Predigt zum Hochfest der Kreuzerhöhung (1. Kor. 1: 18-24; Joh. 19: 6-11, 13-20, 25-28, 30-35) (27.09.2015)

Liebe Brüder und Schwestern, 

 

das Christentum wurde zu Beginn des Mittelalters zur Weltreligion – nicht mit Feuer und Schwert, nicht durch militärische Eroberung, auch nicht durch einen Umsturz, sondern durch Gottes direkten Eingriff. Dabei taten die Christen drei Jahrhunderte von sich aus nichts, um an politischem Einfluss zu gewinnen. Man verzichtete sogar um den Preis grausamster Verfolgungen auf die Anerkennung durch den Staat, um die unverfälschte Reinheit des Glaubens im Untergrund zu bewahren. So stand die Katakomben-Kirche für das beste Christentum in der Geschichte, brachte es doch zahlreiche Märtyrer und Bekenner hervor. Doch Gott hat es so gefügt, dass auf Phasen der Verfolgungen auch Epochen des verantwortungsvollen Umgangs mit der Freiheit geschenkt wurden. Und hierfür fanden sich in Gottes Plan auserwählte Werkzeuge wie der hl. apostelgleiche Kaiser Konstantin, der mit der Umgestaltung des heidnischen Imperiums zu einem christliches Weltreich begann. Zwar hatten nun plötzlich alle Bürger freien und ungehinderten Zugang zu den Mysterien der Kirche, doch wurden gleichzeitig die Versuchungen für jeden Einzelnen größer. Das Christsein wurde einem (rein äußerlich) leichtgemacht, was jedoch zugleich eine Absenkung des geistlich-moralischen Niveaus der Christenheit nach sich zog. Dies war eine Zeit, die in vielerlei Hinsicht bis ins Detail der Situation in der ehemaligen Sowjetunion nach Wiedererlangung der Religionsfreiheit gleicht – mit allen sich unweigerlich daraus ergebenden Begleiterscheinungen. Doch den nach Vervollkommnung im Glauben Strebenden öffnete sich nun ein neuer Weg in Form des Mönchtums. Für diejenigen, welche die Weltflucht antraten, wurde somit die Wüste zum Ort ihres freiwillig auf sich genommenen Martyriums. 

Das Fest der Kreuzerhöhung, dem die Auffindung des Lebenspendenden Kreuzes unseres Herrn durch die hl. apostelgleiche Kaiserin Helena im Jahre 326 n. Chr. historisch zugrunde liegt, unterscheidet sich in seiner Erscheinungsform von den übrigen elf Hochfesten dadurch, dass es chronologisch nicht mit dem irdischen Leben unseres Erlösers zusammenhängt. Es ist daher umso mehr bedeutsam zu erwähnen, dass die Kreuzerhöhung nicht nur eine richtungsweisende Zäsur in der Weltgeschichte war, sondern auch den für alle nun wahrnehmbaren Eintritt des Himmelreichs in die irdische Sphäre markierte. Aus welthistorischer Perspektive betrachtet, war die Kirche Christi aus der soziokulturellen Versenkung hervorgekommen und hatte nun endgültig die Weltbühne betreten. Und so stellt dieses Fest gewissermaßen ein Bindeglied zwischen der biblischen Epoche und unserer Lebenswelt, zwischen der mystischen Realität der Gründung der Kirche und dem Alltagsdasein der Christen von heute dar. Es ist die Bestätigung dessen, dass die von Jesus Christus gegründete Kirche historischen Ursprungs ist und zugleich in der gegenwärtigen Aktualität „weiterlebt“. Das Wirken der Kirche heute ist also nichts anderes als die Weiterführung des Werkes des Herrn, das Er Seinen Aposteln und deren Nachfolgern übertragen hat (s. Mt. 28: 19-20; Mk. 16: 15;  Lk. 24: 47-49;  Joh. 14: 12; 17: 18;  Apg. 1: 8 u.v.m.). Dieses Werk ist das gleiche geblieben, doch die historischen Rahmenbedingungen ändern sich ständig. Und jedes Mal hat die Kirche gemäß ihrer Bestimmung ihren Kampf zu bestehen – bis zum jüngsten Tag. Deshalb singt die Kirche heute also:

 

„Rette, o Herr, Dein Volk und segne Dein Erbe, verleihe den rechtgläubigen Christen Sieg gegen die Widersacher und behüte Deine Gemeinde durch Dein Kreuz“ (Troparion zum Fest).

 

„Der Du freiwillig auf das Kreuz Dich erhoben, Christus, Gott, schenke Deine Erbarmungen Deiner neuen, nach Dir benannten Gemeinde; erfreue uns mit Deiner Kraft, verleihe uns Sieg gegen die Widersacher; als Deine Hilfe haben wir die Waffe des Friedens, den unüberwindlichen Sieg“ (Kondakion zum Fest).

 

Der Siegeszug des Christentums in der Weltgeschichte nach jahrhundertelanger grausamer Verfolgung ist aber auch ein Fingerzeig für die Zukunft der Kirche. Von den ehemals glorreichen christlichen Königreichen ist ja nichts mehr übrig geblieben. Der wahre Glaube hat es auch nicht nötig, mittels Zwang und Gewalt verbreitet zu werden. Umgekehrt, wird das Christentum heute entweder offen bekämpft oder subtil zweckentfremdet und an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Wie die Christen in der vor-konstantinischen Ära, aus staatlicher bzw. gesellschaftlicher Perspektive betrachtet, nur im Kolosseum „stattfanden“, so fristen sie ihr karikaturistisches Dasein in der christenfeindlichen Medienwelt unserer Zeit. Also müssen wir heute umso mehr so standhaft und furchtlos im Glauben sein wie die Katakomben-Christen, und nicht den Schulterschluss mit dem Zeitgeist anstreben (s. 2. Kor. 6: 14-18). Womöglich kann es noch lange im Nischendasein weitergehen und noch in offene Verfolgungen umschlagen. Wenn wir aber mit aller Konsequenz einen lebendigen, glühenden Glauben bewahren, dann wird Gott, Der den Lauf der Zeit in Seinen Händen hält (s. Apg. 4: 28), ganz sicher noch eine letzte Zeitenwende geschehen lassen (s. Mt. 24: 14;  Mk. 13: 10), damit die Saat, die wir heute säen, zum bereits vorbestimmten Zeitpunkt aufgehen wird. Wollen wir also, erfüllt vom Heiligen Geist, freimütig das Wort Gottes verkündigen (s. Apg. 4: 31) und dann darauf vertrauen, dass Europa noch Politiker mit Weitsicht gegeben werden, die entgegen aufgezwungenen humanistischen Konjunkturdenkens die einzig richtigen Entscheidungen treffen, deren Tragweite sogar noch Jahrzehnte danach für alle am Fortbestand unserer Kultur Interessierten offensichtlich sein wird. Amen.

Jahr:
2015
Orignalsprache:
Deutsch