Über das Jesusgebet

Bote 1990-6
Über das Jesusgebet

1. Über das Gebet im allgemeinen
Äußerliches Gebet allein ist ungenügend. Gott schaut auf unseren Geist, und daher sind jene Mönche, die das äußere Gebet nicht mit dem inneren verbinden, keine richtigen Mönche. Der Geist eines Asketen, der sich nicht in die Einsamkeit begeben und in sich selbst zurückgezogen hat, befindet sich unweigerlich inmitten von Erregung und Aufruhr, welche durch die unzähligen Gedanken, die ständig freien Zutritt zu ihm haben hervorgebracht wurden, und er selber irrt krankhaft, ohne jede Notwendigkeit oder Nützlichkeit und schädlich für sich selbst durch die Welt. Ein wahrer Mönch hingegen ist derjenige, welcher sich von leidenschaftlichen Gedanken losgesagt hat.
Die Überwachung des Geistes, die Beobachtung des Gemütes, innere Enthaltsamkeit, Aufmerksamkeit, geistiges Tun, geistiges Gebet - dies sind verschiedene Bezeichnungen ein und derselben seelischen Übung in ihren verschiedenen Abarten.
Unter Aufmerksamkeit versteht man die andauernde Schweigsamkeit des Herzens, welche unablässig Jesus Christus, den Sohn Gottes und Herrn, anruft, durch Ihn strahlt, sich mit Ihm tapfer gegen die Feinde rüstet und Ihn bekennt als den Einzigen, der Macht hat, die Sünden zu vergeben. Durch die Bezeichnungen inneres Tun, geistig-seelisches Wirken, geistiges Gebet, gedankliche Enthaltsamkeit, Beobachtung und Überwachung des Gemütes, Aufmerksamkeit wird ein und dasselbe ausgedrückt: nämlich die ehrfürchtige und sorgfältige Übung im Jesusgebet. Was vom Menschen ausgeht, beschmutzt den Menschen: aus dem Inneren des menschlichen Herzens kommen böse Gedanken, Ehebruch, Buhlerei, Mord, Diebstahl, Wucher, Beleidigung, Hinterlist, Schmeichelei, Unzucht, böser Blick, Schmähung, Hochmut, Torheit. Jede böse Kraft kommt von innen heraus und befleckt den Menschen. Ohne häufige Anrufung Jesu Christi ist es unmöglich, das Herz zu reinigen und die feindlichen Geister aus ihm zu vertreiben.
Wahrhafte Gottesverehrer beten den Vater im Geist und in der Wahrheit an: der Vater nämlich sucht diejenigen, die Ihn anbeten. Gott ist Geist: und wer Ihn anbetet, dem gebührt es, Ihn im Geist und in der Wahrheit anzubeten.
Das Gebet im Namen des Herrn Jesu Christi fordert einen enthaltsamen, streng moralischen Lebenswandel, d.h. das Leben eines Pilgers, es verlangt das Aufgeben aller Neigungen und Vorlieben. Die Erlangung der Leidenschaftslosigkeit, der Erleuchtung oder was dasselbe ist, der christlichen Vollkommenheit, ist ohne den Erwerb des geistigen Gebetes unmöglich: darin sind sich alle Väter einig.
Einen stets engen Pfad hat eine kleine Zahl von Wanderern, einen breiten jedoch eine große. Ein enger Pfad im wahrsten Sinn des Wortes! Wer sich erfolgreich mit dem Jesusgebet beschäftigen will, muß sich sowohl äußerlich als auch innerlich durch eine äußerst kluge und vorsichtige Verhaltensweise schützen: unsere gefallene Natur ist stündlich bereit, uns zu verraten und auszuliefern; die gefallenen Geister verleumden die Übung des Jesusgebetes mit besonderer Wut und Arglist. Lippen und Zunge müssen gezäumt werden, sozusagen durch das Schweigen gefesselt werden: leeres Geschwätz, Redseligkeit, insbesondere Gespött, Klatsch und üble Nachrede sind die schlimmsten Feinde des Gebetes.
Wer sich geistig auf den Pfad des Gebetes begibt, muß sich ständig von allen Gedanken und Gefühlen des gefallenen Wesens lossagen; ebenso muß er alle Gedanken und Gefühle, die von den gefallenen Geistern eingegeben wurden, verleugnen, wie schön derartige Gedanken und Gefühle auch sein mögen: er muß stets auf dem engen Pfad des aufmerksamen Gebetes wandeln, und weder nach rechts noch nach links schauen.
Vier Arten von Gedanken und Gefühlen wirken auf den Betenden: die einen wachsen aus der Gnade Gottes, und werden jedem orthodoxen Christen durch die heilige Taufe eingepflanzt, die anderen werden vom Schutzengel eingegeben, wieder andere entspringen aus unserem gefallenen Wesen, und noch andere schließlich kommen vom Einfluß der gefallenen Geister. Die ersten zwei Arten von Gedanken, richtiger, von Erinnerungen und Gefühlen helfen dem Gebet, sie beleben es, sie stärken die Aufmerksamkeit und das Gefühl der Reue, sie bringen innere Rührung und Weinen des Herzens hervor: die Tränen decken dem Betenden den Umfang seiner Sündhaftigkeit auf und die Tiefe des menschlichen Falles, sie erinnern ihn an den an keinem vorübergehenden Tod, an die Unbekanntheit seiner Stunde, an das unparteiische und schreckliche Gericht Gottes, an die ewige Pein, die an Grausamkeit jegliches menschliche Verstehen übersteigt. In den Gedanken und Gefühlen der gefallenen Natur sind Gutes und Böses vermischt, aber in den dämonischen versteckt sich das Böse oft hinter dem Guten, oder es wirkt manchmal auch offen als Böses. Die zwei letzten Arten von Gedanken und Gefühlen wirken zusammen wegen der Verbindung und Gemeinschaft der gefallenen Geister mit der gefallenen menschlichen Natur: als erste Frucht ihres Wirkens zeigen sich Überheblichkeit und Zerstreutheit im Gebet. Indem die Dämonen vermeintliche hohe geistliche Erkenntnisse eingeben, ziehen sie vom Gebet ab und bringen selbstgefällige Freude, Erquickung und Selbstzufriedenheit hervor, als wären diese Offenbarungen der geheimsten christlichen Lehre. Als Folge der dämonischen Theologie und Philosophie brechen eitle und leidenschaftliche Gedanken und Träumereien in die Seele ein, die das Gebet plündern und verderben und die gute Seelenverfassung zerstören. Durch die Früchte unterscheiden sich die wahrhaft guten Gedanken und Gefühle von den nur scheinbar guten.
Das Jesusgebet besteht aus den folgenden Worten: Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner, des Sünders. Einige Väter teilen das Gebet für die Anfänger in zwei Teile auf, und befehlen, beispielsweise vom Morgen bis zum Mittagessen zu sagen: Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner, und nach dem Mittagessen: Sohn Gottes, erbarme dich meiner. Das ist eine alte Überlieferung. Besser ist es jedoch, wenn man es kann, sich an die Aussprache des ganzen Gebetes zu gewöhnen. Die Aufteilung wird als Zugeständnis an die menschliche Schwäche, an die Schwachen und die Anfänger gestattet. "Und wenn ihr um etwas in Meinem Namen bittet, so wirke Ich es. Bisher habt ihr um nichts in Meinem Namen gebeten: bittet und es wird euch gegeben, und eure Freude wird vollkommen sein". Die Größe des Namens des Herrn Jesu Christi wurde von den Propheten vorausgesagt. "Wir rufen den Namen unseres Herrn" (Ps. 24, 6,8). Selig sind die Menschen, die den freudigen Ausruf kennen - die sich das geistige Gebet angeeignet haben - "Herr, im Licht deines Angesichtes wandeln sie, und über deinen Namen freuen sie sich den ganzen Tag, und durch deine Wahrheit erheben sie sich" (Ps. 83, 16, 17).
Die Kraft des Jesusgebetes liegt im Göttlichen Namen des Gottmenschen, unseres Herrn und Gottes Jesu Christi. Wie wir aus der Apostelge-schichte und aus dem Evangelium wissen, vollbrachten die Apostel große Wunder im Namen des Herrn Jesu Christi: sie heilten Krankheiten, die mit menschlichen Mitteln unheilbar waren, sie erweckten Tote, geboten den bösen Geistern und trieben sie aus den von ihnen besessenen Menschen aus. Einmal, nicht lange nach der Himmelfahrt des Herrn, als alle zwölf Apostel noch in Jerusalem weilten, begaben sich zwei von ihnen, nämlich Petrus und Johannes, zum Gebet in den Tempel von Jerusalem. Zu dem sogenannten Schönen Tor des Tempels brachte man täglich einen von Geburt an Gelähmten und setzte ihn dort nieder: der Lahme konnte weder gehen noch stehen. Man warf ihn einfach am Schönen Tor hin, wo er die Tempelbesucher um ein Almosen bettelte, von welchem er sich offensichtlich ernährte. Als sich die Apostel dem Schönen Tor näherten, richtete der Lahme seine Blicke in der Erwartung einer milden Gabe auf sie. Da sagte der hl. Petrus zu ihm: "Silber und Gold habe ich nicht, aber was ich habe, gebe ich dir: im Namen Jesu Christi von Nazareth - stehe auf und gehe!" (Apg 3, 6). Der Krüppel wurde augenblicklich geheilt, er ging mit den Aposteln in den Tempel und lobte Gott mit lauter Stimme. Das vor Erstaunen verblüffte Volk scharte sich um die Apostel. Der hl. Petrus sprach zu dem zusammengelaufenen Volk: "Ihr Männer Israels! Was wundert ihr euch darüber, oder warum starrt ihr uns an, als hätten wir aus eigener Kraft oder Frömmigkeit bewirkt, daß dieser gehen kann? Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Gott unserer Väter, hat seinen Knecht verherrlicht - Jesus; durch den Glauben an Seinen Namen hat Sein Name den Mann, der vor euch steht und den ihr kennt, wieder zu Kraft gebracht" (Apg 3, 12-16).
Die Kunde über das Wunder drang schnell bis zum Synedrion, welcher dem Herrn Jesus feindlich gesonnen war. Der Synedrion empörte sich, nahm die Apostel gefangen, verhaftete sie und rief sie am nächsten Tag vor das voll versammelte Gericht. Auch der von seiner Lahmheit Geheilte wurde gerufen. Als die Apostel inmitten der Schar der Gottesmörder aufstanden, die sich erst kürzlich durch die Hinrichtung des Gottmenschen gebrandmarkt hatten, im Namen dessen und durch dessen Namen sich jetzt dieses erstaunliche Wunder vor vielen Augenzeugen ereignet hat, wurden sie ins Verhör genommen: In welcher Vollmacht oder in wessen Namen vollbrachtet ihr dies? Da antwortete ihnen Petrus vom Heiligen Geist erfüllt, und das Ende seiner Rede war: "So sei euch allen und dem ganzen Volk Israel kund: im Namen Jesu Christi von Nazareth, den ihr gekreuzigt, Gott aber vom Tode auferweckt hat: durch Ihn steht dieser gesund vor euch. Denn kein anderer Name ist unter dem Himmel den Menschen gegeben, daß wir in ihm das Heil erlangen sollten" (Apg 4, 10,12). Die Lippen der Feinde Gottes schlossen sich in Schweigen vor der unüberwindbaren Kraft der Worte der himmlischen Wahrheit: die vielköpfige Versammlung der Weisen und Mächtigen fand keine Worte, um auf das Zeugnis des Heiligen Geistes zu entgegnen, das von zwei ungelehrten Fischern verkündet und durch ein himmlisches Zeichen, ein Wunder Gottes, besiegelt wurde. Da sandten die zwölf Apostel und alle Glieder der neugeborenen Jerusalemer Kirche einmütig ein flammendes Gebet zum Herrn empor: das Gebet stellten sie gegen die Kraft und den Haß der Machthaber dieser Welt, nämlich gegen die Menschen und Dämonen. Ihr Gebet schloß mit der folgenden Bitte: "Nun denn Herr, sieh an ihr Drohen und verleihe Deinen Knechten, mit allem Freimut Dein Wort zu verkünden! Strecke aus Deine Hand, daß Heilungen, Zeichen und Wunder geschehen durch den Namen Jesu, Deines Heiligen Knechtes!" (Apg 4, 29,30). Unser Herr Jesus Christus ist die einzige Quelle unserer Erlösung; Sein menschlicher Name entlieh von Seiner Göttlichkeit die unbegrenzte, allheilige Kraft zu unserer Errettung.
Das Mönchstum ist die Wissenschaft der Wissenschaften: man muß sie kennen, um denjenigen, der sie lehrt, richtig einzuschätzen. Schau auf die Schriften der Väter: du wirst sehen, daß sie alle, ohne Ausnahme die Übung des Jesusgebetes anraten und befehlen: sie nennen es eine Waffe, deren es keine mächtigere im Himmel oder auf der Erde gibt, sie nennen es ein gottgeschenktes, unentwendbares Erbe, eines der endgültigen und höchsten Vermächtnisse des Gottmenschen, eine liebreiche und höchst süße Tröstung, ein vertrauenswürdiges Pfand. Wende dich schließlich der Tradition der Orthodoxen Ostkirche zu und du wirst sehen, daß sie für alle ihre ungebildeten Kinder, für Mönche wie auch für Laien, in bezug auf die Zellenregel vorschreibt, den Psalmengesang und die gedruckten Gebete durch das Jesusgebet zu ersetzen. Die Verleumdung des Jesusgebetes, das Zuschreiben von schädlichen Wirkungen hinsichtlich dieses Namens, ist gleichzusetzen mit der Schmähung, welche die Pharisäer den vom Herrn vollbrachten Wundern entgegenbrachten. Die Lehre über die göttliche Kraft des Namens Jesu hat die volle Würde eines grundlegenden Dogmas und gehört zur allheiligen Zahl und zum Bestand dieser Dogmen.
Gregor der Sinait sagt: "Es gibt eine Ursache für die Verblendung, nämlich den Stolz". In unserer Zeit, wo ein völliger Mangel an gottbeseelten Lehrern herrscht, ist besondere Vorsicht geboten, besondere Wachsamkeit sich selbst gegenüber. Die Übung des Jesusgebetes hat ihren eigenen Anfang, ihre Stufenfolge und ihr endloses Ende. Es ist unerläßlich, die Übung vom Anfang an und nicht vom Ende her zu beginnen. Man muß am Anfang beginnen, d.h. das Gebet mit Andacht und Ehrfurcht zum Zweck der Reue durchführen, und sich nur darum sorgen, daß diese drei Qualitäten ständig das Gebet begleiten. Daher schreibt auch der hl. Johannes Klimakos, dieser große Meister im gnadenvollen Gebet des Herzens, für die im Gehorsam Stehenden das aufmerksame Gebet vor, und für diejenigen, die reif für die Schweigsamkeit sind, das Herzensgebet. Er gibt zu, daß für die ersteren ein von Zerstreutheit freies Gebet unmöglich ist, aber von den letzteren fordert er ein solches Gebet. In der Gemeinschaft von Menschen soll man nur in Gedanken beten, aber wenn man allein ist, mit den Gedanken und mit den Lippen, so daß das Gebet gerade für einen selbst hörbar ist. Die Erfahrung zeigt dem Betenden bald die enge Verbindung zwischen den Geboten des Evangeliums und dem Jesusgebet auf. Diese Gebote sind für das Gebet das, was das Öl für den brennenden Leuchter ist; ohne Öl kann der Leuchter nicht entfacht werden; bei Knappwerden des Öls kann er nicht mehr brennen: er erlöscht und verbreitet einen übelriechenden Dunst um sich.
Die wahre Schweigsamkeit besteht in dem Sichaneignen des Jesusgebetes durch das Herz - und einige der Heiligen Väter vollbrachten das riesige Werk des inneren Stillschweigens und der Klausur des Herzens, obwohl sie vom Gerede und vom Lärm der Menschen umgeben waren. Einzig auf einer moralischen Grundlage der Gebote des Evangeliums, einzig auf dem Felsengrund des Evangeliums, kann der großartige, heilige, unkörperliche Tempel des gottgefälligen Gebetes errichtet werden.
Diejenigen, die die Höhen des Gebetserfolges ersteigen wollen - so sagt Simeon der Neue Theologe - dürfen nicht von oben nach unten gehen, sondern sie müssen von unten nach oben aufsteigen, sich zuerst auf die unterste Stufe der Treppe begeben, dann auf die zweite, weiter auf die dritte und schließlich auf die vierte. So kann sich jeder von der Erde zum Himmel erheben. Erstens muß er sich bemühen, die Leidenschaften zu zähmen und zu verringern, zweitens muß er sich in der Psalmodie üben, d.h. im mündlichen Gebet: wenn die Leidenschaften abnehmen, dann versteht sich das Gebet, welches der Zunge ganz natürlicherweise Freude und Süßigkeit schenkt, als ein Gott wohlgefälliges Gebet. Drittens muß er sich mit dem geistigen Gebet beschäftigen. Hierunter versteht man ein Gebet, das vom Geist im Herzen vollzogen wird: Das andächtige Gebet der Anfänger mit gefühlsmäßiger Beteiligung des Herzens würdigen die Väter selten der Bezeichnung geistiges Gebet, und rechnen es eher dem mündlichen zu. Viertens muß er zur Kontemplation aufsteigen. Dabei obliegt der erste Punkt den Anfängern, der zweite den Fortschreitenden, der dritte den Fortgeschrittenen und der vierte den Vollkommenen. Weiterhin sagt Simeon der Neue Theologe, daß auch diejenigen, die an der Verringerung der Leidenschaften arbeiten, ihrer Veranlagung entsprechend die Überwachung des Herzens und das andächtige Jesusgebet erlernen müssen. In den koinobitischen Klöstern Pachomios des Großen, die große Meister des geistigen Gebetes hervorbrachten, wurde jeder neu ins Kloster Eintretende zuerst unter der Führung eines Starzen drei Jahre lang mit körperlichen Arbeiten beschäftigt. Durch körperliche Mühen, häufige Unterweisungen durch den Starzen, tägliches Bekenntnis des äußeren und inneren Tuns und Abtötung des eigenen Willens wurden die Leidenschaften wirkungsvoll und schnell bezähmt sowie eine bedeutende Reinigung des Gemütes und des Herzens erlangt. Bei der Ausführung von Arbeiten lehrte man den Novizen eine seiner Veranlagung entsprechende Gebetsweise. Nach Ablauf von drei Jahren forderte man von den Anfängern das Auswendiglernen des gesamten Evangeliums und Psalters, von den Befähigten sogar der ganzen Heiligen Schrift, eine Disziplin, durch welche das mündliche, andächtige Gebet ungemein entwickelt wird. Gleich darauf wurde mit der geheimen Unterweisung im geistigen Gebet begonnen, das ausführlich anhand des Neuen und des Alten Testaments erläutert wurde. Auf diese Weise wurden die Mönche in das richtige Verständnis des geistigen Gebetes und in seine korrekte Ausführung eingeführt. Durch die Festigkeit der Grundlage und die Korrektheit in der Ausübung war der Fortschritt einfach wunderbar.
Wie der Stolz im allgemeinen die Ursache der Verblendung (prelest') ist, so ist die Demut eine Tugend, die dem Hochmut direkt entgegensteht - sie dient als echte Warnung und Schutz vor der Verblendung (prelest'). Der hl. Johannes Klimakos bezeichnete die Demut als "Verderbnis der Leidenschaften". Es ist offensichtlich, daß in demjenigen, in dem keine Leidenschaften wirken und in dem sie bezähmt wurden, auch keine Täuschung walten kann: denn die Verblendung (prelest') ist eine leidenschaftliche oder eine hitzig-heftige Neigung der Seele zur Lüge auf der Grundlage des Hochmutes. Bei der Übung des Jesusgebetes und des Gebetes im allgemeinen jedoch schützt eine gewisse Form der Demut, die "Weinen" genannt wird, den Gläubigen voll und zuverlässig.
Unter"Weinen" versteht man das innerliche Gefühl der Reue, der errettenden Betrübnis über die Sündhaftigkeit und mannigfaltige, vielgliedrige Hilflosigkeit des Menschen. Weinen bedeutet ein zerknirschtes Gemüt, ein betrübtes und demütiges Herz, das Gott nicht beschämt, d.h. das er nicht der Gewalt und dem Schimpf der Dämonen preisgibt, wie er das stolze von Eingebildetheit, Überheblichkeit und Eitelkeit erfüllte Herz ihnen ausliefert. Weinen ist das einzige Opfer, das Gott von dem gefallenen menschlichen Geist bis zur Erneuerung des menschlichen Geistes durch den Heiligen Göttlichen Geist annimmt. Möge unser Gebet vom Gefühl der Reue durchdrungen sein, möge es von Tränen begleitet sein - dann wird "prelest'" (Verblendung) niemals wirksam in uns. Wenn der Teufel sieht, daß der Asket viel weint, dann bleibt er ihm fern, denn er kann die aus den Tränen geborene Demut nicht ertragen. Es ist eine große Waffe, wenn man neben dem Gebet auch die Tränen besitzt. Unaufhörliches Gebet besteht in Herzenswärme zusammen mit dem Jesusgebet, welches Feuer in die Erde unseres Herzens senkt, mit einer Hitze, welche die Leidenschaften wie einen Dornenstrauch verbrennt und in der Seele Heiterkeit und Frieden erzeugt. Diese innere Wärme kommt nicht von der rechten oder von der linken Seite und nicht von oben, sondern sie keimt im Herzen selber wie eine Wasserquelle aus dem lebensschaffenden Geist auf. Strebe danach, sie allein im Herzen zu finden und zu erwerben, halte deinen Geist stets frei von Träumereien, frei von Klügeleien und Grübeleien und fürchte nichts. Derjenige, Der gesagt hat "seid kühn, Ich bin, fürchtet euch nicht", Er ist mit uns - Er ist es, Den wir suchen, Er verteidigt uns immer, und wir brauchen nicht zu fürchten oder zu seufzen, wenn wir Gott anrufen.