Kirchen unserer Diözese - Die Russische Kirche der Hl. Maria Magdalena in Darmstadt

Der Anfang (1991 - 1) fehlt

Die Weihe der Kirche  (Fortsetzung - Anfang s. Bote 1/91)
Die Weihe der Kirche fand am 8. Oktober 1899 vormittags bei schönstem Wetter statt. Die Höchsten Herrschaften trafen 10 Minuten nach 10 Uhr mittels Sonderzug von Wolfsgarten in Darmstadt ein und fuhren alsbald nach der Mathildenhöhe. Im ersten Wagen saßen Se. Majestäten der Kaiser von Rußland, Se. Königl. Hoheit der Großherzog und Se. Kaiserl. Hoheit der Großfürst Kyrill. Se. Majestät trug die Uniform des russischen Preobraœenskij-Regiments mit dem Bande des Ludwigordens, Se. Königl. Hoheit die Uniform seines russischen Dragoner-Regiments mit dem blauen Bande des Andreasordens. Die hohen Damen, Ihre Majestät die Kaiserin und Ihre Königl. Hoheit die Großherzogin, welche im zweiten Wagen folgten, hatten für heute die Trauer abgelegt. Ihre Majestät trug eine perlgraue seidene Robe, Ihre Königl. Hoheit ein weißes Kleid mit grauem Umhang.
Im dritten Wagen folgten die russischen Großfürsten Boris (1877 - 1943) und Andreas (1879 - 1956) in Dragoneruniform und Se. Königl. Hoheit der Prinz Nikolaus von Griechenland (1872-1938) in Marineuniform. In dem Gefolge der russischen Herrschaften befanden sich die Mitglieder der hiesigen russischen Gesandtschaft, Herr von Ozerov nebst Gemahlin, der Gesandtschaftssekretär von Doubensky, der russische Militärattaché in Berlin, Prinz Engaliçev, der Sekretär der Kaiserin, Kammerherr Graf Lambsdorff, der Minister des Kaiserlichen Hauses, Baron von Fredericks, der Generaladjutant Sr. Majestät des Kaisers, General Hesse, im Großherzogl. Gefolge der Generaladjutant Oberst von Grancy, Se. Exz. Obersthofmarschall von Westerweller nebst Gemahlin, Oberstallmeister von Riedesel. Auch der Chef der Polizei in Petersburg, Herr von Radœovsky, war anwesend.
Vor der Kirche bildete die Kompanie der Gardeunteroffiziere Spalier. Nachdem Ihre Majestäten die Damen und Herren des nächsten Gefolges begrüßt hatten, betraten sie das Innere der Kirche, und zwar die Hohen Damen voran, denen Se. Majestät der Kaiser von Rußland und Se. Königl. Hoheit der Großherzog folgten. Nach den Hohen Herrschaften betrat das Gefolge der Russischen und Großherzoglichen Herrschaften die Kirche.
Die Weihe vollzog der Protopresbyter und Beichtvater Ihrer Majestäten von Jany‚ev unter Assistenz von Diakonen aus Wiesbaden. Die Feier dauerte volle zwei Stunden. Um 11 Uhr fand die Prozession um die Kirche statt. Voran wurde von Geistlichen in prächtigen goldgestickten Gewändern eine Lampe mit einem brennenden Licht getragen, denen Träger des Kreuzes und Heiligenbilder folgten; hinter der Geistlichkeit gingen die rot-uniformierten Chorsänger, ein Geistlicher trug ein vergoldetes Gefäß mit Weihwasser, mit dem ein zweiter Geistlicher die Außenwände der Kirche besprengte. Es folgten die Allerhöchsten Herrschaften, die Hohen Damen voran, je ein brennendes Wachslicht in den Händen, und das Gefolge. Nach der Prozession, einem einmaligen Umgang um die Kirche, wurde auch die Dienerschaft Ihrer Majestäten in die Kirche gelassen.
Um 12 1/4 Uhr war die Feier beendet. Ihre Majestäten ließen sich nun durch Herrn Professor Benois Herrn Architekten Ollerich vorstellen und gaben ihm gegenüber ihrer Freude und Befriedigung über die Ausführung des Baues Ausdruck, die ganz ihren Wünschen entsprechend sei. Se. Majestät äußerte, er fühle sich durch denselben im Geiste ganz nach Rußland versetzt.
Anläßlich der Einweihungsfeier wurden mehrere Auszeichnungen und Geschenke verliehen. Se. Königl. Hoheit der Großherzog verlieh dem Erbauer der Kirche, Professor Benois von Petersburg, das Komturkreuz des Philippsordens, Se. Majestät der Kaiser dem ausführenden Architekten Ollerich den St. Annenorden 3. Kl. und Herrn Riedlinger jun. den Stanislausorden 3. Kl., dem Maurerpolier Nehrwein und Zimmerpolier Christ die silberne Verdienstmedaille. Se. Majestät der Kaiser von Rußland ernannte ferner Professor Benois zum Hofarchitekten und die Herren Glückert, Caspar, Nover, Deutsch, Christ (Zimmermeister) und Emmel (Schlossermeister) zu Hoflieferanten. Die bei der Einweihungsfeier amtierenden Geistlichen erhielten wertvolle Geschenke, Bauführer Bonke (bei Architekt Ollerich) bekam eine goldene Uhr, Hofgarteninspektor Göbel und Hofgärtner Dittmar je ein paar wertvolle Manschettenknöpfe.
Nach der Einweihungsfeier fand im Hotel “Zur Traube” ein von Se. Majestät dem Kaiser gegebenes Festessen für die Geistlichen, die Chorsänger und die am Bau beteiligt gewesenen Architekten und Handwerksmeister statt, an dem im ganzen 30 Personen teilnahmen.
Mittags wurden die Herrn Ollerich und Riedlinger vom russischen Minister, Herrn Baron von Fredericks, in Audienz empfangen. (Ausz. a.d. “Darmstädter Tagblatt” v. 9.10.1899)

Mosaikarbeiten und Gemälde der Kirche

Die Entwürfe zu den großen Mosaikarbeiten in der Kirche und an den Außenwänden, zur Kirchenausmalung und den beiden Kirchenfahnen stammen von dem russischen Maler Viktor Michailoviç Vasnecov (1848-1926). Der in Petersburg ausgebildete, seit 1878 in Moskau schaffende Künstler ist vor allem bekannt durch seine monumentale Ausmalung der St. Vladimir-Kathedrale in Kiew.  Vasnecovs Bedeutung für die russische Kirchenkunst besteht darin, daß er, sich lösend von der romantischen Malerei des 19. Jahrhunderts, mit seiner Art zu malen wieder den Anschluß an die alte Byzantinische und Kiewer Tradition hergestellt hat.
Im Giebelfeld über dem Eingangsportal ist die Patronin der Kirche, St. Maria Magdalena, dargestellt mit einer Landschaft im Hintergrund, links von ihr der Name, über ihr in der Giebelspitze unter einem lateinischen Kreuz im Halbrund der Osterruf in der griechischen Version: CriszoV anesth (Christos anesti = Christus ist auferstanden). Die Künstler sind mit ihren Namen auch festgehalten; in der linken unteren Giebelspitze: Frolov 1901, rechts gegenüber Vasnecov. Engelsköpfchen rahmen das Bild der “Hl. Großen Königin Olga”, die in dem Rundbogenfeld unterhalb der Maria Magdalena abgebildet ist.
Die Bilder der Außenwand zeigen links vom Portal im Uhrzeigersinn die Hl. Zarin Alexandra von Nikomedien (Gattin von Kaiser Diokletian, Märtyrerin), dann den Priester Zacharias (auf der Stirnbinde in Hebräisch: “Heilig dem Herrn”) und Elisabeth, die Eltern Johannes des Täufers. Die Stirnseite der Apsis außen zieren zwei Bilder: das obere stellt die Gottesmutter im Typ der Platytera dar mit zum Gebet erhobenen Händen, auf ihrer Brust eine imago clipeata mit dem Christuskind. Darunter in gleicher Breite sich anschließend, von Pilastern eingerahmt, Christus auf dem Thron als Lehrer des göttlichen Wortes. Im aufgeschlagenen Bibelbuch, von der linken Hand gehalten, stehen die Worte: “Ich bin das Licht der Welt”.
Es folgen über dem Glockenstuhl der Kopf des Hl. Alexander Nevskij, über dem Seiteneingang der Hl. Sergij von Radoneœ, schließlich der Hl. Nikolaus, der Schutzpatron des Zaren Nikolaus II.
Das große Mosaik in der Apsis innen zeigt die Gottesmutter auf dem Thron mit dem Kind, von Engeln umgeben. Im Triumphbogen steht mit goldenen Lettern in Kirchenslawisch der Anfang des Lobgesangs der Maria nach Lukas 1,46: “Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich über Gott, meinen Heiland.”
In der Kuppel des Mittelturms ist Christus dargestellt. In dem Buch, das Er hält, steht das Wort aus Johannes 8,12: “Ich bin das Licht der Welt, wer Mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben”.
Die großen Mosaikbilder außen und innen wurden in achtmonatiger Arbeit durch den Glasmosaikkünstler Frolov aus Petersburg in Platten gefertigt und unter Anleitung des Künstlers hier zusammengesetzt. Die von Vasnecov entworfenen dekorativen Wandmalereien wurden in Keimtechnik auf Goldgrund von Professor Perminov und Kunstmaler Kusik aus Petersburg ausgeführt.

Ikonostase - Kirchenfahnen - Ikone - Innenschmuck

Die Bilderwand - Ikonostase - definiert als “ein zum Vollzug der orthodoxen Liturgie notwendiger kultischer Baukörper, der das Kirchenschiff vom Altarraum trennt”, - wurde nicht eigens für die Darmstädter Kirche geschaffen. Sie stammt aus der Londoner HausKirche des Prinzen Alfred von Großbritannien, Herzog von Edinburgh (1844-1900). Er war ein Sohn der Queen Victoria von Großbritannien und hatte 1893 das Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha übernommen. Seine Gattin war Großfürstin Maria Alexandrovna (1853-1920), eine Tochter von Zar Alexander II. und Marie, Prinzessin von Hessen und bei Rhein (beide sind die Eltern der ersten Gattin des Großherzogs Ernst Ludwig, Viktoria Melita).
Die Gemälde der hölzernen Ikonostase stammen von einem Künstler namens Neff. Auf der mittleren Tür, der Königstür, findet sich die Darstellung der Verkündigung Mariens, eingerahmt durch die vier Evangelisten. Im Bogenfeld über der Tür ist die Darstellung des Abendmahls, der Text darüber lautet übersetzt: “Halleluja! Lobet Gott in Seinem Heiligtum, lobet Ihn in der Feste Seiner Macht! Lobet Ihn für Seine Taten, lobet Ihn in Seiner großen Herrlichkeit!” - Links von der Königstür die Gottesmutter mit dem Kinde, rechts davon Christus mit der Weltkugel, die äußersten Bilder links und rechts zeigen Erzengel. Auf den ebenfalls von Vasnecov entworfenen Kirchenfahnen sind “das nicht von Menschenhand geschaffene Ebenbild Christi”, die östliche Version des Schweißtuches der hl. Veronika, das auf den Kriegsbannern der Großfürsten von Moskau von frühester Zeit an erscheint, dargestellt und “das Mutter-Gottes-Bild des Zeichens”, die symbolhafte Andeutung der Menschwerdung Christi - die ursprüngliche Ikone dieses Typs galt als besonderes Schutzheiligtum der alten Stadt Novgorod; außerdem sind auf den Fahnen der hl. Nikolaus und die hl. Kaiserin Alexandra von Nikomedien, die Schutzpatrone des letzten russischen Zarenpaares, abgebildet.
Die Kirche besitzt auch einen blauen goldbestickten Pultbehang, von der letzten Zarin zur Weihe 1899 selbst gestickt und gestiftet.
Von den drei Ikonen ist die wertvollste  die der “Mutter-Gottes von Kazan”. Die Hl. Großfürstin Elisabeth, (Großfürstin Sergius, geb. Prinzessin Elisabeth von Hessen und bei Rhein (1864-1918), die zweitälteste Schwester von Großherzog Ernst Ludwig), die nach der Ermordung ihres Gatten 1905 ein von ihr in Moskau gegründetes Kloster leitete, hatte die Ikone einem russischen Wandermönch namens Seraphim geschenkt. Er war es, der die Überführung der 1918 ermordeten Großfürstin nach Peking veranlaßt hatte und dann bis zu seinem Tode im Jahre 1959 die Grabstätte der Großfürstin in der russisch-orthodoxen Kirche auf dem Ölberg zu Jerusalem betreute. Vater Seraphim hatte die Ikone kurz vor seinem Tode der Königin Louise von Schweden geb. von Battenberg übergeben, diese gab sie an Prinz Ludwig von Hessen weiter, der sie der Darmstädter Kirche vermachte.
An der rechten Seite des Kirchenraums ist ein Grab Christi angebracht, das für die Karsamstags-Liturgie notwendig ist. Hierin wird das Grabtuch (pla‚çanica) Christi aufbewahrt. Auf der oberen Einfassung steht: “Der ehrwürdige Joseph nahm Deinen allreinen Leib vom Holze herab, hüllte ihn in ein reines Linnentuch, bedeckte ihn mit wohlriechenden Gewürzen und legte ihn in ein neues Grab”.
Über der Eingangshalle befindet sich eine kleine Empore, die für Chorsänger gedacht ist; sie ist auch von außen zugänglich.
Die Fenster mit in Blei gefaßter Ornamentik und abgestufter Farbtönung sind eine Neuanfertigung von 1976 für die durch den Bombenangriff von 1944 zerstörten Fenster. Beachtung verdienen auch die künstlerisch gestaltete schmiedeeiserne, vergoldete Tür, die den Kirchenraum zur Vorhalle hin abschließt, und die Bilder von Zar Nikolaus und Zarin Alexandra in der Vorhalle.
Die Gemeinde der Russischen Kirche
bildete von der Weihe bis 1918 die Zarenfamilie und orthodoxe fürstliche Gäste in Darmstadt. Zuständiger Priester war der von Wiesbaden, der an Gedenktagen der Zarenfamilie Gottesdienste hielt. Ein Ereignis besonderer Art war die Trauung von Prinz Andreas von Griechenland (1882-1944), Sohn des griechischen Königs Georg I., mit Alice, Prinzessin von Battenberg (1885-1969), Tochter von Prinz Ludwig Battenberg, Marques of Milford-Haven, und Victoria von Hessen und bei Rhein, am 7. Oktober 1903. Hierbei war auch das Zarenpaar zugegen.
Nach 1918 ging die Kirche in den Besitz der Russisch-orthodoxen Diözese von Berlin und Deutschland über; Gottesdienste fanden nur gelegentlich statt, doch recht oft Besichtigungen dank der rührigen Küster Anton Malsch und Boris von Bakejev. Von größeren Beschädigungen blieb die Kirche verschont, als 1944 Darmstadt zu Dreiviertel zerstört wurde.
Die zuständigen russisch-orthodoxen Priester waren nach 1960 Erzpriester Graf Leonid Ignatiew, dann dessen Sohn, Erzpriester Dimitri Graf Ignatiew, der 1966 in der Kirche zum Priester geweiht wurde, seit 1989 Priester Slawomir Iwaniuk.
Geringe Kriegsschäden beseitigte dankenswerterweise 1955 die Stadt Darmstadt zu ihren Lasten, die auch notwendige Renovierungen vornahm. Lange Jahre hindurch wurde die Kirche regelmäßig auch von der serbischen orthodoxen Gemeinde als Gast genutzt. In einer vorbildlichen Gemeinschaftsarbeit wurde in den Jahren 1974-76 die Kirche ganz umfassend renoviert, und unter der Schirmherrschaft von I.K.H. Prinzessin Margaret von Hessen und bei Rhein, des Oberbürgermeisters der Stadt Darmstadt H.W.Sabais, des römisch-katholischen Bischofs von Mainz, Hermann Kardinal Volk, des Kirchenpräsidenten der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, D. Helmut Hild, und des russisch-orthodoxen Bischofs Paul mit großzügiger Unterstützung des Landeskonservators wurden DM 300.000 aufgebracht.
Diese Aktion hat auch die Liebe der Darmstädter zu ihrem “Juwel in der Stadtkrone”, wie Oberbürgermeister Sabais die Kirche bei der Wiederweihe am 23. Oktober 1976 nannte, neu entfacht.
Die Kirche der Heiligen Maria Magdalena wurde auf russischer Erde gebaut, die zu diesem Zweck mit je einem Eisenbahnwaggon aus jedem Gouvernement Rußlands nach Darmstadt gebracht wurde. Alljährlich finden in der Kirche besonders feierliche Gottesdienste am Tag der Ermordung der russischen Kaiserfamilie, die jetzt der Schar der Neomärtyrer Rußlands zugezählt ist, dem 17. Juli, statt.

Mit einigen Erweiterungen übernommen aus dem von Manfred Knodt erstellten Kirchenführer. Pfarrer Dr. M. Knodt hat sich selbst ganz besonders um die Restaurierung und Erhaltung der Darmstädter Kirche eingesetzt, wofür ihm von Bischof Mark 1988 die silberne Medaille zur Tausendjahrfeier der Taufe Rußlands überreicht wurde. (Red.)