Predigt zum 4. Herrentag der Großen Fastenzeit / Hl. Johannes Klimakos (Hebr. 6: 13-20; Mk. 9: 17-31) (10.04.2016)

Liebe Brüder und Schwestern,

 

der vierte Sonntag der Großen Fastenzeit ist dem hl. Johannes Klimakos (+649) gewidmet, der als Mönch im Katharinen-Kloster die „Himmelsleiter“ verfasste. Grob zusammengefasst ist dieses Buch eine Anleitung zum Aufstieg zu Gott – ein Werk, das auch für Nicht-Mönche große Bedeutung besitzt. In dreißig Kapiteln („Stufen“ bzw. „Sprossen“) werden die notwendigen Rezepte für den Kampf mit den Krankheiten der Seele -, den Leidenschaften, - verschrieben. 

Auch unser Ziel ist die Erlangung des Himmelreichs unter den uns auferlegten Bedingungen einer glaubensfremden und bisweilen sogar -feindlichen Umwelt. Denn selbst wenn für uns Weltkinder andere Parameter gelten, bleibt die Ausrichtung vom Grundsatz her, unabhängig von historischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, immer die gleiche (s. Mt. 6: 33).

Die Rückbesinnung auf den Kampf mit den Leidenschaften tut schon deshalb Not, da wir unter dem Einfluss der humanistischen Moderne beinahe unbemerkt unser Koordinatensystem zugunsten rein karitativer und sozialer Betätigung verschoben haben. Die Frage des Seelenheils konzipiert sich fast ausschließlich über die Vollbringung guter Werke, die dem leiblichen Wohl der Menschen dienen. Doch bei aller Wertschätzung und Anerkennung der Notwendigkeit solcher Werke (s. Röm. 12: 8  u.  Hebr. 13: 16) bilden sie nicht das Herzstück der Verkündigung des Evangeliums; nicht um ihretwillen ist Christus in diese Welt gekommen. Aufrufe zur Wohltätigkeit findet man auch in anderen Religionen; den Leitfaden des Evangeliums Christi bildet aber die Suche nach dem Reich Gottes, das mitten in uns ist (s. Lk. 17: 21). Ausgangspunkt dieser Suche ist immer die Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit und die Bereitschaft zur Umkehr (s. Mt. 3: 2; 4:17;  Mk. 1: 4, 15;  Lk. 3: 3; 24: 47;  Apg. 2: 38).  

Um aufrichtigen Herzens menschenfreundliche Werke zu vollbringen, genügt es ja bereits, den leiblichen Menschen in seinem Inneren zu überwinden, der nur auf sein persönliches Wohlergehen bedacht ist und für den Werke der Barmherzigkeit nur im Rahmen der natürlichen Liebe zu Verwandten und Nahestehenden bzw., nicht ganz uneigennützig, zu einflussreichen Freunden und Bekannten denkbar erscheinen. Der seelische Mensch hat da schon höhere Wertvorstellungen: sein Interessensbereich umfasst nicht bloß das, was materiellen oder leiblichen Nutzen bringt; ihm steht der Sinn nach dem Ästhetischen und Richtigen, doch auch er wird lediglich emotional handeln und letztlich nicht bereit sein, Undank und Missachtungen der eigenen Würde für die Erlangung eines höheren Zieles zu ertragen, da er selbst noch den Leidenschaften unterworfen ist. Nur der geistliche und im asketischen Tun geübte Mensch ist in der Lage, sein eigenes Ego konsequent zu überwinden und ausschließlich Gottes Willen – und zwar koste es was es wolle – zu befolgen.  Dieser lebenslange Kampf gegen die Leidenschaften ist das, was wir unter Selbstverleugnung und dem Tragen des Kreuzes verstehen und immerfort für die Nachfolge Christi als unabdingbar anerkennen (s. Mk. 8: 34). Es ist die bewusste und entschiedene Abgrenzung von dieser dem Zeitgeist unterworfenen „treulosen und sündigen Generation“ (Mk. 8: 38). Diese Art kann eben „nur durch Gebet und Fasten ausgetrieben werden“ (Lk. 9: 29). Nur spirituell denkende und handelnde Menschen „haben das Fleisch und damit ihre Leidenschaften und Begierden gekreuzigt“ (Gal. 5: 24). Der beharrliche Kampf gegen Zorn, Fleischeslust, Neid, Habsucht, Hass, Richten des Nächsten etc. bedingt die Nachfolge Christi und ein stetiges Aufsteigen auf der Skala der geistlichen Entwicklung. Niemand muss dazu auf den Berg Sinai oder den Athos gehen: das alltägliche Leben selbst mit seinen ständigen Prüfungen und Herausforderungen ist unsere „Himmelsleiter“! Wir müssen nur erkennen, das alles, was mit uns passiert, von Gott zu unserem persönlichen Heil herabgesandt worden ist. Deshalb ist die Selbstverleugnung so eminent wichtig, damit das Hervorheben des eigenen Ichs nicht die Wirkung der göttlichen Gnade eindämmt und stattdessen dämonischen Kräften Tür und Tor zu unseren Herzen öffnet. Daher bittet der orthodoxe Christ in der Großen Fastenzeit darum, vor Herrschsucht und Schwatzhaftigkeit (s. Gebet des hl. Ephraim des Syrers) bewahrt zu werden. So kämpfen wir alle darum, nicht zu Getriebenen der teuflischen Leidenschaften zu verkommen. 

 

Zu Zeiten eines hl. Johannes Klimakos kannten die Menschen noch keine Rolltreppen und Lifte. Sie kannten hingegen umso mehr die tagtägliche Mühsal und den Kampf ums irdische Dasein, den sie ohne Hilfe von oben niemals meistern konnten. Einen komfortablen und sorgenfreien „Ruhestand“ versprachen sie sich dafür erst im kommenden Äon. Deshalb dürfen wir unsere auf irdisches Wohlergehen und auf Absicherung nach allen Seiten hin bedachte zeitliche Existenz nicht als Modell für das Glaubensleben nehmen. Der Aufstieg zu Gott ist kein Selbstläufer! Müßiggang und Verzweiflung (s. Gebet des hl. Ephraim) bedeuten Stillstand in diesem Bestreben und führen zur Aufgabe in Sichtweite des Zieles. Der Verzicht auf Genüsse und Annehmlichkeiten hat demnach nur dann einen Sinn, wenn er zu einem „Wachstum im geistlichen Leben“ führt, um welches vom Priester in der Göttlichen Liturgie gebetet wird. „Wenn wir aus dem Geist sind, dann wollen wir dem Geist auch folgen“ (Gal. 5: 25). Warum sonst habe ich mich denn taufen lassen und das Kreuz Christi auf mich genommen, „durch das mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt“ (6: 14)?!.. Für einen jeden von uns kommt es im Vorfeld der Großen Woche und der Feier der Auferstehung daher nur noch darauf an, dass er durch Buße und Selbstläuterung „eine neue Schöpfung“ (6: 15) wird. Amen.

Jahr:
2016
Orignalsprache:
Deutsch