Predigt zum 21. Herrentag nach Pfingsten (Gal. 2:16-20; Lk. 8:26-39) (10.11.2019)
Liebe Brüder und Schwestern,
in den letzten Lesungen war die Nächstenliebe Objekt unserer gemeinsamen Reflexion. Heute aber steht vordergründig ein anderer Aspekt im Mittelpunkt, wenngleich er auch immer als Ursprung und Ausgangspunkt die Liebe hat. In diesem Fall – der Heilung des Besessenen von Gerasa – wird die selbst- und bedingungslose Liebe des Herrn zu seinen Geschöpfen offenbar. Doch obwohl unser Herr Jesus Christus eine ganze Stadt und eine ganze Region von einer tödlichen Gefahr befreit, - vor allem aber einen Menschen, der von einer Legion von Dämonen schrecklich geplagt worden war, von seinem unvorstellbaren Leid erlöst hat, - bitten Ihn die Bewohner der besagten Gegend, ihr Gebiet umgehend zu verlassen. Hätte Christus hier nur eine Regung entsprechend der gefallenen menschlichen Natur gezeigt, wäre es um die Gerasener bereits geschehen gewesen (vgl. Lk. 9:51-56). Aber Christus ist nicht gekommen, um Seine göttliche Macht gegen die Menschen einzusetzen (vgl. Mt. 26:51-54). Die Geduld des Herrn ist unerschöpflich; Er wird wohl weitere Versuche unternehmen, um Seine Kinder zur Einsicht zu bewegen. Der Herr übt Langmut (vgl. z.B. Röm. 14:3-4; 1 Kor. 7:16), und Er will, dass wir es Ihm nachtun.
Im Buch der Apokalypse lesen wir folgenden Spruch des Herrn: „Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer Meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde Ich eintreten, und wir werden Mahl halten, Ich mit ihm und er mit Mir“ (Offb. 3:20). Wir kennen dieses Bild aus der Kinderbibel: der Herr Jesus Christus klopft sachte an die Tür eines Hauses; die Tür hat von außen keinen Knauf oder Griff, um diese an sich heranzuziehen – sie kann nur von innen geöffnet werden. Das bedeutet: entweder der Hausbewohner macht auf oder der Herr geht wieder weg von seiner Tür... Kann sich ein einfacher Bauer oder Arbeiter denn etwas Schöneres vorstellen, als dass der König an seine Tür klopft und mit ihm unter seinem Dach festlich die Gemeinschaft pflegt?! Es ist kaum vorstellbar, welch einen Glücksmoment dieser Besuch beim unverhofften Gastgeber auslösen würde. Alles, was ihn bedrückt, darf er jetzt dem König kundtun. Aber welch ein Unglück ist es, wenn der Hausherr die Tür nicht öffnet, sei es aus Bosheit, Gleichgültigkeit, Unwissenheit oder aus Wankelmut!..
Die Gerasener verschließen ihre Türen vor der Liebe Gottes. Das ist die eigentliche Katastrophe – die sich in unserem Leben widerspiegelt! Wie die Gerasener können auch wir formal der Kirche angehören, im eigenen Bewusstsein den Glauben (bzw. die eigene Vorstellung davon) sogar als moralisches Fundament für unser Handeln und Tun betrachten, dabei aber völlig abseits der lebendigen Gemeinschaft mit Gott sein. So passiert es dann auch, dass äußerlich fromm lebende Menschen sich durch Selbstdisziplin alles Mögliche aneignen, dabei aber die Liebe Gottes missachten. Danach kommen die, welche zwar nominell zur Kirche gehören, sich aber nicht im geringsten um die Gebote Gottes und die kirchlichen Normen kümmern: da kann Christus so lange anklopfen wie Er will, es öffnet sowieso niemand oder es öffnet kurz jemand einen Spaltbreit und sagt: „Keine Zeit! Kein Interesse! Vielen Dank! Auf Wiedersehen!“ Und schließlich gibt es die in ihrer Anzahl stark anwachsende Gruppe derer, die von vornherein nichts von Gott wissen wollen und dem Wort Gottes nur Ablehnung, Hohn und Verachtung entgegenbringen. Es ist eine allumfassende Katastrophe, eine Pan-Tragödie, schlimmer als alle sonstigen im medialen Fokus stehenden Ereignisse oder die ungezählten, unserer Aufmerksamkeit entgehenden verborgenen Geschehnisse, die nicht täglich auf unseren Bildschirmen und Displays flimmern. Unglück jeglicher Art macht uns betroffen – zumindest, wenn es uns selbst erwischt oder in unserem unmittelbaren Milieu passiert. Aber auch wenn all diese Ereignisse schlimm sind, können sie doch nicht die unsterbliche Seele zerstören. Der Herr sagt ja: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet euch vor dem, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen kann“ (Mt. 10:28; vgl. Jak. 4:12). „Verderben und Hölle“ (vgl. Mt. 25:41) wären in dem Fall nicht „Vergeltungsgelüste“ des Weltherrschers, sondern die mehr als gerechte Konsequenz für die verschlossenen Herzen der Menschen gegenüber der Liebe Gottes. Um uns alle davor zu bewahren, kommt Christus zu uns und verkündet durch Seine Kirche den Weg des Heils.
Der Herr wird immer weitere Versuche unternehmen, um die Menschen zur Besinnung zu rufen. Die in ihrer Wirkung auf die Menschen erfolglose Heilung des Besessenen am Ufer des Sees Genezareth zeigt aber, dass Er die Menschen allein durch Güte und Wohltaten nicht erreichen kann. Deshalb bleibt Gott nichts anderes übrig, als den Druck zu erhöhen, so wie Er es schon im Alten Bund getan hat. Damals kehrten die Menschen nach langjähriger Knechtung durch ihre Feinde wenigstens für kurze Zeit zurück zu Gott, bis sie dann nach einer kurzen Epoche des äußeren Wohlergehens alsbald wieder dem Götzenwahn und der Unzucht verfielen (s. vor allem das Buch der Richter). Heute kann die Menschen scheinbar nichts mehr auf den Weg des Heils zurückführen. Vielleicht aber findet sich doch noch ein Volk, dass nach Revolution, Bürgerkrieg, zwei Weltkriegen und einer beispiellosen Schreckensherrschaft ein Zeichen setzt und für alle erkennbar wieder den Weg zu Gott auch für andere Völker ebnet. Das könnte noch für einen Aufschub des Unvermeidbaren sorgen, das dann nicht mehr der Umkehr der Menschen dienen, sondern einen endgültigen Schlussstrich unter die Gesetzlosigkeit hienieden ziehen wird. Solange aber klopft der Herr noch an unsere Tür in der Hoffnung, dass wir unser Herz vor Ihm nicht verschließen werden. Amen.