Predigt zum Herrntag zu Ehren des heiligen Johannes Klimakos (Mk 9, 17-31) (14.04.2013)

 

(Hebr. 6: 13-20; Eph. 5: 8-19; Mk. 9: 17-31; Mt. 4: 25 – 5: 12)

 

Liebe Brüder und Schwestern,

mit dem vierten Sonntag der Großen Fastenzeit, welcher nach der Woche der Kreuzverehrung folgt, beginnt bei vielen von uns ein psychologisch bedingtes Umdenken: wir zählen von nun an nicht mehr von vorne, sondern von hinten, d.h. wir haben nicht die vierte Woch hinter uns, sondern es bleiben ganze drei Wochen bis zum Fest der Feste, die noch vor uns liegen. Dieser Tag nun ist dem Gedächtnis des hl. Johannes Klimakos (* vor 579, + um 649) gewidmet, der schon im Alter von 16 Jahren mit anderen Mönchen als Einsiedler auf dem Berg Sinai lebte, danach vierzig Jahre lang in einer Zelle als Klausner verbrachte und von 638 bis 642 Abt des dortigen Katharinenklosters war, bis er dieses Amt an seinen Bruder abgab.

Seinen Beinamen erhielt der Heilige für sein bekanntestes Werk, „Die Himmelsleiter“ (gr. „Klimax tou Paradeisou“), in dem er in 30 Kapiteln den Weg der Reinigung der Seele bis hin zur Gemeinschaft mit Gott beschreibt. Deshalb würdigt die Heilige Kirche den Verfasser der „Leiter“ an diesem Tag durch das Vorlesen der „Vollversion“ des Textes der Seligpreisungen aus dem Matthäus-Evangelium (4: 25 – 5: 12), die ja ihrerseits den Weg zum Aufstieg zu Gott weisen. Sonst wird zu Ehren eines Heiligen im Mönchsstand ja nur die „Kurzfassung“ aus dem Lukasevangelium (6: 17-23) gelesen.

Die „Leiter“ des heiligen Johannes ist ein, wenn nicht das Buch der Mönche und Laien während der Großen Fastenzeit. Vor allem während der langen Gottesdienste der ersten Fastenwoche und der Karwoche wird zur Erbauung der Klostergemeinschaft oder der Kirchengemeinde zwischendurch gerne aus diesem Buch gelesen. Vater Martinos Petzolt schreibt in seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe: „Als tägliches Brot für die geistliche Nahrung eignet sich nämlich ganz besonders die „Himmelsleiter“. Dieses Buch Klimax ist also durchaus wie ein Laib Brot ein geschlossenes Gesamtwerk mit einer klaren Gliederung, Systematik und einem Zielpunkt, aber es ist wie aus einer Vielzahl harter Körner aus vielen Einzelgedanken, Sätzen und Abschnitten zusammengesetzt, die innerhalb des Ganzen für sich stehen, betrachtet und erwogen werden können und dem Leser Arbeit und Mühe machen, aber ihm auch echte nahrhafte Speise sind.“ Im Grunde ist dieses Buch also eine auführliche exegetische Paraphrase der Seligpreisungen, denn diese haben ja zum Ziel, den Menschen durch spirituelle Verhaltensmuster in dieser Welt zum Übergang in die kommende Welt vorzubereiten. Der heilige Johannes Klimakos sagt nämlich selbst: „Es ist nicht möglich, sagte jemand, den gegenwärtigen Tag rechtschaffen zuzubringen, es sei denn, man hielte ihn für den letzten Tag unseres Lebens. Und es ist schon bemerkenswert, dass auch die Griechen so etwas behaupteten. Philosophie definieren sie als Nachsinnen über den Tod“.

Welch ein Kontrast zur „Philosophie“ unserer Zeit! Bei uns erfreuen sich gerade  infolge der demographischen Entwicklung Telenovelas steigender Beliebtheit, in denen sich im dritten Frühling befindliche Darsteller mit wechselndem Erfolg in immer neue Liebesabenteuer stürzen. Der Tod soll so aus dem Gedächtnis verdrängt werden.

Das Evangelium ist zwar ohne jeden Zweifel das „Buch des Lebens“. Es beginnt auch mit der Geburt Christi, die jedoch vom Tod tausender unschuldiger Kinder und eines ehrwürdigen Greisen begleitet wird; es erzählt von Seinem Leben und endet - mit Seinem Tod?...  Nein, Sein Tod ist, sozusagen, nur das vorletzte Kapitel dieses Buches.

Als Nachfolger Christi sind wir „auf Seinen Tod getauft worden“ (Röm. 6: 3), um mit Ihm „durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt“ (6: 4) zu werden. So enden auch die Seligpreisungen mit eben dieser letzten Stufe der Leiter: „Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein“ (Mt. 5: 12). Ohne die letzte Sprosse wären alle vorangegangenen sinn- und zwecklos.

Zu Festen eines heiligen Mönches wird in der Kirche folgender Prokimenon vor der Schriftlesung vorgetragen: „Kostbar ist in den Augen des Herrn das Sterben Seiner Frommen“ (Ps. 115: 6). Wir bezeichnen einen heiligen Asketen in der kirchenspezifischen Ausdrucksform auch als „Ehrwürdigen“ (gr. ossios, slaw. преподобный) und gemäß der kirchlichen Etikette redet man einen Mönch auch als „ВашеПреподобие“ („Euer Ehrwürden“) an. Der slawische Text des Prokimenons ist daher viel einprägsamer: „ЧестнапредГосподомсмертьпреподобныхЕго“. In Gottes Augen ist der Tod Seiner Heiligen kostbar. Leben und Tod bilden demnach eine untrennbare Einheit; der Tod gehört dazu, er ist sogar der Höhepunkt des Lebens: „Denkt an eure Vorsteher, die euch das Wort Gottes verkündet haben; schaut auf das Ende ihres Lebens, und ahmt ihren Glauben nach“ (Hebr. 13: 7).

Mönche wie der hl. Johannes Klimakos „sterben“ ja für diese Welt, tragen wie der Apostel Paulus das Kreuz Christi, durch das „mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt“ (Gal. 6: 14). Einst offenbarte Geronta Paisios der Hagiorit einem ihm bekannten Mönch, er solle schon in wenigen Tagen „bereit sein“. Dieser freute sich wie ein kleines Kind über diese gute Nachricht. Nun konnte dieser wie der heilige Simeon sein Leben in Frieden beschließen (s. Lk. 2: 29-32).

Das Evangelium verkündet uns die Wahrheit – die ganze Wahrheit. Nur Fröhliches zu verkündigen, ohne die Schattenseiten zu erwähnen, würde einer Täuschung gleichkommen und die Sicht auf die wahren Tatsachen verschleiern. Wir müssen schon das Gesamtbild sehen, dann sind Glaube und Hoffnung keine Illusion oder Selbsttäuschung. Gewiss ist der Tod für sich allein genommen das Schrecklichste, was es gibt. Aber wenn wir in der Taufe Christus „gleich geworden sind in Seinem Tod, dann werden wir mit Ihm auch in Seiner Auferstehung vereinigt sein“ (Röm. 6: 5). Das vierzigtägige Fasten ist ja, wenn wir „als neue Menschen leben“ (6: 4), die beste Vorbereitung auf die Karwoche und den Tod Christi;  doch schon die darauffolgende Woche - Sonntag ist ja der „erste Tag der Woche“ (s. Mt. 28: 1; Mk. 16: 2, 9; Lk. 24: 1; Joh. 20: 1) – beginnt mit der Auferstehung des Herrn.

Die Fastenzeit ist für uns Christen wie ein Studienseminar für Studenten, ein Trainingslager für Sportler oder ein Militärmanöver für Soldaten. Es ist eine zeitlich begrenzte Phase intensiver Anspannung, in der die Grundlagen für die weitere erfolgreiche Betätigung „im Ernstfall“ geschaffen werden. Protopresbyter Alexander Kiseljov (1909-2001) betonte (uns) jungen Seminaristen gegenüber in einer seiner Homilien, dass selbst die Jünger Christi bis zur Himmelfahrt bzw. bis zum Pfingstereignis noch Schüler waren, weit davon entfernt, alles zu begreifen und umzusetzen, was sie der Herr gelehrt hatte. So vermochten sie in der heutigen Lesung auch nicht, den mondsüchtigen Jungen vom Dämon zu befreien (Mk. 9: 18, 28). Und wer sind wir im Vergleich zu den Aposteln, die drei Jahre lang Tag und Nacht zusammen mit ihrem göttlichen Meister verbringen durften?!.. Aber das ist doch auch ein Trost und ein Ansporn für uns, denn unsere Schwächen und Verfehlungen werden uns umso mehr verziehen, weil Gottes Gnade auch das Unvollkommene in uns zu vervollkommnen vermag. Nur aufgeben, die Zügel hängen lassen dürfen wir nicht. „Diese Art kann nur durch Gebet und Fasten ausgetrieben werden“ (Mk. 9: 28). Daraus – aus Fasten und Beten - besteht das Wesen der Himmelsleiter des hl. Johannes. Der Mensch erfüllt seinen Teil, und Gott den Seinigen.

Erinnern wir uns an die Erscheinung des auferstandenen Herrn am See Genezareth: die Jünger hatten die ganze Nacht schwer geschuftet und doch nichts gefangen; am frühen Morgen tritt der Herr ans Ufer und fordert sie auf, das Netz auf der rechten Seite des Bootes hinauszuwerfen – und plötzlich ist das Netz so voll mit großen Fischen, dass sie es nicht einmal ins Boot hochziehen können (s. Joh. 21: 1-14). Jetzt erst wurden sie zu „Menschenfischern“ (s. Mt. 4: 19; Mk. 1: 17; Lk. 5: 10), mit denen der Herr „den ganzen Weltkreis einfing“ (Troparion zum Pfingstfest). So kann auch die Saat unserer schwachen Bemühungen eines Tages ganz plötzlich aufgehen – zu einem für uns im verborgen liegenden Zeitpunkt, den der Herr aber schon längst im voraus bestimmt hat.

Einst wird aber auch unser irdisches Leben enden, so wie diese vergängliche Welt untergehen wird. Jedes Ende markiert jedoch zugleich einen neuen Anfang. Und so sprechen wir voller Zuversicht und Vorfreude gemeinsam mit dem Apostel Paulus: „Für mich ist Christus das Leben, und Sterben ein Gewinn“ (Phil. 1: 21).

Amen.
Jahr:
2013
Orignalsprache:
Deutsch