Predigt zum Herrentag nach Christi Geburt (Gal. 1: 11-19: 2; Mt. 2: 13- 23) (12.01.2014)

Liebe Brüder und Schwestern,

 

der Sonntag nach dem Fest der Geburt Christi ist dem ehrenden Gedächtnis der drei leiblichen Verwandten des Herrn – Josef des Bräutigams, König Davids und Jakobus des Herrenbruders gewidmet.

Zum Herrentag der Vorväter zwei Wochen zuvor sprachen wir bereits davon, dass der Schöpfer in diese Welt kam, und Sich Selbst den von Ihm gemachten Gesetzen von Zeit, Raum und Materie unterordnete. Das geht bei genauerem Hinsehen auch aus den verschiedenen Prophezeiungen von der Geburt des Heilands hervor:

 

- Beim Propheten Daniel erhalten wir die genaue Angabe der Zeit: „Nun begreife und verstehe: Von der Verkündigung des Wortes über die Rückführung des Volkes und den Wiederaufbau Jerusalems bis zur Ankunft des Gesalbten, eines Fürsten, sind es sieben (Jahr-)Wochen“ (Dan. 9: 25).

 

- Vom Propheten Micha erfahren wir den genauen Ort (Raum): „Aber du, Bethlehem-Efrata, so klein unter den Gauen Judas, aus dir wird Mir Einer hervorgehen, Der über Israel herrschen soll. Sein Ursprung liegt in ferner Vorzeit, in längst vergangenen Tagen. Darum gibt der Herr sie preis, bis die Gebärende einen Sohn geboren hat. Dann wird der Rest Seiner Brüder heimkehren zu den Söhnen Israels. Er wird auftreten  und ihr Hirt sein in der Kraft des Herrn, im hohen Namen Jahwes, Seines Gottes. Sie werden in Sicherheit leben, denn nun reicht Seine Macht bis an die Grenzen der Erde“ (Mi. 5: 1-3).

 

- Der Prophet Jesaja nennt uns Art und Weise, durch die der Erretter in diese Welt kommen wird und Selbst Fleisch (Materie) annehmen wird: „Darum wird euch der Herr von Sich aus ein Zeichen geben: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären, und Sie wird Ihm den Namen Immanuel (Gott mit uns) geben“ (Jes. 7: 14).

 

Wir erfahren also, dass der Herr die Ewigkeit preisgibt (s. Mi. 5: 2), um in unsere zeitliche Welt zu kommen. So steht denn jeder der genannten Tagesheiligen für eine Epoche: David, der erste König Israels – für die Zeit vor der Geburt Christi; Josef, der gesetzmäßige „Vater“ – für die Zeit der Geburt Christi; Jakobus, der erste Bischof von Jerusalem – für die Zeit nach der Geburt Christi; also stellvertretend für alle drei Zeitformen: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Damit wird auch zum Ausdruck gebracht, dass die Geburt des Erlösers den Mittelpunkt der Welt- und Menschheitsgeschichte darstellt.

Damit nicht genug, ordnet Sich der Herr von Anfang bis zuletzt sogar den von Menschen gemachten politischen und sozialen Gesetzen dieser Welt unter: Er lässt Sich als Untertan ohne Bürgerrechte der damaligen Supermacht eintragen (s. Lk. 2: 1-5) und akzeptiert die weltliche Autorität derselben in Bezug auf Sein irdisches Dasein (s. Joh. 19: 11) - mit der Konsequenz, dass Er als zum Tode Verurteilter am Kreuz hängen muss, anstatt als vollwertiger Bürger des Römischen Reiches auf eine humanere Weise hingerichtet zu werden. Er ist also nicht nur ein Gott der aufopfernden Liebe, sondern auch ein Gott der sich selbst entäußernden Demut (griech. kenosis).

 

All das sollten wir bedenken, wenn wir an die Bedeutung des Reiches Gottes in dieser Welt denken. In den zurückliegenden Tagen hörten und lasen wir diverse Weihnachtsbotschaften von Würdenträgern der verschiedenen Konfessionen und Repräsentanten der weltlichen Macht. Alle nehmen sie jedes Jahr von neuem Bezug auf die aktuelle Situation in der Welt und das Leid der Menschen in Syrien, Afrika, Lampedusa etc. Ich kann gut verstehen, dass Politiker die Weihnachtsbotschaft dazu nutzen, um sie im sozialpolitischen Kontext zu deuten. Dass auch Kirchenvertreter, sozusagen, als Betonung des wichtigsten Nebenaspektes der Weihnachtsbotschaft zu Barmherzigkeit gegenüber den Mitmenschen aufrufen, ist ebenso vollkommen verständlich, absolut notwendig und überaus begrüßenswert. Auch unser Patriarch hat ja in seiner diesjährigen Weihnachtsbotschaft die Nächstenliebe als untrügliches Kriterium der uns innewohnenden Ebenbildlichkeit Gottes und der sich aus ihr ergebenden Verwirklichung der Gebote Gottes definiert.

 

Trotzdem sollten wir bedenken: Christus kam vor zweitausend Jahren in eine Welt, in der es schon damals Sklaverei, Unterdrückung, Ausbeutung, Willkür, Korruption, Seuchen, Hungersnöte, Verbrechen, Kriege und soziale Ungerechtigkeit gab. Nicht nur hat Er diese Missstände nicht verändert, Er hat Sich dafür sogar für nicht zuständig erklärt (s. Lk. 12: 13-14; Joh. 18: 36). - Um gleich einem Missverständnis entgegenzutreten: weder sieht Gott gleichgültig auf das Leid der Welt herab, noch sollen es Seine Diener tun. Nur verlieren die Menschen leider zunehmend den Blick dafür, wozu der Heiland eigentlich in diese Welt gekommen ist. Diese Diskrepanz zwischen dem menschlichen Anspruch nach irdischem Wohlergehen und Gottes weisem Ratschluss wird am Beispiel der 14.000 getöteten unschuldigen Knaben von Bethlehem am deutlichsten. Darauf angesprochen, warum Gott dies zugelassen hat, antwortete ein Heiliger, ihr frühzeitiger Tod habe sie davor bewahrt, drei Jahrzehnte später Mittäter derjenigen gewesen zu sein, die den Messias ans Kreuz geschlagen haben.

 

In seiner „Dienstanweisung an einen Unterteufel“ beschreibt C.S. Lewis auf humorvolle Weise, wie der kleine Dämon Screwtape von seinem „Chef“ als Anti-Schutzengel auf einen konkreten Erdbewohner angesetzt wird, um selbigen auf den Weg des Seelenunheils zu bringen. Doch die Zeiten sind hart für einen armen Teufel: der zweite Weltkrieg führt nämlich dazu, dass die Menschen in den englischen Großstädten aus Angst um ihr Leben und aus Sorge um ihre Existenz wieder täglich beten und sonntags zur Kirche gehen. Und als die „Zielperson“ Screwtapes bei einem nächtlichen Luftangriff tatsächlich umkommt, ist seine Seele (für den Teufel, wohlgemerkt!) verloren. Es ist überhaupt faszinierend zu lesen, dass aus Sicht des Teufels der Krieg mit seinen Schrecken kein freudiges Ereignis ist. Und wer könnte das aus diesem Blickwinkel besser verstehen, als die Russen, die in ihrer Geschichte immer nur dann zu Gott fanden, wenn ihnen das Wasser bis zur Halskrause stand?!..

 

Wahrlich nur aus der Perspektive der jenseitigen Welt verstehen wir auch, warum z.B. der zu Tode gefolterte hl. Georg für uns ein Siegesträger ist, und kein „Niederlagenträger“. Er und viele andere siegten in der Nachfolge des Gekreuzigten über das Böse. Von daher sollten wir versuchen, allen Ereignissen des privaten und öffentlichen Lebens eine spirituelle Dimension zu geben.

 

Überdies bin ich der Ansicht, dass man heutzutage generell allzu sehr die Erscheinungsformen der untragbaren globalen Zustände hervorhebt, ohne näher auf ihre Ursachen einzugehen. Denn eigentlich müsste sich die von religiösen Zwängen befreite moderne Menschheit der Früchte des sozialen, technischen und medizinischen Fortschritts erfreuen und eine stabile, glückliche Existenz in Frieden, Wohlstand, Sicherheit und Zufriedenheit für alle Erdenbürger gewährleisten können. Anstatt dessen beklagen weltliche und religiöse Anführer die immer größer werdende Kluft zwischen Armut und Reichtum, Freiheit und Unterdrückung, Rechtsstaatlichkeit und staatlicher Willkür in verschiedenen Teilen dieser Welt, tun dabei aber so, als handele es sich hierbei um unvorhersehbare Naturereignisse. Kaum einer spricht davon, dass die Probleme der dritten Welt in Wahrheit in den Industrieländern erzeugt werden, denn auch über ein halbes Jahrhundert nach dem Ende der Kolonialzeit werden viele Staaten Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und sogar der ehemaligen UdSSR mit dem Geld der reichen Länder von Quasi-Statthaltern regiert, die im Grunde nur den enormen natürlichen Reichtum dieser Länder für die globalen Großmächte verwalten und de facto deren geostrategischen Interessen mit allen Mitteln vertreten. Der einheimischen Bevölkerung bleiben hingegen nur die Probleme: Armut, Kriege, soziale Spannungen, Unterdrückung und Umweltkatastrophen. Demgegenüber kriegen die reichen Länder, was sie wollen: preiswerte Nahrungsmittel, erschwingliche Rohstoffe, billige Kleidung usw., wofür sie sich mit 0,1 % aus den getätigten Umsätzen in Form von „Entwicklungshilfe“ erkenntlich zeigen. Und wann immer eine unliebsam gewordene Regierung beseitigt werden soll, kommt die Karte vom Freiheit, Demokratie und Menschenrechten ins Spiel.

Kurzum, das Streben nach materiellem Wohlstand, sozialer Gerechtigkeit und politischer Stabilität in einer ökologisch intakten und ökonomisch harmonischen Welt mit menschlichen Mitteln, jedoch ohne eine ontologische Veränderung des „Faktors M“, ist wie der Versuch, an den Horizont zu gelangen oder sich selbst an den Haaren aus dem Sumpf herauszuziehen.

 

Christus der Erlöser hat uns durch Sein Erscheinen in dieser Welt eine andere Botschaft gegeben. Gerade dadurch, dass Er Selbst das Joch der Bedrängten, Verfolgten und zu unrecht Verurteilten auf Sich nahm und das Los der Geplagten und schwer Beladenen mit den Benachteiligten dieser Welt teilte, machte Er sie zu Seinen Nachfolgern. So konnten sie von Ihm lernen „gütig und im Herzen demütig“ zu sein. Denn letztendlich weist uns einzig und allein Christus den Weg, auf dem alle Menschen „Ruhe finden für ihre Seelen“ (s. Mt. 11: 29) – ein Weg, der keinerlei menschliche Weisheit zu Rate zieht (s. Gal. 1: 16), dafür aber die Liebe zu Gott und zu seinem Nächsten als oberstes Prinzip anerkennt.

Die angesprochenen Weihnachtsbotschaften der politisch Verantwortlichen mögen gut gemeint sein, aber sie zeugen, im Grunde genommen, vom Bestreben, das Evangelium den Regeln dieser Welt anzupassen, anstatt das Leben der Welt nach dem Evangelium des Herrn auszurichten. Fast könnte man meinen, das Fest der Geburt Christi bedürfe tatsächlich noch einer weiteren zusätzlichen Säkularisierung! Dabei ist die wirkliche Richtschnur der Frohen Botschaft des Erretters der Welt doch die, dass wir, bevor wir die Welt verändern wollen, zunächst bei uns selbst anfangen sollten. Jede noch so gut gemeinte Botschaft hingegen, die nicht vom Geiste Christi und Seiner unendlichen Demut erfüllt ist, wird immer erst die Forderung nach Veränderung der Anderen zum Inhalt haben.

In der Person des Herrn haben wir nunmehr die vollkommene Norm vor Augen, so dass wir uns in der mystischen Gemeinschaft des Leibes und des Blutes Christi verändern können, um Dem gleich zu werden, Der uns zuvor durch Seine Geburt gleich geworden war. Denn Christus, Der vollkommen, heilig und ohne Sünde ist, hat Sich um unseretwillen Selbst „verändert“: „Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern Er entäußerte Sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich“ (Phil. 2: 6-7). 

Amen.

Jahr:
2014