Ein echtes Wunder – Omas Geschichten zu Weihnachten
Lernt euch kennen, das ist Anna. Einmal kam sie zu Weichnachten zu ihrer Oma aufs Dorf. Ehrlicherweise muss man sagen, dass Anna nicht gern gelesen hat. Aber wie sehr mag sie es, wenn man ihr Geschichten erzählt! Besonders, wenn es die Oma ist.
Oma Ludmila setzt sich zum Stricken hin, und sofort kommt Anna angelaufen: macht es sich nebenbei bequem, und wartet ungeduldig auf eine Geschichte.
Anna hat es schon gemerkt, Oma ist etwas listig. Sie erzählt über etwas Einfaches, aber innen drin versteckt sie etwas, wie eine Nuss in der Schale. Und was es ist, ist nicht so einfach zu erraten.
Setzte euch auch hin, Liebhaber der Geschichten, und hört zu.
[5] Erster Abend – Schenke mir einen Stern!
An diesem Abend machte es sich Anna am gefrorenen Fenster bequem. Sie presst den Finger an die Fensterscheibe eine Zeit lang, und in dem durchsichtigen Ornament taut ein dunkler Kreis auf. Durch ihn sieht man die verschneite Welt, wie sich die Schneeflocken tummeln und um die Wette fliegen. Der Himmel wird mal schwarz, mal wieder heiter. Es ist nur schade, dass man nichts mehr sehen kann. Ah, ist es bei Oma auf dem Dorf langweilig, und auch noch zu Weihnachten!
„Anna“, rief Oma, „warum bis du so betrübt?“
„Ich langweile mich!“, antwortete Anna und blies auf das Fensterglas.
„Wie denn das? Um uns herum sind doch nur Wunder!“
„Omi, wo? Es schneit doch nur. Und ist auch noch dunkel.“
„Jede Schneeflocke – ist ein Wunder. Einfaches Wasser, das zu Spitzen[1] erstarrt ist! Und in der ganzen Welt gibt es keine Zwei, die gleich sind!“
„In der ganzen Welt nicht?“
Oma fing an zu lächeln, denn Anna wandte sich verwundert vom Fenster weg.
„Dann erzähle mir eine Geschichte. Über Wunder.“
„Über Weihnachtswunder.“
Anna stimmte zu. Sie würde auch gerne eine Geschichte über Weihnachtswunder hören. Sie legte ihr Kinn auf die Hände und machte sich bereit zuzuhören.
***
[6] Die Prinzessen lief weg. Alsbald die Hofdame einnickte und der Kutscher die Pferde anhielt, sprang die kleine Prinzessin aus der Kutsche und lief los.
Eins, zwei – und sie lachte los, nachdem sie sich auf dem Baum gesetzt hatte. Die Hofdame, die Diener und der alter Kutscher holten sie nur langsam ein.
Und doch erreichte die Verfolgung Elsa.
„Kommt runter, seid nicht unartig!“, ächzte der Kutscher.
„Wünsche ich nicht!“
„Klettert hinab, Eure Hoheit!“, flüsterte ein Lakai.
„Will ich nicht!“
„Sofort runter!“, wurde eine Hofdame wütend.
„Nein!“
„Soo!“, sagten alle drei zusammen. „Dann – rufen wir den König.“
Die kleine Prinzessin Elsa seufzte und wurde traurig. Aber bis der König eintraf, kam sie auch nicht vom Baum herunter.
„Was ist passiert?“, wunderte er sich. „Sind denn der ganze Lärm und die ganze Aufregung wegen einem kleinen Mädchen?“
Hier musste die Prinzessin runter, auch wenn sie sich ärgerte und schmollte. Was soll man denn machen, wenn seine Hoheit bittet?
Endlich sprang der Schelm runter, schüttelte sich ab und schleppte sich zur Kutsche. „Ah“, dachte die Prinzessin und runzelte die sommersprossige Nase, „es gibt in der Welt keine schwerere Arbeit, als jemandem zu gehorchen.“
Am Abend fand sie sich aus den Decken und Kissen, machte die Tür fest zu und klettere auf die Fensterbank. Die Sterne winkten ihr zu:
„Sei nicht traurig, Elsa!“
[8] Der Wind ging durch ihre Haare, die von verschnörkelten Frisuren befreit waren. Als ob sie allein war, und die ganze Welt mit ihr sprach. Oder Der, Der immer in der Nähe ist.
Elsa machte es sich bequem und lies die Füße von der Fensterbank baumeln. Tief unten war der königliche Garten zu sehen: grade geschnittene Wiesen, Beeten in richtigen Figuren, tadellos geschnittene Bäume. Sie hob ihre Augen zu den Sternen. Das waren diejenigen, die sich nicht aufreihten, nicht alle zusammen, wie zu Befehl winkten, es war schön, sie anzuschauen. Offensichtlich hat sie Jemand Sorgsamer und Guter auf aufgehängt.
„So sitzt du alleine“, dachte Elsa, „aber bist es nicht. Jemand ist in der Nähe, Jemand beobachtet dich immer.“ Mit diesen Gedanken schlief sie unmerklich ein.
Morgens gab es in der Burg ein Tumult: Ihre Hoheit wurde schlafend auf der Fensterbank gefunden, neben dem offenen Fenster! Der König schleuderte Donner und Blitze. Die Hofdame wurde gefeuert, und der Prinzessin selbst stand ein Rüffel bevor.
„Was fehlt dir denn?“, frage der König betrübt. „Denn alles, was man nur ausdenken kann, hast du, selbst einen Spielzeugstern!“
„Ich möchte selbst entscheiden! Aber es gibt nur Regeln über Regeln. Rechts und links. Hier und da.“
„Warum sind denn Regeln schlecht? Ich bin der Meinung, dass sie sehr praktisch sind!“
„Ich möchte aber wie die anderen sein! Ich möchte zusammen mit Kindern spielen und auf Bäume klettern! Und alles Selbst entscheiden!“
Der König schaute finster drein und seufzte.
Aber die launische Elsa blieb stur, empört und trat mit den Füßen:
„Ich will keine Prinzessin sein. Ich will selbst! Selbst! Selbst!“
So trennten sie sich, verärgert und betrübt. Jeder war der Meinung, dass er nicht verstanden wird. Die Prinzessin saß nicht mehr auf der Fensterbank, schaute nicht in den Garten, blicke nicht zum Himmel, und die Sterne blinzelten ihr nicht zu. Anstatt dieser so interessanter Beschäftigungen schmollte sie, war beleidigt und wollte nicht in ihr Bett zurückkehren.
[9] Auch der König konnte nicht schlafen. „Was soll ich denn mit meinem ungehorsamen Mädchen machen?“, dachte er nach. „Wie kann ich ihr beibringen, gütig zu sein, nicht starrsinnig und sich nicht nur um sich selbst zu sorgen?“ Aber letztendlich fing er an zu lächeln. Es ist ihm nämlich eingefallen, welche Überraschung er ihr servieren kann. Und er schleif ein – glücklich und zufrieden.
„So“, verkündete er morgens, „wenn du bereits alles hast, was man sich nur wünschen kann: Puppen, Kleider, ohne über den eigenen Spielzeugstern zu sprechen, möchtest du denn selbst über eine Angelegenheit entscheiden?“
„Hurra!“, sprang Elsa vor Freude los.
Und erklärte der neuen Hofdame:
„Ich werde die gerechteste Entscheidung auf der Welt treffen.“
„Das sagen alle, aber das ist viel schwieriger, als auf Bäume zu klettern und Regeln zu brechen.“
„Sie werden sehen!“, schlussfolgerte die Prinzessin und machte sich zum Tagungssaal auf.
Und dieser war schon voll. In der Mitte erhob sich ein Thron – ein großer und prachtvoller, für den König. Und in der Nähe wurde ein kleinerer aufgestellt, für die Prinzessin.
Die Richter schauten seriös und bedeutend: es schien ihnen, dass man so aussehen müsste, um gerecht zu entscheiden.
Der König wusste schon von allen Angelegenheiten und wählte für seine Tochter das Einfachste aus, das, worauf ein gutes Herz Antworten würde.
Elsa setzte sich auf den Thron. Alle wurden ruhig und die Wachen führten eine Besucherin herein. Der einzige Sohn der armen Frau war todkrank. Der Junge hieß Paul. Die Frau konnte deshalb ihre Schuld nicht in den Staatsschatz zurückzahlen.
Das Unglück in den Augen der Mutter, die Angst hatte, ihren Sohn zu verlieren, würde jeden erweichen.
„Was möchtest du?“, fragte der König.
„Den Nachlass der Schulden. Und noch etwas“, fügte sie schüchtern hinzu, „wenn ich fragen dürfte. Paul träumt von einem Stern. Und Ihre Hoheit hat einen. Vielleicht stirbt er bald, vielleicht dürften wir ihn nur für eine Zeit haben…“
Natürlich musste man die Schuld erlassen und sogar dem kranken Paul den Stern schenken, und Elsa hat es verstanden.
[11] Und der König wartete, dass sie „ja“ sagt. Die ernsten Richter schauten ungeduldig, die Zuschauer saßen wie auf Nadeln. Und alle wussten bereits, was sie antworten würde. Das war der Vater – er wählte eine Angelegenheit, die man nicht anders entscheiden könnte.
Und hier wurde Elsa so ärgerlich! Es schien so, als ob die Beine sie von selbst nach vorne trugen und die Lippen wie selbstständig aussprachen:
„Ich sage nein!“
Der König wurde betrübt, nahm die Tochter am Arm und führe sie heraus aus dem Saal.
„Geh sofort zurück und berichtige alles!“
Aber die sture Prinzessin schwieg.
„Du hättest den Jungen glücklich machen können! Du hast das, wovon er geträumt hat!“
„Ich möchte aber nicht!“, ärgerte sich die Prinzessin immer mehr. „Du hast doch sowieso schon alles für mich entschieden!“
„Ich habe dir nur die Möglichkeit geschenkt, ein Wunder zu vollbringen. Denn nicht jeder kann ein Zauberer werden, es reicht, sich umzuschauen. Aber du möchtest es nicht, denn für dich ist dein Starsinn wichtiger.“
Mit diesen Worten wandte sich der König ab und ging weg.
Elsa mache sich auf in den Garten. Auf ihrer Seele war es elend: die Katzen kratzten.
Die Hofdame kam mit dem Gefolge nicht zu nah an sie heran und beobachteten aus der Ferne.
Sogar der Garten hat sich wegen Elsas Ärger verändert: der Wind machte die Frisur absichtlich kaputt, die Steine bemühten sich unter ihre Füße zu kommen. Die Prinzessin wollte eine Rose abreißen – und stach sich. Sie beugte sich, um die Katze zu streicheln, aber diese kratzte sie.
„Ach du abscheuliche!“, sagte Elsa gekränkt.
„Du kannst solange schmollen, wie du willst“, antwortete die Katze und drehte sich weg.
„Warum hast du mich angegriffen?“
„Wirst du mir denn glauben?“
„Sprich.“
„Damit du verstehst, wie sehr es anderen Menschen weh tun kann. Es ist schade, dass ich keine Biene bin, und dich nicht stechen kann!“
[12] „Bist du böse!“
„Bin ich nicht. Nur ist jemand überheblich geworden und ist nun so aufgeblasen und ungehorsam, dass er sogar aufgehört hat, Nachts auf der Fensterbank zu sitzen und mit den Sternen zu sprechen.“ Die Katze trat von einem Fuß auf den anderen. „Und du hast aufgehört über Den nachzudenken, Der immer in der Nähe ist!“
Die Prinzessin wurde nachdenklich und hörte auf, sich zu ärgern.
„Du hast recht, ich werde dich für deine Tat nicht bestrafen“, sagte sie. „Und morgen komme ich wieder.“
Es wurde dämmerig. Die Sterne haben angefangen zu scheinen, der Garten wurde dunkel, und die Prinzessen saß vor dem Fenster, in sich vertieft und leise. Und dann rief sie die Hofdame zu sich.
Es ist nicht bekannt, worüber sie sich flüsterten, aber es ist genau bekannt, dass die Prinzessin sich mit ihrem Vater versöhnte und über die Angelegenheit gerecht entschied. Mehr noch – jemand ist zu dem kleinen Paul aufs Dorf gegangen und hat ihm den Stern geschenkt, das beste Spielzeug im ganzen Königreich.
***
„Oma! Das Wunder – ist nicht echt!“, schrie Anna auf.
„Ein wirkliches Wunder“, erwiderte die Oma.
„Aha, aber Elsa hat zuerst Unheil angerichtet, und dann sich wieder besinnt. Und den Stern schenkte sie, um sich zu versöhnen. Das ist unfair.“
„Aber sie hätte ihn nicht schenken können!“
„Trotzdem“, wurde Anna beleidigt. „Ist das denn ein Wunder? Erstens – woher kann man einen Stern nehmen? Zweitens, wo kann man einen solchen Paul finden, der von etwas träumt, das du hast?“
„Und wenn man sucht?“, und Oma schaute listig-listig.
„Wo denn das?“
[13] „Denkt doch darüber nach, wenn du einschläfst. Vielleicht gibt es um dich herum eine Menge solcher Mädchen und Jungen, denen du einen Stern schenken kannst?“
[15] Zweiter Tag – Die Blüte am Kaktus
Wenn du auf den Abend wartest, zieht sich der Tag absichtlich in die Länge. „Interessant, worüber wird Oma heute ihr Märchen erzählen?“, dachte Anna nach. „Vielleicht über Schneepflocken? Oder über Bäume?“ Es schien Anna, als ob immer neue Hausarbeiten anfallen würden. Und zwar aus Schädlichkeit, damit Oma ihr nicht die Geschichte erzähle.
Endlich nahm Oma Ludmlia die Stricknadeln und setzte sich aufs Sofa.
„Was ist nun mit dem Wunder von gestern?“, fragte sie.
„Was denn?“
„Du hast gesagt, es wäre nicht echt.“
„Nun, ich habe es mit anders überlegt!“
„Na, dann können wir auch zum Nächsten übergehen.“
Anna machte es sich bequem und bereitere sich zuzuhören.
***
Die Geschichte ereignete sich vor nicht all zu langer Zeit, in eine sehr, sehr großen Stadt. Hier gab es jede Menge Straßen, in jeder Straße – huderte Häuser, und in jedem Haus – tausende Wohnungen. Und niemand konnte mehr zusammenzählen, wie viele Menschen hier lebten. Aber seltsam – je mehr Bewohner sich in der Stadt ansiedelten, desto einsamer fühlten sie sich.
[16] In einer der Straßen, in einem der Häuser, in einer normalen Wohnung, lebte eine der vielen einsamen Frauen mit dem Namen Veronika.
Um sich nicht langweilen zu müssen, hat sie sich entschlossen, eine Blume anzuschaffen. Am nächsten Tag haben die zärtlichen Hände schonend ein Blaues Veilchen in einen Topf verpflanzt und zum Licht gewendet. Das Veilchen streckte die Blätter in Richtung Sonne aus und sagte:
„Seinen Sie so gnädig, schließen Sie das Fenster, ich kann Zugluft nicht ertragen.“
Vor Verwunderung erstarrte Veronika auf der Stelle.
„Können Blumen denn sprechen?“
„Ist es denn nicht offensichtlich? Aber, so scheint mir, wurden Sie gebeten, das Fenster zuzumachen?“
Veronika hat nicht nur diese Bitte erfüllt, sondern kümmerte sich bis zum Abend um das Blaue Veilchen. Der Character der Blume war launisch. Schon bald hat Veronika ihr Freunde angeschafft. Nun versank das ganze Zimmer in Veilchen: weißen, weinroten, blauen. Und in der Küche siedelte sich ein Zitronenbaum an.
Die Veilchen erwiesen sich als äußerst nörglerisch und launenhaft. Zum Glück war Veronika selbst herzensgut. Sie liebte Blumen und hat all ihre Launen ertragen.
Und nun, an einem leisen sommerlichen Abend, klingelte es an der Tür. Auf der Türschwelle stand eine Nachbarin mit einem Kaktus in den Händen. Er war hässlich: dick, hell-grün, mit moor-grauen Stacheln.
„Wir fahren weg, könnten Sie auf unseren Pflegling aufpassen?“, fragte sie. „Er ist anspruchslos. Und wenn mann anfängt, ihn zu lieben, dann wird er sogar aufblühen!“
Es scheint so, dass der Kaktus in Gegenwart der Nachbarin stumm blieb. Veronika konnte sich nicht mal vorstellen, wie so ein dickes stachliges Scheusal sprechen wird.
„Gut“, stimmte sie mit dem Herzen knirschend zu. „Wann kommen Sie denn wieder?“
„In einem Monat“, lächelte die Nachbarin. Und ging weg.
Und Vika erstarrte im Flur mit dem Kaktus in den Händen. Je länger sie ihn betrachtete, desto weniger gefiel er ihr. „Wozu braucht man denn so ein Scheusal?“ Mit diesem Gedanken berührte sie eine Stachel.
„Nimm deine Hände weg!“ kreischte der Kaktus mit einer widerlichen hohen Stimme. Und stach sobald Vikas Finger.
Vika dachte eine Minute nach. Dann siedelte sie den schreienden Kaktus zu den Veilchen, die ihn mit großem Interesse betrachteten.
„Erlauben Sie, Ihren Namen zu erfahren?“, sprach das Weiße Veilchen.
„Der geht dich nichts an“, antwortete er bissig und drehte sich weg.
Die Veilchen wurden fürchterlich beleidigt, und Viktoria seufzte und schleppte sich in die Küche, wo der Zitronenbaum stand. Dort bleib sie bis zum Nachteinbruch sitzen, und ging schlafen, ohne zu den Blumen reinzukommen.
Morgens wachte sie wegen eines Lärms auf. In dem Blumenraum wurde laut debattiert. Das war der Kaktus, er ärgerte sich, provozierte alle, und schien deswegen noch abscheulicher zu sein. Die Veilchen wurden beleidigt und neigten ihre Blüten. Sogar Viktoria wurde während des Giesens zwei Mal vom Kaktus gestochen.
„Willst du, dass meine Wurzeln vom Wasser anfaulen?“, brummte er. „Mach dich lieber gleich davon!“
Die Veilchen empörten sich. An einem Tag trockneten ihre Blätterspitzen ab, und bis zum Abend entsprang keine einzige Knospe.
„Streithahn und Grobian!“, schüttelten sie die Köpfe. „Ihr seid ganz unerträglich.“
Der Kaktus antwortete auf die selbe Weiße.
Und Viktoria versteckte sich wieder in der Küche und wurde traurig. Sie hat immer gedacht, dass sie jeden Blume lieben könnte. Aber jetzt konnte sie nichts mit sich machen: sie fühlte, dass sie diesen Kaktus hasst.
In der Wohnung stand ein ständiger Heidenlärm: die Veilchen entrüsteten sich, der Kaktus schrie und randalierte.
Der Zitronenbaum lies ein Blatt fallen und sagte:
„Dein Fehler ist, dass du willst, dass er sich wie ein Veilchen benimmt. Aber er ist doch ganz anders.“
Veronika seufzte nur. Es schien ihr, als ob es unmöglich wäre, den Kaktus zu lieben.
Es vergingen mehrere Tage. Die Debatten und Beleidigungen wurde nicht weniger. Die Veilchen ließen die Köpfe hängen und hörten auf zu blühen. Dann trug Vika den Topf mit dem Kaktus ins Schlafzimmer. Er beschwerte sich und versuchte, sie schmerzhaft zu stechen. Aber Vika sperrte ihn trotzdem weg und zog ins Blumenzimmer um.
[18] Nach einer Woche wurde alle mehr oder weniger ruhig. Die Veilchen haben wieder Blüten bekommen. Aus dem gesperrten Zimmer kamen immer seltener Schreie. Nur Vika machte sich sorgen, weil sie diese unfreundliche Pflanze nicht lieben konnte. In den langen Abenden flüsterte sie mit dem Zitronenbaum.
Eines Tages ließ sich Viktoria auf der Türschwelle des Zimmers blicken, in dem sie den törichten Zögling eingesperrt hat.
„Zieh Leine“, sagte er, „ich muss nicht oft gegossen werden!“
Aber sie ging trotzdem hin, grub die Erde um, goss und düngte diese. Sie pflanzte den Kaktus etwas bequemer in den Topf. Zwar waren ihre Hände zerstochen, in ihren Ohren tönte die widerliche Stimme, aber, bevor sie wegging, machte Sie zu Ende, was sie wollte.
Ab dahin kam sie jeden Tag zum Kaktus rein und das Brummen wurde immer weniger. Und zwischen den Stacheln kam ein kleiner Zapfen raus. Sie wuchs, und der Kaktus wurde immer demütiger und schweigsamer. Endlich brachte Vika ihn zu den Veilchen zurück. Und, so seltsam es scheint, sie haben auch kein Wort gesagt.
Der Spross streckte sich und wuchs, und wurde später zu einer Knospe. Vika pflegte den Kaktus und wartete. Beide schwiegen, aber Vikas Hände wurden immer zärtlicher, auf ihnen gab es mittlerweile kein einziges Zeichen von Stachelstichen.
Und eines Morgens, als die Lichtflecken der Sonne anfingen zu tanzen blühte die Knospe auf. Die schneeweißen Kelchblätter glätteten sich entgegen dem Licht. Vika ha nie eine schönere Blume gesehen.
Und wieder schwiegen Vika, und der Kaktus, und die Veilchen: es kommt vor, dass Wörter nur stören.
Am nächsten Morgen kehrte die Nachbarin zurück und erstarrte an der Türschwelle vor Verwunderung.
„Das ist doch ein Wunder!“, rief sie auf.
***
Anna und Oma schwiegen ebenfalls, wie die Veilchen.
„Du denkst, das ist ein echtes Wunder?“, fragte Anna.
„Was denkst du denn selbst?“
„Verstehst du Oma, irgendwie ist es nicht wundersam.“
„Also denkst du, dass dieser Kaktus auch ohne Vika aufblühen würde, wenn seine Zeit gekommen wäre?“
„Nein“, wurde Anna beleidigt, „Aber andere Kaktusse blühen auch.“
Mit Zweifel schaute sie zu Oma:
„Erzählst du mit morgen noch mehr?“
„Du kennst die Abmachung, nur wenn du das heutige Wunder als echt anerkennst. Abgemacht?“
[21] Dritter Abend - Brich durch zur Sonne!
„Macht es dir bequem“, sagte Oma am nächsten Abend. „Weichnachten kommt immer näher, und es gibt immer mehr Wunder. Was denkst du über das gestrige?“
„Ich denke, es war ein echtes“, lächelte Anna, „weil Vika um jeden Preis diesen verärgerten Kaktus lieben wollte. Und ohne Liebe würde er niemals aufblühen.“
Oma war zufrieden.
„Über wen erzählst du heute?“, konnte es Anna nicht lassen.
„Über eine Blume. Über welche möchtest du? Über eine Rose?“
„Nein, ein weißer flaumiger Löwenzahn!“
„Gut. Dann über einen Löwenzahn!“, und Oma begann die Geschichte.
***
Unsere Geschichte beginnt am Ende des Sommers. Bei einem Fluss, dort, wo der Wind das grüne Graß schaukelt, wuchs ein Löwenzahn. Der Wind hat ein Spiel veranstaltet: er begann, von ihm die Federn wegzutragen. Die Mutter-Löwenzahn sagte ihren Kindern-Federn zum Abschied, als sie sie in die Freiheit entließ:
[22] „Bricht durch zu Sonne! Wenn über euch Erde, trockene Blätter oder Wurzeln sind, ganz egal was, sprosst um jeden Preis! Habt ihr es gemerkt? Und nun – fliegt!“
Der Wind fing die Federn auf und fing an, sie im Kreis zu drehen. An jeder war ein Samen – ein zukünftiger Löwenzahn. Der Wind, ein Schelm und Schlingel, drehte und warf sie. Mal trieb er sie runter, mal hob er sie in die Höhe. Die Kinder sind weit von ihrer Mutter weggeflogen und irgendwo gelandet. Die Einen – in einem Gemüsegarten, die Anderen – in einem wieten Feld, die dritten – am Waldrand. Ein Samen fiel auf einen Fahrweg. Hier, auf der festgestampften Erde, war es nicht einfach durchzusprossen.
„Macht nichts“, beruhigte sich der zukünftige Löwenzahn, „ich werde zufrieden sein, dass ich am Straßenrand bin, und nicht in der harten Fahrspur!“
Und er ist zu dem Zeitpunkt still geworden, bis das Tauwasser im Frühling ihn nicht geweckt hat. Als er einschlief, hatte der junge Löwenzahn gemerkt, wie der Wind auch andere Samen, seine fernen Verwandten, herbeigeschleppt hat.
Aber der Wind wurde immer launenhafter, wurde böser und kälter. Eines Tages kamen Menschen in orangen Westen angefahren und bedeckten die Trasse mit Asphalt. Dann war der Herbst vorbei. Der Winter ließ die Schneeflocken bereits auf die neue Bedeckung der Straße fallen. Nach dem Winter, wie immer, brach der Frühling ein.
Endlich haben die Regen und Bäche die Erde gut getränkt, und der Löwenzahn ist aufgewacht. Und nun erinnerte er sich an Mamas Worte: „Brich durch zur Sonne!“ Aber wie soll man das Machen, wenn es drum herum dunkel-dunkel ist und die Sonne nie durchscheint? Weder er, noch eine Nachbarn haben gewusst, dass sie unter dem Asphalt sind und die Sonne niemals sehen werden.
Doch unterdessen hat sich unser Löwenzahn entschlossen, eine Wurzel zu lassen und sich etwas zu nähren.
Um ihn herum sind auch andere Samen aufgewacht, seine Brüder und Schwestern: das grüne Gras, die Brennnesseln, Stacheln, Klee und sogar Reinfarn.
[23] Der Löwenzahn hat es nicht geschafft, sich mit allen ausführlich bekannt zu machen. Mamas Worte sind ihm wieder eingefallen. Es gab noch keine Sonne, aber von irgendwo oben kam Wärme. Der Löwenzahn hat eine Knospe herausgelassen, und stieß mit ihr in den Asphalt.
Andere Löwenzähne, Klee, Brennnesseln, Stacheln und Rainfarne haben ebenfalls Knospen gelassen, aber habe nicht nach oben gestrebt.
„Guten Morgen“, sagte der Klee.
Alle haben sich ebenfalls begrüßt. Nur der Löwenzahn hat nichts gehört. Er schlug sich zur Sonne durch.
„Es scheint so, als wäre unter uns ein Grobian“, brummte eine Brennnessel.
„Er denkt, er wäre schlauer, als die anderen“, stimmte die Stachel zu.
Das grüne Grad sagte nichts, und die Rainfarne hielt sich für zu vornehm für ein solches Gespräch.
Die Sonne wärmte den Asphalt, schenkte Wärme, und jeder ließ ein Blatt heraus. Andere Löwenzähne haben nicht angefangen sich zu strecken und zu stemmen, sondern haben sich mit ihren Blättern zur Erde geneigt, denn so wachsen Löwenzähne. Auch die Brenneseln, und alle anderen legten sich auf die Erde. Nur unser Löwenzahn strebte mit allen seinen Blättern nach oben. So lehrte ihn seine Mutter.
Letztendlich hat es die Brennnessel nicht ausgehalten:
„Sagen Sie mal, wie wichtig Sie doch ist! Warum wollen sie nicht wie alle anderen leben? Halten Sie sich für etwas besseres?“
„Was streben Sie an?“, fragte der Klee.
Der Löwenzahn hörte auf, sich nach oben zu strecken, guckte sich um und antwortete einfach:
„Meine Mutter sagte mir zur Sonne zu streben, egal, was es kostet!“
Hier hat es auch die vornehme Rainfarne nicht ausgehalten und mischte sich ins Gespräch ein:
„Das ist doch veraltet. Ihre Mutter – ist von der Generation des Vorjahrs. Was können sie uns, jungen, schon raten?“
„Und sie wuchsen anders. Es war nicht so dunkel. Alles hat sich geändert. Darf man denn die Gebote der Mutter befolgen, ohne dabei nachzudenken?“
Der Löwenzahn wurde betrübt. Er wusste nicht, was er antworten sollte. Deshalb gab er keine Antwort und stütze sich wieder gegen den Asphalt.
[24] „Was ist, wenn er es doch zur Sonne schafft?“, zweifelte der treuherzige Klee.
Doch sofort zogen alle gegen ihn los:
„Er ist einfach ein Stolzer. Er will nicht, wie die anderen sein.“
„Wieso denkt ihr denn überhaupt, dass es eine Sonne gibt?“, sagte die vornehme Rainfarne.
„Tatsächlich, wer von euch hat sie gesehen?“, stimmte die Stachel zu.
Und sie alle klammerten sich mit ihren blassen Blättern an die Blätter des Löwenzahns, und schrien alle im Chor auf:
„Sei wie alle, sei nicht stolz!“
Aber der Löwenzahn streckte sich immer weiter, und stemmte stur nach oben. Er erinnerte sich an die Worte seine Mutter und glaubte ihnen: sie würde ihn nicht betrügen.
Er hörte nicht mehr, was die anderen sagten, sondern stemmte immer stärker.
Endlich hat es der Asphalt nicht ausgehalten und ist zerplatzt.
Aus dem riss kamen die Blätter zum Licht. Die Sonne freute sich, streichelte und glättete sie. Und der zärtlichste Strahl berührte die Knospe, die sich in der Mitte versteckte.
Die Knospe wuchs und blühte auf – die Blume ähnelte einer kleinen Sonne.
Zwei Mädchen gingen vorbei, um Pilze zu sammeln. Sie sahen den fröhlichen Löwenzahn, der es durch den Asphalt geschafft hatte.
„Schau, was für ein Wunder!“, freute sich eine von ihnen.
Und die andere berührte die Blume mit der Nase, wodurch sie ebenfalls Gelb wie die Sonne wurde.
Der Löwenzahn war glücklich. Wie schön, dass er auf seine Mutter gehört hatte. Die Warmen strahlen der Sonne wärmten, der Wind glitt durch die Blätter, und ringsum schaukelten sorglos Gräser.
Zeit ging vorbei, und sein Kopf wurde weiß und flaumig. Der ausgelassene Wind riss die Federn ab und flog sie umher. An jeder war ein Samen.
[25] Und unser Löwenzahn, wie einst seine Mutter, sagte allen seinen Kindern zum Abschied:
„Egal was passiert, bricht durch zur Sonne!“
***
„Und was ist mit den anderen“, fragte Anna, als Oma verstummte und mit den Stricknadeln losflimmerte, „sie blieben unter dem Asphalt?“
„Sie haben sich selbst nicht mühen wollen.“
Anna wurde nachdenklich.
„Trotzdem tun sie mir leid.“
„Lass uns beten und schlafen gehen“, und Oma streichelte Anna über den Kopf. „Lass uns auch zu unserer Sonne durchschlagen.“
[27] Vierter Abend – Kehr zurück!
Anna saß hockte in der Ecke wühlte die Tapeten. Als sie alles auswühlte, was sie wollte, huschte sie mit ihrer roten geschwollenen Nase und dachte, dass heute - der grausamste Tag in ihrem Leben sei.
Zuerst kamen zu den Nachbarn Jungen und riefen Anna spazieren. Dann gingen sie zu dem entfernten Berg, gaben aber der Oma nicht bescheid. Wer kann sich denn schon im Winter nicht im Schnee walzen und nur spät abends nach Hause kommen? Und überhaupt: hätte Oma nicht angefangen, Vorwürfe zu machen, würde Anna denn böse werden und grob antworten? Sie ist doch nicht daran schuld, dass die Nachbarn gekommen sind!
Uch, wie sauer ist Anna geworden! Sie drehte sich sogar absichtlich weg, als Oma sich in der Nähe hinsetzte und fragte:
„Bist du immer noch verärgert?“
Anna wurde nachdenklich.
„Wann willst du denn beten?“
„Ich werde nicht beten.“
Ach, ist es für einen Menschen schwer, der in allem Recht hat.
„Anna“, sagte Oma zärtlich, „Sitz noch ein bisschen und denk nach. Siehst du, wie schlecht es dir geht? Vielleicht bis du an etwas schuld? Bitte lieber um Verzeihung.“
Oma ging weg, und Anna blieb noch etwas in der Eckte sitzen. Aus dem Inneren sagte ihr bereits etwas, dass sie nicht recht hatte.
[28] Nach einer halben Stunde machte sie die Tür auf und schob den Kopf in Omas zimmer. Hier brannte gemütlich eine Lampe, und Oma strickte wie immer.
„Omi, verzeih mir.“
Oma umarmte Anna und setzte sie neben sich.
„Na gut, falls du nicht heilig bist, verzeihe ich dir natürlich! Und Gott verzeiht dir.“
„Verzeiht er allen?“
„Allen, die wissen, dass sie schuld sind und um Vergebung bitten.“
Anna lehnte sich mit dem Kopf an Oma und fragte:
„Wird es heute keine Geschichte geben?“
„Doch, wird es!“, lachte die Großmutter. „Darüber werde ich auch das Märchen erzählen.“
„Nur nicht über mich!“
„Hab keine Angst, nicht über dich.“
„Wird es am Ende ein Wunder geben?“
„Es wird auch ein Wunder geben.“
***
„Es ist gut aus dem Dachzimmerfenster auf die Stadt zu schauen, die vor deinen Füßen liegt!“, so dachte ein alter Schriftsteller, als er bei der Fensterbank saß. In seiner Seele war er ein Poet, weshalb ihm selbst die Stadt herrlich erschien. Dann nahm er seinen Hut ab und winkte seinem Freund dem Märchendichter zu, der ebenfalls vor einem Fenster saß.
„Wie geht es Ihnen?“, rief der Märchendichter zu.
„Bestens!“, antwortete der Schriftsteller, obwohl das nicht ganz stimmte.
„Möchten Sie ein Geschenk?“
Der Schriftsteller wunderte sich. Aber dann sagte er treuherzig:
„Natürlich!“
[30] Und der Märchendichter lief zum Schriftsteller zu. In seiner Hand hatte er ein Ei mit irgendeiner ungewöhnlichen bunten Färbung. Es hat sich herausgestellt, dass er es heute in einem Nest, im Wald gefunden hat und mitnahm.
„Legen Sie es unter eine Henne. Wie es aussieht wird daraus ein seltener Vogel ausschlüpfen. Und vergessen Sie nicht, einen Käfig zu bestellen!“
„Wozu?“, wunderte sich der Schriftsteller.
„Sie sind ein seltsamer Mensch! Ohne einem Käfig wird der Vogel wegfliegen. Das sage ich Ihnen wie ein Märchendichter. Und Märchendichter verstehen mehr vom Leben, als andere.“
„Und doch werde ich ihn nicht in einen Käfig sperren. Wer weiß, vielleicht werden wir ja Freunde?“
„Wie naiv Sie sind!“, zuckte der Märchendichter mit den Schultern. „Obwohl, machen Sie es, wie Sie es für richtig halten. Aber ohne einem Käfig wird er wegfliegen.“
Und Sie sind auseinandergegangen, ohne miteinander zufrieden zu sein. Denn der Märchendichter war der Meinung, dass er alles weis. Und wenn du so denkst, dann kannst du den anderen nicht verstehen.
Der Schriftsteller legte das Es und die Hennin der Nachbarin, die zu dem Zeitpunkt auf Eiern saß.
Die Nachbarin schlug die Hände zusammen:
„Glaubens Sie mir, aus so einem Ei wird ein wunderlicher Vogel rauskommen!“
Es bleib nur zu warten. Der Schriftsteller wollte sosehr, dass der Vogel ihm ein Freund wird. Und auf einen Freund kann man sehr lange warten.
Endlich, schlüpften die gelben Küken in die Welt. Der graue Vogel schlüpfte als letzter und schaute mit großer Verwunderung auf die Welt. Nach zwei Tagen holte ihn der Schriftsteller ab, um sich selbst um ihn zu kümmern.
Schon bald wuchsen dem jungen Vogel rosa Federn. Das war tatsächlich ein ungewöhnlicher Vogel.
Der Schriftsteller hat wie vorgenommen keinen Käfig gekauft, weil er wollte, dass der Vogel ihn liebt und nach seinem Freien willen bleibt. Der Märchendichter lachte aber nur drüber.
Der Dichter nannte den Vogel Hypomoni.
Hypomoni wuchs ausgelassen und neugierig auf. Er liebte es, das Tintenfass zu bewegen und umzustoßen. Die Tinte goss sich über den Tisch. Die Körne, mit denen er von seinem Herrchen gefüttert wurde, verstreuten sich, das Papier viel auf den Boden. Hyponomi amüsierte sich, doch der Schriftsteller ertrug das alle und wollte ihn unter keinen Umständen in den Käfig sperren. Er hoffte, dass Hyponomi anfängt, ihn zu lieben.
Und der Dichter sah, dass der Schriftsteller das Fenster nicht zumachte und brummte: „Wir wissen, was das Ganze endet.“
Hyponomi wuchs immer weiter, und wurde immer schöner. Er wurde zu einem exotischem Vogel mit rosa-goldenen Federn. Sogar die Nachbarkinder kamen zusammen, um auf ihn zu schauen.
Einmal ging der Schriftsteller weg, und Hyponomi wurde besonders unartig: kippte die Tinte über einem neuen Roman und vergoss Wasser. Außerdem ließ er Blumen fallen, die in Töpfen auf der Fensterbank der Dachgeschosswohnung standen. Er verstand auch selbst, dass das zu viel war.
Auf der Dach saß eine Krähe und beobachtete ihn.
„Es scheint, als ob es besser für dich wäre, wegzufliegen“, krähte sie. „Natürlich, wenn du nicht hören möchtest, was Herrchen sagt.“
Die Worte der Krähe haben Hyponomi erschrocken. Denn früher hatte er vor seinem Herrchen niemals angst.
„Nun wird er dir nicht verzeichen“, fügte die Krähe hinzu. „Er wird dich für eine lange Zeit in den Käfig sperren.“
Aber Hyponomi hat es nicht geschafft, wegzulaufen. Die Tür öffnete sich und der Besitzer kam herein.
„Ich fliege weg“, sagte Hyponomi ganz unerwartet für sich selbst. „Dein Zuhause – ist wie ein vergoldeter Käfig.“
Der alte Schriftsteller schwieg.
Doch Hyponomi konnte sich nicht mehr bremsen.
„Ich möchte Freiheit, und dieser hast du mich beraubt. Du hast mir nicht erlaubt, die Welt zu sehen. Lebe wohl! Warum schweigst du?“
Der Schriftsteller flüsterte:
„Kehr zurück, ich werde immer warten.“
„Nein! In die Freiheit!“, schrie Hyponomi und flog in die Lüfte.
Die Krähe flog natürlich nicht hinterher, damit man sie in nichts verdächtige.
Der Märchendichter sah und hörte alles. „Es ist offenbar“, entschied er, „dieses Märchen – hat ein tragisches Ende.“ Dich das war nicht die Wahrheit.
Aber höre weiter, und du wirst verstehen, wie er irrte.
[33] Hyponomi flog, freute und amüsierte sich. Wie leicht und frei! Auch der Tag war hell. Nach oben, nach unten, nach oben, nach unten schwang er mit den Flügeln und freute sich über den Flug. Aber als er müde wurde, setzte er sich auf einen Ast.
Das war ein Randgebiet der Stadt.
„Hallo!“, riefen ihn die Spatzen. „Woher kommst du so einer?“
„Ich weiß nicht, ich bin von meinem Herrchen weggelaufen.“
„Also bist du jemandes?“, ließ der flinkste Spatz nicht locker.
Hyponomi stemmte die Arme in die Seiten und streckte die Brust hervor:
„Ich bin ein freier Vogel!“
Die Spatzen schauten verständnisvoll zueinander.
„Alle Neulinge sagen das.“
Aber Hyponomi tat so, als ob er es nicht gehört hätte.
Bis zum Abend flogen sie, sprangen über Äste und amüsierten sich. Und wurde ziemlich hungrig.
„Wer füttert euch?“, fragte Hyponomi.
Als Antwort lachten alle.
„Und was ist mit den Samenkörner zum Abendessen?“
Doch solche Fragen erheiterten die Spatzen noch mehr.
Danach haben sie bei den Mülltonnen Brotkrümel gesucht und Brotstückchen von Fensterbänken geklaut. Und als die Sonne unterging, sind sie direkt auf Ästen eingeschlafen.
Hyponomi wurde an diesem Tag sehr hungrig. Und er wollte so sehr essen! Vor Hunger konnte er nicht schlafen, außerdem hatte er Angst, im Schlaf von Baum runterzufallen. Die Laune ging gänzlich in den Keller.
„Macht nichts, Hyponomi“, tröstete er sich. „Dafür bist du ein freier Vogel: spazierst, wo du es nur willst.“
Aber der Hunger meldete sich stets, und schon bald musste er nur dahin fliegen, wo man Krümel finden konnte. So lebte er also mit den Spatzen auf dem Baum. Und näherte sich an Mülltonnen und Fensterbänken von Gaffern. Seine Flügel wurden grauer und kürzer. Und die goldenen Spitzen konnte man ganz vergessen.
Nachts wachte er auf und war traurig. Es wäre schön, zum Besitzer zurückzukehren. Aber er schämte sich. Was ist, wenn man den armen, schmutzigen Vogel nicht wiedererkennt? Was ist, wenn auf dem Dachboden, am Fenster bereits ein neuer Hyponomi wohnt? Und doch kamen die Worte „kehr zurück“, die vom Besitzer zum Abschied gesagt wurden, so oft in Erinnerung.
Die Krähe kam zu Besuch.
„Denk nicht mal dran!“, belehrte sie. „An der Stelle des Besitzers würde ich dich gar nicht ins Haus lassen.“
Dann wurde Hyponomi noch trauriger.
An einer ebenso traurigen Nacht, setzte sich auf den Ast eines Nachbarbaums ein Uhu.
„Uh! As ist das für ein Vogel?“
„Ich bin Hyponomi“, antwortete Hyponomi.
„Von solchen habe ich nichts gehört. Bis du nicht zufällig von deinem Herrchen weggelaufen?“
„Bin weggelaufen.“
„Dann kehr doch zurück! Du bist doch häuslich. Und dein Härrchen wartet bestimmt ungeduldig!“
„Die Krähe sagt aber, dass er mich nicht zurücknehmen wird!“
„Uh! Hast aber einen guten Ratgeber gefunden. Dein Besitzer leibt dich und wartet. Flieg nach Hause!“
„Ich habe angst. Und schäme mich.“
„Uh! Flieg! Und hör auf niemanden!“, und der Uhu schlug mit den Flügeln.
Hyponomi erhob sich in die Luft. Über der Stadt sammelten sich Wolken. Aber der häusliche Vogel hat es verstanden, wenn er jetzt nicht losfliegt, dann wird er sich niemals wieder dazu entschließen. Direkt vor dem Haus kam über ihn ein Regenschauer. Niemand fliegt ihm Regen, aber Hyponomi flog und versuchte nicht daran zu denken, dass bei Gewitter die Fensterladen zugemacht werden, und dass niemand das Licht anmacht.
Aber auf dem Heimatdach brannte eine Kerze. Das war der Besitzer, er saß und wartete vor dem offenen Fenster.
Hyponomi kehrte nach Hause als ein grauer, nasser, zerlumpter Vogel zurück und setzte sich auf die Fensterbank.
Der Besitzer hat ihn natürlich wiedererkannt.
„Das bin ich“, sagte Hyponomi.
Aber der Besitzer sagte nichts, er ist nur aufgestanden, hat das Fenster zugemacht, setzte seinen Freund auf seine Schulter und machte sich auf, die leckersten Samenkörner zu holen.
[36] „Oma, ich habe zwei Wunder erkannt!“, rief Anna aus, sobald Oma zu Ende erzählt hatte.
„Welche denn?“, lächelte die Großmutter.
„Das Erste – dass der Besitzer die ganze Zeit gewartet hat!“
„Und das Zweite?“
„Dass er sich entschlossen hat und sogar und dem Regen flog.“
„Siehst du, dieses Wunder hat er selbst vollbracht. Denn unser Herr wartet auf uns immer, wir müssen nur zurückkehren wollen. Du hast heute auch ein solches Wunder vollbacht.“
„Oma, du hat doch versprochen, dass du nicht über mich erzählen wirst!“
„Gut, gut, werde ich nicht!“
[37] Fünfter, letzter Abend. Das wichtigste Wunder.
Das war ein wundersamer Tag: äußerlich gewöhnlich, wie alle anderen. Aber in ihm – ein Geheimnis.
„Die Passanten, die heute auf der Straße gehen“, dachte Anna nach, „schauen alle gleich aus. Aber unter ihnen gibt es welche, die nach oben schauen: ist der erste Stern aufgegangen? Und jemand wartet ungeduldig auf den Abendgottesdienst, während er in der Stadt unter tausenden solcher Menschen daher geht.“
Es war der Morgen des Heiligen Abends. Anna saß, schaute aus dem Fenster auf die Schneehaufen, dachte nach und versuchte sich vorzustellen, was in der Stadt vor sich ging.
Oma erzählt heute nichts, sondern wartete selbst: unauffällig schaute sie immer wieder durch die Brille aus dem Fenster hinaus.
Als die Dämmerung kam, brannte der lang erwartete erste Stern auf und erstrahlte auf dem Dunklem klaren Himmel hell leuchtend!
Dann beteten sie zusammen mit Oma, und Anne bemühte sich, denn sie wollten mit Oma zu dem Nachtgottesdienst gehen und bereiteten sich auf die Kommunion vor.
Und endlich, sie gehen im Dunkeln zu der Kirche. Der Schnee knistert unter ihren Füßen. Der Stern erleuchtet den Weg, und die vom Schnee bedeckten Bäume warten wie in einem Märchen auf das Wunder.
Anne stand die Beichte bevor, und sie bereiteten sich noch am Mittag zusammen mit Oma vor. Es hat sich herausgestellt, dass Anna – gar nicht heilig war.
[38] Nur sollte man nicht verzagen, wenn du alles verstehst und es mit ganzem Herzen berichtigen willst.
So war er, dieser glückliche Tag.
Die Kerzen brannten hell, und noch heller, voll Freude, schienen die Gesichter der Menschen in der Kirche.
Nach dem Gottesdienst gingen sie mit Oma auf dem Weg zurück nach Hause, und die Sterne lächelten ihnen zu. Und der Schnee knisterte unter den Füßen leise. Auf dem Herzen war es so freudig, dass Anna dachte: „Wahrscheinlich ist das – Glück!“
„Oma, heute ist das wichtigste Wunder“, sagte sie.
„Ja“, antwortete Oma, „denn Gott selbst ist mit uns.“
„Ist Er immer mit uns?“
„Immer, wenn wir nur nicht zu heilig sind!“
Und sie lachten.
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Marina Aljoschina
Ein wirkliches Wunder – Omas Geschichten zu Weihnachten
Künstler Elena Hismatova
Moskau 2011
Pfarrei der Niederkunft des Heiligen Geistes auf dem Lazarewsky-Friedhof
©Aljoschina Marina, Text. 2009
©Hismatova Elena, Illustrationen. 2009
©Gestaltung, Layout. Pfarrei der Niederkunft des Heiligen Geistes auf dem Lazarewsky-Friedhof. Moskauer Diözese der Russischen Orthodoxen Kirche. 2009
Erster Abend – Schenke mir einen Stern!
Zweiter Abend – Die Blüte am Kaktus
Dritter Abend – Brich durch zur Sonne!
Vierter Abend – Kehr zurück!
Fünfter, letzter Abend – Das wichtigste Wunder