Predigt zum 6. Herrentag nach Ostern / Gedächtnis des Blindgeborenen (Apg. 16:16-34; Joh. 9:1-38) (24.05.2020)

Liebe Brüder und Schwestern, 

ausnahmsweise wollen wir uns heute nicht der liturgischen Lesung aus dem Evangelium zuwenden, sondern derjenigen aus dem Apostel. In der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten wird bekanntlich die ganze Apostelgeschichte gottesdienstlich behandelt, so dass wir am heutigen Tag den Apostel Paulus samt Gefährten nach Mazedonien begleiten dürfen. Durch die äußeren Umstände dieser Missionsreise, die im übrigen zum ersten Mal auf das europäische Festland führt (die zuvor von den Aposteln Paulus und Barnabas besuchte Insel Zypern – s. Apg. 13:4-13 – wollen wir natürlich nicht von Europa trennen), wird  uns vor Augen geführt, dass in allen Dingen Gottes Vorsehung am Wirken ist. Der Mensch hat also immer die Wahl, sich nach Gottes Willen und Plan zu richten oder sich diesen zu widersetzen bzw. diese zu ignorieren. Es ist die Wahl zwischen Gehorsam und Ungehorsam, Treue und Untreue, zwischen Gottesergebenheit und menschlichem Starrsinn.

In unserem heutigen Fall verwehrt es der Heilige Geist den Aposteln, in der Provinz Asien das Wort Gottes zu verkünden, worauf hin der Apostel Paulus mit seinen Gefährten Silas, Lukas, Timotheus und anderen an Mysien vorbei über Phrygien und Galatien nach Bithynien gehen wollen, doch auch daran werden sie vom Geist Jesu gehindert. In Troas hat der Apostel Paulus eine nächtliche Vision: „Ein Mazedonier stand da und bat ihn: ´Komm herüber nach Mazedonien, und hilf uns!`“ (Apg. 16:9). So gelangen die Jünger Christi in die Stadt Philippi, das heutige Kavalla, im Nordosten Griechenlands. Am Sabbat gehen sie durch das Stadttor hinaus zum Fluss, wo sie eine Gebetsstätte vermuten, und treffen dort auf mehrere Frauen, die sich dort eingefunden hatten. Unter ihnen sticht eine besonders gottesfürchtige Frau namens Lydia hervor, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, deren Herz der Herr für die Worte des Apostels öffnete. Nachdem sich diese Frau taufen lässt, bedrängt sie die Jünger, Gäste in ihrem Haus zu sein. Und jetzt beginnt die Geschichte dramatisch zu werden. Auf dem Weg zur Gebetsstätte begegnet ihnen eine Magd, die einen Wahrsagegeist hatte und mit ihrer Wahrsagerei ihren Herren großen Gewinn einbrachte. Viele Tage lief sie den Aposteln hinterher und verkündete den Leuten: „Diese Menschen sind Diener des höchsten Gottes; sie verkünden euch den Weg des Heils“, bis der Apostel Paulus ärgerlich wurde und zu dem Geist sprach: „Ich befehle dir im Namen Jesu Christi: Verlass diese Frau!“ Und im gleichen Augenblick verließ er sie (s. Apg. 16:16-18). Doch damit ist diese Episode beileibe nicht beendet: die Herren der Magd erkennen sofort, dass ihre zuvor üppig sprudelnde Einnahmequelle nun unwiederbringlich versiegt ist, packen die Aposteln Paulus und Silas und zerren sie auf den Marktplatz, wo sie die beiden bei den Stadtbehörden anzeigen. Ihnen wird zur Last gelegt, dass sie öffentlich Unruhe stiften und als Juden den Römern Sitten und Bräuche verkünden, welche die Römer weder annehmen noch ausüben dürfen. Sofort werden ihnen die Kleider vom Leib gerissen und zahlreiche Schläge mit der Rute verpasst, wonach sie ins Gefängnis geworfen werden. Welch eine Dramatik, welch tragisches Ende! - würden wir sagen. Aber sind die Jünger nicht von Gott hierher gesandt worden? Haben sie die öffentliche Schmach und die körperliche Pein nicht bewusst und voller Freude auf sich genommen, um der Verkündigung des Evangeliums ihres Herrn zu dienen? Und das alles haben sie erduldet, obwohl Paulus aus Tarsus doch das römische Bürgerrecht besitzt!.. Jetzt wissen wir, was der Apostel damit meint, wenn er sagt: „Ich trage die Zeichen Jesu an meinem Leib“ (Gal. 6:17b). Weitere zahlreiche Züchtigungen werden folgen (s. 2 Kor. 11:23-29). Keinen anderen Lohn erwarten den Jünger Christi auch. Er besann sich der Worte seines Herrn: „Der Sklave ist nicht größer als sein Herr. Wenn sie Mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen; wenn sie an Meinem Wort festgehalten haben, werden sie auch an eurem Wort festhalten. Das alles werden sie euch um Meines Namens willen antun; denn sie kennen Den nicht, Der Mich gesandt hat“ (Joh. 15:20-21). Misshandlungen und Nöte, Verfolgungen und Ängste, die er für Christus erträgt, gereichen dem Verkünder Seines Evangeliums zum Ruhm (s. 2 Kor. 11:30; 12:5,9), weshalb er seine Ohnmacht bejaht und von sich sagt: „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“ (12:10). Und wir wollen Christus nachahmen, ohne etwas zu erdulden?!.. Auf wen beziehen sich denn die Worte des leidgeprüften Apostels: „Ahmt auch mir nach, Brüder, und achtet auf jene, die nach dem Vorbild leben, das ihr an uns habt. Denn viele – von denen ich oft zu euch gesprochen habe, doch jetzt unter Tränen spreche – leben als Feinde des Kreuzes Christi. Ihr Ende ist das Verderben, ihr Gott der Bauch; ihr Ruhm besteht in ihrer Schande; Irdisches haben sie im Sinn. Unsere Heimat aber ist im Himmel. Von dorther erwarten wir auch Jesus Christus, den Herrn, als Retter, Der unseren armseligen Leib verwandeln wird in die Gestalt Seines verherrlichten Leibes, in der Kraft, mit der Er Sich alles unterwerfen kann“  (Phil. 3:17-21). Wollen wir Christus nachahmen oder nicht? Dann müssen wir auch bereit sein, den Glauben allen Widrigkeiten zum Trotz zu bekennen und zu leben. Dann wird uns der Trost Christi, unseres Herrn, gewiss sein.          

Das Ergebnis der Ereignisse von Philippi spricht für sich: durch die wundersame Befreiung aus der Haft überwältigt, kommt der Gefängniswärter zum Glauben an Gott und lässt sich mitsamt seiner Angehörigen und Hausgenossen taufen. Blut, Schweiß und Tränen sind das täglich Brot auch all jener, die sich für den Aufbau eines kirchlichen Gemeindelebens – ob als Geistlicher oder als Laie – in unserer Zeit einsetzen. Aber gibt es einen schöneren Lohn, als das Bewusstsein, Diener Christi zu sein und zu sehen, dass sich die Worte des Herrn (s.o. Joh. 15:20) bewahrheiten?! Dass die vielen Anstrengungen nicht umsonst sind, sondern die gläubig Gewordenen sich mehr und mehr als Multiplikatoren bei der Verkündigung des Evangeliums erweisen?! Wir haben also Anteil an Gottes Vorsehung, wir sind in jedem Fall Werkzeuge derselben, so oder so.

Nun aber zurück zum auslösenden Moment der Tumulte in Philippi, zur Wahrsagerin. Hat sie etwa etwas falsches verkündet?! - Nur die reine Wahrheit. Aber Gott will nicht, dass die reine Wahrheit aus unreiner Quelle verkündet wird. Denn 99 mal sagt sie die Wahrheit und beim hundertsten Mal stürzt sie dich ins Verderben. Deshalb sollten auch unsere Gläubigen denen freundlich aber bestimmt die Tür vor der Nase zumachen (s. 2 Joh. 10-11), die bei ihnen klingeln, um mit ihnen „über Gott zu reden“, „gemeinsam die Bibel lesen“ oder ihnen erklären wollen, „wie man in seinem Leben glücklich werden kann“. 

Übrigens, was das Glücklichsein betrifft. Ich höre immer wieder von jungen Eltern, die ihre Kinder taufen lassen wollen, dass ihre Großmütter sie davor warnen, dass wenn sie das Kind unter diesem oder jenen Namen taufen lassen,  es später unglücklich sein werde. Und noch vieles andere muss man sich anhören. Der Apostel Paulus schreibt aber an seinen Ziehsohn Timotheus: „Gottlose Altweiberfabeln weise zurück!“ (1 Tim. 4:7). Als ob es von äußeren Umständen abhängt, ob man glücklich ist! Die einen haben alles – Gesundheit, Familie, Wohlstand – und sind trotzdem nicht glücklich. Andere tragen bereitwillig ihr Kreuz, sind von Trost erfüllt und strömen über vor Freude (s. 2 Kor. 7:4). Bin ich also verkrüppelt, mittellos und einsam, kann ich immer noch der glücklichste Mensch auf Erden sein! „Hat Gott nicht die Armen in der Welt auserwählt, um sie durch den Glauben reich und zu Erben des Königreichs zu machen, das Er denen vermacht hat, die Ihn lieben?“ (Jak. 2:5). Im Umkehrschluss bedeutet das doch nichts anderes, dass derjenige, welcher Gott von ganzem Herzen liebt, schon jetzt glücklicher ist als alle Reichen und Schönen dieser Welt! – Oder halten sich auf dem Berg Athos nur Geisteskranke auf, nichtsnutzige arme Schlucker, die nicht fähig sind, in der Welt ein „normales Leben“ zu führen?!.. Aber warum steht der Athos allen Anfeindungen zum Trotz noch nach über tausend Jahren und warum pilgern so zahlreiche Menschen dorthin? Reichen ihnen die psychiatrischen Anstalten und so manche Volksvertretung in der „richtigen“ Welt nicht aus?!

Anders als der weltlich Gesinnte sucht der Christ zuallererst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit (s. Mt. 6:33). Wenn Gott ihm darüber hinaus auch das Lebensnotwendige gibt, hat er schon alles, was er zum Glücklichsein braucht (s. 1 Tim. 6:8). Er kann sich jederzeit darauf verlassen, dass der Herr ihm alles in dem Maße zuteilt, wie es für ihn selbst am besten ist. Diejenigen, die ihre Hoffnung auf irdische Faktoren setzen, lässt Gott leer ausgehen (s. Lk. 1:49-53; vgl. Ps. 117:9; 145:3; Mt. 7:24-27; Lk. 6:47-49). Dafür aber hilft Gott denen, die in der größten Not auf Ihn vertrauen (s. 1. Kor. 1:9). „Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, Der uns gegeben ist“ (Röm. 5:5). Amen.

Jahr:
2020
Orignalsprache:
Deutsch