Predigt zum 2. Herrentag der Großen Fastenzeit / Hl. Gregorios Palamas (Hebr. 1:10-2:3; Hebr. 7:26-8:2; Mk. 2:1-12; Joh. 9:9-16) (28.03.2021)

Liebe Brüder und Schwestern, am heutigen Tag lesen wir von der Heilung des Gelähmten von Kafarnaum. Warum diese Lesung in der Fastenzeit? - Ganz klar: der Herr verdeutlicht anhand Seines Vorgehens den Zusammenhang zwischen seelischer und körperlicher Krankheit. „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!“ (Mk. 2:5). Offenbar hatte der Mann in jungen Jahren viel gesündigt, und war nun am ganzen Körper erkrankt. Ebenso wahrscheinlich ist aber auch, dass er seine Sünden bereute – weshalb sonst würde ihm der Kenner der Herzen (s. Apg. 1:24; 15:8) die Vergebung der Sünden gewähren?!.. Und ganz sicher half ihm der Glaube seiner Freunde oder Angehörigen, die ihn auf der Bahre zu Füßen des Herrn gelegt hatten (s. Mk. 2:4-5). Im übertragenen Sinn bedeutet dies, dass auch unsere Gott und den Mitmenschen gegenüber paralysierten, gefühllosen und hartherzigen Seelen genesen können, wenn wir unsere Sündhaftigkeit erkennen und aufrichtig Buße tun. Darin besteht ja der ganze Sinn des Fastens – in der Heilung der Seele! Und darum geht es dem Herrn in der heutigen Lesung. Die Kirche bietet zur Reinigung der Seele das Mysterium der Beichte an, nach der, so Gott es will, auch der Körper geheilt werden kann. Der Priester fungiert natürlich ausschließlich namens des einen wahren Hohepriesters, „Der heilig ist, unschuldig, makellos, abgesondert von den Sündern und erhöht über die Himmel; (...) Der es nicht Tag für Tag nötig hat, wie die Hohepriester zuerst für die eigenen Sünden Opfer darzubringen und dann für die des Volkes, denn das hat Er ein für allemal getan, als Er Sich Selbst dargebracht hat“ (Hebr. 7:26-27). Die Schriftgelehrten im Haus zu Kafarnaum glaubten jedoch nicht an die Macht unseres Erlösers, Sünden vergeben zu können (s. Mk. 2:6-7). So musste der Herr durch ein sichtbares Zeichen belegen, dass Ihm diese Macht gegeben ist. Da die Seele ungleich wichtiger ist als der Körper, ist folglich auch die Gesundung der Seele ein viel bedeutsameres Ereignis als die des Leibes. Gott kann beides. Sogar wir können denen verzeihen, die uns Böses getan haben; weshalb sollte es dann dem Menschensohn nicht möglich sein, Menschen ihre Sünden zu vergeben?!.. Das ist logisch auch für die Schriftgelehrten. Die könnten jedoch nun sagen: „Aber wo ist, bitteschön, der Beweis, dass Du, Jesus aus Nazareth, wirklich der bist, für den Du Dich ausgibst?“... Und so richtet unser Herr den Darniederliegenden auf als Beweis dafür, dass auch dessen Sünden vergeben worden sind. Wenn die unvergleichlich wertvollere Seele gesund geworden ist, dient die Heilung des viel weniger kostbaren Leibes als untrüglicher Beweis für die Vollmacht Christi hier auf Erden, Sünden zu vergeben (s. Mk. 2:8-12). Die Erzählung von der wundersamen Aufrichtung des Gelähmten erzieht uns alle also dazu, das Wohl der Seele stets über das des Leibes zu stellen – für uns selbst und für unsere Nächsten. Gott demonstriert dies eindrucksvoll in der Geschichte und in unserem Alltag: „Haltet aus, wenn ihr gezüchtigt werdet. Gott behandelt euch wie Söhne. Denn wo ist ein Sohn, den sein Vater nicht züchtigt? Würdet ihr nicht gezüchtigt, wie es doch bisher allen ergangen ist, dann wäret ihr nicht wirklich Seine Kinder, ihr wäret nicht Seine Söhne. Ferner: An unseren leiblichen Vätern hatten wir harte Erzieher, und wir achteten sie. Sollen wir uns dann nicht erst recht dem Vater der Geister unterwerfen und so das Leben haben? Jene haben uns für kurze Zeit nach ihrem Gutdünken in Zucht genommen; Er aber tut es zu unserem Besten, damit wir Anteil an Seiner Heiligkeit gewinnen. Jede Züchtigung scheint zwar für den Augenblick nicht Freude zu bringen, sondern Schmerz, später aber schenkt sie denen, die durch diese Schule gegangen sind, als Frucht den Frieden und die Gerechtigkeit. Darum macht die erschlafften Hände wieder stark und die wankenden Knie wieder fest, und ebnet die Wege für eure Füße, damit die lahmen Glieder nicht ausgerenkt, sondern geheilt werden“ (Hebr. 12:7-12). Es gibt aber auch Menschen – Heilige – die nicht damit warteten, bis Gott sie der gerechten Züchtigung unterzog. Die orthodoxe Kirche kennt die willkürliche (körperliche) Selbstgeißelung als legalistischen Akt der Satisfaktion für begangene Sünden zwar nicht, sehr wohl aber das unermüdliche Bestreben, zugunsten der unbeschreiblichen Gnade der Gemeinschaft mit Christus auf irdische Annehmlichkeiten zu verzichten (s. Gal. 5:24). Hesychasten, deren glänzendster Vertreter heute mit einem besonderen Gedenktag am zweiten Herrentag der Fastenzeit geehrt wird, erlangten so „als Frucht den Frieden und die Gerechtigkeit“. „Züchtigen“ wir uns also selbst durch Beweinen unserer Sünden und durch beflissentliche Enthaltsamkeit als Zeichen unserer Aufrichtigkeit! Es ist die beste Vorbereitung auf das Unvermeidliche: „Nehmt euch in acht, dass Rausch und Trunkenheit und die Sorgen des Alltags euch nicht verwirren und dass jener Tag euch nicht plötzlich überrascht“ (Lk. 21:34). Die Kirche stellt uns die notwendigen geistlichen Arzneien in Form von Gottesdiensten, häuslichen Gebeten und den Heiligen Mysterien zur Verfügung, damit unsere Seelen nachhaltig genesen. Und vielleicht wird der eine oder andere kirchenkritische Außenstehende anhand unserer sichtbaren Gesundung erkennen, welch große Gnade in der hingebungsvollen Nachfolge Christi zu erlangen ist. Ein untrügliches Kriterium hierfür ist die Liebe zueinander (s. Joh. 13:35). Manch ein Lauwarmer könnte dann ebenso das Verlangen verspüren, seine Seele von der Krankheit zu befreien, und erkennen, dass einzig unser Herr die Vollmacht hat, alle Sünden zu vergeben, diese Macht jedoch auf Erden der Kirche übergeben hat (s. Joh. 20:22-23). Schätzen wir uns demnach glücklich, wenn uns Leid und Entbehrungen widerfahren (s. Lk. 6:20-26). Amen.
Jahr:
2021
Orignalsprache:
Deutsch