht leben. Doch ihm steht der zweite Platz zu. So antwortete Christus dem Teu-fel, als er Ihn in der Wüste versuchte: "nicht vom Brot allein lebt der Mensch, sondern von jeglichem Wort, das aus dem Mund Gottes kommt".  Vom Wort Gottes - d.h. von der Kommunikation mit Gott.
Ich erinnere mich eines Russen, der viel gelitten hatte, er war bei uns in der Fakultät Bibliothekar. Er hatte vier Jahre seines Lebens in Dachau verbracht. Dann nahm er einen serbischen Waisenjungen  auf, erzog ihn und verheiratete ihn. Die Frau jagte den alten Mann aus dem Haus. Er starb dann in Armut. Er erzählte, daß man in Dachau auf dem Gesicht eines jeden sofort erkennen konnte, ob er lebendigen Kontakt mit Gott hatte. Da gab es keine Heuchelei. Er sagte mir über Berdjajev, daß dieser nach seiner Meinung niemals lebendigen Kontakt mit Gott hatte. Natürlich ist er eine tragische Figur, eine Art Märtyrer, deswegen kann man ihn nicht ablehnen. Doch er ist zu pretenziös, er kannte die Demut nicht und machte sich sogar über sie lustig. Vor Gott muß man sich demütigen. Nicht aus irgendeinem Minderwertigkeitskomplex. Hiob war krank, viel leidend, aber er war nicht "inferior" vor Gott, sondern er war demütig, und diese Demut verlieh ihm Kühnheit vor Gott. "Komm vom Himmel herab", sagte Ihm Hiob, und Gott stieg her-ab. Wir brauchen keine psychologischen oder sozialen Kategorien anzunehmen: Demut ist nicht Ohnmacht sondern eben Kühnheit. Wenn ich zu euch gekommen bin und kein Geld mehr habe, so würde ich hier sterben, aber ich verlasse mich da-rauf, daß ihr mich nicht allein laßt, sondern mir zu essen gebt und mir helft. Das ist Kühnheit. Andernfalls würde ich nicht nur mich selbst, sondern auch euch unterschätzen. So beteten die Christen im Altertum - ein ägyptischer Mönch sagte: "ich ha-be als Mensch gesündigt, Du aber als Gott erbarme Dich". Demut und Kühnheit gehören zusammen.
Alles gehört zusammen, von der Buße angefangen, aber die Buße setzt den Glauben voraus oder wird aus dem Glauben geboren. Der Glaube an Gott schließt die Buße sofort in mein Drama ein, in mein Problem, mein Leben. In keiner Weise kann ich mein Problem ohne Gott lösen. Das bedeutet - ich suche die Kommunikation. Und Gott zeigte durch Christus, daß Er die Kommunikation mit uns will. Seinen Sohn gab Er. Er liebte uns frü-her als wir Ihn liebten. Das heißt, Er sucht auch die Kommunikation. Das ist wirklich ein menschenliebender, aktiver Gott, Der von manchen Vätern als expansiver Eros bezeichnet wird. Um in Seine Allmacht einzutreten, tritt Er uns entgegen und begrenzt Sich dadurch in unser Maß, um uns aufzunehmen. Das bezeichnet man als Kenosis. Wenn Er unmittelbar zu uns käme, so würden wir wie bei der Berührung mit der Sonne einfach vergehen. Doch Er verringerte Sich aus Liebe in der Suche nach Kommunikation. Er Selbst tut dies ohne Zwang, Er Selbst will es. Und das verleiht uns so-fort Würde. Daher besitzen wir in unserer orthodoxen christlichen Tradition eine große Grundlage zur Kühnheit, zur Hoffnung auf Gott. Ich bin sün-dig, doch Gott ist größer als die Sünde. So sagte der Starez Tichon zu Stavrogin: sie haben nur ei-nen Schritt zu den Heiligen. Und wirklich, der Mensch kann diesen einen Schritt tun, und begegnet Gott. Es gibt nichts Unmögliches. Dem Menschen ist es unmöglich, aber Gott ist es möglich. Gott trat in diese Verbindung mit uns, und Er wün-scht nicht, daß wir unser Problem ohne Ihn lösen. Wir haben keinen Grund, daran zu zweifeln, denn Er gab Seinen Sohn. Das sind unsere Gründe für die Buße. Das ist nicht einfach eine moralische Belehrung des Menschen, daß man gut sein muß, Buße tun muß. Die Buße erneuert in uns die Grundlagen des christlichen Glaubens. Gott will un-sere Rettung, Er sucht sie, dürstet nach ihr. Unsererseits ist es nur notwendig, zu wollen - dann kön-nen wir, nicht von uns aus, sondern durch Gott.
Die Buße mit allen sie begleitenden christlichen Tugenden wie Beichte, Demut, Kühnheit, Hoffnung, Fasten, Gebet... die Buße ist schon der Vorgeschmack der Auferstehung, ja sogar der Anfang der Auferstehung. Das zweite wird nur das Resultat sein, das Ende bei der zweiten Wiederkehr Christi. Eine solche Erfahrung der Buße gibt es in keiner Religion, in keiner geistlichen Erfahrung, in keiner Mystik. Sogar im westlichen Christentum ist dieses Gefühl, dieses Ereignis leider fast völlig verlorengegangen.
Vater Justin erzählte uns, wie er im ersten Weltkrieg in Oxford studierte und ein anglikanischer englischer Mönch nach zweijähriger Freundschaft ihm sagte: ihr seid alle jung und fröhlich wie wir, aber eines habt ihr, was uns fehlt, als Kirche fehlt - das ist die Buße, die kennen wir nicht. Dem war vorausgegangen, sagte Vater Justin, daß er sich mit dem Engländer ernstlich gestritten hatte. Doch dann konnte er es nicht aushalten, ging zu ihm, und bat um Verzeihung, warf sich ihm zu Füßen, und der Engländer nahm ihn an... Hier erkannte der Engländer, was Buße bedeutet.
Die Hll. Väter sprechen davon, daß man die Leidenschaften nicht aufblähen soll, niemandem auf den Schatten treten..., doch das ist nur bei wirklicher Demut möglich. Es muß mit Liebe geschehen und kann nicht einfach aus Gleichgültigkeit gegenüber dem Zustand des Bruders geschehen. Gewöhnlich ist das nicht Demut oder Leidenschaftslosigkeit, sondern einfach konventionelles Verhalten, bon ton, Heuchelei, Offizielles, Überliefertes. Man soll sich nicht in fremde Angelegenheit einmischen. Soll das Volk in Vietnam, in Jugoslawien oder Kuba nur sterben. Alles wird auf äußeren Anstand nivelliert. Wie Vater Justin zu sagen liebte, ist Kultur allzu oft nur Politur, und innen sitzt der Wurm. Natürlich muß man nicht agressiv sein. Aber uns Orthodoxe hat Gott so durch die Geschichte geführt, daß wir immer unterdrückt waren und nicht ohne Probleme leben konnten. Doch die Anerkennung des status quo, des Anomalen als nor-mal, ist nicht Christentum. Die Buße ist gerade der Protest gegen diesen anomalen Zustand. In der Familie gibt es Schwierigkeiten, in der Gemeinde, in der Diözese, im Staat, in der Welt, doch der Christ kann sich damit nicht abfinden. Er kämpft. Er beginnt jedoch mit sich selbst, denn die Buße ist Selbstbezichtigung, Selbstbegrenzung oder wie Tarkovski sagt Scham, Scham als religiöser Begriff. Der Mensch kehrt in sich zurück und beginnt sich zu schämen.  Am Ende des Films "Buße" von Abuladse kann man wahrhaft menschliche Buße se-hen: der Mensch beginnt, sich seiner Taten zu schämen, und sofort tritt die Entschlossenheit her-vor, dies zu verändern. Nur in orthodoxen Ländern kann man der Buße begegnen, und sogar in der Literatur tritt dieses Thema auf. Bei uns erschien vor kurzem ein Roman "Buße", in dem über das Verhältnis von Serben, Moslems und Katholiken in Bosnien berichtet wird. In dem Roman empfinden aber nur die orthodoxen Serben Buße. Nur sie sprechen nicht nur davon sondern tun wirklich Buße. Gott sei dank, das heißt, daß wir Sünder sind. Wir können uns nicht mit einer solchen Lage abfinden, weder der eigenen, noch der der anderen. Vater Justin bezeichnete das als echte revolutionäre Stimmung der Christen gegen die Sünde, gegen das Böse, gegen den Teufel, gegen den Tod. Es ist das Aufbegehren des Menschen ge-gen ein falsches Ich und der Kampf um den wah-ren Gott. Die Buße fordert eine wahrhaftige Sicht der Welt, Gottes, des Menschen, sie fordert wahren Glauben. Ich bin persönlich davon beeindruckt, daß in Rußland viele junge Menschen zu Gott, zur Orthodoxie zurückkehren. Bei uns ist das auch so. Das bedeutet nicht einfach, daß sie den Glauben an irgendeine Gottheit finden, den Athe-ismus abschütteln und irgendeine Mystik entdekken. Nein, sie finden den wahren lebendigen Gott, gliedern sich in das echte Leben der Kirche ein. Kürzlich las ich einen guten Aufsatz von Vladimir Zelinskij "Die Zeit der Kirche". Man sieht, wie der Mensch Gott fand, Christus fand, die Kirche fand. Wenn man einfach bereut und lebt, gleich in welcher Kirche, dann bezweifle ich sogar die Echtheit der ursprünglichen Buße. Das ist metamelia, nicht metanoia. Deswegen standen die Väter so eifrig für den Glauben ein. Dabei darf man nicht vergessen, daß die Liebe das erste Dogma unseres Glaubens ist. Die Liebe - das ist das wahre Kreuz. Doch fürchtet die Liebe nicht, wenn sie ans Kreuz führt. Vergeßt niemals, daß die Liebe, wenn sie sich auch am Kreuz befindet, dennoch Liebe bleibt. Wenn Christus nicht gesagt hätte: "Vater, vergib ihnen!", dann wäre Er, glaubt mir, nicht Christus gewesen. Er wäre ein Held gewesen, ein idealer Mensch. Auch bei Dostojevskij im "Großinquisitor" umarmt Christus den Inquisitor. Das ist keine Sentimentalität, keine Romantik, das ist wahre Liebe, die keine Furcht kennt. Deshalb empfinden wir Orthodoxen immer, daß unsere Kraft und Unbesiegbarkeit nicht in uns liegt, sondern in der Echtheit des-sen, was wir suchen, wünschen, woran wir glauben, und wofür wir leben.
In der Buße muß man verstehen, daß Gott jenseits unseres Guten und unseres Bösen steht. Wir dürfen uns weder mit unseren bösen, noch mit unseren guten Taten identifizieren. Wir dürfen nicht denken, daß wir uns durch gute Werke rechtfertigen können. Doch genauso müssen wir auch glauben, daß selbst die bösen Werke, wenn ich sie auch verurteile und von mir weise, mich nicht von meinem Gott trennen können. Die Russen neigen dazu, ihre Sünden überzubewerten und in ihnen unterzugehen wie in einem Abgrund und zu ersticken. Das ist eine Art Zweifel an Gott. Es ist eine Übertreibung der eigenen Sünden und eine Abwertung Gottes. Die umgekehrte Methode macht Gott zu einem Lügner: Er sandte Seinen Sohn, um uns zu retten, und wir sagen, nein, das ist nicht nötig, wir haben keine Sünden. Christus rettet umsonst! Hier gibt es von unserer Seite kein Entgelt oder Wiedergutmachung.
Doch wir müssen erkennen, daß die Sünde Sünde ist, daß sie unser Feind ist. Die volle Buße wird in der Orthodoxie mutig, nicht aber sentimental. Der Mensch erhebt sich zum Kampf. Die Hll. Väter sagen, daß der Mensch die Gabe des Zor-nes, der Wut, besitzt. Sie ist so wie die Gabe der Nahrung, die Fähigkeit Nahrung aufzunehmen. Doch aus der Gabe der Nahrung kann sofort die Leidenschaft zum Essen erwachsen. Genauso ist es mit dem Zorn. Das ist die Dynamik, daß die Tu-gend agressiv, aktiv sei, nicht passiv. Doch wenn sie entstellt wird, kann sie zur Tyrannei für andere werden, sich zur Agression verwandeln. Die orthodoxe Buße besitzt diesen Zorn.
Der Hl. Demetrios spornte einen jungen Chris-ten zur Ermordung des Lyos an. Das war echter rettungbringender Zorn. Es ist die Kraft, auf den eigenen Beinen zu stehen. Als Hiob klagte, tröstete ihn Gott nicht, sondern forderte ihn auf, sich aufzurichten und gehorsam zu sein. Und das richtete Hiob auf. Nur die Orthodoxie hat das asketische Ethos bewahrt. Wir dulden Niederlagen und wer´-den nicht böse, aber auch nicht gleichgültig gegenüber anderen. So geschieht es in unseren Gemeinden. Jemand meint, daß ein anderer ihn haßt, und damit stellt er sich ein Alibi aus, um nicht mit ihm zu verkehren. Doch man muß versuchen, die Verbindung aufzunehmen, das Problem des Nächsten als eigenes Problem zu betrachten. Und Mitleid haben muß man nicht aus Stolz, sondern aus wirklichem Mitgefühl.
Das Christentum ist nicht Apathie, wie sie die alten Stoiker verstanden. Wir dürfen uns nicht töten, sondern müssen in uns den Dienst am Bö-sen töten, an der Sünde, um Gott zu dienen. Das Leben ist kein Nirvana. Das Leben ist Kommunikation, Lobpreis Gottes, Aufsteigen, Heranwachsen. Deshalb ist die Buße wirksam, wenn sie aktiv geschieht, wenn sie den Menschen sofort aufweckt, er sich sofort aufgerufen  fühlt.
Vielleicht kann man einen Vergleich zwischen dem Hl. Isaak d. Syrer und dem Hl. Simeon dem Neuen Theologen anstellen. Der Hl. Isaak ist fins-terer, trauriger. Der Hl. Simeon dagegen ist ganz Freude, Dynamik. Diese traurigere, verdrießlichere Seite drückt eher den Westen aus, die Hl. Clara. Wenn die Gnade Gottes sie verläßt, geraten sie in Verzweiflung. In der Orthodoxie ist das nicht so. Hier sagt man: Gott hat mich heimgesucht, hat mir Seine Gnade gegeben, aber dadurch will Er mich empor führen.
Auf dem Athos leben große Asketen, die jeglicher Genüsse des Lebens entbehren, deren Gesichter jedoch immer fröhlich sind. Und alle haben sie etwas Besonderes, Einmaliges an sich, weil je-der ein lebendiges Leben lebt.
Die Buße erweckt im Menschen guten Ehrgeiz. Erinnern wir uns an den verlorenen Sohn: bin ich etwa, der Sohn eines solchen Vaters, dazu geschaffen, in der Fremde Schweine zu hüten? Nein! Ich gehe zu meinem Vater.
Buße, Gebet, Fasten, Beichte - alles geschieht spontan. Und wie die alten Väter sagten - wir müssen täglich von Neuem beginnen, uns einstimmen, um diese Frische des christlichen Lebens zu erfahren.
Protosingel Atanasije Jevtic