Predigt zum Hochfest des Entschlafens der Allerheiligsten Gottesgebärerin (Phil. 2:5-11; Lk. 10:38-42; 11:27-28) (28.08.2023)
Liebe Brüder und Schwestern,
wenn wir uns anhand des Kirchenkalenders vergegenwärtigen, wie viele gesamtkirchliche und lokale Feste zu Ehren der Mutter Gottes im Jahr gefeiert werden, erkennen wir, dass die Verehrung der Mutter unseres Herrn alles andere als eine Randerscheinung in der orthodoxen Kirche ist (wie übrigens auch in der Römisch-katholischen sowie in den alt-orientalischen Kirchen). Warum aber nimmt die Verehrung der Gottesmutter eine derart exponierte Stellung in der Kirche ein? Haben vielleicht doch die recht, welche behaupten, wir sollten nur unseren Herrn Jesus verehren und sonst niemand und nur zu Ihm allein beten? Warum nur gibt es dann so viele Gebete und Gottesdienste an die Allerheiligste Gottesgebärerin? Dazu müssen wir das irdische Denken beiseite lassen, denn diese Frage lässt sich nur aus geistlicher Sicht beantworten.
Vorweg wollen wir festhalten, dass selbstverständlich nur dem in der Dreiheit verherrlichten Gott die Anbetung gebührt. Menschen, zu denen auch die immerwährende Jungfrau Maria gehört, können aber auf verschiedene Weise verehrt werden (vgl. 1 Kor. 15:41). Gott gebührt vor allem unser Dank und unser Lobpreis. Von Gott aber etwas erbitten fällt uns Sündern – so wir uns denn selbst als solche betrachten – außerordentlich schwer. Wie kann denn jemand seinen Herrn um etwas anderes als um Gnade bitten, wenn er Ihn permanent erzürnt, so dass er, bildlich gesprochen, es nicht einmal wagen kann, vor dessen Angesicht zu erscheinen?! Objektiv ist Gott unendlich barmherzig, doch subjektiv sehen wir uns als „unnütze Sklaven“ (Lk. 17:10) an. Das ist die einzige Beziehung, die wir (zumindest am Anfang) zu Gott haben dürfen; wenn Er uns dann Seine Gnade gewährt, können wir gewiss auch Ihn direkt für uns und für andere anflehen. Aber wer von uns Sündern hat diese Kühnheit?!.. Deshalb eilen wir in der Not zu denen, die dem Herrn besonders nahestehen, die Ihn durch ihr Leben verherrlicht haben, zuvörderst zu Derjenigen, Die Ihn ohne Samen geboren hat. Unter „Not“ versteht der orthodoxe Christ ja vor allem seine geistliche Armseligkeit – den elenden Zustand seiner Seele. Für so einen ist es doch nur folgerichtig, sich in seiner geistlichen Misere an Diejenige zu wenden, Welche als sterblicher Mensch die Sünde in Sich unwirksam gemacht hat und dadurch sogar höheren Ruhm genießt als die höchsten Engelsränge. Wer das aber nicht tut, hat entweder a) keinen Glauben oder sieht sich b) nicht als Sünder vor Gott und ist dann schließlich c) selber schuld. Amen.