Predigt zum Hochfest des Einzugs des Herrn in Jerusalem (Palmsonntag), 9.4.2023

Liebe Brüder und Schwestern,

 

man kann jetzt wohl mit gewisser Erleichterung sagen, dass wir unseren 40-tägigen Weg gen Ostern beendet haben. Auf diesem Wege wurden wir von diversen Helden der Orthodoxie begleitet, die ebenso wie wir der österlichen Gnade auf der Erde teilhaftig waren, nun aber die größte Freude im Himmel genießen. Maria von Ägypten, Johannes Klimakos, Andreas von Kreta, Gregor Palamas sind diese Vertreter des wahren Christentums, die – wie Paulus schreibt – „um nichts besorgt waren“ und „in allem durch Gebet und Flehen mit Danksagung ihre Anliegen vor Gott kundzuwerden vermochten“ (Phil 4:6).

Die Heilige Woche ist eine besondere Zeitperiode im liturgischen Jahr, die von jeder anderen Woche bzw. jedem anderen Fest thematisch und auch liturgisch gesondert ist. Ihre Sonderstellung erwarb sie durch die durchdachten Gottesdienste, die den Teilnehmer näher dem Höhepunkt christlicher Erwartung und Hoffnung, Licher Auferstehung Christi bringen. Wohlgemerkt, die Karwoche war im Frühmittelalter die Zeit, in der die Taufkandidaten ihre letzten Lehrinhalte durch das Hören der Texte und das Sehen der liturgischen Handlungen erhielten. Die Taufe der ersten Gruppe der Taufkandidaten fand aber erst am Lazarussamstag statt. Gestern haben wir in der Tat von der wunderbaren Auferweckung des Lazarus gehört, der Begebenheit, die in der Theologie unserer Kirche fest verankert ist. Zum einen ist dieses Ereignis nichts anderes als Vorwegnahme unserer eigenen Auferweckung. Zum anderen ist es eine Art der Katechese, denn wir lernen daraus, uns auf die furchtbare Wiederkunft Christi zu besinnen. In diesem wunderbaren Ereignis sollten wir daher nicht nur die alle menschlichen Fähigkeiten übergreifende Macht Gottes bewundern, sondern uns unsere Taten oder eben unser Nichtstun im geistlichen Leben vor Augen führen, das, was entweder unsere Errettung oder die Verdammnis in der Höhle zur Folge haben wird. Die Auferweckung des Lazarus bewegte auch damals die Kirchenlehrer dazu, die Perikope aus dem Johannesevangelium, in dem diese Begebenheit dargestellt wird, als eine Katechese für die Katechumene anzusetzen und den Samstag vor Palmarum als den ersten Tauftermin festzulegen. Alle östlichen Kirchen haben die Lesung über Lazarus in ihre Lektionare aufgenommen und mancherorts sogar als eine Tauflesung bestimmt.

Der heutigen Evangeliumslesung nach waren die Juden, die Christus zuhauf umgaben und seinem Werk mit böser Absicht zuschauten, den erwähnten Bußgedanken fremd, denn sie konnten den Messias an der Person Christi nicht erkennen. Stattdessen kamen sie und auch andere Einwohner, um den auferweckten Lazarus zu sehen. Christus war schon ohnehin bekannt und ihm schenkte man keine besondere Aufmerksamkeit, da er für die Mehrheit eher als einer der Gerechter bzw. der Gelehrter galt. Nicht nur für die Juden, sondern auch für die Jünger Christi selbst war es nicht leicht, die messianische Würde ihres Lehrers zu begreifen und dann anzuerkennen. Mit der Person von Lazarus war jedoch alles anders. Das lag wohl an damaligem Verständnis des Todes und menschlicher Sterblichkeit. Man sah den Tod als ein unbegreifliches Geheimnis sowie als ein festes Gesetz an, das nur Gott allein unterworfen ist. Eine Rückkehr vom Zustand des Todes oder eine Abänderung dieses Gesetzes waren für den damaligen Menschen undenkbar; jeder menschlicher Versuch, dieses Gesetz durch Zauberei, Götzendienst oder dergleichen zu brechen, wurde sogar als ein Verstoß gegen Gott eingestuft. Doch Lazarus wurde nicht als derartiger Verbrecher bezeichnet, er selbst wurde nach seiner Auferweckung zur lebenden Predigt über den Messias. Christus brauchte nicht mehr über sich selbst zu predigen, wie er es sonst gemacht hatte. Nun musste man das Hauptwerk seines Dienstes sehen, nämlich dass er in Lazarus den Tod überwunden und den Teufel entmachtet hatte.

Die menschliche Natur kann aber ihre schlechten Seiten aufzeigen, indem sie sich gegen die geschehenen Wunder Gottes auflehnen kann. Hierzu sehen wir die verwerfliche Absicht der Hohepriester, die den Auferweckten zu töten suchten, weil er ja zu Ruhm Christi und zur Weckung des Glaubens in anderen Juden beitrug, indem er schlechthin lebte. 

Auf dieses Wunder Christi folgte das zentrale Narrativ des heutigen Tages, der Einzug des Herrn nach Jerusalem. Im Mittelpunkt dieser Begebenheit stehen Kinder neben den anderen Zuschauern, die diesen Einzug bejubelten. Auf das Frohlocken dieser Kinder sei hier besonders hingewiesen, weil durch ihr Frohlocken die Prophezeiung erfüllt wurde, dass Gott „aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge eine Macht um Seiner Feinde willen zugerichtet hat“ (Ps 8:3). Die Kinder, die der Tora unkundig waren, haben den Messias in Jesus erkannt, während die Erwachsene und Gelehrte des Volkes schweigend dastanden und für die Realisierung ihrer Absicht, Jesus zu töten, ein passendes Moment suchten. Die Kinder haben Christus als König mit dem Ausruf „Hosanna, gesegnet, der da kommt im Namen des Herrn“ prophezeit. Die unmündigen Kinder schrien über das sich nähernde Heil Israels, Jesus wurde aber später von ihren Eltern ans Kreuz geschlagen. Das erklärt, warum unser Erlöser den ihn beweidenden Frauen erwiderte: „Ihr Töchter von Jerusalem, weint nicht über mich, sondern weint über euch selbst und über eure Kinder. Denn siehe, es wird die Zeit kommen, in der man sagen wird: Selig sind die Unfruchtbaren und die Leiber, die nicht geboren haben, und die Brüste, die nicht genährt haben!“ (Lk 23:28–29) Denn er wusste das Schicksal Jerusalems; er wusste, dass diese Kinder für die Untaten ihrer Eltern einen hohen Preis werden zahlen müssen. Auch heute leiden die Kinder der Eltern, die Sünde zu ihrem treuen Freund gemacht haben, wobei sie ja keine Schuld an den Verirrungen dieser Eltern tragen. Mann muss sich immerhin im Klaren sein, dass die Kinder unseretwegen leiden müssen, nicht zuletzt aufgrund ständiger Ignoranz dessen, was man dem Herrn in der Taufe verspricht. Wie viel Kinder haben wir getauft, die buchstäblich kein Wort über den Glauben von ihren nominellen Pateneltern bekommen? Das sind tausende oder vielleicht hunderttausende Waisenkinder, denen ihr Eigentum von ihren eigenen Eltern weggenommen wird. Am Ende hat man dann, dass vielleicht nur ein Prozent von allen Paten ihre Verpflichtungen erfüllt und ihren Kindern den Glauben vermittelt. In solchem verkommenen Zustand wachsen manche getaufte Kinder auf, ohne zu ahnen, welchen Preis sie für diese ihrer Seele zugefügten Schaden zahlen werden. Und das sind diese Gottlosigkeit, die in Herzen jüngerer Menschen eindringt und da ihr neues Zuhause findet.

Daher lehrt der Herr uns heute, Gott dadurch zu verehren, dass wir selbst im wahren Glauben leben und diesen Glauben in die unbeschützten Herzen unserer Kinder legen. Das ist die Aufgabe und den Sinn unseres christlichen Lebens; daran liegt auch unsere Verantwortung, dass der Ausruf des Palmsonntags auch in anderen Münden erklingen wird. Amen.

Jahr:
2023
Orignalsprache:
Deutsch