Predigt zum Gedenktag aller Heiligen des Russischen Landes (Röm. 2:10-16; Mt. 4:18-23) (04.07.2021)

Liebe Brüder und Schwestern, heute nehmen wir das „kollektive Patronatsfest“ der Russischen Kirche als Modellbeispiel für alle übrigen nationalen Heiligenfeste. So gibt es seit wenigen Jahren bereits ein Fest der orthodoxen Heiligen des Spanischen und des Portugiesischen Landes, das auf Betreiben der lokalen Auslandsdiözese vom Bischofskonzil der Russischen Kirche gesegnet worden ist. Seither haben die auf der Iberischen Halbinsel beheimateten orthodoxen Gläubigen „eine Wolke von Zeugen“ (Hebr. 12:1) um sich herum, an die sie jederzeit ihre Gebetsanliegen richten können. Uns allen sollte dies als Ansporn dienen, durch eine vertiefte innere Auseinandersetzung mit den spezifischen hagiographischen Fakten ebenfalls die endgültige Verehrung der „Heiligen des Deutschen Landes“ voranzutreiben. Der formaljuristische Prozess der Kanonisierung der Heiligen des historischen deutschsprachigen Raums ist ja bereits angestoßen worden. Die Verehrung der Russischen Heiligen zeigt, wie sehr der himmlische Beistand der „triumphierenden Kirche“ für die „kämpfende Kirche“ notwendig gewesen ist, die ja stets mit der irdischen Heimat eine Einheit bildeten. Die bereits verherrlichten Heiligen waren stets Fürsprecher vor Gott in der Not. Die heiligen Boris und Gleb erschienen dem jungen Nowgoroder Fürsten Alexander und stärkten ihn vor der Schlacht an der Newa gegen die Schweden (1240), der Großfürst Dimitrij erbat den himmlischen Segen vom noch auf Erden befindlichen heiligen Sergij von Radonezh*) vor der Schlacht am Don gegen die Tataren (1381). Noch zu Lebzeiten betete der heilige Patriarch Hermogen im Kerker für die Befreiung Russlands von den polnischen Invasoren (1612), die sogar das Kloster der Heiligen Dreifaltigkeit in Sergiev Possad monatelang belagerten, wobei die heiligen Sergij, Nikon und andere verherrlichte Heilige der Lavra mehrfach den Verteidigern erschienen waren und ihren Glauben stärkten. Jedes mal, wenn der Glauben im Volk zu erlöschen drohte, ließ Gott die tödliche und existenzielle Bedrohung zu, damit sich die Menschen wieder ihrer göttlichen Berufung bewusst werden. Und wie viele Heilige beteten für ihre irdische Heimat nach dem Einmarsch der abendländischen Eroberer, die mal als Befreier (1812), mal als Herrenmenschen (1941) auftraten, und doch gegen die himmlische Übermacht nichts ausrichten konnten ------------------------------------------------------------------------------------------------- *) Solche Heilige sind ja schon auf Erden „himmlische Menschen“ bzw. „irdische Engel“. Was lehrt uns (alle) die Geschichte? Es reicht nicht aus, einfach so, diffus und völlig unverbindlich an Gott zu glauben. Ich kenne zahlreiche aufrichtige und anständige Menschen, die so glauben, weil sie es von Kindheit nicht beigebracht bekommen haben und denen der Zugang zum kirchlichen Leben bzw. die Umstellung zur häuslichen Frömmigkeit schwerfällt. Meist sind es Menschen mit höherem Intellekt, denen die weit verbreitete „Volksfrömmigkeit“ nicht zusagt. Und so glauben sie „im Herzen“, wie sie sich ausdrücken. Sie sind mir persönlich lieber als bigotte und selbstherrliche Pharisäer (vgl. Röm. 2:17-29), die den Suchenden den Weg zur Kirche versperren (vgl. Mt. 23:13). Was aber kann ich tun, damit sie den lebendigen Glauben in mir erkennen? Ich stehe doch in der Verantwortung. Die Beweislast und die Bringschuld lieben bei mir! Und da dem so ist, kann ich nur noch zum Herrn flehen, Er möge mir und ihnen gegenüber kein strenger, - auch kein gerechter -, sondern ein milder Richter sein. Gott weiß, wie Er sie retten wird – aber bin denn ich selbst auf der sicheren Seite?.. Was ist mit meinen Schwächen und Defiziten? Lebe ich getreu meinem Glauben?.. Diese Gedankengänge veranlassen mich, Beistand bei denen zu suchen, die durch ihr Leben und ihr Wirken bereits bewiesen haben, dass sie Gott verherrlichen konnten und so selbst durch Gott verherrlicht wurden. Sie flehten nicht nur in Gefahrensituationen zu Gott, denn ihr Kampf war auch in sog. Guten Zeiten „mit Mächtigen und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in dieser Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel“ (Eph. 6:12). Sie lehrten uns durch ihr persönliches Beispiel, dass die ganze Welt im Argen liegt (s. 1 Joh. 5:19) und dass wir folglich nicht die vergängliche Welt und was in der Welt ist lieben sollen (s. 1 Joh. 2:15-17). Wir alle suchen das Heil im Gebet, auch die außerhalb der Kirche. In Russland und Deutschland dürfte das sogar die Mehrheit sein, die so eine oberflächliche „persönliche“ Beziehung zu Gott hat. Sie bitten Gott um alle irdischen Segnungen, denken aber kaum oder gar nicht an das Himmlische (s. Mt. 6:16-34). Sie führen, wenn überhaupt, einen Monolog. Gott hört Sich das geduldig an, bis sie endlich kapieren, dass die Beziehung zu Gott eine bilaterale ist. Der Mensch hat die Gelegenheit, sein Leben und sein Handeln nach dem Willen Gottes – den Geboten – auszurichten. Er vertraut Gott. Und er glaubt nicht nur an Gott, sondern er glaubt Gott. Das bedeutet dauerhaftes Glück auf Erden und ewige Seligkeit im Himmel. Die größte Hilfestellung leisten ihm dabei die Gottesdienste und Gebete der Kirche – verfasst von Heiligen, die um die totale Vereinnahmung des menschlichen Verstandes, Herzens und Willens durch das Böse in der Welt wussten. Sie sind darin leuchtende Vorbilder für uns alle, wie wir nach dem ewigen Heil durch die Gnade des Heiligen Geistes streben und die ohnehin nicht in unserer Macht stehende Entwicklung der sichtbaren Welt Gott überlassen sollen. Und das haben alle Heiligen – so sehr sie sich durch äußere Kriterien voneinander auch unterscheiden mögen – gemeinsam. Sie alle haben das Leben in sich (s. Joh. 3:36; 5:24,40; 10:10; 20:31) durch „ das Gesetz des Geistes, Der lebendig macht in Christus Jesus“ (Röm. 8:2). Amen.
Jahr:
2021
Orignalsprache:
Deutsch