Der gerettete Junge - Eine Weihnachtsgeschichte
Gregors Kindheit verlief im Heimatdorf. Dort wuchs er wie alle Bauernkinder fast ohne Aufsicht auf, ähnlich dem, wie aus einem in der Erde verschwundenen Korn eine Ähre aufwächst, die immer höher ragt und stärker wird, bis sie nicht vollständig unter den Sonnenstrahlen gedeiht.
Niemand lehrte Gregor das Schreiben, nur wenig erklärte man ihm über Gott und sein Glaube entwickelte sich nicht aus Büchern. Doch dieser Glaube war in ihm stark.
Als in die weite Steppe, welche das Dorf umringte, der glückliche Frühling kam und die aus der Übersehe angeflogenen Vögel ihre Nester unter den Dächern der Bauernhütten flochten, [4] blühte und duftete jeder Grashalm in der Steppe und in den endlosen Wellen des jungen Grases schaukelten grelle Blütenkelche. In diesen Momenten fühlte Gregor unwillkürlich die Kraft des Erschaffers, der jedes Jahr diese im Winter eingefrorene Natur wieder ins Leben rief und unerklärlich für ihn selbst pries seine Seele Gott. Als die Wolken in der Sommerzeit den Himmel umhüllten, die Strahlen der die Erde erhitzenden Sonne verdürsteten und dann die Blitze wie Feuer vom Himmel kamen und in den Höhen der Donner grollte und rollte, fühlte Gregor in dem Gewitter wiederum die Kraft Gottes. Die rhythmische Klänge des Fastengeläuts, die von dem Dorfglockenturm zu hören waren, waren Gregor nicht fremd. Seine Seele antwortete und fühlt auch mit dem festlichen Läuten. Wer weiß, welche Gefühle noch in der einfachen kindlichen Seele entstanden, die der Natur nah war und auch Gott lebendig fühlte.
[7] Mit etwas 10 Jahren gab Gregors Vater ihn als Hirtenjungen zu einem reichen Landwirt. Der Wirt wies ihn den Schafen zu.
Eines Tages im Dezember, zu Weihnachten, schickte der Wirt Gregor mit den Schafen in ein 10 Kilometer entlegenes Dorf, in dem Gregor in Herde weidete. Gregor hoffte das Ziel schnell zu erreichen, deswegen nahm er kein Essen mit und kleidete sich auch nicht besonders warm.
Auf dem Weg erwischte ihn ein Schneegestöber. Beunruhigt schaute der Junge auf die schweren Wolken, die sich im Himmel sammelten, mit Angst hörte er auf das Dröhnen des Windes, der über der Steppe zog und den Schnee aufwirbelte. Die Schafe drückten sich ängstlich zueinander und gingen bedrückt mit einem hängen gelassenen Kopf. Inzwischen wurde der Wind immer stärker, die schweren Wolken verwanden und auf die Erde begann ein endloser dichter Schnee zu fallen. [8] In dem Moment begann in der Dunkelheit ein gewaltiger Schneesturm.
Wirbelwinde lösten einander ab und drehten den fallenden Schnee. Sie mischten diesen neuen Schnee mit den Klumpen, die der Wind aus dem alten Schnee herausschlug. Mit Kreischen und Pfeifen rollten die scharfen Windstöße, liefen zusammen und wieder auseinander, als ob sie die Erdoberfläche durchbohren wollten. Es schien, als ob es der feiernden Kraft des Winters kein Ende gäbe, und sie alles zuschütten und vereisen wollte. Es war eins dieser Schneegestöber, die über dich Angst bringen, selbst wenn du zuhause hinter warmen und kräftigen Wänden sitzt. Und bewahre Gott einem solchen Sturm von Angesicht zu Angesicht in einem offenen Feld zu begegnen.
Auf Gregors Seele wurde es graut und schwer. Der Weg verschwand, vor ihm erstreckte sich nun eine einförmige Decke aus weißem endlosen Schnee. Aber auch diese war wegen dem Sturm nur schwer zu erkennen. [9] Es gab niemanden, den er hätte rufen können. Gregor verstand, dass er vom Weg abgekommen ist, und dass sein Ende nahe kommt. Solange er Kraft hatte ging er seinen Schafen nach. Dabei bewegte er seine Beine mit großer Mühe durch den hohen Schnee und stolperte.
Aber diese gingen dahin, wohin sie der Wind trieb, und in dem wirbelnden Sturm wirbelten auch sie mit ihrem Hirten in den drohenden Schneewellen umher.
Gregor weinte und schrie nicht, geduldig wartete er auf das Ende des Schneesturms. In dem Moment erinnerte er sich, wie er über diese Steppe ging, als die lila Glockenblumen ihm von hohen Stielen zunickten, und die Lerchen im Flug über der Erde sangen. Die gnadenreiche Wärme Gottes zwang alles zu blühen und fröhlich zu sein. Und es tat ihm Leid, in diesem erbarmungslosem Schneesturm kurz vor Weihnachten zu sterben, und seine Seele erinnerte sich an Gott, und er dachte sich, dass Gott in retten kann.
[10] Kaum erinnerte sich Gregor an Gottes Kraft, so stieß er auf ein Hindernis. Das war ein großer Haufen Heu, und in ihm eine Vertiefung. Dort versteckte er sich. In dieser Höhle kam der Junge nach dem ermüdendem Weg und dem Wind etwas zu sich. Nach dem Ausruhen rief er seine Schafe zu sich und gab ihnen etwas Heu zum Futter. Die Schafe umzingelten ihn gehorsam und begannen das dürftige Futter zu essen.
Doch der Sturm wurde in der Zeit noch heftiger. Ganz bestimmte wollte er diese ganze Steppe von ihrem Platz herausreißen und irgendwo anders wegschmeißen. Sein schrilles Gelächter wurde immer unheilverkündender. Es schien, als ob der Heuhaufen, der Gregor beherbergte, bald in allen Himmelsrichtungen davongetragen werde würde. Der arme Junge hatte angst, schutzlos zu bleiben.
Aber die Schafe, die Gregor während seines Unglücks nicht vergessen hatte zu füttern, halfen ihm nun selbst. Sie setzten sich um den Heuschober und hielten ihn zusammen. [12] Dann legten sie sich um ihren Hirten, drückten sich an ihn, wärmten ihn mit ihrer Körperwärme und hielten durch ihren Atem das Leben in seinem vereisten Leib. Zärtlich leckten sie sein Gesicht und seine Hände, als ob sie ihn trösteten wollten. Durch diese Zärtlichkeiten schlief das unglückliche Kind ein und träumte von seiner Heimathütte, von seiner Familie…
Das Erwachen war furchtbar. Der Sturm blies immer noch, die von dem Schneegestöber verdürsteten Sonnenstrahlen schienen trüb auf den bedauernswerten Heuhaufen, die Schafe und den Jungen.
Der ganze Tag verging in dieser schwierigen Lage. Genauso wie am Vortag fütterte Gregor die Schafe mit Heu, und sie liebkosten und wärmten ihn.
Betrübt hörte der Junge auf die das Heulen des Sturms und auf das langgezogene Leuten, das ihn aus zwei Nachbardörfern erreichte. [15] Dort bereiteten sich die Menschen auf das große Fest der Geburt Christi vor. Doch Gregor schien es, als ob über ihm Totenglocken läuten würden.
Es kam die nächste bedrohliche Nacht, die Kräfte verließen den Jungen, denn er war bereits eine sehr lange Zeit ohne Nahrung gewesen. Kaum konnte er den Schafen Heu geben. Der Tod war nahe. Von Zeit zu Zeit verfiel er sogar in einen Dämmerzustand. Noch einmal gedachte er Gottes Namen, und sagte zu sich selbst, dass es keine Hoffnung mehr gibt, dass nach dem Abschied von der Heimatsteppe er ohne Murren gehorsam auf sein Ende warten würde. Das Leben verging.
Auf einmal kam er zu sich und sah ganz deutlich einen alten Mann, der zu ihm sagte: „Gregor, steh auf, geh zum Weg, dort warten Menschen. Sie werden dich mitnehmen!“
Mit den letzten Kräften erhob sich der Junge auf seine Beine und schleppte sich los. Obwohl sich das Schneegestöber beruhigt hatte, war es unbeschreiblich schwer, durch den Schnee zu gehen. Gregor war bereit hinzufallen. In seinen Augen wurde es dunkel.
[15] Gleich ist alles vorbei. In dem Moment huschte vor ihm die bekannte Silhouette seine Vaters. Er stand hier, in der Nähe, in diesem Schnee.
„Papa!“, schrie der Junge vor dieser letzten vertrauten Erscheinung leise auf und fiel um.
Aber Gregor war gerettet.
Sein Vater hat ihn gesucht, und fand ihn in dem Moment, als er in den Schnee umfiel.
Wer war dieser Starez, der durch seine wundersame Erscheinung den Jungen von einem elend Tod an diesem Heiligen Abend rettete?
Wunderbar sind die Werke Gottes, über der menschlichen Vernunft die Wege seiner Vorsehung. Und manchmal bleiben die Heiligen Gottes unbekannt, durch die Gott den Menschen hilft.
Moskau, 2010. Pfarrei der Niederkunft des Heiligen Geistes auf dem Lazarewsky-Friedhof
Autor: E. Poselanin
Illustrationen: A. Horoschawin
[3] Bete, Kind, dir vernimmt der Schöpfer der zahllosen Welten.
I. Nikitin