Predigt zum Herrentag des Zöllners und des Pharisäer (2 Tim. 3:10-15; Lk. 18:10-14 ) (05.02.2023)

Liebe Brüder und Schwestern,

 

(korrekt) übersetzt lautet das Resümee des Herrn am Ende des Gleichnisses vom Zöllner und Pharisäer: „Dieser (= der Zöllner) kehrte gerechter nach Hause zurück als jener (= der Pharisäer)“ (Lk. 18:14a). Der lasterhafte Zöllner erhält hier den Vorzug vor dem tugendhaften Pharisäer, aber warum verwendet der Herr den Komparativ statt eines totalen Gegensatzes (wie in der wenig geglückten deutschen Einheitsübersetzung geschehen)?.. Wir müssten doch nach unserer menschlicher Einschätzung davon ausgehen, dass der krasse Gegensatz zwischen den beiden Figuren auch im Fazit des Herrn final zum Ausdruck kommt: „Dieser kehrte als Gerechter nach Hause zurück, der andere nicht“. Der Betrachtungsweise der patristischen Kommentatoren zufolge wird der Pharisäer für seine Selbstherrlichkeit zwar gerügt und im Vergleich zum Zöllner herabgestuft, aber doch nicht gänzlich verworfen. Warum? - Mir scheint, der Schlüssel zum Verständnis dieses komplizierten Sachverhalts liegt nicht in den (nur fiktiven) Personen, sondern in den zwei Modellen, die wir auf unser Leben ummünzen können. Der Pharisäer führt nach außen hin einen tadellosen Lebenswandel, worin er durchaus ein großes Vorbild für uns sein kann. Er betet, fastet, spendet, lebt nach moralischen Grundsätzen. Von 100 möglichen Punkten hat er 99 erreicht. Nur eine „Zutat“ fehlt diesem integren Mann, – jedoch eine sehr wichtige: die Demut. Und dieses Manko führt nach Gottes Regelwerk dazu, dass er am Ende mit nur einem Punkt auf der Habenseite dasteht. Der Zöllner hingen hatte vielleicht nur 1 Punkt auf der menschlichen Werteskala erreicht, da er aber die Demut hatte, wurde dieser eine mickrige Zähler durch göttliche Gnade in eine volle Punktzahl umgewandelt. Es ist vergleichbar mit unserer Beichte. Manchmal zählt man pro forma seine Sünden auf, „erfüllt somit seine Pflicht“, macht sein Häkchen, und das war´s. Das Herz bleibt davon unberührt. Wenn man sich aber vor oder während der Beichte ernsthaft mit seiner absoluten und totalen Unwürdigkeit vor Gott auseinandersetzt, kann es passieren, dass uns Gott Tränen der Rührung schenkt, um die wir Ihn doch in unseren täglichen Gebeten bitten. Dann erkennen wir, dass uns der Pharisäer trotz aller guter Vorsätze und trotz unserer aufrichtigen Bemühungen gar nicht so fremd ist. Wir beten und fasten doch nach Vorschrift, sind nicht selten wohltätig, halten elementare moralische Normen ein. Unsere Sündhaftigkeit kommt aber gerade dann zum Tragen, wenn wir beten! Unser Gebet zu Hause und in der Kirche ist zerstreut, träge und lauwarm. Uns fehlt es an dem Herzblut, wie politische Aktivisten, Fußballfans, Techno-Freaks, leider auch Sektierer und religiöse Extremisten u.v.m. für ihre Belange haben. Wir plappern mehr als dass wir beten. Deshalb sagt der Apostel in Bezug auf die Zungenrede, dass es besser sei, fünf Worte mit dem Verstand zu reden, als zehntausend Worte bloß dahin zu schwafeln (s. 1 Kor. 14:19). Doch eines bleibt beim „Modell A“ bestehen: 99% davon sind vollkommen nachahmenswert. Von „Modell B“ sollte man sich per se hingegen überhaupt kein Beispiel nehmen. Niemand führt doch bewusst ein sündhaftes Leben, um dadurch fromm (sprich: demütig) zu werden (s. Röm. 6:2). Gottes Gnade und Seine Vorsehung können aber bewirken, dass der Mensch auf diesem Wege zum Heil gelangt (s. Röm. 5:16,19). Mit Absicht und aus eigenem Antrieb kann der Mensch das aber nicht erwirken.

Aus dem soeben Gesagten ergibt sich, „mathematisch“ gesprochen, das wir zu 99% dem Pharisäer und zu 1% dem Zöllner nacheifern sollen – es kommt eben nur darauf an, welche Akzentuierung dieser eine Prozentpunkt hat. Misst man der Demut des Zöllners nicht den ihr gebührenden Stellenwert bei, macht man sich zum selbsternannten Richter über andere. „Unser“ Pharisäer richtete pauschal über alle Sünder und konkret über „unseren“ Zöllner; dieser aber richtet über keinen, auch nicht über „unseren“ Pharisäer. 

Auf uns Sünder übertragen bedeutet dies, dass wir nun die Gelegenheit ergreifen können, uns im Tränenbad der Buße zu reinigen. Welch eine Gnade wir im Mysterium der Beichte besitzen! Es gibt uns die Möglichkeit, unsere Sünden zu erkennen und uns von dieser Schuldenlast zu befreien. Ohne dieses Mysterium wäre die Kirche nicht das, was sie sein soll (s. Jak. 5:16).   

Es dürfte jetzt verdeutlicht worden sein, dass das negative Beispiel des Pharisäers an fromme Christen gerichtet ist, die im Grunde das Gottgefällige tun, dabei aber den listigen Fallstricken des Widersachers erliegen. Das positive Beispiel des Zöllners soll aber die nicht so fromm Lebenden Gläubigen vor eben derselben Hoffart bewahren, weil diese sie in ihrer Situation sehr leicht zur Abkehr von Kirche und Glaube, – und damit von Gott, – führen kann: „Der Patriarch hat eine teure Uhr am Handgelenk, die Priester sind eingebildete Profilneurotiker und die übrigen Leute in der Kirche sind sowieso alle bloß Heuchler!“ - Mag sein, aber wer würde sich als Schiffbrüchiger weigern, an Bord eines Rettungsschiffes zu gehen, bloß weil der dortige Kapitän eine Affäre mit der Stewardess hat, der erste Steuermann spielsüchtig ist und der Maschinist gerne Pornos liest?! Wer würde sich von dieser, zugegeben, unvollkommenen Crew nicht trotz alledem retten lassen wollen?!.. Gott liebt die Sünder – die Scheinheiligen wie die Unheiligen. Allen bietet Er den für sie individuell zusammengestellten Medikamenten-Cocktail an, der aber jedes Mal einen Wirkstoff enthält: Demut. Die größte Unverträglichkeit all dieser Arzneien besteht im Richten des Nächsten, weshalb jeder von uns in der bald beginnenden sechswöchigen Kur das Medikament von Dr. Ephraim aus Syrien zur täglichen Anwendung verschrieben bekommt. Bei regelmäßiger Einnahme sind Risiken und Nebenwirkungen dieser Pharmaka dann so gut wie ausgeschlossen. Amen.      

Jahr:
2023
Orignalsprache:
Deutsch