Predigt zum 8. Herrentag nach Pfingsten (1. Kor. 1: 10-18; 1. Kor. 1: 18-24; Mt. 14: 14-22; Joh. 19: 6-11, 13-20, 25-28, 30-35) (14.08.2016)

Liebe Brüder und Schwestern, 

 

mit dem heutigen Fest des Heraustragens des Kostbaren und Lebenspendenden Kreuzes beginnt die Fastenzeit vor dem Fest des Entschlafens der Allheiligen Gottesgebärerin. Die Begeisterung für das Fasten im Sommer, wenn die Nachbarn auf dem Balkon oder im Schrebergarten ihren Grill anwerfen, hält sich bei uns bekanntlich in Grenzen. Dabei vergessen wir allzu leicht, dass Fasten eigentlich nur dann einen Sinn hat, wenn es mit Freude und Leichtigkeit gemacht wird. Verzichtet wird ja immer auf etwas Niedrigeres zugunsten von etwas Höherem. Damit allerdings das Fasten Freude bereitet und Nutzen für die Seele bringt, muss der lebendige Glaube daran vorhanden sein, dass Überflüssiges zu Essenziellem sublimiert wird. Deshalb ist eine rein formale (um nicht zu sagen pharisäische) Vorgehensweise hinsichtlich der Authentizität des Fastens abträglich. Wir denken bedauerlicherweise zumeist immer noch in den Kategorien des Alten Testaments mit seinen 613 restriktiven Geboten und Verboten und verlieren somit den Blick für das Wesentliche. 

Vielleicht hilft uns aber die Fokussierung auf das Kreuz des Herrn bzw. auf den historischen Ursprung des heutigen Festtages. Jedes Jahr seit 1164 wurde das Kreuz unseres Herrn am 1. August in einer feierlichen Prozession aus dem Kaiserpalast in Konstantinopel herausgetragen und in den Altarraum der Hagia Sophia gebracht. Auf dem Weg dorthin wurde Zwischenstation im Baptisterium eingelegt, wo das Wasser durch das Lebenspendende Kreuz geheiligt wurde – das ist der Ursprung unserer heute mehrmals im Jahr praktizierten Wasserweihe. Im Verlauf von 13 Tagen, also bis einschließlich dem Vorfest des Entschlafens der Gottesgebärerin, wurden die Brunnen und Zisternen der Stadt mit dem Kreuz unseres Herrn gesegnet, wodurch den in der heißen Jahreszeit häufig auftretenden Seuchen und Epidemien vorgebeugt wurde. So wie im Byzantinischen Reich die körperlichen Gebrechen durch das Kreuz des Herrn geheilt wurden, so werden auch heute unsere seelischen Krankheiten durch das Kreuzzeichen gelindert. Das geschieht aber nicht automatisch, weil Glaube nichts mit Magie gemein hat. Nichtsdestoweniger kommen häufig Menschen (die sonst, wenn es ihnen gut geht, keinen Bedarf an Kommunikation mit einem Priester haben) zur Kirche und fragen, was man gegen Alkoholismus, Drogenabhängigkeit, dämonische Besessenheit, Einwirkung schwarzer Magie etc. denn so machen könnte. Sie gehen in ihren Wunschvorstellungen immer nur von äußeren Faktoren bei Ursache und Wirkung aus: ein spezielles Gebet, eine Fürbitte, Besprengen mit Weihwasser, Salbung mit geheiligtem Öl usw. - schwuppdiewupp! - ist alles wieder o.k.; man überreicht dem Priester einen Umschlag und wendet sich wieder seinen Alltagsgeschäften zu... Für sie ist die Kirche eine ambulante Anlaufstelle bei allen Perturbationen in ihrem geregelten Lebensablauf, deren „Notrufnummer“ im Bedarfsfall jederzeit zur Hand sein sollte. Wenn ich sie frage, warum sie sich nicht am liturgischen Leben der Kirche durch regelmäßige Beichte und Kommunion beteiligen, wird mir das Standardrepertoire an Ausflüchten entgegengebracht: große (räumliche) Entfernung zur Kirche, wenig Zeit, tragen Gott auch so im Herzen. Wenn ich sie beim Wort nehme und frage, wo denn nun das Problem sei – wenn sie bei eitel Sonnenschein Gott im Herzen trügen und keinen Mittelsmann für eine ungestörte Kommunikation zur himmlischen Sphäre bräuchten, dann müsste dies bei Sturm und Hagel ihrer eigenen Logik zufolge auch hinreichend für die Lösung besagter Probleme sein. Dies sage ich nicht, um sie abzuweisen, sondern um sie zum Nachdenken zu bewegen, doch in der Mehrheit der Fälle greifen sofort die „Schutzmechanismen“ (deren Quelle leicht auszumachen ist), welche        die einzig logische Konsequenz – eine Änderung des Lebensstils und aktive Hinwendung zu Gott – durch erdwärts gewandte Gesinnung von vornherein ausschließt. Der „alte Mensch“  (s. Röm. 6: 6) triumphiert durch seine Anspruchslosigkeit. Um ein neuer Mensch zu werden, müssen Stellschrauben angebracht werden, muss ein Transformationsprozess eingeleitet werden, müssen schlechte Gewohnheiten unterdrückt werden etc. Alle schreien nach sozialen, ökonomischen und politischen Reformen, nur sich selbst reformieren, das will der Mensch nicht. Und dann wundert er sich, dass er im Leben nicht glücklich ist, „denn das Wort vom Kreuz ist denen, die verlorengehen, Torheit; uns aber, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft“ (1. Kor. 1: 18).

 

Das Kreuz des Herrn ist ein Wegweiser gen Himmel. Wenn wir das „Wort vom Kreuz“ verschmähen und alles nur vom irdischen Blickwinkel aus betrachten, dann ist jede uns zugefügte Kränkung oder Ungerechtigkeit, ist jedes uns widerfahrene Leid Grund zu Verzweiflung und Verbitterung; halten wir aber am Kreuz des Herrn fest und richten unser ganzes Augenmerk auf unser geistliches Leben, dann werden wir im unerschütterlichen Vertrauen auf Gottes Güte und Weisheit feststellen, dass der uns vom Himmlischen Vater angebotene und von Seinem Sohn beispielhaft gezeigte und unter Anleitung Seines Heiligen Geistes zu beschreitende Weg uns schon in diesem Leben an die Pforten des Paradieses klopfen lässt. Erst reift die Erkenntnis, dass dies das einzige Ziel von absoluter Bedeutung im Leben ist, dann wächst auch das spirituelle Empfinden der Richtigkeit dieser richtungsweisenden Entscheidung. Die Blumen, die heute das vor uns liegende Kreuz schmücken, erinnern ja daran, dass dieses Holz zum neuen „Baum des Lebens“ (s. Gen. 2: 9; 3: 24) für uns geworden ist. Nur durch das Kreuz Christi kann der Mensch erneut zum Bewohner des Paradieses in unaussprechlicher Wonne der Gemeinschaft Gottes werden. Amen.

Jahr:
2016
Orignalsprache:
Deutsch