Predigt zum Herrentag vom Weltgericht (1. Kor. 8:8-9:2; Mt. 25:31-46) (11.02.2018)

Liebe Brüder und Schwestern,

 

die Parabel vom Weltgericht (es ist nämlich eine Parabel!) zeigt in aller Deutlichkeit, dass wir uns alle ein Leben lang auf den letzten Tag vorbereiten sollen, um, wie in den Litaneien während der Gottesdienste erfleht, "eine gute Rehenschaft vor dem furchtbaren Richterstuhl Christi" abgeben zu können. Das Evangelium heißt übersetzt "Frohe Botschaft", weshalb die Textstellen von der Vergeltung für die bösen Taten und von den Schrecken der Endzeit aus Rücksicht auf unsere Schwächen spärlich gesät sind (s. z.B. Ps. 9:9;  95:13;  97:9;  Offb. 20:11-15). Sie stehen dort umfangmäßig jedenfalls in einem völlig anderen Verhältnis zu der positiven Verkündigung vom Himmelreich als wir es in so manch einem erzkonservativen Kirchenladen erleben. Dort kommt man nicht selten gegenüber einem Buch über Christus den Erlöser auf mindestens zehn Bücher über den Antichristen, diverse Verschwörungstheorien oder den satanischen Ursprung von Barcodes und Identifikationsnummern. Aber ein Mal im Jahr, in der Woche vor der Großen Fastenzeit, erinnert uns die Kirche auch an diesen Aspekt der Heilsgeschichte. Uns ist dieses Leben als Leihgabe auf Zeit gegeben, damit wir das uns entgegengebrachte Vertrauen, wie im Gleichnis von den Talenten bzw. Minen (s. Mt. 25: 14-30;  Lk. 19: 11-27), rechtfertigen.

Der heilige Sysoias der Große (+429) war ein Mönchsvater, der sein ganzes Leben Gott geweiht hatte. Als er auf dem Sterbebett liegend die heiligen Engel, Propheten, Aposteln, Hierarchen und Märtyrer kommen sah, baten ihn die Brüder des Klosters, er möge für sie beten. Er aber sagte: "Wahrlich, ich sage euch, Brüder: Ich weiß noch nicht einmal, ob ich überhaupt begonnen habe mit meiner Buße!" - So unrein sah er sich im Vergleich zu den Heiligen des Herrn. Und welch unerträgliches  "Kontrastprogramm" erwartet dann erst uns, wenn wir vor dem Herrn Jesus Christus stehen, vor dem sogar die höchsten Engel und der Himmel selbst unrein sind?!..

Wir denken im Hinterkopf: "Na, es wird schon nicht so schlimm sein. Wir sind ja keine ganz großen Sünder, und der Herr ist gnädig". Das dachte wohl auch der junge Daniel Stylites (+493), bis ihm der Herr sagte: "Grabe weiter in deiner Seele, Daniel!" - Und als er es tat, - oh, was da alles noch zum Vorschein kam!..

Und jetzt im Vergleich dazu wir! - Was da ständig in unseren Herzen (s. Mt. 15: 19), Köpfen und Gliedern vorgeht - wenn das jemand auf Facebook einer breiten Leserschaft zugänglich machen würde!... Wir sehen uns jetzt noch in der komfortablen Lage, dass unsere üblen, niederträchtigen, lüsternen und schändlichen Gedanken, Regungen und Taten im Verborgenen bleiben ... naja, Gott sieht sie, unser Schutzengel vielleicht, wer noch? - Keine Ahnung! Aber ganz sicher ist: am Tag des Gerichts werden sie samt und sonders vor dem Herrn, Seinen Engeln und Heiligen und vor der versammelten Weltöffentlichkeit auf dem Präsentierteller offenbar werden. Oh je, wie stehe ich dann bloß da?!... Erkennen wir wenigstens jetzt, dass es einfach nicht genug ist, glaubensmäßig lediglich "Dienst nach Vorschrift" zu leisten?! - So wie im Evangelium die Stelle vom jüngsten Gericht nur einmal in dieser plastischen Ausführlichkeit vorkommt, so konfrontiert uns die Kirche auch nur einmal im Jahr liturgisch so prägnant mit dieser unausweichlichen Realität. Würde sie es jede Woche tun, würde entweder unser Sündenbewusstsein abstumpfen oder wir würden ob unserer Niedrigkeit einfach verzagen. Und wann tut die Kirche das? - Vor Beginn der Großen Fastenzeit, den heiligen Wochen der Selbstläuterung! Ich weiß nicht wie Sie es sehen, aber ich betrachte uns orthodoxe Christen als die glücklichsten Menschen der Welt, da wir diese Möglichkeit haben, uns in diesen Wochen von jeglichem Fehl und Makel zu reinigen. Das können wir selbstredend auch zu jeder beliebigen Zeit (vgl. Eph. 5:16), aber bekanntlich hat alles seine Stunde und "für jedes Geschehen im Himmel gibt es eine bestimmte Zeit" (Koh. 3:1). Diese Zeit ist jetzt nahe.

Für uns sollte jetzt hoffentlich klar sein, dass die Möglichkeit, Buße zu tun, die größte Gnade für uns Menschen ist, - das größte Geschenk Gottes seit unserem Eintritt in dieses Leben. Die Gute Nachricht beginnt und endet mit dem Aufruf zur Umkehr (s. Mt. 3:2; 4:17;  Mk. 1:4,15;  Lk. 3:3; 24:47), die Geschichte der Kirche beginnt mit einer Massenbekehrung in Jerusalem (s. Apg. 2:38-42) und endet, wenn wir es nur wollen, mit der Versöhnung mit dem Schöpfer (s. 2 Kor. 5:20). Schon die Taufe ist ja ein Akt der Vergebung der Sünden.

Wenn uns Ungemach im zeitlichen Leben widerfährt, sollten wir dieses mit Dankbarkeit annehmen - es ist eine weitere Gnade Gottes, der uns lieber in dieser zeitlichen Welt läutern will als in der Ewigkeit. "Wen der Herr liebt, den züchtigt Er, wie ein Vater seinen Sohn, den er gerne hat" (Spr. 3:12;  vgl. Hebr. 12:6). Gott lässt es geschehen "zu unserem Besten, damit wir Anteil an Seiner Heiligkeit gewinnen" (Hebr. 12:10). Unendlich dankbar sollten wir sein, wenn wir die gerechte Strafe hier erhalten dürfen, anstatt des ewigen Lebens verlustig zu gehen. Unsere individuelle Schuld kann aber auch vorher durch Buße abgegolten werden. "Die Stunde ist gekommen" (Röm. 13:11). Dieses Leben ist uns dazu gegeben, damit wir mit Gottes Hilfe den Kampf gegen das Böse in uns bestehen. Wer nicht Buße tut, der wird niemals die Wonne der Gemeinschaft Christi erfahren - weder in diesem noch im ewigen Leben. Er kann vielleicht soziale Projekte aufbauen und epochale politische Reformen einleiten, die möglicherweise das Leid der Menschen in dieser Welt lindern, aber das alles wird vergängliches Stückwerk bleiben. Denn nur das, was man der eigenen Seele und den Seelen seiner Mitmenschen an Gutem zufügt (s. Mt. 25:40,45), wird auch in Ewigkeit Bestand haben. Davon kündet die heutige Parabel. Amen.

Jahr:
2018