Predigt zum 3. Herrentag der Großen Fastenzeit - Kreuzverehrung (Hebr. 4: 14 - 5: 6; Mk. 8: 34 - 9: 1) (19.03.2017)

Liebe Brüder und Schwestern, in der mittleren Fastenwoche verehren wir das kostbare und lebenspendende Kreuz des Herrn. Durch den Kreuztod Christi sind wir von der Knechtschaft des Feindes erlöst worden (s. Hebr. 2: 14-15), weshalb die heute das Kreuz umrandenden Blumen optisch und aromatisch davon künden, dass durch dieses Kreuz das Tor zum Paradies wieder aufgestoßen worden ist. Das Zeichen des Kreuzes steht zunächst jedoch für die Prüfungen, die der Herr um unseretwillen auf Sich genommen hat, denn "wir haben ja nicht einen Hohenpriester, der nicht mitfühlen könnte mit unserer Schwäche, sondern einen, der in allem wie wir in Versuchung geführt worden ist, aber nicht gesündigt hat" (Hebr. 4: 15; vgl. 2: 18). Daraus ergibt sich unsere hoffnungsvolle Erwartung: "Lasst uns also voll Zuversicht hingehen zum Thron der Gnade, damit wir Erbarmen und Gnade finden und so Hilfe erlangen zur rechten Zeit" (4: 16). Gnade und Hilfe in den Anfechtungen, die uns im täglichen Leben begegnen. Selig ist hierbei der, welcher in der Nachfolge Christi in solchen Versuchungen nicht sündigt! Wir alle haben unsere Leidenschaften, und zwar im Kombi-Paket: Zorn, Habgier, Neid, Unzucht, Begierde, Rachsucht etc. Jede sündhafte Neigung ist uns zueigen, nur ist bei dem einen dieser seelische Defekt stärker ausgeprägt, bei dem anderen jener. Zudem leben wir ja nicht in einem luftleeren Raum - wie sollen wir da nicht sündigen?! - Die Heilung gibt es auf Rezept: "Wer Mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge Mir nach" (Mk. 8: 34b). Gott lässt es zu, dass wir versucht werden, damit wir nicht sündigen und gestärkt aus den Prüfungen hervorgehen. Das ist der schmale Weg des Heils (s. Mt. 7: 14). Hat jemand von den Heiligen jemals durch ein komfortables sorgenfreies Leben Erbarmen und Gnade vor Gott gefunden?! Der hl. Athanasios vom Athos (+1000) oder der hl. Nikita der Säulensteher von Perejaslawlj (+1186) und viele andere trugen sogar ein eiserenes Kreuz mit Ketten am Leibe, um noch größeres Erbarmen und noch größere Gnade zu erfahren. Sie sind unsere Vorbilder, ihnen wollen wir bei unseren täglichen Herausforderungen (zumindest vom Grundsatz her) nacheifern. Sogar Kinder können dem sich penetrant aufdrängenden Bösen im eigenen Herzen entgegentreten und schon im frühen Alter einen glänzenden Sieg davontragen, denn jeder kennt die freudige Erkenntnis, die einem innewohnt, wenn man "den inneren Schweinhund" wenigstens ein Mal überwunden hat. Wer von Anfang an diesen Willen und diese Ausrichtung hat, die im alltäglichen Leben z.B. auch zum Erlernen einer Fremdsprache, zum Beherrschen eines Musikinstruments oder zum Bedienen eines komplizierten technischen Gerätes unerlässlich ist, der weiß, dass es am Anfang immer schwer ist, doch sobald man die Barriere der eigenen Schwäche überwunden hat, treten ungeahnte Kräfte zutage, worauf hin Freude und Befriedigung ansteigen und den weiteren Lernprozess beflügeln. Und wer jetzt gegen die Leidenschaften ankämpft, dem helfen Gottes Gnade und Erbarmen zur rechten Zeit. Wir versuchen zwar zumeist "anständig" zu sein, lassen uns aber oftmals unbewusst und ungewollt von den Leidenschaften beherrschen: wenn mein Nachbar ein größeres Auto oder mein Kollege eine höhere Gehaltsstufe hat als ich, bestimmt der Neid mein persönliches Verhältnis zu ihm; wenn mir jemand mal frank und frei seine Meinung gegeigt hat und ich ihm das übelgenommen habe, dann diktiert das nachtragende Gekränktsein meine weitere Beziehung zu ihm; und umgekehrt, wenn jemand mir Komplimente macht, kann er sich meines geschmeichelten Wohlwollens sicher sein usw. Diese krankhaften Leidenschaften besiegen zu wollen bedeutet nichts anderes als sich selbst zu verleugnen, sein Kreuz auf sich zu nehmen und Christus nachzufolgen. Das Beherrschen der eigenen Anfälligkeit zur Sünde vermittels der Gnade und des Erbarmens Gottes macht mich zum Gebieter über die Sünde, denn nur wer herrscht, und nicht beherrscht wird, ist wirklich frei (s. Röm. 8: 15; Gal. 5: 1; Hebr. 2: 14-15). In Christus Jesus erlange ich die wahre Freiheit (s. Joh. 8: 31-32), denn Sein Kreuz steht für "das Törichte an Gott", welches "weiser als die Menschen" ist, und für "das Schwache an Gott", das "stärker als die Menschen" ist (1. Kor. 1: 25). - Wie bitte?!.. Äh, geht´s noch?!.. Vor einer Woche erkannten wir die "Torheit Gottes" am Gelähmten, der körperliche Heilung erwartete, aber (zunächst) "nur" von den Sünden befreit wurde - ungefragt. So unendlich wichtiger ist die Rettung der Seelen für Gott im Vergleich zum leiblichen Wohlergehen, dass manchmal sogar unschuldige Kinder für ihre Eltern leiden müssen. Warum? Ist das etwa gerecht?! - Aus Sicht des Menschen ist das brutal ungerecht, aus Gottes Perspektive ist es hingegen mehr als gerecht. - Wie das? - Nun, wie wir schon wissen, ist körperliches Leid die Folge der seelischen Krankheit (Sünde). Wenn Gott also zulässt, dass ich körperlich leide, ist das zur Reinigung von meinen Sünden förderlich - so offensichtlich geschehen beim besagten Gelähmten von Kapernaum (s. Mk. 2: 5). Was ist aber, wenn ich auch danach spirituell so verstockt bin und nicht erkenne, dass mir dieses körperliche Leid nützlich für das Seelenheil ist? - Dann, ja dann leiden nach Gottes Ratschluss zeitlich begrenzt meine Kinder, so dass ich von der ewigen Strafe erlöst werde - ungefragt. Ist das, immer betrachtet aus dem Blickwinkel der vordringlichen ewigen Rettung der Seele, nicht eine unvorstellbare Weisheit und Stärke Gottes?! Es ist geradezu unfassbar, wie Gott uns entgegen unserer geistlichen Atrophie zum Heil führt! Ihm gebührt Dank! Nun weiß ich also endlich, weshalb ich heute inmitten der Kirche dreimal ehrfurchtsvoll vor dem Kreuz meines Herrn und Erlösers niederfalle und es mit Tränen in den Augen dankbar küsse. Amen.
Jahr:
2017
Orignalsprache:
Deutsch