Predigt zum Herrentag des Fleischverzichts / Gleichnis vom Weltgericht (1 Kor. 8:8-9:2; Mt. 25:31-46) (07.03.2021)

Liebe Brüder und Schwestern, das Gleichnis vom jüngsten Gericht soll uns noch einmal bewusst machen, dass am Ende dieses Zeitalters darüber abgerechnet wird, was wir aus unseren Möglichkeiten gemacht haben. Wir werden demnach nicht für die von uns begangenen Sünden bestraft, denn Christus hat unseren Schuldschein am Kreuz getilgt (s. Kol. 2:14), und durch Seinen Namen sind unsere Sünden vergeben (s. 1 Joh. 1:12), sondern wir werden dafür zur Rechenschaft gezogen, was wir nicht getan haben. Christus wird niemanden verurteilen, weil er „böse“ war, und niemanden rechtfertigen, weil er „lieb“ war, sondern den von Natur aus mit schwierigem Charakter Behafteten oder durch äußere Einwirkungen sündhaften Neigungen Unterworfenen fragen, ob er gegen seine Unzulänglichkeiten angekämpft hat, bzw. den von klein auf Wohlbehüteten und Liebenswerten fragen, ob er die ihm verliehenen Gaben denn auch zum Nutzen und zum Heil seines Nächsten verwendet hat (s. Lk. 16:19-31). Im Wesentlichen zielt das Gleichnis vom Weltgericht aber darauf ab, dass wir in jedem Menschen Christus erkennen (s. Mt. 25:40,45) – im nächsten Angehörigen wie im Fremden, im Freund wie im Feind, im Höhergestellten wie im Untergebenen, im Nahen wie im Fernen. Ähnlich wie im Gleichnis vom anvertrauten Geld, das im Evangelium nach Matthäus direkt vor dem Gleichnis vom Weltgericht steht (s. Mt. 25:14-30), wird derjenige verurteilt, der die ihm von Gott anvertrauten Möglichkeiten („Talente“) nicht genutzt hat. Die Messlatte wird dabei aber bewusst nicht zu hoch gelegt: Hungernde zu sättigen, Dürstenden etwas zu trinken geben, Fremde und Obdachlose zu beherbergen, Nackte anzukleiden, Kranke und Gefangene zu besuchen – das sind keine Großtaten, sondern Selbstverständlichkeiten, die nicht nur Christen bereitwillig für ihre Liebsten leisten. Christus erwartet aber, dass wir diese Nächstenliebe allen Menschen ohne Ausnahme entgegenbringen (s. Röm. 12:20; vgl. Lk. 10:25-37). Möglich ist das, wenn wir in jedem leidenden oder bedürftigen Mitmenschen Christus sehen, so wie beispielsweise die heiligen Johannes von Kronstadt (+ 1908), Großfürstin Elisabeth (+ 1918), Geronta Porphyrios (+ 1991) oder Geronta Paisios (+ 1994) auch in den völlig heruntergekommenen Kreaturen jedes Mal das Abbild Gottes erkannten (s. Gen. 1:26-27; 2:7; 5:1-3) und ihnen die hierfür angemessene Liebe und Hochachtung entgegenbrachten. Würden wir denn nicht alle ein Bildnis (griech. eikon) Christi jederzeit ehrfurchtsvoll behandeln, auch wenn es mit einer zentimeterdicken Staub- oder Schmutzschicht bedeckt ist?!.. Das Schlimmste, was wir in Hinblick auf das Seelenheil tun können, ist sich in falscher Sicherheit zu wiegen: „Ich bin kein Mörder, Dieb oder Ehebrecher, gehe in die Kirche, beichte regelmäßig und empfange die Heiligen Gaben. Was kann mir noch passieren?!“ – Passieren kann so einem, dass Christus ihn nicht als Seinigen anerkennt. Wenn einer von Seinen „geringsten Brüdern“ für uns fremd geblieben ist, werden auch wir von Christus als Fremde angesehen werden (s. Mt. 7:21-23; Lk. 13:25-30). Davon handelt auch das Gleichnis von den zehn Jungfrauen (s. Mt. 25:1-13), das bei Matthäus in einem Kontext und im selben Kapitel wie das Gleichnis von den Talenten und das vom Weltgericht steht. Gott erwartet von uns konkrete Taten, die unseren Glauben untermauern (s. Jak. 2:14-26). Ein kruder Kerl kann, wenn er gute Werke vorweist, Erbarmen vor Gott finden, ein feiner Mensch hingegen kann verurteilt werden, wenn er anderen die Barmherzigkeit verweigert hat. Menschliches Urteilsvermögen ist für eine Beurteilung gemäß göttlichen Kriterien ungeeignet. Für jeden von uns gelten andere Kriterien, nur eines bleibt unverändert: Gott erwartet Werke von uns. Und diese beziehen sich in erster Linie auf die Mitmenschen, wodurch wir aber von Gott geheiligt werden und auf den Weg zu Ihm gelangen: „Strebt voll Eifer nach Frieden mit allen und nach der Heiligung, ohne die keiner den Herrn sehen wird“ (Hebr. 12:14; vgl. Mt. 5:8-9). „Frieden mit allen“ ist jedoch nicht immer möglich. Wir müssen aber von uns aus versuchen, alles Vertretbare, Zumutbare und in unserer Macht Stehende zu leisten, um ein friedliches und respektvolles Miteinander zu erwirken. Erst wenn alle diese Mittel ausgeschöpft sind, dürfen (d.h. müssen) wir uns dem Bösen auch aktiv widersetzen. Doch von vornherein muss unser Bestreben darauf ausgerichtet sein, unseren Opponenten für uns zu gewinnen und mit ihm gemeinsam die beste Lösung für alle Beteiligten zu finden. Würde dies in der Politik und im zwischenmenschlichen Bereich immer beherzigt, wäre diese Erde schon jetzt ein Vorgarten zum Paradies. Statt dem WIR (= du & ich) wird aber leider stets das ICH (= nur ich) hervorgehoben! Daher kommen all unsere Nöte. Eine bessere Konfliktvermeidung aber als die, Christus in seinem Nächsten zu sehen, ist gar nicht denkbar!.. Länder und Völker würden in friedlicher Koexistenz merkantilen und kulturellen Austausch betreiben, Familien wären wieder die Stütze der Gesellschaft, und ja, der Erste unter Gleichen würde wieder Respekt, Vertrauen und Zuneigung seitens aller übrigen (nicht-griechischen) Landeskirchen genießen, die ihm von Amts wegen zustehen. Wir sehen also, dass der Status quo – wir sind orthodox, fromm, rechtschaffen etc. – noch kein Garantieschein für einen Platz unter den Schafen zur Rechten des Herrn darstellt. Wäre dem so, hätte der Herr Sich dieses Gleichnis auch sparen können. Wir sind noch nicht gerettet!.. Vielleicht sind wir aber auf dem Weg des Heils, worin uns alle die in einer Woche beginnende Fastenzeit bestärken soll. Und die fängt mit der aufrichtigen, restlosen, ungeheuchelten und von Herzen kommenden Vergebung aller unserer Mitmenschen an. Amen.
Jahr:
2021
Orignalsprache:
Deutsch