Predigt zum 3. Herrentag nach Pfingsten / Geburtsfest des hl. Johannes des Täufers (Röm. 5:1-10; Röm. 13: 11 – 14: 4; Mt. 6:22-33; Lk. 1: 1-25; 57-68; 76, 80) (07.07.2019)

Liebe Brüder und Schwestern, 

das Geburtsfest des heiligen Propheten, Vorläufers und Täufers Johannes findet auf den Tag genau sechs Monate vor der Feier der Geburt unseres Herrn statt (vgl. Lk. 1:36). Der Vorläufer des Herrn war ja Wegbereiter der leiblichen Erscheinung Gottes in der Welt (s. Jes. 40:3; Mal. 3:1; vgl. Mt. 3:2; Mk. 1:2-3; Lk. 3:4-6; Joh. 3:28). Auf eine gewisse Weise können wir es ihm gleichtun, indem wir durch ein Leben für unseren Herrn, geleitet von Seinen Geboten, dafür sorgen, dass Sein Reich in dieser Welt Einzug hält (s. Mt. 6:10, Lk. 11:2).  

Gott verlangt dabei nur das Menschenmögliche –  nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wenn die Liebe zu Gott nicht über allem steht, dann ist diese Liebe inadäquat, nicht „standesgemäß“. Die Liebe entspricht dem Wesen Gottes (s. 1 Joh. 4:8,16) und ist Maßstab für das Leben der Christen (s. 1 Joh. 5:3-4). Dabei muss aber zwischen göttlicher (himmlischer) sowie menschlicher (irdischer) Liebe differenziert werden. Es darf nämlich nicht außer Acht gelassen werden, dass menschliche Liebe per se, also von Natur aus immer auf eine Zielgruppe bzw. -person begrenzt ist: die Liebe zu Verwandten (griech. stergos), die man liebt so wie sie sind, die Liebe zu Freunden (philos), die man sich aussuchen kann, sowie die romantische Liebe (eros), die nach Gottes Gebot nur zu einem Menschen gelebt (s. 1 Kor. 7:2) werden darf. Alle diese Arten von Liebe haben natürliche Grenzen: ich kann nur meine Mutter lieben wie meine Mutter, kann auch nicht alle Menschen genauso mögen wie meinen besten Freund, darf ferner zu keiner anderen als zu meiner eigenen Frau eine bestimmte Art von Gefühlen aufkommen lassen (s. Mt. 5:28). Die göttliche Liebe (agape) hingegen ist ausnahmslos und unbegrenzt, sie schließt sogar die Feinde mit ein (s. Mt. 5:44-48; Lk. 6:27-36; Röm. 12:20). Alle davor genannten Arten der Liebe entsprechen der menschlichen Natur, sie stellen an sich keine Tugend dar; die göttliche Liebe hingegen ist das Maß der Vollkommenheit. Um ihretwillen kann man sogar auf die natürliche Liebe zu Eltern, Ehegatten oder Kindern verzichten, im äußersten Fall muss man es sogar. In jedem Fall erwartet Gott jedoch, dass wir den Nächsten so lieben wie  uns selbst (s. Mt. 7:12; Lk. 6:31). In allem muss nach den Worten des hl. Paisios vom Athos (+1994) das richtige Maß eingehalten werden: in der Liebe zu Freunden, Verwandten, Heiligen, Engeln, der Mutter des Herrn und schließlich zu Gott. Gerät dieses Gefüge aus dem Gleichgewicht, ist die Harmonie zwischen Gott und dem Menschen, aber auch zwischen den Menschen untereinander zerstört. Ich darf meine Freunde nicht mehr lieben als meine Familie, aber auch meine Familie nicht mehr lieben als Gott. Himmlisches steht über Irdischem! So erlangen wir Gottähnlichkeit. 

Wie aber sollen wir in der Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen wachsen, wenn diese Liebe nicht auf die Probe gestellt wird?!.. Johannes der Täufer verlor früh seine hochbetagten Eltern und lebte seit frühester Jugend einsam in der Wüste. Heute würden ihn die meisten „aufgeklärten“ Zeitgenossen wahrscheinlich als Radikalen, Fanatiker und ewig Gestrigen beschimpfen. Tatsächlich erwies er sich als unbequem gegenüber den Angesehenen und Mächtigen (s. Mt. 3:7-10; 14:4; Mk. 6:18; Lk. 3:19). Was würde er wohl heute angesichts der sittlichen Freizügigkeit unserer Gesellschaft sagen? Ohne jeden Zweifel würde auch ich von ihm gründlich den Hals gewaschen bekommen. Als Bevollmächtigter des Herrn würde er sicher mit uns Christen hart ins Gericht gehen, vielleicht auch den einen oder anderen aus der kirchlichen Gemeinschaft verstoßen. Das wäre aus heutiger Sicht sicherlich „unchristlich“, so wie es die Vertreibung der Gewerbetreibenden aus dem Tempel durch den Herrn gewesen ist (s. Mt. 21:12; Mk. 11:15-16; Lk. 19:45; Joh. 2:15).

Ein weiterer Aspekt: Johannes der Täufer sah sich sowohl als Knecht (s. Mt. 3:11; Mk. 1:7; Lk. 3:16), als auch als Freund des Herrn (s. Joh. 3:29). Auch wir sehen uns infolge unserer Unwürdigkeit als „unnütze Sklaven“ des Herrn (s. Lk. 17:10); Er Selbst bezeichnet uns aber als Seine „Freunde“ (s. Joh. 15:13-15).

Sind wir nun aber Knechte Gottes oder Freunde?! Manche finden Anstoß am Begriff „Knecht/Magd Gottes“; das sei undemokratisch, unsozial, nicht mehr zeitgemäß. Stimmt an sich. Aber Gott erniedrigt uns nicht, sondern Er strebt unsere Erhöhung an. Die Sache ist die, dass wir uns selbst als unwürdige Diener des Herrn erachten, während Gott uns Seine Kindesschaft in Aussicht stellt. Wir sollen sogar Seine Erben sein (s. Apg. 20:32; 1 Petr. 1:4; 3:9; Röm. 8:17; Gal. 3:18,29; 4:7; Eph. 1:11,14,18; Kol. 1:12; 3:24, Tit. 3:7; Hebr. 1:14; 6:17; 9:15; Offb. 21:7). Aber dieses Erbe müssen wir uns erst verdienen, es kann nicht vor der Zeit in Besitz genommen werden (s. Gal. 4:1-2). Eine Missachtung der Zeitfolge stellt ein frevlerisches Aufbegehren gegen die von Gott eingesetzte Ordnung dar (s. Gen. 3:22; Mt. 21:38; Mk. 12:7; Lk. 20:14). Demnach will ich die mir anvertraute Aufgabe (wir alle müssen dienen, selbst unser Herr kam, um uns zu dienen - s. Mt. 20:28; Mk. 10:45; Lk. 22:27) mit größter Freude und Sorgfalt erfüllen. Mein Schicksal ist ohnehin in der Hand des Herrn, es hängt vollkommen von Seinem Wohlwollen ab (s. Ps. 122:9). Wenn ich aber aus Liebe statt aus Furcht die in mich gesetzten Anforderungen erfülle (s. 1 Joh. 4:18), kann mir aus Gnade die Kindesschaft Gottes in Aussicht gestellt werden. Und so diene ich mit Freude so gut ich kann meinem Gott, meiner Kirche, meinem Bischof, Ihnen allen, dazu der Familie, der Gesellschaft. Und wir alle können folglich Freude an unserem Gottesdienst empfinden und dereinst mit dem über allen anderen ausgezeichneten Diener und Freund des Herrn sagen: „Diese Freude ist nun für mich Wirklichkeit geworden“ (Joh. 3:29). Amen. 

Jahr:
2019
Orignalsprache:
Deutsch