Predigt zum vierten Herrentag der Großen Fastenzeit / Gedächtnis des heiligen Johannes Klimakos (Hebr. 6:13-20; Mk. 9:17-31) (29.03.2020)

Liebe Brüder und Schwestern,

am vierten Etappenziel der großen Fastenzeit werden wir Zeugen der Heilung des besessenen Jungen, den der Herr von dem unreinen Geist befreite, nachdem es Seine Jünger vergeblich versucht hatten (s. Mk. 9:18). Es ist schon die vierte Sonntagslesung aus dem Evangelium während der großen Fastenzeit, und es fällt bei näherem Betrachten auf, dass die darin geschilderten Ereignisse in chronologischer Abfolge dargestellt werden. Bei der Berufung der Jünger zu Beginn Seines Missionswerks begegnet der Herr Nathanael, dem Er mit den übrigen Jüngern verspricht, dass sie den Himmel geöffnet und die Engel Gottes über dem Menschensohn auf- und niedersteigen sehen werden (Joh. 1:43-51); bei der ersten Rückkehr in Seine Stadt im Anschluss an die erste Missionsreise zeigt der Herr Seine Vollmacht, neben der Schenkung der körperlichen Heilung den Menschen auch ihre Sünden vergeben zu können (Mk. 2:1-12); näher gegen Ende Seiner Verkündigung, als Seine Kreuzigung schon naht, ruft uns der  Herr alle gemeinsam zur Selbstverleugnung auf, um Ihm durch das Tragen des Kreuzes nachzufolgen (Mk. 8:34-9:1); unmittelbar nach der Verklärung auf dem Berg, also exakt vierzig Tage vor Seinem Leiden, heilt der Herr nun den von einem stummen und tauben Dämon besessenen Jungen (Mk. 9:17:31); auf dem letzten Weg hinauf nach Jerusalem belehrt der Herr Seine Jünger darüber, dass sie nur durch selbstloses Dienen nach dem Beispiel des Menschensohns wahre Größe in Gottes Augen erlangen werden (Mk. 10:32-45); und schließlich zieht der  Herr nach der Erweckung des Lazarus triumphal in Jerusalem ein, nur um dort verraten, verlassen und verschmäht zu werden und um dort für uns Sein Leben zu opfern (Joh. 12:1-18). Somit ist die Große Fastenzeit für uns alle miteinander gemäß dem Kirchenkalender gleichsam eine (Zeit-)Reise im Gefolge des Herrn, – eine Reise, die in Jerusalem im Tod, in der Auferstehung, der Himmelfahrt und der Niedersendung des Heiligen Geistes kulminiert. Welch ein Glück das ist, hier mit dabei sein zu dürfen! Ein unverdientes Glück.

Der Weg dahin ist jedoch überaus mühevoll für uns. Der hl. Johannes Klimakos, dem der heutige Tag gewidmet ist, geht in der „Himmelsleiter“ den zuvor in vierzig Jahren Askese in der Wüste beschrittenen Weg noch einmal mit uns – von einer Stufe zur anderen, von einer Tugend zur anderen. Er, der wie einst Moses auf dem Berg Sinai der göttlichen Offenbarung gewürdigt wurde, stellt allegorisch das Ebenbild des Volkes Israel, das zur Sühne für seine Untreue vierzig Jahre in der Wüste verbringen musste, bevor es, erneuert und gereinigt von der Sünde, in das Gelobte Land einziehen konnte (vgl. Num. 14:26-35). Auch für uns ist das vierzigtägige Fasten Abbild dieses läuternden Weges zurück zur seligen Gemeinschaft mit Gott. Wie das Volk damals mit Gottes Hilfe die zahlreichen Feinde besiegen konnte, so können wir jetzt durch Ausdauer und Beharrlichkeit ebenfalls über unsere Feinde, die unreinen Geister, triumphieren, denn „diese Art kann nur durch Gebet und Fasten ausgetrieben werden“ (Mk. 9:29).

Gebet und Fasten. Das können wir auch jetzt, – trotz verschlossener Kirchen. Vierzig Tage ohne die Heilige Kommunion – auch das erinnert an die Entbehrungen des Volkes, das sich nach dem Lande sehnte, in dem „Milch und Honig fließen“ (Ex. 3:8,17; 13:5; 33:3; Lev. 20:24; Num. 13:27; 16:13; Dtn. 6:3; 26:9,15; 31:20; Jos. 5:6). Wenn es vom Herrn tatsächlich so verfügt werden sollte, dann wissen wir, wozu es für uns gut ist. Fasten ist nicht bloß Diät. Es ist Selbstverleugnung, die Abkehr vom eigenen Willen... Obwohl, … der eigene Wille muss ja nicht immer böse und falsch sein. Ich will doch als Christ das Gute, tue aber nichtsdestoweniger das Böse (s. Röm. 7:19). Ich muss demzufolge die Leidenschaften, die durch das „Trachten des Fleisches“ (Röm. 8:7) emporkommen, besiegen. Damit sind beileibe nicht allein Wollust, Unzucht und dergleichen gemeint, sondern schlichtweg jegliches irdisches Denken: Hochmut, Eitelkeit, Herrschsucht, Eigensinn, Selbstherrlichkeit etc. Wenn diese nicht wirksam bekämpft werden, wird dieses Denken unweigerlich auch zu schlimmen Taten führen. Jeder hat doch im Herzen mit unreinen Dingen zu kämpfen (s. Mt. 15:18-20), seinerzeit sogar Christus Selbst, „Der in allem wie wir in Versuchung geführt worden ist, aber nicht gesündigt hat“ (Hebr. 4:15b). Wir aber sind ausnahmslos Sünder. Allesamt bedürfen wir der Heilung von der  Unreinheit des Geistes. Wir sind frei, und können uns in unserer Pippi-Langstrumpf-Mentalität („Ich mach mir die Weeelt, wie sie mir gefääällt“) einbilden, vor Gott nichts Böses verbrochen zu haben, Wir sind aber nicht Richter über unser eigenes Handeln, sondern Christus „richtet über die Regungen und  Gedanken des Herzens“ (Hebr. 4:12b) – also nicht nur über Worte und Taten! Nur mit Ihm und in Ihm können wir der dämonischen Versuchung widerstehen. Gebet und Fasten helfen dabei, unsere Regungen und Gedanken richtig einzuschätzen, sie im Geiste Christi einzuordnen und zu kontrollieren. Jeder, der schon mal ein orthodoxes Gebetbuch aufgeschlagen in den Händen gehalten hat, weiß, dass unsere tägliche Gebetsregel die beste Richtschnur für das wahrhaftige, Gott gefällige Denken und Handeln ist. Gebet und Fasten sind ja zu unserer Orientierung im Typikon geregelt. Sie ermöglichen es uns, „als lebendige Steine zu einen geistigen  Haus“ aufgebaut und „zu einer heiligen Priesterschaft“ zu werden, „um durch  Jesus Christus geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen“ (1 Petr. 2:5). Wer diesen Kampf nicht aufnimmt, hat sein Haus auf Sand gebaut (s. Mt.7:26). Es wird nur bei schönem Wetter bestehen können, nicht aber bei Sturm und Regen. Denn unsere Gesellschaft – uns Christen eingeschlossen – krankt daran, dass praktisch jeder danach bestrebt ist, seinen eigenen, und nicht Gottes Willen zu erfüllen. Dadurch gehen Beziehungen zu Bruch, Familien fallen auseinander, Persönlichkeiten werden zerstört, moralische Verkommenheit unvorstellbaren Ausmaßes ist mit Duldung bzw. sogar bereitwilliger Unterstützung der pseudo-christlichen Gesellschaftsmehrheit zur Normalität geworden. Eine gigantische und erbarmungslos aggressive Werbe- und Unterhaltungsindustrie (Film, Musik, Sport, Computerspiele etc.) weist dem konsumorientierten und vergnügungssüchtigen Ich-Menschen, unterstützt von Politik, Schule und Medien hemmungslos den „angenehmen“ Weg zum Glücklichsein (s. Gen. 3:4-6; vgl. Mt. 7:13-14; Lk. 13:24-28) und schiebt dabei die Unterstützung gelegentlicher Wohltätigkeitsaktionen und populärer Öko-Kampagnen als Feigenblatt für ihre „humanistische“ Grundgesinnung vor. Leider gibt es auch die ganz Frommen unter uns, welche ihren Willen für Gottes Willen ausgeben und die Situation durch „Eifer ohne Erkenntnis“ (Röm. 10:2b) nur noch weiter verschlimmern. So hat der Teufel leichtes Spiel. An Warnsignalen für die Gesellschaft mangelte es schon vor den diversen Krisen nicht: die Selbstmordrate steigt von Generation zu Generation, die psychiatrischen Kliniken platzen jetzt schon aus allen Nähten, und das, obwohl die fast komplett in der virtuellen Welt aufgewachsene Generation erst jetzt langsam erwachsen wird. Aber unsere Gesellschaft hat Wichtigeres zu tun. Gerade wurde fast unbemerkt ein „drittes Geschlecht“ eingeführt (vgl. dazu Gen. 1:27) und zuvor schon die „Ehe für alle“ (vgl. dazu Gen. 2:24) durch die Hintertür legalisiert. Unsere Gesellschaft ist schon lange nicht mehr „religiös neutral“, sondern längst antichristlich. Nur die „Christen“ selbst merken es nicht. Was kommt noch alles auf uns zu? Psychopharmaka zum Frühstück in der Kita?.. Halloween statt Ostern und Pfingsten als gesetzlicher Feiertag?!.. Wir Christen sind ja tolerant...

Orthodoxe Christen haben aber mehr als genug mit ihren eigenen Sünden zu tun. Jeder von uns Gläubigen, der nur ein wenig an der Oberfläche seiner Seele kratzt, wird sogleich erkennen, dass in seinem Innersten ein Abgrund an verabscheuungswürdigen seelischen und körperlichen Leidenschaften verborgen ist. Wie dankbar wir im Hinblick auf unsere Errettung doch sein dürfen, dass wir als Heilmittel das Gebet und das Fasten haben! Wir leben weiter in dieser Welt (s. Joh. 17:11), doch sind wir nicht von dieser Welt (s. Joh.15:19; 17:14). Deswegen sind wir der Welt ein Dorn im Auge. Unter dieser Voraussetzung werden wir auch noch „wie Schafe mitten unter die Wölfe“ gesandt, müssen demnach “klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben sein“ (Mt. 10:16). Wie aber soll das gehen?.. - „Der Herr weidet mich, und nichts wird mir mangeln“ (Ps. 22:1); „Er führte mich auf Pfade der Gerechtigkeit um Seines Namens willen“ (Ps. 22:3). Nur Gottes Gnade kann da noch helfen. Er wird sie uns ohne jeden Zweifel gewähren, wenn unser Glaube durch Beten und Fasten stark ist, denn „alles kann, wer glaubt“ (Mk. 9:23b). Wollen wir also alle gemeinsam rufen: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben“ (Mk. 9:24b). Amen. 

Jahr:
2020
Orignalsprache:
Deutsch