Predigt zum Herrentag des Gedenkens an die Vertreibung aus dem Paradies / Versöhnungssonntag (Mt. 6: 14-21) (22.02.2015)

(Röm- 13: 11 – 14: 4)

Liebe Brüder und Schwestern, 

 

der letzte Sonntag vor dem Beginn der Großen Fastenzeit ist dem Gedenken an die Vertreibung unserer Ureltern aus dem Paradies gewidmet. Wir wurden in den zurückliegenden Wochen schon liturgisch auf die Zeit der „geistlichen Melancholie“ eingestimmt – sowohl durch die Gebete und Hymnen aus dem Fastentriodion, als auch durch die entsprechenden Lesungen aus der Heiligen Schrift. Im Orthros sangen wir noch gestern: „An den Flüssen Babylons, dort saßen wir und weinten, wenn wir an Sion dachten“ (Ps. 136: 1). Dieser von heftigstem Heimweh durchdrungene Psalm, den die Juden in der babylonischen Gefangenschaft sangen, drückt auf lyrisch-prophetische Weise auch unsere Sehnsucht nach der verlorengegangenen Harmonie mit unserem Schöpfer aus. So müssen auch Adam und Eva einst bitterlich weinend vor den Toren des verschlossenen Paradieses gestanden haben. - Und weiter wurde uns im Gleichnis vom verlorenen Sohn deutlich gemacht, dass die Erkenntnis der eigenen Verfehlungen Ausganspunkt für die Rückkehr in das Haus des Himmlischen Vaters  sein muss (s. Lk. 15: 17-18).

Auch wenn die Strafe für den Sündenfall hart erscheinen mag, hat Gott doch niemals den Menschen Seine Gnade entzogen. Denn würde uns Gott auch jetzt nur nach unseren Werken vergelten, wäre niemand vor schlimmster Strafe sicher: „Wenn Du auf das Unrecht acht hättest, Herr, Herr, wer könnte bestehen“ (Ps. 129: 3). So aber ist Gottes Gnade unendlich, denn Er hat es so gefügt, dass wir es selbst in der Hand haben, ob uns Seine allesverzeihende Milde zuteil werden soll, oder nicht. „Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer Himmlischer Vater auch euch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben“ (Mt. 6: 14-15). So einfach ist das. Wir sind mit einem freien Willen, mit Herz und Verstand ausgestattet, und nun hängt es von uns ab, ob wir unseren Nächsten ihre Verschuldigungen unsgegenüber verzeihen wollen, oder nicht. - Können wir denn überhaupt begreifen, welche Macht wir von Gott anvertraut bekommen haben?! Mit in unseren Händen liegt die Entscheidung über unser ewiges Wohl und Wehe! Und deshalb dürfen wir es niemals zulassen, dass Hass, Streit und Zwietracht unser familiäres, gemeindliches, gesellschaftliches oder sonstiges Zusammenleben beeinträchtigen. Die metaphorische Ankündigung des letzten Gerichts, die wir vor einer Woche hörten, zeigt uns ja, was passiert, wenn sich am Ende herausstellt, dass wir für Gott wie Fremde waren, weil wir Seine Kinder nicht als unseresgleichen betrachtet haben. Nach den Worten des Apostels sind wir doch dazu berufen „Kinder Gottes ohne Makel mitten in einer verdorbenen und verwirrten Generation“ zu sein, unter der wir „als  Licht der Welt“ leuchten mögen (Phil. 2: 15). Alle sonstigen frommen Werke, jegliche Form der Enthaltsamkeit werden uns dann nicht nützen, wenn wir unserem Nächsten gegenüber keine Milde walten lassen wollen bzw. wenn wir für Außenstehende kein leuchtendes Vorbild, sondern abstoßendes Beispiel für isolatorische Selbstherrlichkeit sind. Es kann doch wahrlich nichts Schlimmeres geben, als beim Einlassbegehren zum Brautgemach Christi Adressat dieser Worte zu sein: „Amen, Ich sage euch: Ich kenne euch nicht“ (Mt. 25: 12). Mögen wir alle davor bewahrt werden, dann wieder vor verschlossenen Türen des zu stehen, - diesmal aber endgültig, für immer und ewig.

Davor will uns die Kirche behüten. Alles, was die Heilige Schrift über die Endzeit und das Strafgericht Gottes verkündet, dient zu unserer Erbauung, damit wir permament auf der Hut sind und die Zeichen der Zeit erkennen. Niemand soll jedoch dabei in Angst und Panik geraten oder sich gar zu unüberlegten Schritten verleiten lassen und falschen Propheten nachlaufen (s. Lk. 21: 8). Aber eine Warnung sollten wir besonders ernst nehmen, dass nämlich der Hass sogar zwischen den nächsten Verwandten Ursache für das Verderben vieler Menschen sein wird (s. Lk. 21: 16-17). Und deshalb ist es als prophylaktische Maßnahme unerlässlich, während der Großen Fastenzeit ein Gegengift in Form von Nächstenliebe zu entwickeln. Das ist das Kriterium, anhand dessen wir in sieben Wochen feststellen können, ob wir richtig gefastet haben, oder wieder mal bloß nach „Schema F“ vorgegangen sind.

 

Der christliche Glaube basiert doch darauf, dass der Mensch gewordene Gott Sein Erlösungswerk nicht in Form einer „persönlichen Beziehung“ des Individuums mit seinem Erlöser anbietet, sondern zur Errettung des Menschen die Kirche gegründet hat, ohne die es kein Heil gibt. Somit ist es nur folgerichtig, dass wir all jene, die Christus aus Liebe zu ihnen erlöst hat, ebenso lieben. Nur gemeinsam mit ihnen allen, in der Kirche, können alle Menschen zur Einheit im Glauben gelangen, welche uns alle zu Kindern Gottes macht, die gemeinsam den Weg des Heils beschreiten. In in der heutigen Lesung heißt es: „Bedenkt die gegenwärtige Zeit: Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf. Denn jetzt ist das Heil uns näher als zu der Zeit, als wir gläubig wurden. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe, darum lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts. Lasst uns ehrenhaft leben wie am Tag, ohne maßloses Essen und Trinken, ohne Unzucht und Ausschweifung, ohne Streit und Eifersucht. Legt (als neues Gewand) den Herrn Jesus Christus an, und sorgt nicht so für euren Leib, dass die Begierden erwachen“ (Röm 13: 11-14). Das vollzieht sich aber nicht automatisch, sondern erfordert von jedem einzelnen ein Höchstmaß an Einfühlungsvermögen und Duldsamkeit: „Nehmt den an, der im Glauben schwach ist, ohne mit ihm über verschiedene Auffassungen zu streiten. Der eine glaubt, alles essen zu dürfen, der Schwache aber isst kein Fleisch. Wer Fleisch isst, verachte den nicht, der es nicht isst; wer kein Fleisch isst, richte den nicht, der es isst. Denn Gott hat ihn angenommen. Wie kannst du den Diener eines anderen richten? Sein Herr entscheidet, ob er steht oder fällt. Er wird aber stehen, denn der Herr bewirkt, dass er steht“ (Röm. 14: 1-4). 

Für uns alle ist nun diese Zeit da. Sie ist ein Geschenk der Liebe Gottes. Lassen wir sie nicht ungenutzt verstreichen. Vergeben wir uns also gegenseitig von ganzem Herzen, damit wir selbst Gnade vor unserem Herrn und Richter finden! Und sorgen wir uns lediglich in dem Maße um den Leib, wie es für ein gesundes und vollwertiges Leben notwendig ist. All das sind unerlässliche Grundvoraussetzung dafür, um den Herrn Jesus Christus als neues Gewand anlegen zu können, denn darum soll es uns gehen im Vorfeld der Großen Woche und der Auferstehung des Herrn.

Amen.

Jahr:
2015
Orignalsprache:
Deutsch