Predigt zum 4. Herrentag nach Ostern / vom aufgerichteten Gelähmten (Apg. 9: 32-42; Joh. 5: 1-15) (29.04.2018)

Liebe Brüder und Schwestern,

 

mit dem heutigen Tag und der dazugehörigen Lesung beginnt sich die festliche Zeit des Pentekostarions schwerpunktmäßig zu verlagern: waren der Thomas-Sonntag und der Gedenktag der hll. Myronträgerinnen noch durch die Nachwirkungen der Auferstehungsfreude gekennzeichnet, beginnt mit dem Herrentag vom aufgerichteten Gelähmten schon die liturgische und geistliche Ausrichtung auf das nächste große Ereignis im Kirchenjahr - die Herabsendung des Heiligen Geistes. Heute und an den folgenden zwei Sonntagen sowie am kommenden Mittwoch (Mitpfingsten) steht dann das Wasser als Symbol für die lebenspendende Kraft Gottes im Mittelpunkt der Betrachtung.

Wir kennen das bewegende Schicksal dieses bemitleidenswerten Mannes, der 38 Jahre lang gelähmt am Schafstor lag und auf die wundersame Heilung wartete. Wir lesen heute, wie er dank der Güte des Herrn durch ein einfaches Wort geheilt wird, ohne auf die Wallung des Wassers im Teich Bethesda warten zu müssen, und bald darauf seinen Wohltäter wegen der angeblichen Missachtung der Sabbatruhe anschwärzt. Wir haben uns in den vergangenen Jahren bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Undank wiederholt mit der Psychologie des Menschen auseinandergesetzt, und sind zu dem Schluss gekommen, dass - obwohl unbegreiflich scheinend - es ein gängiges Verhaltensmuster des Menschen ist. Der hl. Basilios der Große sieht in dem heute Geheilten den Knecht des Hohenpriesters, welcher unseren Herrn später während des Verhörs vor dem Hohen Rat ins Gesicht geschlagen hatte (s. Joh. 18:22). Das Menschliche ist uns also zur Genüge bekannt. Heute wollen wir uns jedoch einmal mit der "Psychologie" Gottes befassen, denn die scheint ja noch um einiges rätselhafter zu sein, als die des Menschen. Denn uns ist klar, dass der allwissende Herr Bescheid wusste, wen Er da am Teich Bethesda heilt, und zudem, dass sich von zehn Aussätzigen nur einer dankbar erweisen würde (s. Lk. 17:11-19) und dass Er auch bei der Wahl Seiner zwölf Apostel bereits Seinen Verräter kannte usw. Doch trotzdem ließ Sich der Herr eingedenk der zu erwartenden Untreue auf sie ein. Es heißt ja: "Die Wege des Herrn sind unergründlich". Aber wo steht das eigentlich - in der Bibel? So steht es da jedenfalls nicht. Es ist eine Redewendung, die sich offenbar auf dem folgenden Bibelzitat gründet: "O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind Seine Entscheidungen, wie unerforschlich Seine Wege! Denn wer hat die Gedanken des Herrn erkannt? Oder wer ist Sein Ratgeber gewesen? Wer hat Ihm etwas gegeben, so dass Gott ihm etwas zurückgeben müsste? Denn aus Ihm und durch Ihn und auf Ihn hin ist die ganze Schöpfung. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen" (Röm. 11:33-36).

Wie kommentieren die heiligen Väter Gottes Ratschlüsse? Haben sie sich keine Gedanken darüber gemacht? - Sie haben. Der selige Theophilakt  nimmt Bezug auf die angeführten Worte des hl. Apostels Paulus: "Er sagte nicht: unbegreiflich, sondern: unergründlich. Seine Wege, also die Wirkungsweise Seiner Heilsordnung, können nicht nur nicht erfasst, sondern auch nicht ergründet werden, d.h. man kann nicht einmal ihre Spur nachverfolgen". Der hl. Antonios der Große machte sich auch seine Gedanken darüber, warum manche alt und krank werden, während andere schon als Kinder sterben, warum einige reich und andere arm sind, warum Tyrannen und böse Menschen prosperieren, während gute und rechtschaffene Menschen Not leiden. Als er lange darüber nachgedacht hatte, hörte er eine Stimme: "Antonios! Gib Acht auf dich selbst und unterziehe Gottes Urteile nicht deinen Prüfungen, denn dieses ist unheilvoll für die Seele" (aus dem Paterikon). Und der hl. Johannes Klimakos schreibt: "Es ist unheilvoll, neugierig der Tiefe von Gottes Urteilen nachgehen zu wollen, denn die Neugierigen fahren auf dem Schiff des Hochmuts".

Starke Worte! Was also wollen wir nun mit Gottes unergründlichen Urteilen anfangen? Nichts. Der hl. Gregorios der Theologe empfiehlt nur ehrfurchtsvoll zu  schweigen vor der Größe der göttlichen Ratschlüsse.

Im Alten Bund heißt es bereits: "Der Herr ist ein ewiger Gott, der die weite Erde erschuf. Er wird nicht müde und matt, unergründlich ist Seine Einsicht" (Jes. 40:28) und "Groß ist unser Herr und groß Seine Stärke, und Seiner Einsicht ist kein Maß" (Ps. 146:5). Nur begehen wir permanent den Fehler, menschliche, irdische Maßstäbe in Bezug auf Gott anzulegen. Wie töricht! Denn wäre das Evangelium bloß menschlichem Gedankengut entsprungen (vgl. Gal. 1:11; Offb. 14:6), würde ihm auch menschliche Logik zugrunde liegen. So aber ergibt sich ein völlig "unlogisches" Bild im Evangelium: den größten Glauben hatten zu Zeiten des Herrn ein römischer Offizier (s. Mt. 8:10; Lk. 7:9) und eine kanaanäische Frau (s. Mt. 15:21-28; Mk. 6:24-30), als erstes erlangte ein Verbrecher das Paradies (s. Lk. 23:43) und erste Zeugen der Auferstehung des Herrn waren ausgerechnet die Frauen (s. Mt. 28:9-10; Joh. 20:11-18), die sich bis dahin im Hintergrund gehalten hatten (allen voran die Mutter des Herrn). "Viele aber, die jetzt die Ersten sind, werden dann die Letzten sein, und die Letzten werden die Ersten sein" (Mt. 19:30; Mk. 10:31).

Die Kirche existiert dazu, um das Verkündigungswerk Gottes zu verwirklichen. Eine Vorbildfunktion hat für uns alle ein Mann, der selbst erbitterter Feind der Kirche Christi gewesen war und nach seiner Bekehrung vielerlei Drangsale zu erdulden hatte: "Aber ich will mit keinem Wort mein Leben wichtig nehmen,  wenn ich nur meinen Lauf vollende und den Dienst erfülle, der mir von Jesus, dem Herrn, übertragen wurde: das Evangelium von der Gnade Gottes zu bezeugen" (Apg. 20: 24). Amen.

Jahr:
2018
Orignalsprache:
Deutsch