Predigt zum Heiligen und Hohen Mittwoch (Joh. 12:17-50; Mt. 26:6-16) (24.04.2019)
Liebe Brüder und Schwestern,
der Große Mittwoch führt die Menschheit, wie sonst wohl nur der Große Freitag, an eine Wegscheidung. An diesen beiden Tagen wird uns durch die im Evangelium des Herrn überlieferten Ereignisse des Heilsgeschehens vor Augen geführt, dass a) Gott ein unendlicher Abgrund an Liebe ist, für den kein Opfer zu groß wäre, um uns zu erretten (s. Joh. 3:16-17), und dass folgerichtig b) von uns ebenso das Maximum – nicht das Minimum! – abverlangt wird, damit wir in der Nachfolge Christi das Himmelreich erben können (s. Joh. 3:3).
Ergo, schon in dieser Welt sollen wir keine Anstrengung scheuen, um nach den „Regeln“ und „Gesetzen“ der kommenden Welt zu leben, denken, fühlen und handeln (s. Joh. 3:5-8). Aber was wissen wir von der „kommenden Welt“? Wo können wir uns über ihre Lebenswirklichkeit sachkundig machen? Ja, in der Apokalypse des Apostels Johannes steht in mystischen Worten über das himmlische Jerusalem geschrieben, dass Gott dort unter Seinem Volke wohnen wird, dass aber alle Treulosen ihr Los in einem See aus brennendem Schwefel finden werden (s. Offb. 21:1-8). Der Apostel Petrus spricht in seinem katholischen Brief nur sehr vage von einem „neuen Himmel“ und einer „neuen Erde“, die Gott Seiner Verheißung gemäß (und in Übereinstimmung mit Offb. 21:5) nach der vollständigen Vernichtung der bisherigen Welt neu errichten wird, sowie ganz allgemein davon, dass dort die Gerechtigkeit wohnen wird (s. 2 Petr. 3:10-13). Dann erfahren wir beim Apostel Paulus, dass wir in diesem Leben nur einen höchst unvollkommenen Einblick in die künftige Welt bekommen können (s. 1 Kor: 13:12 – dazu später mehr). Zu guter Letzt sagt uns Christus Selbst auf ebenfalls bildhafte Weise voraus, was am letzten Tag geschehen wird (s. Mt. 25:31-46), dass nämlich jedem entsprechend seiner Werke vergolten wird. Aber wie es danach für Gute und Böse sein wird, verrät uns der Herr nicht. Alle Gleichnisse des Herrn künden vom Kommen des Himmelreichs und von der Vorbereitung auf das Reich Gottes, also vom Weg dorthin, aber nicht vom Ziel selbst. Auch die Lesungen zur Begräbnisfeier (1 Thess. 4:13-17 bzw. Joh. 5:24-30) ermahnen und trösten uns in der Erwartung der Auferstehung, aber sie sagen nicht konkret, worin unsere Freude bestehen wird – nur, dass zuerst die Verstorbenen auferstehen und dann wir, die Lebenden, die noch übrig sind, zugleich mit ihnen auf den Wolken in die Luft entrückt werden, dem Herrn entgegen, und „dann werden wir immer beim Herrn sein“ (1 Thess. 4:17). Wir erfahren also, was zu tun ist, um in das Himmelreich zu kommen, auch, was passiert, wenn wir dem Willen des Herrn zuwiderhandeln, aber uns wird nicht eröffnet, wie es für jedermann sein wird, nachdem wir endgültig entweder zur Rechten oder zur Linken des Herrn gestellt worden sind. Die Frage bleibt: Warum?!..
- Zusammenfassend können wir zunächst sagen, dass die Gläubigen für ein Leben nach den Geboten Gottes unendliche Glückseligkeit erwartet, während die Sünder zur ewigen Qual verdammt werden. Einen Hinweis auf eine dritte Option lässt sich jedenfalls nirgends finden. Nur entweder oder. Personifiziert werden diese beiden Alternativen am Großen Mittwoch durch die Frau, welche dem Herrn in Bethanien das Haupt mit kostbarem und wohlriechenden Öl salbte (s. Mt. 26:6-7,10-13), und Judas Ischariot, der hinfort nach einer Gelegenheit suchte, seinen Herrn und Meister an die Hohepriester zu verraten (s. Mt. 26:14-16). Am Großen Freitag werden es die beiden mit dem Herrn gekreuzigten Räuber zur Rechten und zur Linken sein, die jeweils stellvertretend für ihren Teil der Menschheit stehen (s. Lk. 23:39-43).
- Wir wissen zudem, dass Gott nicht mit irdischen Maßstäben misst (s. Ps. 129:3) und nicht nach menschlichen Kriterien urteilt (s. Jes. 55:8-9). Er ist ein Gott des Erbarmens und der Wahrheit zugleich (s. Ps. 88:1-2). Denjenigen, welche auf Sein Erbarmen hoffen, wird Er Gnade erweisen, die Ungläubigen wird Er aber bestrafen. … Ist Gott nun also gnädig oder gerecht – oder beides?!
Es bleibt also immer noch die Frage offen, weshalb die göttliche Offenbarung so unkonkret in Bezug auf die Belohnung der Gerechten und die Bestrafung der Ungerechten bleibt. Wir werden daher nun mit dem begrenzten menschlichen Verstand versuchen, darauf eine Antwort zu geben, aus der sich auch ergeben könnte, wie Gottes Liebe und Güte mit den ewigen Qualen der Sünder zu vereinbaren ist.
Heute lesen wir im Orthros (Morgenamt): „Jesus aber rief aus: ´Wer an Mich glaubt, glaubt nicht an Mich, sondern an Den, Der Mich gesandt hat, und wer Mich sieht, sieht Den, Der Mich gesandt hat. Ich bin das Licht, das in die Welt gekommen ist, damit jeder, der an Mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibt. Wer Meine Worte nur hört und sie nicht befolgt, den richte nicht Ich; denn Ich bin nicht gekommen, um die Welt zu richten, sondern um sie zu retten. Wer Mich verachtet und Meine Worte nicht annimmt, der hat schon seinen Richter: Das Wort, das Ich gesprochen habe, wird ihn richten am Letzten Tag. Denn was Ich gesagt habe, habe Ich nicht aus Mir Selbst, sondern der Vater, Der Mich gesandt hat, hat Mir aufgetragen, was Ich sagen und reden soll. Und Ich weiß, dass Sein Auftrag ewiges Leben ist. Was Ich also sage, sage Ich so, wie es Mir der Vater gesagt hat`“ (Joh. 12:44-50).
Ist nicht klar, worum es geht?! - Christus ist „der Weg und die Wahrheit und das Leben“; niemand kommt zum Vater außer durch Ihn (Joh. 14:6). Wer Christus, den Sohn erkannt hat, wird auch Gott, den Vater erkennen, und wer den Sohn gesehen hat, hat auch den Vater gesehen (s. 14:7,9). Wir müssen nur glauben, dass der Vater im Sohn ist und der Sohn im Vater (s. 14:10-11). Die drei Jünger auf dem Berg der Verklärung haben, soweit es mit ihren irdischen Augen möglich war, Christus in göttlicher Gestalt gesehen, „waren Augenzeugen Seiner Macht und Größe“ (2 Petr. 1:16), damit wir erkennen: „In Ihm allein wohnt wirklich die ganze Fülle Gottes“ (Kol. 2:9), und Seine Herrlichkeit ist mit nichts in dieser Welt zu vergleichen. Und im Paradies werden die Gerechten unsagbare Worte hören, die ein Mensch nicht aussprechen kann (s. 2 Kor. 12:4). Es wird also in der künftigen Welt, im Himmelreich nicht etwas grundsätzlich neues oder andersartiges geben, was man nicht schon in diesem Leben hätte erlangen können, „sondern Christus ist alles und in allen“ (Kol. 3:11b). Nur die „Sehschärfe“ wird um ca. das zehntausendfache verbessert sein: „Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin“ (1 Kor. 13:12).
Um dieser Offenbarung der Herrlichkeit Gottes gewürdigt zu werden, muss der Mensch jedoch die Botschaft Christi hier auf Erden mit ganzem Herzen aufnehmen und standhaft bis zu seinem Lebensende in sich verwirklichen. Wer das hingegen beizeiten nicht tut, den wird der Anblick der Herrlichkeit Gottes in Christus, Den er im irdischen Leben nicht geliebt, nicht gesucht und nicht gekannt, vielleicht sogar verleugnet hat, zur unvorstellbaren Qual. Dann wird er sehen, welche unaussprechliche Wonne er durch eigenes Verschulden verloren hat. Ungerecht wäre es nur gegenüber denen, die das Gesetz Gottes aus Unwissenheit missachteten (s. Röm. 2:12-16). So hat aber jeder seine Chance bekommen, und daher ist Gott nicht ungerecht (s. Röm. 9:14).
Das Glück besteht in der Treue zu Gott und Seinen Geboten – für ein störrisches Kind völlig unverständlich, für einen pubertierenden Jugendlichen lästig, für einen reifen Menschen aber vielleicht schon überlegenswert und für einen Greis der Sinn des Lebens.
Heute kommt Christus zu uns, Sein Begräbnis schon vor Augen (s. Mt. 26:12). Sein Leidensweg beginnt durch den Verrat eines Seiner engsten Wegbegleiter. Er will nun, dass wir Ihm in Seiner schwersten Stunde beistehen (s. Mt. 26:38,40,45; Mk. 14:34,37,41; Lk. 22:46). Aus diesem Grunde fasten wir das ganze Jahr über am Mittwoch und zeigen Christus so unsere Zuverlässigkeit in kleinsten Dingen (s. Lk. 16:10). Doch in ganz besonderem Maße heute können wir Christus, unseren Herrn, entweder in unseren Herzen aufnehmen und Ihm das teuerste und kostbarste was wir haben, nämlich unsere Liebe, schenken, oder Ihn verraten und Seine aufopfernde Liebe zugunsten der Güter dieser Welt verkaufen. Es gibt wohl keinen geeigneteren Zeitpunkt, um die Wahl zu zugunsten oder zuungunsten des ab dem heutigen Großen Mittwoch gedemütigten und gepeinigten Christus zu treffen. Unsere Entscheidung für oder wider den „Mann voller Schmerzen“ (Jes. 53:3) wird darüber den Ausschlag geben, wie Christus dereinst in Seiner Macht als Weltenherrscher über uns urteilen wird. Keiner kann sich vor dieser wichtigsten aller Entscheidungen drücken, jeder muss diese Wahl für sich treffen. Und zwar heute. Amen,