Predigt zum ökumenischen Gottesdienst / Friedensfest in Vierzehnheiligen bei Jena am 16.09.2012

Liebe Brüder und Schwestern,

wir, die Vertreter verschiedener Konfessionen, Religionen und Kulturen haben uns heute Nachmittag an diesem historischen Ort versammelt, um an die Schlacht bei Jena-Auerstedt im Jahre 1806 zu erinnern und um gemeinsam für den Frieden zu beten. Im Allgemeinen dient die Erinnerung an historische Ereignisse ja dazu, ihre Bedeutung für die heutige Zeit zu definieren und die richtigen Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Und dieser Bezug zur Gegenwart lässt sich auch aus den napoleonischen Kriegen des frühen 19. Jahrhunderst vortrefllich ableiten.

Vor gut zweihundert Jahren marschierte ein riesiges Heer von Frankreich aus, eroberte zahlreiche Länder und machte sich unzählige Völker untertan. All das geschah damals unter der Losung „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ und kostete hunderttausende von Menschenleben. Eine Ironie des Schicksals dabei war, dass der Siegeszug in Russland endete, obgleich doch niemand mehr Interesse an einer Befreiung im Sinne der fortschrittlichen Ideale der französischen Revolution hätte haben können, als das (trotz der Reformen Peters des Großen) noch im Mittelalter schlummernde russische Volk, von dem die überwiegende Mehrheit noch das harte Dasein der Leibeigenschaft fristen musste?!... Hätte... können...

In Tolstois „Krieg und Frieden“ wird beschrieben, wie Napoleon in die verlassenen Stadt Moskau einzieht und ungeduldig wartet, dass ihm jemand als Symbol der Kapitulation die Schlüssel der Stadt überreicht und sich im Namen des befreiten russischen Volkes bereitwillig seinem Diktat unterwirft. Doch seine Offiziere öffnen ihm die Augen auf die bittere Realität: statt untertänigst um Gnade winselnder Anführer oder gar jubelnder Menschenmassen finden die aufgeklärten „Befreier“ nur leere Häuser und Straßen vor. Damit hatte der große Feldherr nie im Leben gerechnet.

Was war es, was das russische Volk so zusammenstehen, solche Opfer zur Rettung des Vaterlandes bringen ließ, dass sie ihre Häuser und Felder aufgaben, um sich zu sammeln und dann den Feind gemeinsam vernichtend schlagen zu können?... Einen Feind, der doch als Befreier gekommen war...

Ja, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit können zwar Voraussetzungen für ein gutes menschliches Miteinander, für irdisches Wohlergehen schaffen, sind jedoch noch keine Werte an sich. Denn letztendlich kommt es auf den inneren Wert des Menschen an. Das russische Volk hatte Anfang des 19. Jahrhunderts noch den Schatz, den es gegen nichts auf der Welt eintauschen wollte. Im Matthäus-Evangelium spricht unser Herr: „Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Kaufmann, der schöne Perlen suchte. Als er eine besonders wertvolle Perle fand, verkaufte er alles, was er besaß, und kaufte sie“ (Mt. 13: 45, 46). Diese Perle hatte das gläubige russische Volk – und wollte sie nicht eintauschen gegen alle politischen und sozialen Segnungen eines Systems, das seine eigenen tausendjährigen geistlich-kulturellen Wurzeln in den Wirren der französischen Revolution im Tausch gegen „progressive Ideen“ mit den Füßen zertrampelt hatte.

Gut hundert Jahre danach versuchte ein weiterer selbsternannter „größter Feldherr aller Zeiten“ das geknechtete russische Volk für seine Ziele zu gewinnen. Doch als sich diesem Volk die Kirchentür auch nur für einen Spaltbreit zu öffnen schien – in Wahrheit war dies nur die Illusion auf etwas Religionsfreiheit – da sammelte sich dieses Volk nach den schlimmsten und grausamsten Verfolgungen der Menschheitsgeschichte wieder und half seinen eigenen Schlächtern unter Aufbietung aller menschlicher und materieller Ressourcen im Kampf gegen den Eindringling.

In beiden Fällen verließen sich die Eroberer auf ihre technologische, militärisch-taktische und vor allem zivilisatorische Überlegenheit, doch sie rechneten überhaupt nicht mit dem, was die innere Kraft eines Volkes, ja, jedes Menschen, ausmacht – dem Glauben an Gott.

Heute werden wieder Kriege geführt, Länder erobert, Völker unterworfen. Heute geschieht dies im Namen von „Freiheit, Demokratie und Menschenrechten“. Und wieder begreifen die Befreier nicht, warum diese „Werte“ von den von ihnen beglückten Völkern nicht angenommen werden.

Eines vorweg: auch ich bekenne mich zu Freiheit und Menschenrechten. Wer ist nicht gegen Ausbeutung, Korruption, Unterdrückung der Schwächeren? Aber Freiheit beeinhaltet die Option, hier und da auch mal „nein“ sagen zu dürfen: bis hier und nicht weiter! Und das unterscheidet Freiheit von Freizügigkeit!

Freiheit ist die größte Gabe Gottes an den Menschen, sie macht ihn zur „Krone der Schöpfung“, aber sie ist immer unauflöslich verbunden mit Verantwortung. Mißbrauch der Freiheit, aggressive Propaganda der Unzucht, Selbstsucht als oberste Maxime eines Gesellschaftsmodells können für fremdländische Kulturen nicht als anstrebens- oder nachahmenswert angesehen werden – schon gar nicht in ihren eigenen Ländern.

Dennoch wundern wir wundern uns über die Ablehnung der westlichen Lebensweise, obgleich wir selbst noch vor wenigen Jahren mit dem Kopf geschüttelt hätten über das, was heute bei uns „normal“ geworden ist.

Als Frauen verkleidete Männer treten in Talkshows zu Gast bei einer lesbischen Moderatorin auf und sinnieren mit verstellter oder verunstalteter Stimme über die Rechte von homosexuellen Paaren, Kinder zu adoptieren. Früher wäre das ein Fall für die Psychiatrie gewesen – heute müssen alle brav Beifall klatschen, um sich ja nicht den Zorn von gewissen Politikerinnen zuzuziehen, die sich als Wächterinnen für political correctness aufspielen.

Noch viel früher haben Frauen das „Recht“ erstritten, allein zu entscheiden, „was sie mit ihrem Bauch machen“; Prostitution gilt in Deutschland seit mehreren Jahren nicht mehr als sittenwidrig. In Ländern, in denen Ehebruch und Kuppelei vor fünfzig Jahren strafrechtlich verfolgt wurden, erfreuen sich nunmehr „Swinger-Clubs“ wachsender Beliebtheit. Gestalten wie „Madonna“ und „Lady Gaga“ werden als Idole, als Pop-Ikonen regelrecht angehimmelt.

In der Schule (eigentlich schon im Kindergarten) ist Sexualkunde Pflichtfach, während Religionsunterricht dabei ist, zum Wahlfach degradiert zu werden.

Wir haben uns diese „Werte“ in den 1960-/70-er Jahren erstritten, wollen sie nun in die ganze Welt exportieren, - wie Napoleon es es einstmals mit den Idealen der französischen Revolution tat, - und wundern uns, dass der Hunger nach solchen Freiheiten anderswo schon nach der ersten Begutachtung gestillt ist. Selbst unsere eigenen Eltern und Großeltern hätten solche Errungenschaften noch als abartig und widersinnig angesehen!... Und nun erwarten wir tatsächlich, dass diese Errungenschaften in Ländern, in denen die Hochachtung vor dem Älteren noch etwas gilt, vorbehaltlos übernommen werden. Aber verdient vor diesem Hintergrund nicht vielmehr der unsere Hochachtung, der allen Widrigkeiten der Moderne zum Trotz an seinem Wertesystem festhält und sein Leben nach demselben ausrichtet? Was zählt mehr – mit dem Strom zu schwimmen, oder gegen den Strom?!

Die Erfahrung lehrt uns doch, dass z.B. aufrichtige Muslime wahren Christen, die ihre Traditionen bewahren und nach diesen Werten auch in der Gegenwart leben, ihre Hochachtung und Wertschätzung nicht verweigern. Als Christ kann auch ich jedem nicht fanatisierten Muslimen, Juden oder Buddhisten die gleiche Anerkennung entgegenbringen, die er mir bzw. meinem Glauben gegenüber erweist. Und darin, denke ich, sollte auch der Schlüssel für den Frieden unter den Völkern und Kulturen dieser Welt liegen.

Respekt bedeutet aber, dass ich für mich nur das einfordere, was ich anderen selbst zu gewähren bereit bin. Konkret heißt das: Moscheen und islamischer Religionsunterricht in christlichen Ländern – ja, aber dann bitte auch Kirchen und alle religiösen Freiheiten für Christen in vorwiegend muslimischen Ländern.

Verurteilung von Antisemitismus bzw. Antijudaismus – ja, aber dann bitte keine Toleranzdebatten und Solidaritätsbekundungen bei obszönen und blasphemischen Verunglimpfungen der Kirche, die in der Geschichte der Menschheit zu allen Zeiten die meisten Opfer zu erbringen hatte.

So funktioniert Respekt heute und zu allen Zeiten.

Es darf keine doppelten Standards geben – nach dem Motto: diese Religion darf man beleidigen, jene aber nicht.

Kritik üben soll aber gestattet sein. Aber bevor ich die Einstellung des anderen hinterfrage, sollte ich vor allem bei mir selbst nachforschen, ob ich wirklich ausnahmslos hehre Ziele verfolge, oder diese nur als Vorwand benutze, um eigene, weniger ehrenwerte Motive durchzusetzen. Kein vernunftbegabter Mensch glaubt doch wirklich, dass jemals Krieg „im Namen Gottes“ geführt worden ist. Nein, Kriege wurden und werden geführt um machtstrategische, geopolitische, ideologische, militärische und vor allem wirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Der Deckmantel von Päpsten, Kaisern und Präsidenten ist allerdings zu verschiedenen Epochen jedesmal ein anderer: „Für den wahren Glauben“, „Für König und Vaterland“, „Für Demokratie und Menschenrechte“.

Auch ich hätte mir seitens meiner Kirchenleitung mehr Einfühlungsvermögen zur Zeit der Tschetschenien-Kriege und der schrecklichen Nachwehen gewünscht. Bevor ich aber die Geiselnahmen und Bombenanschläge verurteile (und natürlich tue ich das!), muss ich mich doch auch fragen, ob unsere Seite aus der Position der Stärke wirklich alles getan hat, diese Eskalation zu vermeiden und stattdessen eine einvernehmliche, für beide Seiten annehmbare Lösung anzustreben. Erst wenn ich so vorgehe, habe ich das moralische Recht, mir ein eigenes Urteil zu bilden, das freilich, - und das liegt in der Natur der Sache, - immer ein subjektives bleiben wird.

Wenn sich unsere Völker, Religionen und Kulturen auf diesen „Ehrenkodex“ einigen könnten, wäre dies ein kleiner Schritt in Richtung Frieden. Der kürzlich verstorbenen Neil Armstrong hat ja seinerzeit auch nur einen kleinen Schritt gemacht...

Die Folge von Globalisierung, Migration und demographischer Entwicklung wird sein, dass wir Christen in zwei oder drei Generationen nicht nur weltweit, sondern in unserem eigenen historisch angestammten Kulturkreis in der Minderheit sein werden. Die Politik bemüht sich redlich, durch strukturelle und administrative Maßnahmen ein Bevölkerungswachstum in unserer abendländischen Wohlstandsgesellschaft herbeizuführen. Aber Politiker sind eben nur dazu da, Rahmenbedingungen zu schaffen, die jeder einzelne von uns zum Wohle der Allgemeinheit und zu seinem eigenen Wohlergehen nutzen soll. Weltliche Instanzen können und sollen auch nicht das Wesen des Menschen verändern. Das ist Aufgabe der Kirchen.

Nach meinem Dafürhalten sollten sich demnach die Kirchen nicht mit dem beschäftigen, was Aufgabe der Politiker ist, sondern sich primär um den geistlichen Gesundheitszustand der Bevölkerung kümmern. Es ist für die Kirchen sicher viel einfacher und populärer, sich als das soziale Gewissen der Gesellschaft, als Fürstreiter für den Weltfrieden oder als Anwalt der Bedrängten zu profilieren, dadurch gleichsam den Politikern die Arbeit abzunehmen und diesen den Rang auf der Beliebtheitssskala abzulaufen, - was wirklich sehr komfortabel ist, solange man selbst nicht in der Verantwortung für die staatlichen und gesellschaftlichen Belange steht. Dabei vergisst man dann allzu schnell die eigene Verantwortung vor Gott für das Seelenheil der Menschen: „Euch aber muss es zuerst um das Himmelreich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben“ (Mt. 6: 33).

Wie wollen wir erreichen, dass der von uns verkündete Glauben den Menschen bei schwersten Prüfungen Halt gibt im Leben, wenn wir selbst die grundlegendsten Wahrheiten des Evangeliums pervertieren – das Irdische anstreben - und hoffen, nebenbei, quasi als Zugabe auch das Himmlische zu erlangen?!

Was wir Christen in Deutschland heute brauchen ist eine gemeinsame Front zur Bewahrung und Verteidigung der Werte des Glaubens, anstatt sich nach den Ideen zeitgenössicher Meinungsmacher und hemmungsloser Innovationsneurotiker zu richten. Deren „Werke“ werden in wenigen Jahren in staubigen Archiven vergammeln, während das Wort Gottes bestehen bleibt „bis Himmel und Erde vergehen“ (Mt. 5: 18). Dies bedeutet vor allem, dass wir uns dem Evangelium und nicht dem Mainstream unterordnen sollen. Selbstverständlich wollen wir die Freiheit Andersdenkender respektieren, aber beherzt für Gottes Gerechtigkeit (s. Mt. 6: 33), und koste es jegliche gesellschaftliche Anerkennung, eintreten. Wollen wir also unbequem sein – aber auch respektvoll.

Ich bin mir sicher: Schreckensherrschaften der Taliban in Afghanistan oder in Tschetschenien waren eine Folgereaktion auf die aggressive Verbreitung der überzogen liberalen Lebensmodelle westlicher Prägung. Haben wir bis heute nichts dazugelernt?!

Wenn wir das Evangelium Christi nicht nur predigen, sondern verinnerlichen, wird dies nach meiner Überzeugung auch ein Beitrag dazu sein, letztendlich die Anerkennung unserer nicht-christlichen Mitbürger zu erlangen. Und dies wird sowohl dem Frieden in unserer Gesellschaft, als auch dem Frieden der ganzen Welt zuträglich sein. Amen.