Predigt zum Hochfest der Verkündigung der Allerheiligsten Theotokos (Hebr. 2:11-18; Lk. 1:24-38) (07.04.2024)
Liebe Brüder und Schwestern,
das Hochfest der Verkündigung der Allerheiligsten Gottesgebärerin unterscheidet sich in einem Detail von allen übrigen Festen zu Ehren der Gottesmutter. Zu allen diesen Festtagen wird nämlich stets im Orthros die 4. Perikope aus dem Lukas-Evangelium vom Besuch der Gottesgebärerin bei Elisabeth gelesen (1:39-49,56) und in der Liturgie die 54. Perikope aus demselben Evangelium vom Besuch des Herrn bei Martha und Maria (10:38-42; 11:27-28). Zudem wird an all diesen Festtagen der Gottesmutter entweder die 240. Perikope aus dem Philipper-Brief (2:5-11) oder die 320. Perikope aus dem Hebräer-Brief (9:1-7) vorgetragen. Diese Lesungen sind in Ermangelung anderer Textquellen pauschal für die Feiern zu Ehren der Gottesmutter festgelegt. Nicht so aber am heutigen Tag, denn die Verkündigung der Geburt des Herrn an die Jungfrau Maria wird im ersten Kapitel des Evangeliums nach Lukas ausführlich beschrieben. Eigentlich ist diese Lesung, genauso wie das Magnifikat aus dem zweiten Kapitel des Lukas (das sonst zum Orthros gelesen wird) ausreichend, damit jeder wohlwollende Mensch begreift, weshalb wir die Theotokos über alle Heiligen und die himmlischen Mächte verehren.
Der Evangelist Lukas überliefert uns den Dialog der allerheiligsten Jungfrau mit dem Himmelsboten in Nazareth. Überhaupt gibt es nur vier Stellen im Evangelium, an denen die Mutter des Herrn zu Wort kommt, drei davon beim Evangelisten Lukas. Die erste eben hier im Dialog mit dem Erzengel Gabriel zu Nazareth, danach bei der Begegnung mit Elisabeth im Judäischen Bergland, und ein drittes Mal im Tempel zu Jerusalem, wo Sie mit Ihrem Gemahl Josef den zwölfjährigen Jesus nach dreitägiger Suche findet (Lk. 2:41-51). Das vierte Mal hören wir Sie bei der Hochzeit zu Kana in Galiläa bei Johannes (Joh. 2:1-12).
Wenden wir uns nun der heutigen Lesung zu, die dem Wortlaut des Troparions zufolge den „der Anfang unserer Errettung“ reflektiert und das „von Anbeginn des Äons bestehende Mysterium offenbart“. „Der Sohn Gottes wird zum Sohne der Jungfrau und Gabriel verkündet die Gnade, weshalb auch wir mit ihm der Gottesgebärerin zurufen: ´Sei gegrüßt, Du Begnadete, der Herr ist mit Dir`“.
Es ist der Moment der Menschwerdung Gottes im Leib der Jungfrau, und zwar durch das angekündigte Überkommen des Heiligen Geistes. Und das heißt, dass von nun an der Menschheit die Fülle der Gnade Gottes widerfährt, wie es auch die Heerscharen der Engel von da an in genau Monaten auf einem Feld nahe Bethlehem verkünden werden (s. Lk. 2:14). Es ist die Vereinigung Gottes und der Menschen durch deren Einswerdung mit dem aus der Jungfrau vom Heiligen Geist geborenen Christus. Es ist eine Freude und eine Gnade, die nicht mit Worten zu beschreiben ist! Wer das nicht selbst so empfindet, der muss sich fragen lassen, was er in der Kirche macht und wozu er sich Christ nennt.
Als der Engel der Jungfrau erscheint und Sie mit den Worten anredet: „Sei gegrüßt, Du Begnadete, der Herr ist mit Dir“ (Lk. 1:28), erschrickt Sie über diese Worte und überlegt, was diese zu bedeuten hätten (s. Lk. 1:29). Der kirchlichen Überlieferung nach waren Engelserscheinungen nichts Neues für die Jungfrau, die ja aus Ihrer Zeit im Tempel im ständigen Kontakt mit himmlischen Wesen gewesen war. Aber diese Worte hat noch nie ein Mensch aus dem Munde eines Engels gehört: „Sei gegrüßt, Du Begnadete, der Herr ist mit Dir!“ Sie denkt nun über die Worte nach, denn wer von den Menschen kann seit der Vertreibung aus dem Paradies von sich behaupten, voller Gnade und mit Gott zu sein?! Wer in Nazareth gewesen ist, der kennt zwei Orte der Verkündigung. Den ersten am Brunnen, wo die erste Erscheinung des Engels stattfand (heute in der orthodoxen Basilika befindlich). Nach dieser ersten Begegnung beginnt die Jungfrau damit, über diese Worte nachzudenken. Das muss ja wohl eine ganze Weile in Anspruch genommen haben. Nach dieser unentbehrlichen „Denkpause“ kommt es zur zweiten Begegnung, diesmal im Hause des Joseph (über dem heute die lateinische Basilika steht). Hier spricht der Engel erneut zu Ihr: „Fürchte Dich nicht, Maria; denn Du hast bei Gott Gnade gefunden“ (Lk. 1:30). Noch nie wurden einem Menschen solch wunderbare Worte zuteil. Keiner der Patriarchen, Richter, Könige oder Propheten hat jemals etwas Vergleichbares zu hören bekommen. Sie alle brachten Gott, dem Herrn, zwar ihre Opfergaben dar, bemühten sich nach Kräften, das Gesetz zu erfüllen, aber Gnade vor Gott zu erlangen, war für sie unmöglich. Jetzt schlägt Gott aber ein neues Kapitel der Heilsgeschichte auf: Dank der makellosen Jungfrau beginnt nun die Zeit der Gnade (s. Gal. 3:19-25), denn der Heilige Geist wird über Sie kommen und die Kraft des Höchsten wird Sie überschatten, weshalb Ihr Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden wird (s. Lk. 1:35). Es ist, wahrlich, der Beginn unserer Errettung! Gott hat diese unbefleckte Jungfrau auserwählt, damit Sie den himmlischen Gott als Mensch auf Erden gebiert. Eines aber fehlt noch: Ihre Zustimmung namens der gesamten Menschheit. Diesem Mysterium Gottes zur Errettung des Menschen muss der freie Beschluss des Menschen zugrunde liegen, sich auch wirklich retten lassen zu wollen. Und wir hören die Antwort. Es sind schlichte Worte, die aber den Beginn der Rettung der Welt bedeuten: „Ich bin die Magd des Herrn. Mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk. 1:38). Es ist die Demut dieser Jungfrau, welche für die gesamte Menschheit spricht, die Gott in diesem Augenblick veranlasst, Selbst Mensch zu werden, Sich um unseretwillen Selbst bis zur Unendlichkeit zu erniedrigen, damit wir zu göttlicher Herrlichkeit gelangen können (s. Phil. 2:6-9). All das wäre ohne die vor allen Zeiten auserwählte, über alles gesegnete Tochter Joachims und Annas nicht möglich gewesen. Ihr liegen wir heute voll des Dankes zu Füßen. Amen.