Predigt zum Hochfest der Geburt der Allerheiligsten Gottesgebärerin (Phil. 2: 5-11; Lk. 10: 38-42; 11: 27-28) (21.09.2015)

Liebe Brüder und Schwestern, 

 

den ersten Höhepunkt des neuen Kirchenjahres stellt die Geburt der Gottesgebärerin dar. Der Beginn unserer Heilsgeschichte wird von der Kirche wie folgt im Gebet feierlich besungen:

 

„Deine Geburt, Gottesgebärerin, Jungfrau, hat der ganzen Welt Freude angekündigt: denn aus Dir ist die Sonne der Gerechtigkeit, Christus, unser Gott, aufgestrahlt. Er löste den Fluch und gab den Segen; Er hob den Tod auf und gab uns das ewige Leben“. (Troparion zum Fest).

 

Wir feiern also heute die Vorankündigung der Geburt des Erlösers, die der ganzen Welt Freude bringen wird. Ähnlich verhielt es sich ja mit der Geburt des Täufers (s. Lk. 1: 5-25). Beide – die Gottesmutter und der Täufer des Herrn – stehen nämlich für das menschliche Wirken bei der Synergie unserer Errettung. Gott hätte den „Letzten Adam“ (s. 1. Kor. 15: 45), so wie den ersten auch, aus dem „Nichts“ schaffen können. Aber dann wäre Gottes Sohn nicht auch der Menschensohn, hätte der Mensch keinen Anteil an seinem Heil und wäre nur Objekt statt Subjekt. In Person der Theotokos wird gewährleistet, dass sich Gottes Heil nicht ohne Zustimmung und Mitwirkung des Menschen vollzieht. Stellvertretend für alle Völker ist es der Stamm Juda, und aus diesem eine Linie (s. Jes. 11: 1), aus der zur Erfüllung der Zeit der Messias geboren werden wird. Also kommt den heiligen Eltern der Gottesgebärerin eine mitentscheidende Rolle zu, umso mehr, da die Empfängnis in einem Alter geschah, in dem körperliche Leidenschaftlichkeit längst vorbei ist. Es ist die chronologische und sotiriologische „Vorstufe“ zur jungfräulichen Geburt des Messias. Deshalb frohlockt die Christenheit heute:

 

„Joachim und Anna wurden von der Schmach der Kinderlosigkeit, und Adam und Eva von der Verwesung des Todes befreit in Deiner heiligen Geburt, o Allerreinste. Dieselbe feiert auch Dein Volk, von der Schuld der Missetaten erlöst, indem es Dir zuruft: Die Unfruchtbare gebiert die Gottesgebärerin, Die unser Leben nährt“. (Kondakion zum Fest).

 

Die beiden Größten unter den Menschen wurden zwar selbst nicht „unbefleckt“ empfangen, aber – als Letzte in der Kette der leiblichen Vorfahren bzw. als Letzter in der Reihe der Verkündiger des Messias – in einem auf das Menschenmögliche reduzierten Mindestmaß an Leidenschaftlichkeit. Schon bei ihrer Zeugung deutet sich somit ihr himmelwärts gewandtes Leben an. 

Das Beispiel der heiligsten Eltern der Menschheitsgeschichte: Maria und Josef, Joachim und Anna, Zacharias und Elisabeth zeigt aber auch, welch enorme Verantwortung die Eltern vor Gott für ihre Kinder vom Moment ihrer Zeugung an tragen. Eltern, die heutzutage ihre Kinder taufen lassen, haben praktisch die freie Wahl, ob sie diese reinen Geschöpfe zu engelsgleichen Wesen erziehen, oder ob sie es zulassen, das ihre Kinder durch Verderbtheit zu einem Spielball der dämonischen Leidenschaften werden. Im Grunde erben die Kinder ja nur die Eigenschaften der Eltern, sind aber mit zunehmendem Alter selbst dafür verantwortlich, was sie mit ihrem Erbgut  anfangen. Einen Determinismus gibt es zwar nicht, aber unterschiedliche Startvoraussetzungen, bedingt durch ein extremes Gefälle beim elterlichem Verantwortungsbewusstsein, allemal.

Der menschliche Faktor ist aus Gottes Erlösungswerk ohnehin nicht wegzudenken. Der ganze Stammbaum des Herrn ist – neben leuchtenden Beispielen der Treue zu Gott – eine Aneinanderreihung von Verbrechen, Verrat, Betrug und Unzucht, aber gerade dadurch wird die Größe Gottes offenbar (vgl. 2. Kor. 12: 9). So wäre Josef nie zum Regenten von Ägypten aufgestiegen, hätten ihn seine eigenen Brüder nicht verkauft. Gott aber hält an Seinem Plan der Erlösung fest, „korrigiert“ das Fehlverhalten der Menschen bis zu dem Moment, da die Allerreinste geboren wird, um der Welt den Erlöser zu schenken. Und ähnlich verhält es sich doch in der Kirchengeschichte, wo eben auch nicht alles wie am Schnürchen läuft: grausame Verfolgungen, innerer Aufruhr, Häresien und Schismen, Verleumdungskampagnen, leider auch Amtsmissbrauch und sonstiges Fehlverhalten der in kirchlicher Verantwortung Stehenden – und dennoch hört die Gnade des Herrn niemals auf zu wirken in der Kirche Christi. Worauf es doch wirklich ankommt, ist das Ende, der endgültige Sieg Christi über Seine Widersacher. Christus Selbst musste (oder besser: wollte) eine schändliche, durch menschliche Bosheit bedingte „Niederlage“ erleiden, um am Ende umso herrlicher zu triumphieren. „Das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst“ (Joh. 1: 5). Also ist die Finsternis nur dazu da, um das Licht erkennbar zu machen.

Und noch eines zum Schluss. Die vier Evangelien berichten über die Geburt, das Leben und Wirken, über Tod und Auferstehung Jesu Christi. Das ist ihr Ziel und ihre Aufgabe. Das schließt aber keineswegs aus, dass darüber hinaus auch andere heilsgeschichtlich relevante und mit der Menschwerdung des Herrn in Verbindung stehende Ereignisse stattgefunden haben. Solche Ereignisse wie die Geburt von hochbetagten Eltern und der Tempelgang der Gottesgebärerin sind in anderen (apokryphischen) Dokumenten festgehalten, deren Zeugnis ebenso authentisch ist. Die Kirche, die als höchste irdische Autorität die Kanonisierung der vom Heiligen Geist inspirierten Bücher des Neuen Testaments vorgenommen hat, hatte jedenfalls guten Grund dazu, diese historisch einwandfrei bezeugten Ereignisse in ihr liturgisches Gedächtnis und in ihr theologisches Gesamtkonzept einzubringen. Amen.

Jahr:
2015
Orignalsprache:
Deutsch