Predigt zum fünften Herrentag der Großen Fastenzeit / Gedächtnis der hl. Maria von Ägypten (Hebr. 9: 11-14; Gal. 3: 23-29; Mk. 10: 32-45; Lk. 7: 36-50) (29.03.2015)

Liebe Brüder und Schwestern, 

 

in den hinter uns liegenden Wochen sprachen wir im Zusammenhang von Kreuztragen und Selbstverleugnung viel von Buße. Die hl. Maria von Ägypten (+ 522), deren Gedächtnis wir am fünften Sonntag der Großen Fastenzeit begehen, ist für uns beschämendes Lehrbeispiel für die Nachhaltigkeit der Buße.  Wir in unserer Reumütigkeit gleichen einem Kettenraucher, der gleich zehn Mal am Tag das Rauchen „aufgibt“, denn heute beichten wir, tags darauf wird über andere gerichtet, geschimpft, gelästert usw.  Ist das ein lebendiger Glaube?! 

Maria von Ägypten bereute ein für alle Mal ihre Sünden, empfing in Jerusalem die Heiligen Gaben und lebte dann bis ein Jahr vor ihrem Ende mit Christus im Herzen. Die Wüste war ihr hierbei nicht nur kein Hindernis, sondern bot ideale Rahmenbedingungen für das Verbleiben in diesem Zustand der göttlichen Gnade. Ihre Liebe zu Christus Gott war deshalb so stark, weil ihr so viel vergeben worden war, so dass sie nur noch kurz vor ihrem Tode die Heilige Kommunion aus den Händen des ehrwürdigen Zosimas zu empfangen brauchte.

Nun bietet uns die Kirche ja derart vielfältige Heilrezepte an, insbesondere in dieser geheiligten Vorbereitungszeit zum Fest der Feste. Eins davon ist das unablässige Gebet (s.  1. Thess. 5: 17) als Kampf gegen das Böse in mir, „denn mein Unrecht erkenne ich und meine Sünde ist immer vor mir“ (Ps. 50: 5). Wer möglichst ununterbrochen in diesem Zustand der Bußfertigkeit verweilt, kann im Grunde gar nicht mehr sündigen. Das Ziel muss demnach sein, seine Sünden zu erkennen, um dadurch die Gnade Gottes zu erlangen. Darauf müssen wir unsere Energie verwenden und unsere Aufmerksamkeit richten.

Zu Ehren der hl. Maria von Ägypten, einer ehemaligen Dirne, wird ja heute das Evangelium von der Sünderin im Hause des Pharisäers gelesen. Man wird vielleicht einwenden, dass sowohl die Frau, die dem Herrn die Füße mit ihren Tränen wusch und mit den Haaren abtrocknete, als auch Maria aus Alexandria zuvor große Sünderinnen waren, während wir doch eher im Kleinen sündigen. Vielleicht! Aber diese „kleinen“ Vergehen, die wir uns eigenmächtig genehmigen anstatt gegen sie anzukämpfen, sind bei uns dafür zahlreich wie Sand am Meer. Außerdem verrät so eine bewusste oder unterbewusste Selbstrechtfertigung genau dieselbe Uneinsichtigkeit gegenüber den eigenen Verfehlungen, die Simon den Pharisäer als solchen entlarvte (s. Lk. 7: 44-48).

Was unsere „harmlosen“ Allerweltsvergehen angeht, empfiehlt es sich, bei den heiligen Vätern nachzuschlagen. Wenn wir ernsthaft begreifen würden, dass das Ziel unseres Lebens die Vergöttlichung der Gnade nach und ein Leben in Christo ist, dann würden wir solche „Lapalien“ wie Schwatzhaftigkeit, Müßiggang, Schlemmerei, eitles Gelächter etc. in der Tat als Hemmnisse für das Seelenheil empfinden. Wir dürfen nicht denken, es gäbe für jeden Getauften eine Rolltreppe ins Paradies, so dass besagte Bagatellvergehen bloß als unerhebliche Schönheitsflecke auf unserer ansonsten blütenweißen Weste empfunden werden. Keiner würde doch mit einem Fleck auf dem Hemd oder der Bluse zum königlichen Hochzeitsmahl erscheinen wollen.

In der Vita der hl. Theodora wird von den sog. Zollstationen der Lüfte berichtet, die jede gläubige Seele beim Übergang von diesem Leben ins Jenseits über sich ergehen lassen muss. Beim Passieren derselben stellt sich dann heraus, was der Glaube zu irdischen Lebzeiten wert gewesen ist (s. 1. Kor. 3: 11-15). Für jede noch so geringfügig scheinende Sünde werden die „bösen Geister des himmlischen Bereichs“ (Eph. 6: 12) ihren Tribut einfordern. Erinnern wir uns: „Über jedes unnütze Wort, das die Menschen reden, werden sie am Tag des Gerichts Rechenschaft ablegen müssen“ (Mt. 12: 36). Nur die Sünden, die aufrichtig bereut und dem geistlichen Vater gebeichtet wurden, werden hier nicht angerechnet. Also ist es doch vollkommen nachvollziehbar, dass sich der Mensch permanent vor der Sünde hüten und, wenn doch etwas passiert ist, das sein Gewissen belastet, sofort vor dem Priester beichten soll.

Die Vision der hl. Theodora ist eine Parabel, die nicht buchstäblich das Ziel verfolgt, exakt die dogmatische Lehre der Kirche wiederzugeben. Sie versucht vielmehr, sofern es für die menschlichen Sinne fassbar ist, die geistliche Realität beim Übergang vom diesseitigen zum jenseitigen Leben widerzuspiegeln. Wichtig ist hierbei der pädagogische Effekt: die heilsame Furcht vor den Folgen der spirituellen Sorglosigkeit. Diese kleine „Schocktherapie“ hat gewiss noch keinem geschadet, sondern hat ihn eher sensibler gemacht gegenüber den verschiedensten Regungen des Herzens und Verstandes. Schließlich kann man durch die Schlingen des Teufels auch ganz unbewusst de facto seinen Glauben verleugnen, indem man nämlich so lebt, als gäbe es nach unserem Ableben keine Auferstehung, kein Gericht und kein ewiges Leben. Taten sagen mehr als Worte, so oder so. Heilige wie Maria von Ägypten unterscheiden sich eben darin von uns, dass sie immer weiter ihrer Seele auf den Grund gehen und so immer demütiger und demütiger vor Gott werden (nur so konnte es ihr nach 46 Jahren in der Einöde nicht langweilig werden...). Auch wir können wenigstens versuchen, den letzten Tag immer vor Augen zu haben und beten, beten, beten... Das Gedenken des jüngsten Tages hilft, die widerlichsten Begierden des Leibes und der Seele im Zaum zu halten, sich von ihnen entschieden loszusagen. Nur wer die Sünde als erbitterten Feind der Seele hasst, kann Gott lieben – und umgekehrt (s. 1. Joh. 5: 2-3).

Vor vielen Jahrhunderten lebte ein reicher Mann, der zwar stets Unzucht trieb, doch zugleich ein Wohltäter der Armen war. So blieb es, bis ihn der Tod ereilte. Nach einiger Zeit erschien der Mann einem Mönch im Traum: er stand auf einem schmalen Steg zwischen dem paradiesischen Garten zur Rechten und der höllischen Feuersbrunst zur Linken. Er wurde zwar wegen seiner Mildtätigkeit von den Höllenqualen befreit, doch blieb ihm seines ungezügelten Lebenswandels wegen zugleich die paradiesische Freude versagt.

Dieses Beispiel zeigt, dass man sein Seelenheil auch leichtfertig verspielen kann. Deshalb müssen wir unsere gesamte Geisteskraft darauf verwenden, unsere Sünden zu erkennen, zu bereuen und aufrichtig für sie Buße tun. Anhand des heute gelesenen Evangeliumstextes wird doch deutlich, dass nur eine reuevolle Selbsteinschätzung die Liebe zu Gott generieren und die Vergebung der Sünden herbeiführen kann (s. Lk. 7: 47). Eines fehlt uns allen definitiv: die tiefgreifende Erkenntnis dessen, dass die Sünde das schlimmste Leid in dieser Welt ist (und Ursprung alles sonstigen Übels), denn nur sie trennt uns von Gott. Aber wer von uns vermag schon seine Sünden so zu beweinen, wie den Verlust irdischen Glücks und vergänglicher Annehmlichkeiten?!.. - Insofern ist die hl. Maria von Ägypten für uns alle ein glänzendes Vorbild für Ausdauer im Kampf und Beharrlichkeit im Glauben. Wenn wir aber über Ausdauer und Beharrlichkeit reden, müssen wir nicht denken, Heilige wie Maria von Ägypten oder Johannes Klimakos hätten im zeitlichen Leben Drangsal und Entbehrungen um ihrer selbst willen erduldet, um im künftigen Leben eine „Entschädigung“ dafür einfahren zu können. Diese vereinfachte, naive Sichtweise wird der Frohen Botschaft nicht voll umfänglich gerecht, denn es ist der Vorgeschmack der Gemeinschaft mit Christus schon im Diesseits, der sie zu solchen Taten befähigte und alles Eitle und Nichtige verachten ließ. Jeder im geistlichen Leben halbwegs Bewanderte weiß, dass es nichts Schlimmeres für einen auf der Suche nach Gottes Gemeinschaft Befindlichen gibt, als weltliche Vergnügungen und Zerstreuungen. Ein wahrer Mönch wird seine Zelle oder sein Kloster nur aus Notwendigkeit oder Gehorsam verlassen wollen, da er in ihnen einen sicheren und ruhigen Hafen für seine sturmbedrohte Seele hat. Diese Geborgenheit schafft die äußeren Bedingungen für ein Leben in Christo. Die inneren Bedingungen dafür schafft man sich aber durch Gebet und Fasten als Schutzmauer im stillen Kämmerlein. Demnach dürfen auch wir uns nach der Gemeinschaft Christi sehnen, indem wir hier, im Trubel der Moderne, unser von Christus individuell auf uns zugeschnittenes Kreuz dankbar auf uns nehmen. Christus wacht ständig über uns und wartet nur darauf, dass wir uns auch dazu entschließen, nach Seinem Willen zu leben. Dann wird unser Leben nach außen hin womöglich strapaziös, entbehrungsreich und voller Widerstände, nach innen aber voller Zufriedenheit und Leichtigkeit sein (s. Mk. 10: 28-31). Dazu müssen wir uns aber auf die wahre Buße in der Reinheit des Herzens, statt auf äußere Frömmigkeit konzentrieren. Dann dürfen auch wir Sünder frohgemut sein, dass dereinst auf uns diese liebevollen Worte Christi übertragen werden können: „Dein Glaube hat dir geholfen. Geh in Frieden!“ (Lk. 7: 50). 

Amen.

Jahr:
2015
Orignalsprache:
Deutsch