Predigt zum 33. Herrentag nach Pfingsten / von Zachäus (1 Tim. 4:9-15; Lk. 19:1-10) (06.02.2022)

Liebe Brüder und Schwestern, die Geschichte vom Oberzöllner Zachäus würde sich vorzüglich für den morgendlichen Stuhlkreis in der Kita eignen, denn man könnte sie richtig spannend erzählen und dann mit den Steppkes darüber diskutieren. Aber diese Episode bietet mehr als bloß Diskussionsstoff, denn sie enthält die Worte des ewigen Lebens (s. Joh. 6:68), so wie alles im Evangelium unseres Herrn Jesus Christus. Und überdies hat diese Geschichte Modellcharakter für uns alle. Bevor der Herr wie ein Triumphator in Jerusalem einziehen wird, findet auf dem Weg dorthin die „Generalprobe“ in Jericho statt. Auch hier säumt eine große Menschenmenge Seinen Weg. Der Herr weiß aber, was man von jubelnden Massen zu halten hat (vgl. Joh. 2:23-25)… Unter diesen Menschen befindet sich auch der oberste Steuereintreiber der Stadt, ein mächtiger und einflussreicher Mann. Keiner mag ihn, und wahrscheinlich fürchten sich alle vor ihm. Wie ein sizilianischer Clanchef, der in Sing Sing*) an den vor einem Telefonapparat aufgereihten und geduldig wartenden hünenhaften schwarzen Strafgefangenen, denen er von der Körperstatur vielleicht bis zur Brustwarze reicht, kommentarlos vorbeigeht, um ohne stundenlanges Warten telefonieren zu können, so hätte Zachäus auch sagen können: „Platz da!“, und die Leute hätten sofort eine Gasse gebildet, ihn dabei zwar mit innigsten Blicken bedacht, aber widerspruchslos Spalier für ihn gestanden, denn keiner in der Stadt hätte es sich mit ihm verscherzen wollen. Seine Machtfülle war ja aufgrund seines finanziellen Status und des Rückhalts durch die römische Staatsmacht durchaus vergleichbar mit dem Boss eines Syndikats. Er hätte demnach bei der Ankunft des Herrn in der Stadt auch in der ersten Reihe stehen können. Doch stattdessen klettert der oberste Finanzbeamte der Stadt auf einen Baum, um von dort wenigstens einen kurzen Blick auf Jesus von Nazareth zu erheischen, von Dem er zuvor schon so viel gehört hatte. Doch dann geschieht das völlig Unerwartete: Jesus aus Nazareth, zu Dem sich alle vordrängen, um Ihm möglichst nahe zu sein, ruft ausgerechnet den beim Namen, der damit nun wirklich nicht rechnen konnte. Wenn in Jericho damals, sagen wir mal, 5000 Menschen lebten, dann hätten sich wohl alle bis auf einen so einer Auszeichnung für würdig erachtet, aber der Herr kehrt ausgerechnet bei dem ein, der sich als einziger dieser Ehre für unwürdig hält. Er ist ein großer Sünder, ohne jeden Zweifel, aber Gott berührt sein Herz. Und wenn das geschieht, öffnet sich plötzlich auch der Blick für die Mitmenschen. Sofort spendet Zachäus die Hälfte seines Vermögens den Bedürftigen und begleicht nicht nur seine Schuld bei den Opfern seiner finanziellen Machenschaften, sonder stattet es jedem vierfach zurück! Nun ist klar, welche Heilrelevanz diese Begebenheit auch für uns hat. Die nun langsam nahende Fastenzeit ist ja nicht bloß eine kirchlich-folkloristische Veranstaltung in der Art religiöser Exerzitien, vergleichbar mit autogenem Training oder diversen Wellness-Veranstaltungen, sondern ein Geschenk Gottes an uns Sünder, im gemeinsamen Bemühen mit der ganzen Kirche, umringt von Heiligen und Engeln, etwas für das Heil unserer Seele zu tun. Zugangsvoraussetzung ist der knallharte Umgang mit dem eigenen Ego. Zachäus brachte diese Voraussetzung unbewusst mit, indem er sich demütig verhielt, als der Herr Sich nahte. So werden auch wir in der Kirche erzogen, z.B. durch die Gebete vor der Heiligen Kommunion: „Herr, ich habe mehr gesündigt als die Ehebrecherin, der Räuber, der Zöllner oder der Verfolger… Ich weiß, dass ich unwürdig Deinen Leib esse und Dein Blut trinke…“ usw. Genau diese Einstellung ermöglicht es uns, auch wenn wir große Sünder sind, am Ende zur Rechten des Herrn zu stehen (s. Mt. 25:37-39). Und nur darum geht es uns doch!.. Unsere geistliche Betätigung muss darauf abzielen, dass wir als bekehrte Sünder für große Freude im Himmel sorgen (s. Lk. 15:7), denn „der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist“ (Lk. 19:10). Zachäus hat es uns vorgemacht, wie man mit Gott, sich selbst und den Menschen ins Reine kommen kann. Welch eine Freude bei ihm! Es ist seliger, seine eigenen Sünden zu sehen, als die Engel zu schauen! Was nutzt uns unsere Frömmigkeit, wenn wir im Innersten unseres Herzens nicht aufräumen?! Dann sind wir wie die 99 „Gerechten“, die keine Freude im Himmel erzeugen, oder wie die geschätzt 4999 Bewohner von Jericho, die sich des Besuchs durch den Herrn in ihrem Hause für würdig erachteten. Wenn uns also der Glaube jetzt keine Freude bereitet, dann nur, weil wir uns selbst nicht als Sünder sehen. Abschließend wollen wir uns vorstellen, was wäre, wenn alle Mächtigen dieser Welt den Herrn im Herzen erkennen und wie Zachäus ihr Leben ändern würden... Doch selbst wer keine bedeutende politische, finanzielle, militärische oder sonstige Macht besitzt, findet immer Menschen, die von ihm auf irgendeine Weise anhängig sind. Manchmal genügt ja schon ein Lächeln, ein freundliches Wort oder eine Geste des Respekts. Wenn wir jetzt den Entschluss fassen, alles, was bei uns bislang aufgrund unseres Starrsinns und unserer Kaltherzigkeit im Argen liegt zu ändern und am Vergebungssonntag in vier Wochen eine neue Grundlage für unser Dasein vor Gott und für unser Zusammenleben mit den Menschen legen, können wir ebenfalls zur geheiligten Wohnstatt unseres Herrn (s. Joh. 14:23; 1 Kor. 3:16; 6:19) werden. Dann wird der Herr auch über jeden einzelnen von uns, unser Domizil oder unsere Kirchengemeinde sagen können: „Heute ist diesem Hause das Heil geschenkt worden“ (Lk. 19:9). Amen. _______________________________________________________________ *) Berüchtigtes Staatsgefängnis von New York am Hudson River, etwa 50 km flussaufwärts von New York City in Ossinning gelegen. Bekannt aus Gangsterfilmen der 1930-40 Jahre.
Jahr:
2022
Orignalsprache:
Deutsch