Predigt zum Herrentag der Väter (Hebr. 11: 9-10, 17-23, 32-40; Mt. 1: 1-25) (05.01.2014)

Liebe Brüder und Schwestern,

 

die Lesung des heutigen Herrentags zum Gedächtnis der leiblichen Vorfahren Christi bildet der Prolog des Matthäus-Evangeliums mit dem „Stammbaum Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams“ (Mt. 1: 1). Diese Genealogie beginnt mit dem Stammvater des Volkes Israel Abraham (s. Gen. 17: 1-27), hebt König David als Gründer des Königreichs Israel hervor (s. 2. Kön. 7: 27-29) und schließt mit der Fleischwerdung Gottes – der Geburt Jesu Christi (s. Mt. 1: 18-25), des Stammvaters und Gründers des „Neuen Israel“. Im Neuen Bund zwischen Gott und Mensch, der mit der Geburt Christi im Matthäus-Evangelium beginnt, sind nun die Christen das erwählte Volk und die Kirche ist das verheißene Königreich Gottes.

 

  Das, was der Prophet Jesaja im Alten Testament mit den Worten voraussah: „Siehe, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, einen Sohn wird Sie gebären, und man wird Ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott ist mit uns“ (Mt. 1: 23; vgl. Jes. 7: 14), und das, was der Apostel Paulus im Neuen Testament wie folgt umschrieb: „Wahrhaftig, das Geheimnis unseres Glaubens ist groß: Gott wurde offenbart im Fleisch“ (1.Tim. 3: 16), ist der absolute Mittelpunkt unseres Glaubens, unseres Lebens, unserer Theologie. Durch die Menschwerdung Gottes erhält alles Weitere seinen Sinn, und, umgekehrt, ohne die Menschwerdung des Logos wäre alles Übrige sinnlos: die Taufe Christi, die Versuchung durch den Widersacher, das Abendmahl, der Todeskampf im Garten Gethsemane, die Leiden, die Kreuzigung, der Tod, die Auferstehung, die Himmelfahrt, die Herabsendung des Heiligen Geistes, selbst Seine zweite Wiederkehr. Denn ohne die Menschwerdung Gottes gäbe es keine Vergöttlichung des Menschen.

  Darum sollte jeder, der an Christus glaubt, sich dessen bewusst sein, dass die Vereinigung beider Naturen – der göttlichen und der menschlichen – für jeden Christen das Fundament des Glaubens darstellt. Deshalb hat sich die „Kirche des lebendigen Gottes, die die Säule und das Fundament der Wahrheit ist“ (1. Tim. 3: 15) seit jeher gegen alle Irrlehren gestemmt, die entweder die eine oder die andere Natur Christi in Frage gestellt hatten. Denn nur durch unsere Vereinigung mit Christus werden wir zu Teilhabern Seines Todes, Seiner Auferstehung (s. Röm. 6: 1-11), folglich auch Seiner Himmelfahrt und Seines Sitzens zur Rechten des Vaters; und durch Ihn werden wir zum Tempel des Heiligen Geistes (s. 1. Kor. 6: 19).

 

  Vater Archimandrit Simeon (+2009) aus dem Kloster des hl. Johannes des Täufers in Essex reflektiert über das Jesus-Gebet aus eben dieser Perspektive, indem er behauptet, dass es gar keinen Unterschied macht, ob man das Jesus-Gebet im Singular („Herr, Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme Dich meiner!“) oder im Plural („... erbarme Dich unser!“) betet, da mit „mir“ der gesamte Mensch, vereint mit Jesus Christus durch die Taufe, gemeint ist. „Denn Gott wollte mit Seiner ganzen Fülle in Ihm wohnen, um mit Ihm alles zu versöhnen“ (Kol. 1: 19-20a) und „Christus ist alles und in allen“ (Kol. 3: 11).

  Dieses „Geheimnis unseres Glaubens“ macht ja gerade den grundlegenden und grundsätzlichen Unterschied zu den übrigen monotheistischen Religionen aus: Juden und Moslems verehren Gott zwar auf ihre Weise, aber nur in der Kirche Christi, deren Haupt der Herr ist (s. Eph. 5: 23 und Kol. 1: 18), vollzieht sich der Gnade nach die Vereinigung des Schöpfers mit Seinem Geschöpf.

 

  Daran sollten vor allem die unter uns Christen denken, die zwar „im Herzen“ an Gott glauben, aber aus Bequemlichkeit sonntags lieber zu Hause bleiben, weil sie dort angeblich „genauso gut zu Gott beten können“. Von dieser Warte aus betrachtet bestünde dann ja auch tatsächlich kein wesentlicher Unterschied, ob man freitags in die Moschee, samstags in die Synagoge oder sonntags in die Kirche geht, „da es ja eh nur einen Gott gibt“. Dann hätten auch die Recht, die behaupten, es gäbe halt mehrere Wege, die alle gemeinsam aber zu einem Ziel führten. Und wenn wir noch eine Ecke weiter denken, wäre es demnach vollkommen egal, ob ich Moses, Mohammed, Buddha. Krishna oder eben Jesus als Vorbild habe – Hauptsache, ich glaube an Gott.

 

  Aber wie war das noch mit den frühen christlichen Martyrern?! - Als diese von ihren Peinigern nach ihrem Namen gefragt wurden, antworteten sie zunächst: „Ich bin Christ!“ Wie wahr, es steht doch geschrieben: „Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus (als Gewand) angelegt“ (Gal. 3: 27). Wer in Christus getauft ist, ist kraft der Gnade des Heiligen Geistes Christ(us)! Das ist der „Name“, in den wir getauft sind – der Name des Dreieinigen Gottes, offenbart im „Evangelium von Jesus Christus, dem Sohn Gottes“ (Mk. 1: 1).

 

  Aber wissen das alle „Christen“? Wenn sie in der Tat wüssten, warum wir uns Christen nennen, würden sie dann der Heiligen Eucharistie, also der Manifestation der Menschwerdung Gottes und der sich daraus ergebenden Einswerdung Gottes und des Menschen fernbleiben?  Die Weisheit Gottes sprach schon tausend Jahre vor Ihrer Menschwerdung: „Kommt, esst von Meinem Mahl, und trinkt vom Wein, den Ich mischte. Lasst ab von der Torheit, dann bleibt ihr am Leben, und geht auf dem Weg der Einsicht“ (Spr. 9: 5).

 

  Trotzdem reicht es vielen heute vollauf, nur nominell Christ zu sein. Die, die in unmittelbarer Nähe zur Kirche wohnen sind sonntags zu beschäftigt (darüber sprachen wir letzte Woche im Gleichnis über die Geladenen zum Festmahl), für die anderen ist die Entfernung zur nächstgelegenen  Kirchengemeinde zu groß. Nun, sie müssen es selbst wissen, wie ehrlich und aufrichtig diese Entschuldigungen sind. Wenn z.B. morgen Disneyland in der gleichen Entfernung seine Pforten öffnen und freien Eintritt für die ganze Familie versprechen würde, oder wenn das Oktoberfest denselben Menschen Essen & Trinken umsonst plus freien Eintritt zu allen Fahrgeschäften und Attraktionen gewähren würde, dann, so denke ich, würden sich bei sehr vielen plötzlich sehr schnell die notwendige Zeit und die bisher nicht vorhandenen finanziellen Mittel für eine Reise nach München oder sonst wohin finden. Aber in so einem Falle wäre die Berufung auf verkehrstechnisch widrige Umstände oder finanzielle Probleme nur Selbstbetrug, oder schlimmer - Verlogenheit vor Gott.

 

  Bitte korrigieren Sie mich, wenn ich jetzt etwas Falsches oder Unangebrachtes sage. Mir ist ja bewusst, dass ich niemanden zwingen kann, sich unter der Kirchenkuppel wohler zu fühlen, als unter dem Dach eines Bierzeltes, denn Gott Selbst respektiert die freie Entscheidung eines jeden. Aber für mich bedeutet eine derartige (faktische) Prioritätensetzung, dass für mancherlei „Gläubige“ Mickey Mouse wichtiger als Jesus Christus ist und dass Freibier & Weißwurst wichtiger als der Leib und das Blut Christi sind...

 

  Liebe Leute, wie man bei dieser Ausgangslage dann noch behaupten kann, dass „Gott bei mir im Herzen ist“, bleibt mir ein Rätsel. „Oder habt ihr den Glauben vielleicht unüberlegt angenommen?“ (1. Kor. 15: 2b). So unüberlegt, dass ihr nicht wisst bzw. nicht wissen wollt, dass das Evangelium, dessen erste Worte heute in der Kirche verkündet wurden, „der Grund ist, auf dem ihr steht“ (1. Kor. 15: 1b)?

  Aber haben wir das Recht, sie deshalb anzuklagen?!..

  Erinnern Sie sich an den Filmklassiker „Lawrence von Arabien“? Der Titelheld, ein britischer Offizier im Ersten Weltkrieg, kämpft an der Seite von Beduinen-Stämmen gegen die osmanischen Unterdrücker in Nordafrika. Eines Tages findet die von Lawrence geführte Kompanie in höchster Not hinter einer Felswand Zuflucht vor einem fürchterlichen Sandsturm. Doch dann stellt man fest, dass einer der Männer aus dem Gefolge von Lawrence es nicht geschafft hat, sich in Sicherheit zu bringen. Für alle ist klar: der Mann ist verloren. Aber Lawrence, der Europäer, geht allen Warnung zum Trotz zurück in diese Hölle, begibt sich selbst in höchste Lebensgefahr, um seinen beduinischen Untergebenen zu retten. Und tatsächlich gelingt es ihm, den Mann mit letzter Kraft lebend zurückzubringen. Doch kurze Zeit später kommt es im Lager der Aufständischen zu einem Aufruhr, als mitten in der Nacht ein soeben dingfest gemachter Raubmörder vor Lawrence gebracht wird und dieser daraufhin seinen Augen nicht traut: es ist derselbe Mann, dem er wenige Tage zuvor das Leben gerettet hatte. Noch an Ort und Stelle wird der Mann hingerichtet, denn die Stammesgesetze der Beduinen und auch das britische Standrecht sind eindeutig.

Wenn wir uns nun vergegenwärtigen, wie Lawrence danach zumute gewesen sein muss, dann können wir uns auch in etwa vorstellen, wie Christus, Der uns aus der Knechtschaft des Todes befreit hat, empfindet, wenn Er sieht, wie wir Christen mit unserer neugewonnenen Freiheit umgehen.

  Bei allem berechtigten oder weniger berechtigten Anlass für solche Überlegungen, darf ich jedoch bloß nicht zu der einen Feststellung gelangen, nämlich: dass ich besser bin als die anderen. Die Klage darf nie zur Anklage werden, denn ganz andere vor mir sagten schon über sich: „Ich aber bin Fleisch, das heißt: verkauft an die Sünde. Denn ich begreife mein Handeln nicht: Ich tue nicht das, was ich will, sondern das, was ich hasse. (…) Dann aber bin nicht mehr ich es, der so handelt, sondern die in mir wohnende Sünde. (…) Denn in meinem Inneren freue ich mich am Gesetz Gottes, ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das mit dem Gesetz meiner Vernunft im Streit liegt und mich gefangenhält im Gesetz der Sünde, von dem meine Glieder beherrscht werden. Ich unglücklicher Mensch! Wer wird mich aus diesem, dem Tod verfallenen Leib erretten?“ (Röm. 7: 14-15; 17; 22-24).

  Ein Grund mehr, sich Christus im Glauben anzuschließen, sich mit Ihm durch Leib und Blut zu vereinigen. Dann wird die Sünde in mir unwirksam. Denn „nicht die Gesunden brauchen einen Arzt, sondern die Kranken“ (Mt. 9: 12). Das ist „der Grund, auf dem wir alle stehen“, der mich zusammen mit Ihnen zwei Tage vor dem Fest der Ankunft Gottes in unsere Welt mit so großer Vorfreude erfüllt. Amen.
Jahr:
2014
Orignalsprache:
Deutsch