Predigt zum Hochfest der Geburt der Allerheiligsten Gottesgebärerin (Phil. 2:5-11; Lk. 10:38-42; 11:27-28) (21.09.2020)
Liebe Brüder und Schwestern,
wir feiern heute das Geburtsfest der Mutter unseres Herrn, die ja nach dem Willen des Herrn durch die stellvertretende Adoption des Lieblingsjüngers unser aller Mutter geworden ist (s. Joh. 19:26-27). Es war also ein mehr als symbolischer Akt der Aufnahme von uns allen in die Familie des Herrn. Durch unsere Kinderschaft zur Mutter des Herrn definiert sich auch unser Verwandtschaftsverhältnis zu unserem Herrn Jesus Christus. Wir gehören also im geistlichen Sinne zur Familie des Herrn (s. Hos. 2:1; Röm. 9:26; 1 Kor. 8:6). Demnach ist der Geburtstag unserer Mutter ein Ereignis, das gebührend gewürdigt werden soll. Wir gehen ja sonst auch gerne zu Geburtstagen unserer nicht gläubigen Freunde und Verwandten, denen zuliebe wir im Kollisionsfall kirchliche Feiertage „ausfallen“ lassen und jegliche Fastenregel kurzerhand außer Kraft setzen. Wenn wir ihnen erklären würden, dass heute z.B. das Hochfest der Geburt der Mutter des Herrn ist, und wir deshalb nicht zu ihnen kommen können, wären unsere Freunde und Verwandten beleidigt. Ob aber die Mutter Gottes oder der Herr Selbst angesichts einer solchen Prioritätensetzung „beleidigt“ sein könnten – darüber denken wir gar nicht erst nach und verdrängen solche Gedanken. Im Grunde belügen wir uns nur selbst. Das zeigt dann noch ein weiteres Mal, dass unser Glaube nur oberflächlich ist, dass in unserem Leben nur irdische Kategorien maßgeblich sind, so dass wir in der Konsequenz unser Tun nicht nach dem Glauben ausrichten können oder wollen.
Natürlich sind Zugeständnisse an Ungläubige beizeiten angebracht (s. 1 Kor. 10:27), aber warum sind es immer wir, welche auf andere Rücksicht nehmen müssen?! Warum können wir uns nicht darauf einigen, dass z.B. heute wir aus Liebe zu unseren Mitmenschen nachgeben, beim nächsten Mal aber sie auf unsere Bedürfnisse eingehen?.. So etwa: „Heute war ich bei euch zu Gast und war nicht in der Kirche. Nächste Woche gehen wir aber dafür gemeinsam in die Kirche, einverstanden?“… So würde unsere zwischenmenschliche Beziehung womöglich auch geistliche Früchte tragen. Es darf jedenfalls nicht immer diese Einbahnstraße der Zugeständnisse unsererseits geben!
Überhaupt sollten wir an dieser Stelle mal über den Unterschied zwischen kirchlichen und weltlichen Feiertagen reflektieren. Kirchliche Feiertage wie der heutige sind für einen geistlich gesinnten Menschen jedes Mal ein Quell der Freude, weil die geistliche Freude ewig Bestand hat, während sonstige Jubiläen und Gedenktage nur die Erinnerung an längst vergangene Zeiten darstellen, ohne jeden Bezug zum ewigen Heil. Heute feiern wir ja die Geburt der Gottesgebärerin, aus der „die Sonne der Gerechtigkeit, Christus, unser Gott“ aufgestrahlt ist (s. Troparion). Es ist somit der Beginn unseres Heils, die Vorverkündigung der Befreiung Adams und Evas und ihrer gesamten Nachkommenschaft aus der todbringenden Verwesung (s. Kondakion). Wer geistlich lebt, für den sind diese Worte nicht bloß hymnographische Poesie, nicht bloß Bestandteil religiöser Folkloristik, sondern Worte des Lebens. Er betrachtet das auf Erden festlich begangene Ereignis schon aus der Perspektive des künftigen Äons (s. Hebr. 12:26-27;39-40), aus der das Heilgeschehen keine unbekannte Größe, sondern die absolute Realität darstellt. So kann er gar nicht anders als im Geist große Freude empfinden. Wer diese Freude kennt, der wird dieser Freude nichts in der Welt vorziehen. Denn was gibt es Schöneres als von Gott als Dessen Verwandter angesehen zu werden, – als einer, der an Seiner Freude teilnimmt?! Und was sind dagegen Geburtstage und sonstige Familienfeiern?.. Ein Anlass, Gott für die erwiesenen Wohltaten zu danken – ja! Dann hat der weltliche Anlass einen Bezug zu Gottes Gnade, dann kann auch solch ein Tag zum Tag der Freude im Herrn und der Danksagung werden (s. 1 Thess. 5:18). Denn sobald wir nur ein wenig darüber nachdenken würden, müssten wir erkennen, wie dankbar wir dem Herrn für alle irdischen Segnungen sein müssen – von den geistlichen ganz zu schweigen!
Religiöse Feiertage, von denen wir in der modernen Gesellschaft noch einige haben, sollen dem Ansinnen der Weimarer Verfassungsväter zufolge der seelischen Erhebung dienen. Für einen gläubigen Menschen sind diese Tage diejenigen, um deren willen man überhaupt lebt. Die Arbeit ruht an jenen Tagen, damit man sich voll und ganz Gott widmen kann. Die Menschen, die an diesen Tagen nur essen und trinken bzw. aufs Land fahren und ihren Hobbys nachgehen, wollen nicht erkennen, wessen sie sich selbst berauben. Aber auch das ist Sache des Glaubens, denn wer den Glauben nicht hat, der wird auch nicht verstehen, wozu er an diesem arbeitsfreien Tag in die Kirche gehen soll anstatt mit Freunden und Verwandten viel Spaß zu haben.
Im Unterschied zu weltlichen Feiertagen, die ja nur reinen Gedenkcharakter haben, dienen kirchliche Feiertage nicht allein der Erinnerung an vergangene Ereignisse des Heilgeschehens. Da in der Kirche der Heilige Geist am Werke ist, werden heilsgeschichtlich relevante Ereignisse kraft der göttlichen Gnade aktualisiert, so dass wir heute im Geiste, d.h. mystisch real an diesen Ereignissen teilnehmen (s. 1 Kor. 2:12). So unendlich groß ist die Gnade Gottes gegenüber uns Menschen! Entsprechend sind jedoch auch Undank bzw. Unglaube der Menschen, wenn sie der geistlichen Freude der Gemeinschaft mit unserem Herrn die weltliche Freude des Zusammenseins mit Freunden und Verwandten vorziehen. Dabei muss es ja nach dem Willen Gottes kein entweder … oder geben; schließlich ergibt sich aus der Teilnahme am Gottesdienst auch die willkommene Gelegenheit, seine Brüder und Schwestern im Herrn zu treffen und sich mit ihnen rege auf Glaubensbasis auszutauschen. Amen.